European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0120OS00082.22H.0929.000
Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und in der Anordnung der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde * S* des Verbrechens des Mordes nach §§ 75, 15 StGB (1./), des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (2./) sowie des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 1 WaffG (3./) schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und gemäß § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.
[2] Danach hat er in G*
1./ am 18. Juli 2021 * Sa* durch mehrere Schüsse mit der Pistole der Marke Walther Modell 9, Nr 651708, in den Körper vorsätzlich zu töten versucht;
2./ am 17. Juli 2021 * Sa* vorsätzlich durch Schläge auf den Kopf und gegen das Gesicht am Körper verletzt, wodurch diese ein Monokelhämatom am linken Auge und ein Hämatom an der linken Schläfe erlitt;
3./ ab einem unbekannten Zeitpunkt im Jahr 2015 oder 2016 bis zum 18. Juli 2021, wenn auch nur fahrlässig, unbefugt Schusswaffen der Kategorie B, nämlich eine Pistole der Marke Walther Modell 9, Nr 651708, und eine weitere Faustfeuerwaffe (sogenannter „Hasentöter“), besessen.
[3] Dagegen richtet sich die auf Z 4, 5, 6, 8 und 13 des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die Verfahrensrüge (Z 4) erblickt einen Verstoß gegen § 228 Abs 1 StPO, weil die Verlesung des Wahrspruchs der Geschworenen samt anschließender Urteilsverkündung in der Zeit von 17:05 bis 17:20 Uhr erfolgt sei. Nach 15:30 Uhr sei es jedoch nicht mehr möglich gewesen, das Gerichtsgebäude zu betreten.
[5] Das Vorbringen scheitert schon deshalb, weil die Torwache des Landesgerichts für Strafsachen Graz am Verhandlungstag bis 18:00 Uhr im Dienst war, sodass für die interessierte Öffentlichkeit die Möglichkeit bestand, bis zum Ende des Verhandlungstags Zutritt zu erlangen (Band III der Hv‑Akten, Innenseite des Aktendeckels). Damit bestanden hinreichende Vorkehrungen zur Wahrung der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung (RIS‑Justiz RS0117048 [T3]), wobei es nicht erforderlich ist, permanent das uneingeschränkte Betreten eines Verhandlungssaals sicherzustellen (RIS‑Justiz RS0117048 [T1]).
[6] Die gegen die Hauptfrage 3 (Schuldspruch 3./; § 50 Abs 1 Z 1 WaffG) gerichtete Fragenrüge (Z 6) macht nicht klar, weshalb es geboten sein soll, die dort als „Hasentöter“ bezeichnete Faustfeuerwaffe zwecks Individualisierung der Tatumstände näher (etwa durch Angabe einer Seriennummer oder der Herstellermarke) zu beschreiben (vgl 14 Os 77/88; RIS‑Justiz RS0114319 [T2]).
[7] Im Übrigen hätte eine allfällige Formverletzung iSd § 345 Abs 1 Z 6 StPO keinen rechtsfehlerhaften Schuldspruch nach sich gezogen (§ 345 Abs 3 StPO; vgl Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 38), weil dieser angesichts der zudem angeführten Faustfeuerwaffe „Walther Modell 9, Nr 651708“ unberührt bliebe. Für die Annahme eines Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 1 WaffG spielt es nämlich keine Rolle, ob der Täter eine oder mehrere der dort bezeichneten Schusswaffen unbefugt besitzt oder führt (zur vergleichbaren Situation bei § 50 Abs 1 Z 2 und 3 WaffG siehe RIS‑Justiz RS0130142; Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB14 § 50 WaffG Rz 1/1).
[8] Die Instruktionsrüge (Z 8) behauptet, dass die (allerdings ohnedies alternativ angelegte – vgl S 22) Rechtsbelehrung das Willenselement bedingten Vorsatzes an die zusätzliche Bedingung geknüpft hätte, dass der Täter mit dem schädigenden Erfolg „einverstanden“ sein müsse. Diesem Vorbringen ermangelt es bereits an der erforderlichen Beschwer (zu einer derartigen Konstellation bei einer zum Nachteil des Angeklagten erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde vgl 15 Os 15/02).
[9] Der Sanktionsrüge (Z 13 iVm Z 5) zuwider wurden Verteidigungsrechte des Angeklagten durch die Abweisung zweier Beweisanträge nicht verletzt.
[10] Zwar ist dem Beschwerdeführer dahin zuzustimmen, dass Personen mit besonderem Fachwissen („Privatexperten“) als Zeugen (RIS‑Justiz RS0118421) hinsichtlich der von ihnen erhobenen Befundtatsachen, nicht aber über ihre Schlussfolgerungen vernommen werden können (Hinterhofer, WK‑StPO § 125 Rz 24 mwN; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 7.658).
[11] Die in Rede stehenden Anträge (ON 117 S 27) auf Vernehmung
- des Mag. Dr. B* zum Beweis dafür, dass der Angeklagte über „keine ausreichenden Wesenszüge [verfügt], die eine Klassifizierung einer Persönlichkeitsstörung nach ICD 10 erlauben oder eine Anpassungsstörung und problematische Persönlichkeitsstörung erklären können“ sowie
- des Dr. R* zum Beweis dafür, dass der Angeklagte keine Anzeichen einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit emotional-instabilen, narzisstischen, paranoiden und dissozialen Anteilen sowie keine Anzeichen einer Anpassungsstörung aufweist,
waren aber gerade nicht auf Befundtatsachen, sondern auf eine dem gerichtlich bestellten Sachverständigen vorbehaltene Begutachtung (vgl erneut Hinterhofer, WK‑StPO § 125 Rz 44) gerichtet.
[12] Mangels eines einem Zeugenbeweis zugänglichen Beweisthemas war – wie anzumerken bleibt – das zusätzliche Vorbringen des Antragstellers, wonach die Befragung der Privatexperten zum Inhalt der „Befundaufnahme“ bzw der „Befundung“ geeignet sei, „das Beweisthema zu belegen“, ohne Relevanz.
[13] Die weitere Beschwerde (Z 13 zweiter Fall) weist aber zutreffend darauf hin, dass die vom Erstgericht angeordnete Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB Sachverhaltsannahmen zu sämtlichen vom Gesetz vorgegebenen Erkenntnisquellen (Person und Zustand des Rechtsbrechers sowie Art der Tat) vermissen lässt.
[14] Denn das Urteil enthält – über die bloß unsubstantiierte Wiedergabe der verba legalia hinaus – vor allem keine Konstatierungen zu in der Person des Rechtsbrechers gelegenen Umständen für die Befürchtung der Prognosetat (vgl dazu Ratz in WK2 StGB § 21 Rz 25).
[15] Somit war in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur die Aufhebung der in Rede stehenden Maßnahme und – wegen des untrennbaren Zusammenhangs (§§ 344, 289 StPO) – auch die Kassation des Strafausspruchs (vgl RIS‑Justiz RS0115054) bereits bei nichtöffentlicher Beratung (§§ 344, 285e StPO) die Folge.
[16] Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
[17] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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