OGH 2Ob108/22d

OGH2Ob108/22d6.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Doshi & Partner Rechtsanwälte OG in Feldkirch, gegen die beklagte Partei E*, vertreten durch Blum, Hagen & Partner Rechtsanwälte GmbH in Feldkirch, wegen gerichtlicher Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 15. März 2022, GZ 2 R 44/22v‑37, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00108.22D.0906.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Vorinstanzenbejahten die Wirksamkeit der gerichtlichen Aufkündigung des – unstrittig dem MRG unterliegenden – Mietverhältnisses aufgrund Eigenbedarfs (§ 30 Abs 2 Z 8 MRG) des klagenden Vermieters an seiner Eigentumswohnung.

[2] Die außerordentliche Revision der beklagten Mieterin, mit der sie die Unwirksamerklärung der gerichtlichen Aufkündigung anstrebt, zeigt keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 2 ZPO auf.

Rechtliche Beurteilung

[3] 1. Nach ständiger Rechtsprechung (RS0042963) kann – von hier nicht verwirklichten Ausnahmen abgesehen – eine in zweiter Instanz verneinte Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz nicht mehr an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden.

[4] 2. Ob der Eigenbedarf des Vermieters durch eine iSd § 30 Abs 2 Z 8 MRG ausreichende Dringlichkeit charakterisiert ist, um die Kündigung eines Bestandverhältnisses zu ermöglichen, lässt sich nur nach den besonderen Umständen des Einzelfalls beurteilen (RS0107878) und wirft – abgesehen von einer hier nicht vorliegenden, vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden Fehlbeurteilung – keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0107878 [T3]).

[5] Die mittlerweile gefestigte jüngere Rechtsprechung hält unter Hinweis auf den in § 354 ABGB normierten Grundsatz der freien Verfügbarkeit über das Eigentum und unter Zugrundelegung eines gemäßigteren Verständnisses der Begriffe „Notstand“ und „Existenzgefährdung“ eine Erleichterung der Eigenbedarfskündigung gegenüber der früheren strengen Rechtsprechung für geboten (RS0068227 [T18]; RS0070619 [T4]; 5 Ob 80/20f). Demgemäß bejahte der Oberste Gerichtshof bereits den dringenden Eigenbedarf eines Studierenden, dem nur ein von allen Seiten zugängliches Zimmer in der mit seiner sechsjährigen Schwester bewohnten Wohnung der Eltern zur Verfügung steht (RS0070687) bzw der von einem Studentenheim in eine eigene Wohnung übersiedeln möchte (6 Ob 282/98h). Auch wurde bereits ausgeführt, dass die Wohnsituation eines am Ende der Ausbildungszeit stehenden Sohnes nicht isoliert zu betrachten, sondern auch die geplante Aufnahme einer Wohngemeinschaft mit seiner Freundin zu berücksichtigen ist (2 Ob 66/06d). Die Beurteilung der Vorinstanzen, die Wohnmöglichkeit der mittlerweile volljährigen Tochter, die beabsichtigt, nach ihrer Rückkehr von einem Praktikum im September 2021 ein Masterstudium zu beginnen bzw für den Fall der Nichtzulassung eine Arbeitsstelle in Vorarlberg zu suchen und mit ihrem Lebensgefährten zusammenzuziehen,gemeinsam mit ihrem Vater und zwei weiteren volljährigen Geschwistern (am Wochenende jeweils mit Lebensgefährten) in einem 140 m² großen Haus, in dem ihr ‒ wie auch den anderen Familienmitgliedern ‒ nur ein eigenes Zimmer zur Verfügung steht und sämtliche Hausnutzer auf lediglich ein Bad angewiesen sind, sei nicht ausreichend, hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung.

[6] 3. Die Behauptung der Beklagten, das Berufungsgericht habe seine rechtliche Beurteilung auf die nicht begründete, dislozierte Feststellung des Erstgerichts gestützt, die Tochter des Klägers komme jedenfalls im September 2020 (gemeint: 2021) nach Vorarlberg zurück, um hier zu leben, trifft bereits deshalb nicht zu, weil diese Urteilsannahme – mag sie vom Berufungsgericht auch als dislozierte Feststellung gewertet worden sein – ohnehin eine entsprechende Grundlage in den ausführlich begründeten Feststellungen des Erstgerichts (US 5 f) hat: Danach wird die Tochter des Klägers im September 2021 zurückkommen und eine Arbeitsstelle in Vorarlberg suchen bzw im Fall der Zulassung ihr Masterstudium beginnen und beabsichtigte, mit ihrem Lebensgefährten in die Wohnung des Klägers einzuziehen.

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