OGH 15Os41/22a

OGH15Os41/22a18.10.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Oktober 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Mag. Buttinger als Schriftführer in der Medienrechtssache des Antragstellers * S* gegen die Antragsgegnerin K* GmbH & Co KG wegen § 7 MedienG, AZ 5 Hv 81/20h des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 12. März 2021 und das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 16. November 2021, AZ 1 Bs 59/21t, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes sowie über den Antrag der Antragsgegnerin auf Erneuerung des Verfahrens nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur MMag. Sauter‑Longitsch LL.M., des Antragstellervertreters Dr. Haas und des Antragsgegnerinnenvertreters Dr. Lausegger, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0150OS00041.22A.1018.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

In der Medienrechtssache des Antragstellers * S* gegen die Antragsgegnerin K* GmbH & Co KG wegen § 7 MedienG, AZ 5 Hv 81/20h des Landesgerichts für Strafsachen Graz, verletzen das Urteil dieses Gerichts vom 12. März 2021 und das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 16. November 2021, AZ 1 Bs 59/21t, § 7 Abs 1 MedienG.

Diese Urteile werden aufgehoben und es wird in der Sache selbst erkannt:

Die Anträge des Antragstellers auf Zuerkennung einer Entschädigung nach § 7 Abs 1 MedienG wegen des am 13. Juni 2020 in der K* veröffentlichten Artikels mit der Überschrift „S*/Potenzmittel auf *‑Kosten?“ und auf Urteilsveröffentlichung werden abgewiesen.

Dem Antragsteller fallen die Kosten des Verfahrens zur Last.

Mit ihrem Erneuerungsantrag wird die Antragsgegnerin auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

[1] In der Medienrechtssache des Antragstellers * S* gegen die AntragsgegnerinK* GmbH & Co KG wegen § 7 MedienG sprach das Landesgericht für Strafsachen Graz mit Urteil vom 12. März 2021, GZ 5 Hv 81/20h-10, aus, dass die Antragsgegnerin am 13. Juni 2020 in * durch die Veröffentlichung des Artikels „S*/Potenzmittel auf *-Kosten?“ in der periodischen Druckschrift K* und die darin wiedergegebene Behauptung des Inhalts, „* S* soll in seiner Zeit als *-Chef auch Potenz- und Diätmittel der eigenen Partei verrechnet haben. Zwischen 2015 und 2018 soll S* Mittel um insgesamt 8.000 Euro eingekauft haben. Fast zwei Drittel davon gingen für Potenzmittel drauf…“, in einem Medium den höchstpersönlichen Lebensbereich des Antragstellers in einer Weise erörtert hat, die geeignet ist, ihn in der Öffentlichkeit bloßzustellen. Es verpflichtete die Antragsgegnerin nach § 7 Abs 1 MedienG zur Zahlung einer Entschädigung von 5.000 Euro und zur Urteilsveröffentlichung.

[2] Das Erstgericht traf im Wesentlichen folgende Feststellungen (US 3 ff):

[3] Die Antragsgegnerin ist Medieninhaberin der periodischen Druckschrift K*. Der Antragsteller * S* war ab 2008 Bundesparteiobmann der F* und von Dezember 2017 bis Mai 2019 Vizekanzler der Republik Österreich. Nach Veröffentlichung des (sog) „Ibiza-Videos“ im Mai 2019 trat * S* als Vizekanzler zurück und legte zunächst alle seine politischen Funktionen nieder. Zum Zeitpunkt der inkriminierten Veröffentlichung trat er als Obmann der Partei T* H* zur Wiener Gemeinderatswahl am 11. Oktober 2020 an.

[4] Nach dem Rücktritt des Antragstellers als Vizekanzler leitete die Staatsanwaltschaft Wien (ua) gegen den Genannten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts ein, dieser habe von 2006 bis 2019 private Ausgaben in einer Größenordnung von 500.000 Euro bis 600.000 Euro über Parteikonten der * abgerechnet bzw über Scheinbelege an die Partei weiterverrechnet. Zahlreiche Printmedien berichteten über diese sogenannte „Spesenaffäre“, wobei * S* die Vorwürfe stets zurückwies und behauptete, er habe sämtliche private Aufwendungen der Partei refundiert.

[5] Am 12. Juni 2020 veröffentlichte die Kr* einen Artikel mit der Überschrift „Beleg aus Apotheke/S*: Sogar Potenzmittel über * verrechnet“, in dem thematisiert wird, dass der einstige „*-Grande“ seiner Partei auch Apothekenrechnungen um tausende Euro unter anderem für Diät- und Potenzmittel vorgelegt habe. Weiters wird darin erörtert, dass * S* zwischen 2015 und 2018 bei der Apotheke „Z*“ um 8.000 Euro eingekauft habe, wobei laut Insidern zwei Drittel davon für „manneskraftstärkende Pillen“ „draufgingen“ und auch Diätmittel in den Aufzeichnungen der Apotheke zu finden seien. Ferner findet sich in diesem Artikel eine Ablichtung einer Rechnung vom 8. März 2016, ausgestellt auf * S*, über einen Betrag von 498,38 Euro für zwei Packungen Cialis, 20 mg zu je 12 Stück, sowie für Diätpillen der Marke Turbo-Slim.

[6] Als Reaktion darauf veröffentlichte der Antragsteller auf seiner Facebook-Seite einen Eintrag folgenden Inhalts: „Es reicht! Die tägliche Fake-News-Hetze erreicht heute in der Kr* einen weiteren Höhepunkt! Ärztlich verschreibungspflichtige Medikamente gegen Prostatahyperplasie als Potenzmittel zu bezeichnen, um mich öffentlich zu demütigen, hat mit Journalismus nichts mehr zu tun. Es gibt nichts Schäbigeres als über Krankheiten zu berichten, unabhängig von der Frage, ob die Person in der Öffentlichkeit steht. So etwas kann sich nur die Kr* erlauben, weil sie glaubt allmächtig in diesem Land zu sein und mir persönlich mit unlauterem Journalismus den Krieg erklärt hat. Und zum hundertsten Mal: Alle vom Büro übernommen[en] Rechnungen wurden mir nach Prüfung des *-Finanzreferenten und des *-Rechnungsprüfersentweder beruflich genehmigt oder mir regelmäßig verrechnet und von mir privat bezahlt! Euer H*- jetzt erst recht!“

[7] Am Folgetag, mithin am 13. Juni 2020, veröffentlichte die Antragsgegnerin auf Seite 8 der periodischen Druckschrift K* (Panorama) einen Artikel mit der Überschrift: „S*/Potenzmittel auf *-Kosten?“ mit folgendem Text: „* S* soll in seiner Zeit als *-Chef auch Potenz- und Diätmittel der eigenen Partei verrechnet haben, berichtet die Kr*. Zwischen 2015 und 2018 soll S* Mittel um insgesamt 8.000 Euro eingekauft haben. Fast zwei Drittel davon gingen für Potenzmittel drauf, auch Diätmittel sind in den Aufzeichnungen einer Wiener Apotheke zu finden. S* Anwalt bestreitet nicht den Kauf, verweist allerdings darauf, dass sein Mandant die Rechnungen später beglichen habe. Seit Ibiza sind immer wieder neue Belege aufgetaucht, wonach der Ex-*-Chef auch private Ausgaben der Partei verrechnet hatte. Ein ehemaliger S*-Leibwächter soll gegenüber den Behörden ausgepackt haben.“

[8] Der Antragsteller hat tatsächlich über eine Apotheke (im Artikel namentlich nicht genannte) Potenzmittel bezogen, die in der Regel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion ärztlich verschrieben werden.

[9] Der Leser der K* entnimmt dem inkriminierten Artikel im Wesentlichen, dass * S* für sich Potenzmittel erworben und eingenommen hat, und zwar im Zeitraum 2015 bis 2018 zu einem Gesamtbetrag von rund 5.000 Euro. Damit wird aus Sicht des Lesers das Sexualleben des Antragstellers thematisiert und zwar in einer Weise, die geeignet ist, diesen aufgrund der mit der Einnahme von Potenzmitteln in Zusammenhang zu bringenden erektilen Dysfunktion in der Öffentlichkeit bloßzustellen.

[10] In rechtlicher Hinsicht bejahte das Erstgericht die Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 MedienG und erachtete die Ausschlussgründe der Z 2 und Z 3 des § 7 Abs 2 MedienG für nicht gegeben (US 6 ff).

[11] Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Antragsgegnerin wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe (ON 11) gab das Oberlandesgericht Graz mit Urteil vom 16. November 2021, AZ 1 Bs 59/21t, – unter inhaltlicher Abweisung der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld – „dahin Folge, dass der Entschädigungsbetrag mit 3.000 Euro bemessen wird“.

[12] Das Oberlandesgericht Graz erachtete – dem Berufungsvorbringen zuwider – die erstrichterlichen Feststellungen zum Bedeutungsinhalt des inkriminierten Artikels als mängelfrei begründet, stufte die gegen den konstatierten Bedeutungsgehalt vorgebrachten Argumente der Schuldberufung aus den im Urteil dargelegten Erwägungen als nicht überzeugend ein und hielt fest, dass die weiteren erstrichterlichen Feststellungen keinen Bedenken begegnen würden (US 3 ff). Ausgehend von den Sachverhaltsannahmen des Erstgerichts bejahte das Berufungsgericht das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 MedienG, verneinte das Vorliegen der Ausschlussgründe nach § 7 Abs 2 Z 2 und Z 3 MedienG und erachtete (im Ergebnis) die Berichterstattung als nicht vom Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 MRK gedeckt (US 5 ff).

Rechtliche Beurteilung

[13] Diese Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Graz und des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht stehen – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt – mit dem Gesetz nicht im Einklang:

[14] Wird in einem Medium der höchstpersönliche Lebensbereich einer Person in einer Weise erörtert oder dargestellt, die geeignet ist, sie in der Öffentlichkeit bloßzustellen, so hat der Betroffene nach § 7 Abs 1 MedienG gegen den Medieninhaber einen Anspruch auf Entschädigung.

[15] Im Fall konfligierender Grundrechte, hier des Rechts des Antragstellers auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art 8 Abs 1 MRK einerseits und des Rechts der Antragsgegnerin auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 Abs 1 MRK andererseits, ist eine Interessenabwägung nach den vom EGMR dazu entwickelten Kriterien vorzunehmen: Maßgeblich sind demnach der Beitrag der Veröffentlichung zu einer Debatte von allgemeinem Interesse, die Rolle oder Funktion der betroffenen Person, der Gegenstand der Berichterstattung, das frühere Verhalten der Person, Inhalt und Form der Veröffentlichung, die Art und Weise, wie die Information erlangt wurde, sowie deren Wahrheitsgehalt (vgl RIS-Justiz RS0129575; Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 23 Rz 49).

[16] Auch Politiker oder sonst allgemein bekannte Personen haben Anspruch darauf, dass ihre Privatsphäre geschützt wird (RIS-Justiz RS0077903), wobei zugunsten der Pressefreiheit auch zu berücksichtigen ist, ob die betreffende Person selbst bestimmte Inhalte öffentlich gemachthat (vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 23 Rz 47; Meyer/Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK4 Art 10 Rn 46).

[17] Der höchstpersönliche Lebensbereich im Sinn des § 7 MedienG umfasst als Kernbereich der durch Art 8 MRK geschützten Privatsphäre solche Angelegenheiten, deren Kenntnisnahme durch Außenstehende die persönliche Integrität im besonderen Maß berührt. Dazu gehört jedenfalls die Intimsphäre eines Menschen, das sind seine körperlichen (zB Gesundheitszustand, Krankenbehandlungen usw) und geistigen Befindlichkeiten, sein Sexualverhalten, seine persönliche Identität und sein Verhalten im engsten Familienkreis (Berka in Berka/Heindl/Höhne/Koukal, MedienG4 § 7 Rz 6 ff; RIS-Justiz RS0122148). Wer allerdings Informationen aus seinem Privatleben bewusst an eine mediale oder sonst große Öffentlichkeit adressiert, hat seinen höchstpersönlichen Lebensbereich verlassen und kann sich nicht mehr auf den Schutz des § 7 MedienG berufen (Berka in Berka/Heindl/Höhne/Koukal, MedienG4 § 7 Rz 14a; Rami in WK² MedienG § 7 Rz 5). Dies gilt auch dann, wenn der Betroffene – wie hier im Rahmen einer Debatte über die Spesenabrechnung eines Politikers – Informationen mit Bezug zum höchstpersönlichen Lebensbereich (hier: den Bezug und die Verrechnung bestimmter Medikamente) aus den Medien aufnimmt, sie kommentiert und sich so an einer Diskussion über Details seines Intimlebens beteiligt. Dadurch hat er über sein Recht, über das der Öffentlichkeit eröffnete Persönlichkeitsbild selbst zu bestimmen, disponiert und sich so seines Schutzes vor medialer Indiskretion begeben (15 Os 109/21z, 110/21x). Indem der Antragsteller in seinem öffentlich einsehbaren Facebook-Eintrag den von der Kr* berichteten Bezug der Medikamente nicht bestritt, sondern die Veröffentlichung zum Anlass nahm, eine Debatte über den Umgang der Kr* mit seiner Person zu initiieren, hat er zudem eine private Angelegenheit mit seiner Position als Politiker verbunden und so zum Teil einer öffentlichen Debatte gemacht (15 Os 109/21z, 110/21x; vgl EGMR 18.01.2011, 39401/04, MGN Limited/Vereinigtes Königreich, Rn 147; Meyer/Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK4 Art 10 Rn 46).

[18] Da der Antragsteller als in der Öffentlichkeit stehender bekannter Politiker durch die öffentliche Kommentierung des Bezugs von „Potenzmitteln“ bzw bestimmter Medikamente auf seiner Facebook-Seite seinen höchstpersönlichen Lebensbereich verlassen hat, vermag die – in unmittelbarer zeitlicher Nähe dazu – erfolgte Berichterstattung der K* über eben diesen – solcherart nicht mehr vom Schutzbereich des § 7 Abs 1 MedienG umfassten – Umstand keine Ansprüche nach § 7 Abs 1 MedienG zu begründen (vgl Berka in Berka/Heindl/Höhne/Koukal, MedienG4 § 7 Rz 14a).

[19] Indem das Landesgericht für Strafsachen Graz und das Oberlandesgericht Graz dennoch die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 MedienG bejaht haben, verletzen deren Urteile vom 12. März 2021 und vom 16. November 2021 § 7 Abs 1 MedienG.

[20] Da sich die aufgezeigte Gesetzesverletzung zum Nachteil der Antragsgegnerin ausgewirkt hat, war deren Feststellung – im Hinblick auf den fristgerechten Erneuerungsantrag (§ 363a StPO im erweiterten Anwendungsbereich) – mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO iVm § 41 Abs 1 und Abs 6 MedienG; RIS-Justiz RS0124740, RS0124838 [T4], RS0124798 [T2]).

[21] Die genannten Urteile waren daher aufzuheben und in der Sache selbst zu erkennen, dass die Anträge des Antragstellers auf Zuerkennung einer Entschädigung nach § 7 Abs 1 MedienG und auf Urteilsveröffentlichung abgewiesen werden.

[22] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 390 Abs 1 zweiter Satz, 390a Abs 1 StPO iVm § 8a Abs 1 MedienG.

[23] Davon rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen gelten gleichfalls als beseitigt (RIS‑Justiz RS0100444).

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