European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0130OS00038.22W.0907.000
Spruch:
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird bewilligt.
II) zu Recht erkannt:
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Feldkirch verwiesen.
Auf diese Entscheidung werden die Angeklagten * G*und * A* mit ihren Rechtsmitteln verwiesen.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden * G* und * A* jeweils des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 4 Z 3 SMG (1) und mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs 2 SMG (2) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
[2] Danach haben in F*
(1) vom August 2021 bis zum 5. November 2021 * G* im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit* A* durch Portionieren und Abpacken des für den Weiterverkauf bestimmten Heroins dazu beigetragen (§ 12 dritter Fall StGB), dass der abgesondert verfolgte * M* anderen Personen Suchtgift in einer das 25‑Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, und zwar 360 Gramm Heroin mit einem Reinheitsgrad von 30,23 % (US 5), anderen überließ, und
(2) vorschriftswidrig Suchtgift erworben und besessen, wobei sie die Straftaten ausschließlich zum persönlichen Gebrauch begangen haben, und zwar
a) * G* vom November 2020 bis zum 5. November 2021 168 Gramm Heroin und eine unbestimmte Mengen Kokain sowie
b) * A* bis zum 5. November 2021 33 Gramm Marihuana.
[3] „Gemäß § 26 Abs 1 StGB“ wurden „zu Standblatt‑Nr. 1332/21“ sichergestellte Patronen eingezogen, gestützt auf § 34 SMG das „sichergestellte Suchtgift (Marihuana) zu Standblatt‑Nr. 1331/21“.
[4] Nach dem ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung gab die anwaltlich vertretene Angeklagte G* nach Urteilsverkündung und Rechtsmittelbelehrung keine Erklärung ab (ON 22 S 7).
Rechtliche Beurteilung
[5] Am 7. Februar 2022 langte bei der Staatsanwaltschaft Feldkirch um 17:55 Uhr eine zwar an das Landesgericht Feldkirch adressierte, aber vom Wahlverteidiger per Telefax bei der Staatsanwaltschaft Feldkirch eingebrachte Rechtsmittelanmeldung ein, wonach * G* gegen das am 4. Februar 2022 verkündete Urteil die Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und der „Strafberufung“ anmeldet (ON 25).
[6] Die Staatsanwaltschaft Feldkirch leitete diese Telefaxeingabe am 8. Februar 2022 um 6:43 Uhr dem Landesgericht Feldkirch weiter (ON 25 S 5).
[7] Nach Zustellung einer Urteilsabschrift am 16. Februar 2022 (ON 23 RS) brachte der Wahlverteidiger am 28. Februar 2022 die Ausführung der (auf Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützten) Nichtigkeitsbeschwerde und der „Strafberufung“ der Angeklagten G* ein (ON 26).
[8] Mit am 3. Mai 2022 dem Verteidiger der Angeklagten zugestellter Stellungnahme vom 21. April 2022, Gs 179/22v, beantragte die Generalprokuratur (§§ 285c Abs 1, 296 Abs 2 StPO) die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285d Abs 1 Z 1 StPO iVm § 285a Z 1 StPO sowie der Berufung gemäß § 296 Abs 2 StPO infolge verspäteter Rechtsmittelanmeldungen.
Zur Frage der Rechtzeitigkeit der Anmeldung der Rechtsmittel:
[9] Die Rechtsmittelanmeldung der Angeklagten G* erweist sich, wie die Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme zutreffend ausführte, als verspätet.
[10] Gemäß § 284 Abs 1 erster Satz StPO und § 294 Abs 1 erster Satz StPO sind die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung binnen drei Tagen nach (in Anwesenheit der Angeklagten erfolgter) Verkündung des Urteils beim Landesgericht anzumelden, das das Urteil gefällt hat.
[11] Die Rechtsmittelanmeldung der Angeklagten G* langte am 8. Februar 2022, somit nach Ablauf der dreitägigen Frist, beim Landesgericht Feldkirch ein.
[12] Die Einbringung der Rechtsmittelanmeldung bei der Staatsanwaltschaft wahrte die dreitägige Frist des § 284 Abs 1 StPO und § 294 Abs 1 StPO nicht. Für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Rechtsmittelanmeldung kommt es nämlich (nicht auf den in der Eingabe angeführten Adressaten, sondern) lediglich darauf an, ob die Erklärung innerhalb der dreitägigen Frist des § 284 Abs 1 StPO und § 294 Abs 1 StPO beim Erstgericht (oder beim Rechtsmittelgericht [§ 84 Abs 2 StPO]) eingebracht wird (vgl dazu auch RIS‑Justiz RS0096205 [insb T3, T5 und T7]).
Zum Wiedereinsetzungsantrag:
[13] Mit am 13. Mai 2022 beim Landesgericht Feldkirch eingebrachtem Schriftsatz beantragte die Angeklagte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung. Aufgrund der Zustellung der Stellungnahme der Generalprokuratur am 3. Mai 2022 habe der Verteidiger der Angeklagten erstmals davon Kenntnis erlangt, dass die sonst stets verlässlich tätige Kanzleikraft bei der Versendung der (an das Landesgericht Feldkirch gerichteten) Rechtsmittelanmeldung die Telefaxnummer der Staatsanwaltschaft Feldkirch eingegeben habe. Die Richtigkeit des Antragsvorbringens wurde durch die eidesstattlichen Erklärungen des Verteidigers und der Kanzleikraft bescheinigt.
[14] Der Antrag ist, wie auch die Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme dazu zutreffend ausführt, berechtigt.
[15] Gemäß § 364 Abs 1 Z 1 StPO ist Verfahrensbeteiligten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, sofern sie nachweisen, dass es ihnen durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, eine Frist einzuhalten oder eine Verfahrenshandlung vorzunehmen, es sei denn, dass ihnen oder ihren Vertretern ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt.
[16] Ein einmaliges Versehen einer sonst verlässlichen Kanzleiangestellten ist nach ständiger Judikatur als unvorhersehbares oder unabwendbares Ereignis im Sinn des § 364 Abs 1 Z 1 StPO anzusehen (RIS‑Justiz RS0101310 und RS0101329). Da ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass der einer Kanzleiangestellten für einen bestimmten Tag angeordnete, bloß manipulative Vorgang der Übermittlung eines Schriftstücks via Telefax an das vom Verteidiger bestimmte Gericht erfolgt, liegt insoweit auch kein Organisationsverschulden vor (RIS‑Justiz RS0122717 [insb T1]).
[17] Zumal die Wiedereinsetzung auch innerhalb von 14 Tagen nach dem Aufhören des Hindernisses beantragt und die versäumte Verfahrenshandlung zugleich mit dem Antrag nachgeholt wurde (§ 364 Abs 1 Z 2 und 3 StPO), war die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen.
Zur amtswegigen Maßnahme:
[18] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem Schuldspruch wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 4 Z 3 SMG (1) nicht geltend gemachte Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO zum Nachteil der Angeklagten G* und A* anhaftet, die von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):
[19] Der Grundtatbestand des § 28a Abs 1 SMG setzt (unter anderem) einen auf die Vorschriftswidrigkeit des (hier) Überlassens von Suchtgift gerichteten Vorsatz (§ 7 Abs 1 iVm § 5 Abs 1 StGB) des Täters voraus (RIS‑Justiz RS0087860 [T3]). Für den hier zu beurteilenden Fall der Beitragstäterschaft (§ 12 dritter Fall StGB) bedeutet dies, dass der Beitragstäter – im Zeitpunkt seiner Tathandlung (Reindl‑Krauskopf in WK2 StGB § 5 Rz 19 mwN) – es zumindest ernstlich für möglich halten und sich damit abfinden (§ 5 Abs 1 StGB) muss, dass der unmittelbare Täter (§ 12 erster Fall StGB) vorschriftswidrig Suchtgift überlässt. Solche Feststellungen sind dem Urteil nicht zu entnehmen.
[20] Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen macht die Aufhebung des Schuldspruchs 1 erforderlich (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 285e StPO).
[21] Daran anknüpfend (§ 289 StPO) ist mit Blick auf die Bestimmungen der §§ 35 und 37 SMG auch die Aufhebung des Schuldspruchs der Angeklagten wegen mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs 2 SMG (2a und b) erforderlich (RIS‑Justiz RS0119278).
[22] Die Aufhebung der Schuldsprüche hat jene der Strafaussprüche und der Einziehungserkenntnisse zur Folge (zu letzteren siehe Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 8).
[23] Hinzugefügt sei, dass im Urteil keine Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 26 StGB getroffen werden, weshalb auch das die Angeklagte G* betreffende Einziehungserkenntnis an einem Rechtsfehler mangels Feststellungen (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO) leidet.
[24] Mit ihren Rechtsmitteln waren die Angeklagten G* und A* auf die amtswegige Urteilsaufhebung zu verweisen.
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