European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00012.22S.0829.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung zur Gänze wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.631,52 EUR (darin enthalten 271,92 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz und die mit 979,92 EUR (darin enthalten 163,32 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens dritter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Beklagte ist eine Gesellschaft mit Sitz in Malta, die – als Teil der B*‑Gruppe – in über 140 Ländern weltweit Online‑Wett‑ und Glücksspieldienstleistungen anbietet; sie verfügt über eine maltesische Online-Glücksspiellizenz.
[2] Der Kläger registrierte sich im Jahr 2012 – unbestritten als Verbraucher – auf der damals von der H* Limited betriebenen Website b*.com, über die er an diversen Online‑Glücksspielen teilnahm.
[3] Am 29. 9. 2014 kam es zu einem Betreiberwechsel auf die H* LP, der unstrittig einen Übergang der Vertragsbeziehung nach gibraltarischem Recht zur Folge hatte. Mit 27. 11. 2018 kam es zu einem Betreiberwechsel auf die Beklagte.
[4] Beim Besuch der Website am 27. 11. 2018 wurde der Kläger durch ein sich öffnendes Fenster darüber informiert, dass seine „Beziehung“ zur H* LP auf die Beklagte transferiert werde, dies keine Auswirkungen auf die angebotenen Dienste habe und seine Kontodaten einschließlich Guthaben und laufenden Boni unverändert blieben; er müsse den neuen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) und einer neuen Datenschutzerklärung zustimmen. Der Kläger erklärte seine Zustimmung.
[5] Im Zeitraum 14. 12. 2012 bis 5. 9. 2019 betrug der vom Kläger verspielte Betrag unter Berücksichtigung der erzielten Gewinne 16.052,68 EUR.
[6] Der Kläger begehrte die Rückzahlung der erlittenen Spielverluste in Höhe von (eingeschränkt) 16.052,68 EUR aus dem Titel der Bereicherung und des Schadenersatzes. Er habe die Einsätze auf der Grundlage eines unerlaubten und damit unwirksamen Glücksspielvertrags geleistet. Das in Österreich geltende Glücksspielmonopol sei weder verfassungs- noch unionsrechtswidrig. Im Jahr 2018 seien sämtliche Rechte und Pflichten in Bezug auf sein Spielerkonto auf die Beklagte übertragen worden, weshalb deren Passivlegitimation gegeben sei.
[7] Die Beklagte entgegnete, sie sei für die Verluste des Klägers vor dem 27. 11. 2018 nicht passiv legitimiert. Es sei zu keiner Gesamtrechtsnachfolge gekommen. Davon abgesehen sei das österreichische Glücksspielmonopol unionsrechtswidrig. Sie wandte eine Gegenforderung bis zur Höhe der Klageforderung ein, die sie einerseits aus dem vom Kläger aus dem Glücksspiel gezogenen Unterhaltungswert ableitet und andererseits auf Schadenersatz wegen Verletzung einer Nachforschungspflicht stützt.
[8] Das Erstgericht erkannte die Klageforderung als zu Recht, die eingewendete Gegenforderung hingegen als nicht zu Recht bestehend und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 16.052,68 EUR sA. Der vorliegende Sachverhalt sei nach österreichischem Recht zu beurteilen. Die gesamte Vertragsbeziehung des Klägers zur H* LP sei auf die Beklagte übergegangen. Das österreichische Glücksspielmonopol sei weder verfassungs‑ noch unionsrechtswidrig. Der Kläger habe seine Einsätze auf Grundlage eines unerlaubten und damit unwirksamen Glücksspielvertrags geleistet, weshalb die Beklagte sie zurückzuzahlen habe.
[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.
[10] Der Oberste Gerichtshof sei zwischenzeitlich in zahlreichen Entscheidungen zum Ergebnis gelangt, dass das österreichische System der Glücksspielkonzessionen nicht gegen das Unionsrecht verstoße. Diese Beurteilung des Obersten Gerichtshofs stehe im Einklang mit der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs. Nach der Rechtsprechung könnten die Spieleinsätze aus verbotenen Glücksspielen zurückgefordert werden. Dem Kläger stehe der geltend gemachte Rückforderungsanspruch daher grundsätzlich zu. Bereicherungsschuldner sei derjenige, dem der Spieler die Einsätze geleistet habe, also der Leistungsempfänger. Daraus folge, dass die Beklagte für die bereicherungsrechtlichen Rückforderungsansprüche des Klägers nur insoweit passiv legitimiert sei, als die Spielverluste aus dem Zeitraum stammten, zu dem sie die Website b*.com betrieben habe. Eine Haftung der Beklagten für die Verluste vor dem 27. 11. 2018 könne sich demgegenüber nur aus § 38 UGB bzw § 1409 ABGB oder einer entsprechenden ausländischen Norm der anwendbaren Rechtsordnung ergeben. Für solche Haftungsansprüche sei das Recht jenes Staats maßgebend, in dem sich der Sitz des übertragenden Unternehmens bzw das übernommene Vermögen befinde. Dazu fehle es an den nötigen Feststellungen. Da eine zeitliche Zuordnung der Spielverluste nicht möglich sei, sei das angefochtene Ersturteil zur Gänze aufzuheben.
[11] Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil dieser zur Frage der Haftung der Beklagten für Spielverluste, die auf ihre Rechtsvorgänger als Betreiber der Glücksspiel‑Website zurückgingen, sowie zur Frage des auf die Haftung für den Unternehmensübergang anwendbaren Rechts bisher nicht Stellung genommen habe.
Rechtliche Beurteilung
[12] Der Rekurs des Klägers ist zulässig und berechtigt.
[13] 1. Der Oberste Gerichtshof judiziert – im Einklang mit der Rechtsprechung der beiden anderen österreichischen Höchstgerichte – auf Basis der einschlägigen Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in ständiger Rechtsprechung, dass das österreichische System der Glücksspielkonzessionen nach gesamthafter Würdigung aller tatsächlichen Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben entspricht und nicht gegen Unionsrecht verstößt (jüngst etwa 4 Ob 223/21d mwN). Daran ist auch weiterhin festzuhalten (vgl 4 Ob 65/22w).
[14] 2. Der Kläger kann daher seine Spieleinsätze aus dem lizenzlosen und damit verbotenen Online‑Glücksspiel (abzüglich der Auszahlungen) zurückfordern (3 Ob 44/22z; 4 Ob 65/22w). Die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung nach § 877 ABGB erfolgt dabei gegenüber dem (vermeintlichen) Vertragspartner, der nach der Zweckvereinbarung Leistungsempfänger sein sollte (3 Ob 44/22z mwN; 4 Ob 65/22w).
[15] 3. Die Rechtsfolgen des nichtigen Vertrags richten sich hier nach österreichischem Recht, weil auf einen – hier unstrittig vorliegenden – Verbrauchervertrag im Anwendungsbereich des Art 6 Rom I‑VO grundsätzlich das Recht des Verbraucherstaats anzuwenden ist. Das Verbraucherstatut gelangt unter anderem dann zur Anwendung, wenn der Unternehmer seine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit auf den Verbraucherstaat ausrichtet, was insbesondere bei Online-Aktivitäten der Fall ist.
[16] 4. Nach Art 12 Abs 1 Rom I‑VO sind grundsätzlich alle vertragsrechtlichen Fragen nach dem einheitlichen Vertragsstatut (hier Verbraucherstatut) zu beurteilen. Dies gilt nach Abs 1 lit e leg cit auch für die Folgen der Nichtigkeit des Vertrags. Für die Rückabwicklung nichtiger Verträge gilt somit das Recht des Vertragsstatuts (3 Ob 44/22z mwN; 4 Ob 65/22w).
[17] Auch das Vorliegen und die Wirkungen einer Vertragsübernahme – hier: der 2018 erfolgte „Transfer der Beziehungen“ – sind nach dem Recht des übernommenen Vertrags, hier daher ebenfalls nach dem Verbraucherstatut, zu beurteilen (3 Ob 44/22z; 4 Ob 65/22w).
[18] Dieses verweist im vorliegenden Fall auf österreichisches Recht.
[19] 5. Die Vertragsübernahme führt im Sinn der Einheitstheorie zum Übergang der gesamten rechtlichen Rahmenbeziehung, also auch der vertragsbezogenen Gestaltungsrechte sowie der Sekundäransprüche des Klägers als Restpartei gegen die ehemalige Websitebetreiberin als Altpartei. Die erfolgte Vertragsübernahme erfasst daher insbesondere auch auf § 877 ABGB gestützte Kondiktionsansprüche der Restpartei, die auf Leistungen an die ausgeschiedene Altpartei beruhen und deren Rückabwicklung aufgrund der Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts zu erfolgen hat (3 Ob 44/22z mwN; 4 Ob 65/22w).
[20] 6. Die Beklagte ist daher bereits aufgrund der erfolgten Vertragsübernahme für Rückforderungsansprüche des Klägers aus den verbotenen Glücksspielen vor dem „Betreiberwechsel“ des Jahres 2018 passiv legitimiert, ohne dass es dafür auf die vom Berufungsgericht als relevant erachtete gesetzliche Haftung des Übernehmers eines Unternehmens ankommt (vgl die bereits zur selben Beklagten und zur gegenständlichen Website entschiedenen Fälle 3 Ob 44/22z; 2 Ob 20/22p; 2 Ob 40/22d; 4 Ob 65/22w).
[21] Es bedarf daher auch keiner Verfahrensergänzung zur zeitlichen Zuordnung der Verluste des Klägers. Dem Kläger steht vielmehr der gesamte Klagsbetrag zu, sodass in Stattgebung des Rekurses in der Sache selbst zu erkennen und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen war.
[22] 7. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Der ERV‑Zuschlag gebührt nur in Höhe von 2,10 EUR, weil der Zuschlag gemäß § 23a erster Satz RATG in Höhe von 4,10 EUR nur für verfahrenseinleitende, nicht jedoch für fortgesetzte Schriftsätze zusteht, unter denen auch alle Rechtsmittelschriftsätze zu verstehen sind (RS0126594 [T1]).
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