OGH 1Ob170/22i

OGH1Ob170/22i22.11.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Y*, vertreten durch die Dr. Ozegovic & Dr. Maiditsch Rechtsanwälte GesbR in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch MMag. Dr. Franz Stefan Pechmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen 230.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 3. August 2022, GZ 4 R 99/22v‑53, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 18. März 2022, GZ 25 Cg 46/20h‑46, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00170.22I.1122.000

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Kläger unterstützte den Beklagten in mehreren Angelegenheiten, beispielsweise bei der Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft und beim Kauf und darauffolgenden Umbau seines Hauses in P*. Zwischen den Parteien war immer die Rede davon, dass der Beklagte dem Kläger für diese Leistungen einen Geldbetrag zahlen würde. „Im Jahr 2018“ kam es dann zu einem Treffen zwischen dem Kläger und dem Beklagten im Haus des Klägers. Bei diesem Gespräch vereinbarten die beiden, dass der Beklagte dem Kläger 250.000 EUR für die ihm vom Kläger erbrachten Leistungen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Hausumbau, zahle. Der Beklagte sicherte auch 2019 noch zu, dem Kläger das Geld zu überweisen. Schließlich leistete er aber nur rund 20.000 EUR als Art Anzahlung auf diesen Pauschalbetrag.

[2] Der Kläger begehrte die Zahlung von (zuletzt) 230.000 EUR in erster Linie aus dieser Vereinbarung.

[3] Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht ging davon aus, dass die Feststellungen hinreichend bestimmt seien, um den Zuspruch an den Kläger zu rechtfertigen. Der Beklagte habe zwar allgemein „Wucher“ eingewandt, jedoch keinerlei Ausführungen zu den Tatbestandsmerkmalen getätigt. Die im Schriftsatz vom 5. 10. 2021 erstmals erhobene Einrede der laesio enormis wäre verjährt. Auch habe der Beklagte kein konkretes Vorbringen zur Äquivalenzstörung erstattet. Es wäre am Beklagten gelegen, darzustellen, weshalb der Pauschalbetrag insbesondere im Hinblick auf die letztlich tatsächlich erlangte Staatsbürgerschaft und den erfolgreichen Ankauf und Umbau des Hauses den Tatbestand der laesio enormis erfülle.

[4] Die ordentliche Revision sei mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[5] Die dagegen gerichtete außerordentliche Revision des Beklagten, zielt auf eine Abweisung des Klagebegehrens, hilfsweise auf eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung ab.

[6] Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[7] Die außerordentliche Revision ist – entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts – aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[8] 1. Vorauszuschicken ist, dass das Klagebegehren entgegen der Meinung des Beklagten nicht gegen § 226 ZPO verstößt (vgl RS0031014), weil der Kläger die Zahlung eines Pauschalbetrags von 230.000 EUR aus einer mit dem Beklagten im Juli 2018 geschlossenen Vereinbarung für zum damaligen Zeitpunkt bereits von ihm erbrachte Unterstützungsleistungen begehrt. Damit macht er gerade nicht die einzelnen Leistungen bzw mehrere Ansprüche geltend, sondern stützte sich auf einen einheitlichen Anspruch, der mit der behaupteten Vereinbarung steht und fällt.

[9] 2. Auch der Einwand des Revisionswerbers, die Willenserklärungen würden nicht dem in § 869 ABGB normierten Bestimmtheitsgebot genügen, weil das Erstgericht jegliche Feststellungen zum Inhalt der Vereinbarung und insbesondere über die der Zahlung zugrundeliegenden Leistungen unterlassen habe, der Begriff Leistungen „im Zusammenhang mit dem Umbau des Hauses in P*“ sei unklar und unverständlich, verfängt nicht:

[10] 2.1. Bestimmt ist eine Erklärung, wenn ihr die wesentlichen Rechtsfolgen, die der Erklärende anstrebt, und die gesetzlichen Mindestanforderungen des betreffenden Rechtsgeschäftstyps (essentialia negotii) entnehmbar sind, also diejenigen Bestandteile, die die Parteien vereinbaren müssen, damit überhaupt ein hinreichend bestimmter Vertrag zustande kommt (RS0014692).

[11] 2.2. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt, auch wenn die vom Kläger erbrachten Leistungen, für die die Parteien im Nachhinein ein Entgelt von 250.000 EUR festsetzten, nicht im Detail festgestellt wurden. Mit dem Pauschalbetrag sollten offenkundig alle Leistungen des Klägers für den Beklagten im Zusammenhang mit dem Erlangen der Staatsbürgerschaft und mit dem Hausumbau abgegolten werden. Aus den in der Revision zitierten Entscheidungen 5 Ob 130/07i (Vereinbarung betreffend die Übernahme bücherlicher Lasten als essentialia des Liegenschaftskaufvertrags) und 7 Ob 114/18t (Bestimmbarkeit des Abzinungsfaktors in einer Rentenversicherung) ist nichts für den Standpunkt des Rechtsmittelwerbers zu gewinnen.

[12] 3. Richtig ist, dass dem österreichischen Recht ein abstraktes Verpflichtungsgeschäft außerhalb des Wertpapier- und Anweisungsrechts grundsätzlich fremd ist (RS0114623; RS0014027). Einer Verpflichtung muss daher in der Regel der mit ihr verfolgte wirtschaftliche Zweck entnehmbar sein (10 Ob 20/20v). Nach den Feststellungen lag dieser hier in der Abgeltung der durch den Kläger für den Beklagten bereits erbrachten Unterstützungsleistungen.

[13] 4. Der Beklagte hat zwar behauptet, das Entgelt von 250.000 EUR sei „wucherisch“, der Kläger habe Leistungen im Wert von maximal 15.000 EUR erbracht. Ansonsten hat er aber nur vorgebracht, der Beklagte habe ihn „zum Abschluss dieser Vereinbarung [über 250.000 EUR] arglistig durch unrichtige Angaben über seine Kenntnisse, Befähigung, Werthaltigkeit und Angemessenheit in Irrtum geführt und ihn zum Abschluss dieser Vereinbarung veranlasst“, dies mit Bereicherungsvorsatz.

[14] 4.1. Davon ausgehend trifft die Ansicht des Berufungsgerichts, dass der Beklagte ein substantiiertes Vorbringen zum Wuchertatbestand nicht erstattet hat, zu:

[15] Der Bewucherte muss jene tatsächlichen Umstände behaupten, aus denen er das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen des Wuchers ableitet (RS0016869 [T2]). Neben Leichtsinn, Zwangslage, Verstandesschwäche und Unerfahrenheit kommen auch noch andere Umstände auf Seite des Benachteiligten in Betracht, wie Unkenntnis des Werts seiner eigenen Leistung, zu große Vertrauensseligkeit und dergleichen mehr (RS0016869).

[16] 4.2. Derartiges hat der Beklagte in erster Instanz auch bei großzügiger Beurteilung seiner Prozessbehauptungen nicht vorgebracht. Dass der Kläger ein langjährig bestehendes Freundschaftsband ausgenützt und die altersbedingten und sprachlichen Defizite des Beklagten ausgebeutet habe, hat der Beklagte – wie er selbst einräumt – erstmals in der Berufung und damit in Verstoß gegen das Neuerungsverbot behauptet.

[17] 4.3. Ein sekundärer Feststellungsmangel zu dieser Thematik liegt daher nicht vor (RS0053317 [T4]).

[18] 5. Allerdings ist das Berufungsverfahren in einer anderen Hinsicht mangelhaft geblieben, wie der Revisionswerber in seiner Zulassungsbeschwerde zutreffend aufzeigt (vgl RS0080388 [T2]):

[19] 5.1. Der Beklagte hat in erster Instanz im Schriftsatz vom 5. 10. 2021 erstmals eingewandt, es liege eine Verkürzung über die Hälfte vor, weil – träfe die vom Kläger behauptete Vereinbarung zu – der Beklagte als Gegenleistung für 250.000 EUR nur Leistungen vom Kläger erhalten habe, deren Wert nicht einmal 20.000 EUR entspräche. Der Kläger hat repliziert, dass diese Einrede verjährt sei, zumal die Vereinbarung im Sommer 2018 geschlossen worden sei.

[20] Das Erstgericht hat sich mit diesem Einwand nicht auseinandergesetzt. Das Berufungsgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Einrede der laesio enormis verjährt „wäre“ wenn man die Aussage des Klägers und seiner Gattin zugrunde lege, dass die Vereinbarung im Sommer 2018 geschlossen worden sei.

[21] 5.2. Die Einwendung der laesio enormis muss innerhalb von drei Jahren nach Vertragsabschluss erhoben werden (RS0018798). Auf das Erfüllungsbegehren kommt es nicht an.

[22] Das zieht der Revisionswerber auch gar nicht in Zweifel. Er bemängelt, das Berufungsgericht habe die erstinstanzlichen Feststellungen ohne Beweiswiederholung in unzulässiger Weise ergänzt, indem es angenommen habe, dass die Vereinbarung im Sommer 2018 geschlossen worden sei.

[23] Damit befindet sich der Beklagte im Recht. Das Berufungsgericht darf auch ergänzende Feststellungen nur nach Beweisergänzung treffen. Das Unterbleiben des Beweisverfahrens bildet – außer bei Verwertung schon in erster Instanz nur mittelbar aufgenommener Beweise – eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes durch das Berufungsgericht (RS0043026 [insb T4]). Hier hat es das Erstgericht unterlassen, den genauen Zeitpunkt der Vereinbarung festzustellen. Das Berufungsgericht kann daher den Zeitpunkt der Vereinbarung nur nach Durchführung einer Beweisergänzung nachtragen (§ 488 ZPO).

[24] 5.3. Die Alternativbegründung des Berufungs‑gerichts, der Beklagte habe kein konkretes Vorbringen zur Äquivalenzstörung erstattet, ist nicht tragfähig. Immerhin hat der Kläger seine Gegenleistungen konkret aufgeschlüsselt. Die Behauptungen des Beklagten, diese Leistungen seien weniger als die Hälfte von 250.000 EUR wert, ist schlüssig und ausreichend. Dass dem „im Hinblick auf die letztlich tatsächlich erlangte Staatsbürgerschaft und den erfolgreichen Ankauf und Umbau des Hauses“ nicht so ist, steht nicht fest.

[25] 6. Diese Erwägungen führen zur Aufhebung in die zweite Instanz. Das Berufungsgericht wird das Beweisverfahren zu ergänzen haben (§488 ZPO).

[26] 7. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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