OGH 13Os68/22g

OGH13Os68/22g7.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. September 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Kornauth im Verfahren zur Unterbringung der E* G* in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Schöffengericht vom 25. Mai 2022, GZ 13 Hv 16/22f‑19, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0130OS00068.22G.0907.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde gemäß § 21 Abs 1 StGB die Unterbringung der E* G* in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

[2] Danach hat sie am 7. Oktober 2020 in A* unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung in Kombination mit einer Intelligenzminderung, beruht,

1) einen Beamten, nämlich RI * B*, mit Gewalt an einer Amtshandlung, und zwar am Einschluss in einem Sicherheitshaftraum, zu hindern versucht, indem sie ihm Faustschläge zu versetzen trachtete, und

2) durch die zu 1 beschriebene Tathandlung RI * B*, sohin einen Beamten, während oder wegen der Vollziehung seiner Aufgaben oder der Erfüllung seiner Pflichten vorsätzlich (US 3) am Körper zu verletzen versucht

und durch diese Taten die Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB (1) und der schweren Körperverletzung nach (richtig) §§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (2) begangen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a, 9 lit a und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde derBetroffenen.

[4] Die Anordnung einer Maßnahme nach § 21 Abs 1 StGB stellt einen Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 3 StPO dar, der im schöffengerichtlichen Verfahren (lediglich) nach Maßgabe des § 281 Abs 1 Z 11 StPO mit Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft werden kann. Somit sind – soweit hier von Interesse – Überschreitung der Anordnungsbefugnis (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO) und (mit Berufung anfechtbare) Ermessensentscheidungen innerhalb dieser Befugnis zu unterscheiden (Ratz in WK2 StGB Vor §§ 21–25 Rz 8). Nur in Bezug auf die erstgenannte Fehlerkategorie kommt eine Anfechtung aus Z 4 (iVm Z 11 erster Fall) des § 281 Abs 1 StPO in Betracht (RIS‑Justiz RS0118581).

[5] Die Anträge der Betroffenen,

1. B* G* zum Beweis dafür (als Zeugen) zu vernehmen, „dass der Aufenthalt und die Unterbringung bei der Familie möglich ist und von der Familie auch gewünscht wird und der bisherige Konfliktauslöser durch den Tod des Vaters nicht mehr vorhanden ist“ (ON 18 S 13), sowie

2. auf „Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens aus dem Grund, da offenkundig die Sache komplex und die bisherige Sachverständige oftmals in die Begutachtung eingebunden war und eine andere Meinung und Befund bisher nicht statt gefunden hat“, weshalb angesichts der bisherigen Ergebnislosigkeit der eineinhalb Jahrzehnte langen Unterbringung „eine Überprüfung erforderlich“ wäre, ob „nicht allenfalls in einem anderen Setting – sprich bei der Familie – die Prognosetaten nicht mehr als solche auftreten werden“ (ON 18 S 13),

sprechen aber keine für die Anordungungsbefugnis entscheidende Tatsache an.

[6] Die Bekämpfung der Abweisung (ON 18 S 13 f) der Anträge mit Verfahrensrüge (Z 4 [iVm Z 11 erster Fall]) ist somit nicht zulässig.

[7] Im Übrigen sind nur sinnliche Wahrnehmungen des Zeugen über Tatsachen Gegenstand einer Zeugenaussage (RIS‑Justiz RS0097545), woran der erstgenannte Antrag vorbeigeht.

[8] Durch Befragung nicht beseitigte Mängel im Sinn des § 127 Abs 3 erster Satz StPO zeigte der zweite Antrag nicht auf. Er begehrte vielmehr – der Sache nach – nur eine Überprüfung der vorliegenden Expertise in der Hoffnung auf ein der Betroffenen günstigeres Ergebnis. Solcherart zielte er – im Stadium der Hauptverhandlung unzulässig – auf Erkundungsbeweisführung ab (RIS‑Justiz RS0117263 [T17]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 351).

[9] Die Richtigkeit der Begründung für eine abweisliche Entscheidung über einen Beweisantrag (§ 238 StPO) steht nicht unter Nichtigkeitssanktion (RIS‑Justiz RS0116749 und RS0121628 [T1]).

[10] Das die Anträge ergänzende Beschwerdevorbringen hat angesichts des aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierenden Neuerungsverbots auf sich zu beruhen (RIS‑Justiz RS0099618).

[11] Auch eine Bekämpfung aus Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO steht zwar in Verbindung mit dem ersten Fall, nicht jedoch mit dem zweiten Fall des § 281 Abs 1 Z 11 StPO offen (RIS‑Justiz RS0118581; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 669), was die Beschwerde mit ihrem Vorbringen zur Prognoseentscheidung übersieht.

[12] Allfällige Fehler der Prognoseentscheidung ressortieren nämlich in den Regelungsbereich des zweiten Falls der Z 11 des § 281 Abs 1 StPO. Nichtigkeit aus Z 11 zweiter Fall liegt insoweit dann vor, wenn diese Entscheidung zumindest eine der in § 21 Abs 1 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person, Zustand des Rechtsbrechers und Art der Tat) vernachlässigt oder die aus diesen Erkenntnisquellen gebildete Feststellungsgrundlage die Prognoseentscheidung als willkürlich erscheinen lässt (RIS‑Justiz RS0113980 und RS0118581; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 715 ff), was hier nicht behauptet wird.

[13] Die Ableitung der Konstatierungen zur subjektiven Tatseite zur Anlasstat 2 aus dem äußeren Tatgeschehen (US 4) ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 5 vierter Fall) keineswegs zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0098671 und RS0116882).

[14] Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) Konstatierungen zum Vorsatz der Betroffenen, den Beamten am Körper zu verletzen, vermisst, dabei aber die dazu getroffenen Feststellungen (US 3) übergeht, verfehlt sie den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).

[15] Indem die Sanktionsrüge (Z 11) die beweiswürdigende Fundierung der Gefährlichkeitsprognose in Frage stellt, macht sie ein Berufungsvorbringen geltend (RIS‑Justiz RS0113980 [T11]).

[16] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[17] Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Stichworte