OGH 15Os73/22g

OGH15Os73/22g14.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. September 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Mag. Turner als Schriftführer in der Strafsache gegen * K* wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 18 U 60/18d des Bezirksgerichts Graz‑West, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 11. Februar 2022 erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0150OS00073.22G.0914.000

 

Spruch:

 

In der Strafsache AZ 18 U 60/18d des Bezirksgerichts Graz‑West verletzt das Urteil vom 11. Februar 2022

1./ im Schuldspruch wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall und Abs 2 SMG (1./) § 38 Abs 1 SMG und § 17 Abs 1 StPO, Art 4 des 7. ZPMRK;

2./ in den kumulativ getroffenen Strafaussprüchen § 28 Abs 1 StGB;

3./ im Unterlassen der Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 29. Juli 2020, AZ 20 Hv 56/20t bei Verhängung der Freiheitsstrafe § 31 Abs 1 erster Satz StGB.

Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird im Schuldspruch 1./ ersatzlos sowie im Strafausspruch aufgehoben und dem Bezirksgericht Graz‑West aufgetragen, für den verbleibenden Schuldspruch wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (2./) eine neue Strafe festzusetzen.

 

Gründe:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 29. Juli 2020, GZ 20 Hv 56/20t‑36, rechtskräftig seit 4. August 2020, wurde * K* des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen á 4 Euro (im Fall der Uneinbringlichkeit 90 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) verurteilt (ON 31 in AZ 18 U 60/18d des Bezirksgerichts Graz‑West).

[2] Im Verfahren AZ 18 U 60/18d des Bezirksgerichts Graz‑West legte die Staatsanwaltschaft * K* mit Strafantrag vom 29. Oktober 2018 als Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall und Abs 2 SMG zur Last, zwischen Anfang 2017 und Mai 2018 vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich eine unbekannte Menge Delta‑9‑THC‑hältiges Cannabiskraut für den Eigenkonsum erworben und besessen zu haben (ON 8).

[3] Mit einem weiteren Strafantrag vom 5. November 2018 wurde dem Genannten als das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB vorgeworfen, er habe am 29. April 2018 * H* durch das Versetzen von Faustschlägen und Schlägen mit der flachen Hand gegen Gesicht und Oberkörper vorsätzlich am Körper verletzt, wobei die Tat Blutergüsse zur Folge hatte (ON 7 in ON 11).

[4] In der hierüber vor dem Bezirksgericht Graz‑West durchgeführten Hauptverhandlung vom 30. Juli 2021 fasste der Bezirksrichter „zur SMG‑Angelegenheit“ den Beschluss auf vorläufige Verfahrenseinstellung gemäß §§ 35, 37 SMG unter Anordnung einer Probezeit von zwei Jahren und hielt fest, dass „gesundheitsbezogene Maßnahmen nach § 11 SMG“ „im vorliegenden Fall nicht indiziert“ seien (ON 40 S 2 f).

[5] Inhaltlich des Protokolls über die Verhandlung erklärten die Verfahrensbeteiligten insofern einen „Beschlussausfertigungsverzicht“ (ON 40 S 3). Betreffend den verbleibenden Vorwurf der Körperverletzung zum Nachteil der * H* wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten zur Frage der Kausalität und des Schweregrades der Verletzungen eingeholt (ON 40 S 11, ON 41).

[6] Mit – in Form eines Protokolls‑ und Urteilsvermerks ausgefertigtem – Urteil vom 11. Februar 2022 (ON 44) sprach das Bezirksgericht Graz‑West * K* (zu 1./) schuldig, im Zeitraum von Anfang 2017 bis Mai 2018 durch den Erwerb und Besitz einer nicht näher bekannten Menge Delta‑9‑THC‑hältigen Cannabiskrauts für den Eigenkonsum das Vergehen nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall und Abs 2 SMG begangen zu haben (1./) und sah insofern „von der Verhängung einer Zusatzstrafe gemäß §§ 31, 40 StGB im Verhältnis zum Landesgericht für Strafsachen Graz zu AZ 20 Hv 56/20t vom 29. Juli 2020, rechtskräftig am 4. August 2020,“ ab (ON 44 S 2).

[7] Zugleich erkannte es den Angeklagten (zu 2./) des am 29. April 2018 begangenen Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB zum Nachteil der * H* schuldig und verurteilte ihn hiefür nach § 83 Abs 1 StGB zu einer – gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen – „Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Wochen“ (ON 44 S 2).

Rechtliche Beurteilung

[8] Dieses Urteil des Bezirksgerichts Graz‑West verletzt – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt – in mehrfacher Hinsicht das Gesetz:

[9] 1./ Dem Schuldspruch wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall und Abs 2 SMG (1./) stand ein Verfolgungshindernis entgegen.

[10] Denn der in der Hauptverhandlung vom 30. Juli 2021 gefasste Beschluss auf vorläufige Verfahrenseinstellung gemäß §§ 35, 37 SMG (ON 40 S 2 f) entfaltete Sperrwirkung im Sinn des Prinzips „ne bis in idem“ (§ 17 Abs 1 StPO; Art 4 des 7. ZPMRK), was zur Folge hatte, dass eine neue bzw weitere Verfolgung des Angeklagten wegen derselben Tat – außer in den Fällen einer Verfahrensfortsetzung (§ 38 Abs 1 SMG) – nicht mehr zulässig gewesen wäre (vgl RIS‑Justiz RS0129011, RS0101270).

[11] Über die Fortsetzung eines vom Gericht gemäß §§ 35 Abs 1, 37 SMG vorläufig eingestellten Strafverfahrens wäre zunächst mit Beschluss, der vom Angeklagten und von der Staatsanwaltschaft angefochten werden kann (§ 87 Abs 1 StPO), zu entscheiden gewesen; die bloße Anordnung einer Hauptverhandlung (ON 1 S 13) und deren Durchführung entsprach diesem formellen Fortsetzungserfordernis nicht (RIS‑Justiz RS0131501; Matzka/Zeder/Rüdisser, SMG³ § 38 Rz 8).

[12] Der Verfahrensfortsetzung und dem Schuldspruch wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall und Abs 2 SMG (1./) stand daher das durch die vorläufige Einstellung eingetretene, nur für den Fall der Rechtskraft einer beschlossenen Fortsetzung auflösend bedingte Verfolgungshindernis entgegen (vgl 15 Os 159/15v; 13 Os 47/14g; 12 Os 53/13f).

[13] 2./ § 28 Abs 1 StGB statuiert ein Absorptionsprinzip, wonach im Falle einer gemeinsamen Aburteilung mehrerer zusammentreffender strafbarer Handlungen eine einheitliche Strafe innerhalb des strengsten Strafsatzes zu verhängen ist (Ratz in WK² StGB § 28 Rz 1 f). Demzufolge besteht – im gegebenen Fall – für zwei gesonderte Strafaussprüche in einem Urteil kein Raum.

[14] Die vorliegend vom Bezirksgericht Graz‑West kumulierend getroffenen Strafaussprüche, einerseits in Ansehung des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall und Abs 2 SMG (1./) von der Verhängung einer (Zusatz‑)Strafe abzusehen und andererseits wegen des zugleich abgeurteilten Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (2./) eine – bedingt nachgesehene – Freiheitsstrafe zu verhängen, widersprechen § 28 Abs 1 StGB.

[15] 3./ Wird jemand, der bereits zu einer Strafe verurteilt worden ist, wegen einer anderen Tat verurteilt, die nach der Zeit ihrer Begehung schon in dem früheren Verfahren hätte abgeurteilt werden können, so ist nach § 31 Abs 1 StGB innerhalb der dort normierten Grenzen eine Zusatzstrafe zu verhängen, deren Bemessung § 40 StGB regelt.

[16] Soweit das Bezirksgericht Graz‑West in Kenntnis des zu AZ 20 Hv 56/20t des Landesgerichts für Strafsachen Graz ergangenen und seit 4. August 2020 rechtskräftigen Urteils (vgl US 2) über den Angeklagten wegen des am 29. April 2018 gesetzten, nach § 83 Abs 1 StGB beurteilten Verhaltens (2./) eine Freiheitsstrafe verhängte, unterließ es die aus § 31 Abs 1 erster Satz StGB gebotene Bedachtnahme auf die genannte Vorverurteilung.

[17] Da nicht auszuschließen ist, dass die zu 1./ bis 3./ beschriebenen Gesetzesverletzungen dem Angeklagten zum Nachteil gereichen, sah sich der Oberste Gerichtshof dazu veranlasst,deren Feststellung wie aus dem Spruch ersichtlich mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

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