European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0030OB00170.22D.1117.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Rekurswird nicht Folge gegeben.
Die Kosten der betreibenden Partei für ihre Rekursbeantwortung werden mit 2.240,82 EUR (hierin enthalten 373,47 EUR USt) als weitere Exekutionskosten bestimmt.
Begründung:
[1] Mit Beschluss vom 6. Dezember 2019 bewilligte das Erstgericht der betreibenden Partei gegen die Verpflichtete aufgrund eines vollstreckbaren Zahlungsbefehls vom 2. Oktober 2019 zur Hereinbringung der vollstreckbaren Forderung von 55.918,24 EUR sA die Fahrnis‑ und Forderungsexekution.
[2] Mit Schriftsatz vom 5. April 2022 beantragte die Verpflichtete unter Vorlage der Kopie einer dem äußeren Anschein nach von der betreibenden Partei stammenden Bestätigung vom 3. März 2022, wonach „alle damaligen offenen Rechnungen über den Betrag von 52.260,04 EUR bezahlt wurden und die Exekution per sofort eingestellt werden kann“, die Einstellung der Exekution gemäß § 39 Abs 1 Z 6 EO.
[3] Das Erstgericht stellte die Exekution daraufhin ein.
[4] Das Rekursgericht hob diesen Beschluss infolge Rekurses der Betreibenden auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Gemäß § 45 Abs 3 EO seien die Parteien vor der Entscheidung über nicht vom betreibenden Gläubiger selbst gestellte Anträge (ua) auf Einstellung des Exekutionsverfahrens einzuvernehmen. Zwar könne nach älterer Literatur in sinngemäßer Anwendung des § 40 Abs 1 EO eine Vernehmung des betreibenden Gläubigers unterbleiben, wenn der Verpflichtete mit seinem Einstellungsantrag nach § 39 Abs 1 Z 6 EO eine unbedenkliche Urkunde vorlege, aus der sich die Zustimmung des betreibenden Gläubigers ergebe. Im Hinblick auf Art 6 EMRK sei jedoch mit der (in einem Provisorialverfahren ergangenen) Entscheidung 7 Ob 57/19m rechtliches Gehör des Betreibenden auch dann zu fordern, wenn der Verpflichtete seinen Einstellungsantrag mit dem bis dato nicht aktenkundigen Vorbringen stelle, der Betreibende sei mit der Einstellung der Exekution einverstanden. Das Erstgericht werde dem Betreibenden daher die Möglichkeit einzuräumen haben, die Unechtheit oder Unrichtigkeit der vorgelegten Urkunde zu relevieren.
[5] Das Rekursgericht ließ gemäß § 527 Abs 2 ZPO iVm § 78 EO den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zur Frage zu, ob dem Betreibenden dann, wenn der Verpflichtete seinen Einstellungsantrag auf eine vom Betreibenden abgegebene außergerichtliche Erklärung stütze, rechtliches Gehör zu gewähren sei.
Rechtliche Beurteilung
[6] Der Rekurs der Verpflichteten ist zulässig, aber nicht berechtigt.
[7] 1. Wird ein Antrag auf Einstellung der Exekution gestellt, so sind vor der Entscheidung darüber die Parteien zu vernehmen, sofern der Antrag nicht vom betreibenden Gläubiger selbst gestellt wird (§ 45 Abs 3 EO). Wurde die Vernehmung der betreibenden Partei unterlassen, so begründet dies eine von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeit iSd § 477 Abs 1 Z 4 ZPO iVm § 78 EO (3 Ob 264/02y = RS0117816).
[8] 2. Eine Vernehmung des betreibenden Gläubigers zu einem vom Verpflichteten gestellten Einstellungsantrag gemäß § 39 Abs 1 Z 6 EO kann nur dann unterbleiben, wenn der Verpflichtete eine unbedenkliche Urkunde über die Zustimmung des betreibenden Gläubigers vorlegt. Da aber dem Betreibenden ohne seine vorherige Vernehmung die Möglichkeit genommen wird, eine allfällige inhaltliche Unrichtigkeit (oder auch Unechtheit) der vorgelegten Urkunde geltend zu machen, sind an die Unbedenklichkeit der vorgelegten Urkunde erhöhte Anforderungen zu stellen (Jakusch in Angst/Oberhammer 3 § 39 EO Rz 81 mwN). In diesem Sinn hat bei Bedenklichkeit, Ungenauigkeit oder Unbestimmtheit der Erklärung eine Vernehmung des Betreibenden zu erfolgen (Deixler-Hübner in Deixler-Hübner § 39 EO Rz 29 mwN). Unbedenkliche Urkunden sind nicht solche, die frei von besonderen, ihre Glaubwürdigkeit beeinträchtigenden Mängeln sind (§ 27 GBG), es muss sich vielmehr um Schriftstücke handeln, denen eine besondere Glaubwürdigkeit zukommt, wie etwa Postaufgabescheine, gerichtliche Entscheidungen usw (RS0001391). Dies setzt bei Privaturkunden insbesondere voraus, dass keine Zweifel daran bestehen, dass sie von jener Person stammen, die darin eine sie belastende Erklärung abgegeben hat (2 Ob 75/17v = RS0001391 [T8]).
[9] 3. Entsprechend diesen Kriterien ist die von der Verpflichteten nur in Kopie vorgelegte Bestätigung vom 3. März 2022 schon deshalb nicht als unbedenkliche Urkunde zu qualifizieren, weil dieses (in deutscher Sprache verfasste und mit einem Firmenstempel des in Polen ansässigen Betreibenden versehene) Schreiben bloß eine unleserliche Unterschrift aufweist, sodass die Echtheit der Unterschrift der betreibenden Partei nicht feststeht (vgl 3 Ob 85/84 = RS0001391 [T2]). Dazu kommt, dass die Bestätigung weder an das Erstgericht noch an die Verpflichtete adressiert ist, sondern an eine Kreditversicherung und auch nur die angebliche Zahlung der Kapitalforderung, nicht aber der Nebenforderungen angesprochen wird.
[10] 4. Dem Rekursgericht ist daher dahin zuzustimmen, dass das Erstgericht mangels Unbedenklichkeit der vorgelegten Urkunde die Exekution nicht ohne vorherige Anhörung des Betreibenden (§ 55 Abs 1 EO) einstellen hätte dürfen. Die vom Rekursgericht ins Treffen geführte Entscheidung 7 Ob 57/19m ist allerdings nicht einschlägig, weil es dort um die Aufhebung einer einstweiligen Verfügung ging und § 399 Abs 2 letzter Satz EO in einem solchen Fall die vorherige Einvernahme der gefährdeten Partei zwingend anordnet.
[11] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 EO.
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