OGH 1Ob120/22m

OGH1Ob120/22m14.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V*, vertreten durch die ENGINDENIZ Rechtsanwälte für Immobilienrecht GmbH, Wien, gegen die beklagte Partei M *gesellschaft mbH, *, vertreten durch Dr. Bernhard Fink und andere Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 28. April 2022, GZ 19 R 4/22g‑56, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00120.22M.0914.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] 1. Der Kläger vermietete der Beklagten, die eine Möbelkette betreibt, eine Lagerhalle. Im vorliegenden Verfahren begehrt er die Räumung der Bestandsache aufgrund eines Zinsrückstands.

[2] Die Vorinstanzen waren übereinstimmend der Ansicht, dass das Mietverhältnis gemäß § 1 Abs 2 Z 5 MRG nicht dem MRG unterliege, und gaben der Klage statt.

[3] Mit dem Einwand, die Parteien hätten bereits vor dem 1. 1. 2002 einen Mietvertrag abgeschlossen, will die Revisionswerberin eine Anwendung der Bestimmungen des MRG, insbesondere der §§ 3 und 33 Abs 2 und 3 leg cit, erreichen.

Rechtliche Beurteilung

[4] 2. Nach der Übergangsregelung des § 49d Abs 2 MRG gilt die durch die MRN 2001 für Ein‑ und Zweiobjekthäuser geregelte Vollausnahme gemäß § 1 Abs 2 Z 5 MRG „für Mietverträge, die nach dem 31. Dezember 2001 geschlossen wurden“.

[5] 2.1. Ein Bestandvertrag kommt als Konsensualvertrag – Abschlusswille vorausgesetzt – bereits mit Einigung über Bestandsache und Bestandzins zustande, sofern nicht ein – wenn auch unwesentlicher – Vertragspunkt ausdrücklich vorbehalten wurde oder ein offener Dissens darüber besteht (RS0020394 [T1, T2, T3]).

[6] Die Auslegung von Willenserklärungen hat in der Regel keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (RS0042555 [T10, T29]). Das gilt auch für die Frage, ob in den Erklärungen bereits ein endgültiger Bindungswille der Parteien zum Ausdruck kommt. Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO läge daher nur dann vor, wenn das Berufungsgericht die Auslegungsgrundsätze verkannt hätte (RS0042555 [T3, T6, T11]).

[7] 2.2. Die Auffassung der Vorinstanzen, dass der Mietvertrag hier erst nach dem 31. 12. 2001 geschlossen wurde, zumal erst danach wesentliche Inhalte ausverhandelt wurden und eine Willenseinigung erzielt wurde, ist im Ergebnis nicht korrekturbedürftig.

[8] 2.2.1. Nach den Feststellungen begann die Beklagte ab November 2001 mit Adaptierungsarbeiten und der Übersiedlung von ihren beiden früheren Lagern in das neue Zentrallager und nahm dort ab 1. 1. 2002 den Vollbetrieb auf. Der Kläger und die Geschäftsführerin der Beklagten vereinbarten, dass das Mietverhältnis mit 1. 1. 2002 beginnen, für November und Dezember 2001 für die Benützung der Halle ein Benützungsentgelt von jeweils 50.000 ATS und ab 1. 1. 2002 ein Mietzins von (vorerst) 250.000 ATS bezahlt werden sollte. Ein (schriftlicher) Mietvertrag sollte ausverhandelt und erstellt werden.

[9] Die – ausschließlich auf diese Feststellungen gestützte – Behauptung der Beklagten, eine Willenseinigung über Mietobjekt und Mietzins sei beginnend ab November 2001 festgestellt worden, die Bezeichnung des Mietzinses als Benützungsentgelt schade nicht, blendet die weiteren erstinstanzlichen Feststellungen zu diesem Thema aus. Demnach beauftragte die Geschäftsführerin der Beklagten am 19. 11. 2001 einen Anwalt mit der Erstellung eines Mietvertrags. Der erste Entwurf war aus Sicht des Klägers vor allem wegen einer darin trotz günstigen Mietzinses vorgesehenen Instandhaltungspflicht des Vermieters, aber auch wegen eines Weitergabe‑ und Untervermietungsrechts sowie eines Vorkaufsrechts nicht akzeptabel. Hinsichtlich all dieser Punkte bestanden telefonische Kontakte zwischen dem Anwalt der Beklagten und der Klagsseite. Im Frühjahr 2002 einigten sich der Kläger und die Geschäftsführerin der Beklagten schließlich mündlich darauf, dass der zweite Vertragsentwurf vom 13. 2. 2002, der die Erhaltungspflicht nunmehr der Beklagten übertrug, mit einigen handschriftlich vorgenommenen Anmerkungen und Ausbesserungen „gültig“ sein sollte. Dieser Vertrag sah einen (wertgesicherten) Hauptmietzins von 18.168,21 EUR ab Jänner 2002 vor, wobei der Betrag für Jänner 2002 handschriftlich auf 150.000 ATS korrigiert wurde.

[10] 2.2.3. Diese Feststellungen stützen die Annahme, dass die Parteien den Mietvertrag vor Einigung insbesondere über die – ausdrücklich Gegenstand von Verhandlungen bildende – Erhaltungspflicht und die damit im Zusammenhang zu sehende endgültige Mietzinshöhe noch nicht schließen wollten und daher bis dahin kein Mietvertrag zustande gekommen ist (vgl 7 Ob 319/97f MietSlg 49.094; 8 Ob 1616/92; 7 Ob 586/83 MietSlg 35.132). Mit diesen Aspekten setzt sich das Rechtsmittel überhaupt nicht auseinander. Allein aus dem Umstand, dass die Beklagte das Lager gegen die Zahlung eines (gemessen am späteren Mietzins geringfügigen) Benützungsentgelts zur Vorbereitung des Vollbetriebs schon im November und Dezember 2001 nutzen durfte, folgt entgegen der Meinung der Beklagten nicht zwingend, dass der Mietvertrag auch vor dem 1. 1. 2002 abgeschlossen wurde (siehe auch 5 Ob 719/82 MietSlg 35.131). Eine erhebliche Rechtsfrage vermag die Beklagte daher nicht aufzuzeigen.

[11] 3. Die Beurteilung des Erstgerichts, dass mangels Anwendbarkeit des MRG die Übertragung der Erhaltungspflicht auf die Mieterin auch in Zusammenschau mit dem ihr gewährten günstigen Mietzins und sonstigen Vorteilen (etwa Weitergabe‑ und Vorkaufsrecht) wirksam vereinbart worden und nicht gröblich benachteiligend sei, hat die Beklagte in der Berufung nicht bekämpft. Sie kann daher in der Revision nicht mehr geltend machen, eine generelle Überwälzung der Erhaltungspflicht auf die Mieterin sei auch außerhalb des Anwendungsbereichs des MRG ein sittenwidriger Vertragsbestandteil (RS0043573 [T36, T43]).

[12] 4. Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO war das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Stichworte