European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00090.22H.0831.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Nach § 105 Abs 4 ArbVG kann der Betriebsrat auf Verlangen des gekündigten Arbeitnehmers binnen einer Woche nach Verständigung vom Ausspruch der Kündigung diese beim Gericht anfechten, wenn er der Kündigungsabsicht ausdrücklich widersprochen hat. Kommt der Betriebsrat dem Verlangen des Arbeitnehmers nicht nach, so kann dieser innerhalb von zwei Wochen nach Ablauf der für den Betriebsrat geltenden Frist die Kündigung selbst beim Gericht anfechten.
[2] 2. Damit steht das Recht zur Anfechtung im Fall eines Widerspruchs des Betriebsrats gegen die Kündigung primär dem Betriebsrat zu, während das Anfechtungsrecht des Arbeitnehmers voraussetzt, dass er den Betriebsrat erfolglos aufgefordert hat, die Anfechtung vorzunehmen (8 ObA 177/01i; 8 ObA 48/19w; 8 ObA 29/22f).
[3] An das „Verlangen“ des Arbeitnehmers an den Betriebsrat, die Kündigung anzufechten, sind keine besonderen formellen Ansprüche zu stellen (RS0102517 [T1]). Wesentlich ist, dass aus den Erklärungen des Arbeitnehmers insgesamt hervorgeht, dass er möchte, dass seine Kündigung durch Ausübung des Anfechtungsrechts nach § 105 ArbVG wieder aufgehoben wird (8 ObA 48/19w; 8 ObA 29/22f). Dieser „Wunsch“ kann sich insbesondere in (auch vor ausgesprochener Kündigung erfolgten) Erklärungen und Verhaltensweisen, wie etwa Gesprächen mit dem Betriebsrat und Befassung eines Vertreters der Arbeiterkammer, manifestieren (Wolligger in ZellKomm Arbeitsrecht³, § 105 ArbVG Rz 68).
[4] 3. Die übereinstimmende Rechtsauffassung der Vorinstanzen, ein derartiges Verlangen der Klägerin könne aus den (im konkreten Einzelfall) festgestellten Umständen nicht abgleitet werden, ist nicht zu beanstanden. Nach den Feststellungen wendete sich die Klägerin, nachdem sie von der beabsichtigten Kündigung erfahren hatte, an ihre Vertrauensperson, die – was der Klägerin auch bekannt war – Mitglied des für die Klägerin nicht zuständigen Arbeiter-Betriebsrats war. Diesem sagte sie, dass er mit der Direktion über weitere drei Monate Abfertigung sprechen solle und wenn sie das nicht bekomme, sie sich das nicht gefallen lasse und zu Gericht gehe. Mit Mitgliedern des für sie zuständigen Angestellten-Betriebsrats nahm sie nicht Kontakt auf. Diese waren bei der Besprechung über eine einvernehmliche Auflösung anwesend, bei dieser wurde aber eine Anfechtung von niemandem thematisiert.
[5] Festgestellt ist zwar, dass die Vertrauensperson der Klägerin einem Mitglied des Angestellten‑Betriebsrats vom Inhalt des Gesprächs mit der Klägerin berichtete. Dass er das im Auftrag der Klägerin tat, wurde aber weder in erster Instanz vorgebracht, noch das allfällige Fehlen von Feststellungen in der Berufung gerügt. Beweisergebnisse können ein entsprechendes Vorbringen nicht ersetzen. Die Ausführungen dazu in der Revision stellen daher eine unzulässige Neuerung dar, auf die nicht weiter einzugehen ist.
[6] Wenn das Berufungsgericht die Rechtsauffassung vertritt, eine von dritter Seite einem Betriebsratsmitglied bekannt werdende Äußerung der Arbeitnehmerin, dass diese unter bestimmten Umständen eine Anfechtung plane, könne auch bei extensiver Interpretation nicht als „Verlangen“ einer Anfechtung gegenüber dem Betriebsrat verstanden werden, hält sich dies im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums.
[7] 5. Eine Anfechtung der Kündigung durch die Klägerin ist daher nicht möglich. Aus welchen Gründen die Kündigung erfolgte, ist daher nicht weiter zu prüfen.
[8] 6. Insgesamt gelingt es der Klägerin daher nicht das Vorliegen einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
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