European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0100OB00046.22W.1122.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Bestandrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 1.246,70 EUR (darin enthalten 207,78 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerinnen und Kläger sind Vermieter und die Beklagte ist Mieterin von Geschäftsräumlichkeiten in Graz, in denen die Beklagte ein Bekleidungsgeschäft betreibt.
[2] Das Betreten des Geschäftslokals war während der drei Lockdowns in der Zeit von 16. März 2020 bis 30. April 2020, von 17. November 2020 bis 6. Dezember 2020 und von 26. Dezember 2020 bis 7. Februar 2021 aufgrund der SARS‑CoV‑2‑Pandemieuntersagt. Während dieser drei Zeiträume hatte die Beklagte am gegenständlichen Standort keinen Umsatz. Es wurde auch kein Online‑Handel betrieben.
[3] Zwischen dem ersten und dem zweiten, dem zweiten und dem dritten Lockdown und auch nach dem dritten Lockdown bis Ende Februar 2021 gab es am gegenständlichen Standort Umsatzrückgänge im Vergleich zu den jeweiligen Monaten im Jahr 2019. Diese Umsatzrückgänge sind auf die Auswirkungen der SARS‑CoV‑2‑Pandemie zurückzuführen. In diesen Monaten gab es am Standort eine geringere Kundenfrequenz, zurückzuführen auf die allgemeine Empfehlung, Abstand zu halten und Kontakt mit anderen Menschen zu vermeiden. Die geringere Kundenfrequenz ist auch eine Folge der Maskenpflicht, weiterer Hygienemaßnahmen und des Umstands, dass sich auf Grund der geschlossenen Gastronomie und Hotellerie weniger Passanten in der Grazer Innenstadt befunden haben, ebenso weniger Touristen. Die zeitweise in Geltung gestandene 10‑m²‑Regel stellte am gegenständlichen Standort kein Problem dar, weil sich nie (gemeint: auch außerhalb von COVID‑19‑Maßnahmen) zu viele Kunden gleichzeitig in den Geschäftsräumen befunden haben.
[4] Ab September 2019 wurde der Beklagten der Mietzins von 15.162,14 EUR monatlich vorgeschrieben. Die Beklagte zahlte aber (zunächst) weiterhin nur 14.481,42 EUR monatlich. Eine sich aus den Betriebskostenabrechnungen für die Jahre 2018 und 2019 ergebende Differenz von 533,49 EUR wurde von der Beklagten nicht gezahlt. Im Zeitraum von März 2020 bis Februar 2021 leistete die Beklagte an Mietzinszahlungen insgesamt einen Betrag in der Höhe von 120.742,70 EUR.
[5] Die klagenden Parteien begehren (zuletzt) die Zahlung von 19.728,15 EUR sA an (näher aufgeschlüsselten) Mietzins- und Betriebskostenrückständen betreffend den Zeitraum von September 2019 bis Februar 2021.
[6] Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte (soweit revisionsgegenständlich) ein, dass kein Zahlungsrückstand bestehe. Vielmehr bestehe in Anwendung der §§ 1104 f ABGB ein Anspruch der Beklagten auf Mietzinsbefreiung während der drei Lockdowns, in denen das Geschäftslokal behördlich geschlossen gewesen sei, und auf Mietzinsminderung (in näher bezeichneter Höhe von 10 % bis 70 %) für die Zeit zwischen und nach den Lockdowns, in der das Einkaufen massiv eingeschränkt und reglementiert gewesen sei, was zu einem massiven Rückgang der Passantenfrequenz geführt habe. Außerdem bestehe ein Mietzinsminderungsanspruch für weitere Perioden der Pandemie, sodass sich aus den Überzahlungen ein Rückforderungsanspruch von 6.611,41 EUR ergebe, welcher aufrechnungsweise eingewendet werde.
[7] Das Erstgericht stellte die Klagsforderung als mit 8.205 EUR zu Recht bestehend, die eingewendete Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend fest und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 8.205 EUR sA und wies das Mehrbegehren über 11.523,15 EUR sA ab. Ausgehend von dem eingangs auf das für das Revisionsverfahren Wesentliche zusammengefassten Sachverhalt folgerte es in rechtlicher Hinsicht, dass den KlägerInnen für die Zeit der behördlichen Schließung, also der Lockdowns, kein Mietzinsanspruch zustehe. Die pandemiebedingten Umsatzrückgänge außerhalb dieser Lockdowns zählten jedoch zum unternehmerischen Verwendungsrisiko, das die Beklagte zu tragen habe. Ein Mietzinsminderungsanspruch für diese Zeiten stehe daher nicht zu.
[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Parteien, nicht jedoch jener der Beklagten Folge und änderte die Entscheidung des Erstgerichts dahin ab, dass es die Klagsforderung als mit 10.732 EUR zu Recht, die eingewandte Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend feststellte und die Beklagte zur Zahlung von 10.732 EUR sA verpflichtete; das Mehrbegehren von 8.996,15 EUR sA wies es ab.
[9] Soweit für das Revisionsverfahren relevant, führte es aus, dass der Beklagten aufgrund von nicht das Geschäftslokal unmittelbar betreffenden Umständen (Ängste von potentiellen Kunden, Maßnahmen wie Abstandsregeln und FFP2‑Maskenpflicht oder allgemeine Empfehlungen, Abstand zu halten) in den Zeiträumen zwischen den drei Lockdowns und bis Ende Februar 2021 keine Mietzinsminderung zustehe.
[10] Die Revision ließ es zu, weil zur Frage, ob einem Geschäftsraummieter außerhalb der Lockdowns eine Mietzinsminderung nach § 1105 ABGB zustehe, keine gesicherte Rechtsprechung vorliege.
[11] Dagegen richtet sich die Revisionder Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im zur Gänze klagsabweisenden Sinn.
[12] In der Revisionsbeantwortung beantragen die klagenden Parteien, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[13] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, jedoch nichtberechtigt.
[14] 1. Die Beklagte meint zusammengefasst, dass pandemiebedingte Umsatzausfälle mietzinsmindernd zur eingeschränkten Brauchbarkeit des Bestandobjekts führten, weil es sich dabei um einen außerordentlichen Zufall iSd § 1105 ABGB handle. Die erlittenen Umsatzrückgänge seien auf eine eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit des konkreten Bestandobjekts zurückzuführen, weil weniger Kunden das Verkaufslokal der Beklagten frequentiert hätten, dieses also zum individuell vereinbarten Vertragszweck des Betriebs von stationärem Bekleidungshandel nicht uneingeschränkt verwendet werden habe können. Es seien allesamt pandemiebedingte Umstände gewesen, wie behördliche Empfehlungen zur Vermeidung des Kontakts mit anderen Menschen, behördliche Restriktionen beim Besuch von Handelsgeschäften (Maskentragen, Abstand halten), weiters behördliche Sperre von innerstädtischen „Frequenzbringern“ wie Hotellerie und Gastronomie, die dazu geführt hätten, dass die Beklagte außerhalb der Lockdowns einen (ganz massiven) Kundenrückgang im verfahrensgegenständlichen Verkaufs-lokal hinnehmen habe müssen.
[15] 2. Der Oberste Gerichtshof hat sich mit den vom Berufungsgericht und von der Revision aufgeworfenen Fragen bereits mehrfach auseinandergesetzt und in einer Reihe von Entscheidungen, wie etwa in 3 Ob 209/21p und 9 Ob 84/21z, zusammengefasst folgende Punkte klargestellt:
[16] 2.1. Die infolge der SARS‑CoV‑2‑Pandemie erlassenen behördlichen Maßnahmen begründen einen außerordentlichen Zufall iSd §§ 1104 f ABGB (3 Ob 78/21y; 3 Ob 184/21m; 5 Ob 192/21b; 8 Ob 131/21d).
[17] 2.2. Wenn die in Bestand genommene Sache wegen eines außerordentlichen Zufalls gar nicht gebraucht oder benutzt werden kann, so ist nach § 1104 ABGB kein Mietzins zu entrichten. Behält der Mieter trotz eines solchen Zufalls einen beschränkten Gebrauch des Mietstücks, so wird ihm gemäß § 1105 ABGB ein verhältnismäßiger Teil des Mietzinses erlassen.
[18] 2.3. Die Frage, ob (teilweise) Unbenützbarkeit des Bestandgegenstands vorliegt, ist nach dem Vertragszweck zu beurteilen (3 Ob 184/21m). Die in §§ 1104, 1105 und 1107 ABGB angesprochene Unbrauchbarkeit folgt daher in ihren Grundsätzen der (teilweisen) Unbrauchbarkeit iSd § 1096 ABGB. Die Bestandsache muss eine Verwendung zulassen, wie sie gewöhnlich nach dem Vertragszweck erforderlich ist und nach der Verkehrssitte erfolgt. Mangels anderer Vereinbarungen ist eine mittlere (durchschnittliche) Brauchbarkeit geschuldet (RIS‑Justiz RS0021054; RS0020926). Für die Beurteilung ist in erster Linie die (ausdrückliche) Parteienvereinbarung bzw der dem Vertrag zugrunde gelegte Geschäftszweck maßgeblich (8 Ob 131/21d mzN).
[19] 3.1. Hier war der vereinbarte Bestandzweck die Verwendung des Geschäftslokals als Bekleidungsgeschäft. Dass das Geschäftslokal in den Zeiträumen eines behördlichen Betretungsverbots für Kunden nicht der vereinbarten Benützbarkeit unterlag, ist hier nicht fraglich und nicht weiter revisionsgegenständlich.
[20] 3.2. Zur Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit die infolge der SARS‑CoV‑2‑Pandemie eingetretene Beeinträchtigung des vom Geschäftsraummieter erzielbaren Umsatzes eine Mietzinsminderung rechtfertigen könnte, wurde jüngst in der Entscheidung 3 Ob 209/21p in ausführlicher Auseinandersetzung mit den zahlreichen Stellungnahmen der Literatur zusammenfassend Folgendes ausgeführt:
„7.1 Nach der bisherigen Rechtsprechung kommt es für einen allfälligen Mietzinsminderungsanspruch des Bestandnehmers eines Geschäftslokals maßgeblich darauf an, ob eine Beeinträchtigung der vertragsgemäßen Nutzung vorliegt, während ein Umsatzrückgang als solcher dafür im Allgemeinen für sich allein nicht ausreicht: So sind etwa für den Geschäftsraummieter vorhersehbare Umsatzeinbußen, die durch die Ansiedlung weiterer Konkurrenzbetriebe in der Umgebung eintreten, ohne besondere Umstände – wie etwa eine entsprechende (ausdrückliche oder durch ergänzende Auslegung erzielbare) Regelung im Bestandvertrag (Konkurrenzschutz) – kein Grund für eine Mietzinsminderung, liegt doch eine solche Situation im Bereich des Unternehmerrisikos (vgl RS0119192; RS0117011 [T1, T2]; Riss in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.02 § 1107 Rz 2; Pesek in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1096 Rz 109).
7.2 Es mag nun durchaus zutreffen, dass die vorliegende Konstellation einer Pandemie mit weitreichenden weltweiten wirtschaftlichen Verwerfungen nicht unmittelbar mit kleinräumigen Konkurrenzverhältnissen vergleichbar ist. Als Grundsatz lässt sich aus der zuvor angesprochenen Judikatur aber doch ableiten, dass ein erheblicher Rückgang des Geschäftserfolgs des Bestandnehmers nicht schon per se eine Mietzinsreduktion rechtfertigt, sondern nur dann, wenn er auf einer Verletzung vertraglicher Verpflichtungen des Bestandgebers beruht (vgl 1 Ob 113/02b [verstSenat]) oder zumindest auf einer nach der Wertung der §§ 1104 f ABGB dem Bestandgeber zuzurechnenden Einschränkung der Benützbarkeit des Bestandgegenstands.
7.3 Nach Ansicht des Senats ist daher eine differenzierte Betrachtung erforderlich:
7.3.1 Soweit Umsatzeinbußen des Geschäftsraummieters eine unmittelbare Folge der COVID‑19‑Pandemie sind, die sämtliche Unternehmer wie (auch) den Mieter des Geschäftslokals, insbesondere dessen gesamte Branche, allgemein und insgesamt treffen, sind diese dem Unternehmerrisiko zuzuordnen und daher für den zu zahlenden Mietzins nicht relevant. Diese Auswirkungen der Pandemie sind keine Gebrauchsbeeinträchtigungen des vom Vermieter vereinbarungsgemäß zur Verfügung zu stellenden Objekts. Die §§ 1096, 1104 f ABGB bilden daher keine Grundlage für eine allein darauf aufbauende Mietzinsminderung. Die gegenteiligen Lehrmeinungen zeigen keine, insbesondere keine überzeugenden und konkreten gesetzlichen Grundlagen auf, die es geboten erscheinen ließen, die praktisch global eine ganze Branche treffenden Umsatzeinbußen als Unbrauchbarkeit des bestimmten Bestandobjekts dem einzelnen Vermieter aufzubürden.
7.3.2 Lassen sich hingegen Umsatzeinbußen des Geschäftsraummieters auf behördliche Maßnahmen, hier also auf jene Betretungsverbote zurückführen, die anlässlich der COVID‑19‑Pandemie verfügt wurden, so sind solche Umsatzeinbußen konkrete Folgen einer objektiven Einschränkung des vertraglich bedungenen Gebrauchs des Bestandobjekts und im Rahmen einer Mietzinsminderung zu berücksichtigen.
7.3.3 Als Zwischenergebnis lässt sich daher festhalten, dass Umsatzeinbußen des Geschäftsraummieters zwar ein Indiz dafür sein können, dass eine (teilweise) Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts vorliegt, allerdings müssen diese Einbußen abgesehen von Fällen eines vertragswidrigen Verhaltens des Bestandgebers im Anwendungsbereich des § 1105 ABGB eine unmittelbare Folge der – etwa wegen behördlicher Maßnahmen – eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit des konkreten Geschäftslokals sein. Bezogen auf den vorliegenden Fall könnte daher eine Umsatzeinbuße dann beachtlich sein, wenn diese aus dem Umstand resultiert, dass Kunden das von der Beklagten gemietete Geschäftslokal nicht betreten durften und daher nicht in Präsenz betreut werden konnten. Ohne Belang ist es dagegen, wenn Umsatzrückgänge darauf beruhen, dass sich Menschen namentlich infolge der gesundheitlichen Risken der Pandemie nicht zu Reisen entschließen wollten. Dass bei Ermittlungsschwierigkeiten bezüglich des Ausmaßes einer beachtlichen Beeinträchtigung und der daraus gegebenenfalls gerechtfertigten Zinsminderung das Gericht gemäß § 273 ZPO vorgehen darf, folgt zwanglos aus bereits vorliegender Rechtsprechung (vgl RS0109646; RS0021324 [T2]; vgl auch 5 Ob 192/21b).“
[21] 4.1. Davon ausgehend können – wie bereits in der Entscheidung 9 Ob 84/21z festgehalten – Umsatzrückgänge dann zu einer Mietzinsminderung führen, wenn sie Ausdruck, das heißt unmittelbare Folge der – etwa wegen behördlicher Maßnahmen – eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit des konkreten Geschäftslokals sind.
[22] 4.2. Nach dem festgestellten Sachverhalt bestandin den revisionsgegenständlichen Zeiträumen kein behördlich angeordnetes Betretungsverbot für das gegenständliche Geschäftslokal, sodass es der Beklagten grundsätzlich möglich war, ihre Waren im Geschäft anzubieten, Kunden in Präsenz zu beraten und Verkäufe abzuwickeln. Ursächlich für die Umsatzrückgänge waren vielmehr ausschließlich Umstände und Maßnahmen, die unmittelbar nur das Verhalten potentieller Kunden beeinflussten und sich nicht auf das konkrete Bestandsobjekt bezogen. Insbesondere verhinderte keine der Ursachen, auf die die Umsatzrückgänge nach den getroffenen Feststellungen und dem Inhalt der Revision zurückzuführen waren, (ganz oder auch nur teilweise) den Zugang zum Geschäftslokal oder den Kundenverkehr darin. Die bloß das Kundenverhalten beeinflussenden Ursachen des Umsatzrückgangs schränkten somit die Nutzungsmöglichkeit des konkreten Bestandsobjekts nicht (unmittelbar) ein. Solche Umsatzrückgänge sind daher nach der dargestellten Rechtsprechung dem Unternehmerrisiko zuzuordnen und rechtfertigen eine Minderung des vereinbarten Mietzinses nicht.
[23] 5. Auf eine Mietzinsminderung kann sich die Beklagte nach dem Gesagten nicht berufen, sodass auch in diesem Zusammenhang von der Beklagten vermisste Feststellungen nicht entscheidungswesentlich sind und der – ausschließlich die Frage der Mietzinsminderung thematisierenden – Revision ein Erfolg zu versagen ist.
[24] 6. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
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