OGH 4Ob65/22w

OGH4Ob65/22w30.6.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden unddie Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Dr. Nowotny und Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G* B*, vertreten durch Mag. Alexander Tupy, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei H* ENC, *, Malta, vertreten durch Brandl Talos Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 93.355,49 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 19. Jänner 2022, GZ 16 R 192/21d‑15, mit dem das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 4. Oktober 2021, GZ 18 Cg 32/21i‑9, teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00065.22W.0630.000

 

Spruch:

 

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts (das in einem Zuspruch von 63.216,98 EUR sA bereits in Rechtskraft erwachsen ist) einschließlich seiner Kostenentscheidung zur Gänze wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 6.358,10 EUR (darin enthalten 805,35 EUR USt und 1.526 EUR Pauschalgebühren) bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter und dritter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger richtete als Verbraucher auf einer deutschsprachigen Website ein Spielerkonto ein, um an Online-Glücksspielen und Sportwetten teilzunehmen. Die Betreiberin der Website übernahm dabei auch das Führen und Verwalten seines Kundenkontos, von Boni und der Daten des Klägers einschließlich Daten zu Spielhäufigkeit und Dauer.

[2] Diese Website war zunächst von einer mit der Beklagten im Konzern verbundenen Gesellschaft betrieben worden, die über eine Glücksspiellizenz aus Gibraltar verfügte (in der Folge: „ehemalige Websitebetreiberin“). Ihre AGB sahen die Anwendung des Rechts von England und Wales vor.

[3] Seit 28. 11. 2018 betreibt die Website die beklagte Gesellschaft, die ihren Sitz in Malta hat und über eine maltesische Glücksspiellizenz verfügt. Weder die Beklagte noch die ehemalige Websitebetreiberin verfügten jemals über eine Glücksspiellizenz nach dem österreichischen Glücksspielgesetz.

[4] Bei seinem erstmaligen Besuch auf der Website nach dem 27. 11. 2018 informierte die Beklagte den Kläger mit einem Pop-up-Fenster, dass seine „Beziehung mit [der ehemaligen Websitebetreiberin] zur [Beklagten] transferiert“ worden sei. Um spielen zu können, musste der Kläger per Mausklick die AGB der Beklagten (einschließlich einer Unterwerfung unter die maltesische Gerichtsbarkeit) akzeptieren und dem Transfer seiner persönlichen Daten und seines Guthabens an die Beklagte zustimmen. Sonst änderte sich aus seiner Sicht als Nutzer der Website nichts.

[5] Der Kläger erlitt vom 16. 2. 2018 bis 25. 5. 2019 aus dem Online-Glücksspiel Verluste in Höhe des Klagsbetrags, wobei rund 31.840 EUR auf den Zeitraum bis 27. 11. 2018 entfielen.

[6] Der Kläger begehrte die Rückzahlung der Spielverluste als ungerechtfertigte Bereicherung oder Schadenersatz. Er habe die Einsätze auf der Grundlage eines unerlaubten und damit unwirksamen Glücksspielvertrags geleistet. Das in Österreich geltende Glücksspielmonopol sei weder verfassungs- noch unionsrechtswidrig. Im Jahr 2018 seien sämtliche Rechte und Pflichten in Bezug auf sein Spielerkonto auf die Beklagte übertragen worden, weshalb sie auch für Spielverluste vor dem Betreiberwechsel passiv legitimiert sei.

[7] Die Beklagte entgegnete, dass sie jedenfalls für die Verluste des Klägers vor dem Betreiberwechsel nicht einstehen müsse. Sie sei im Wege der Einzelrechtsnachfolge in die Benutzerkonto-Führungsverträge, nicht jedoch in die einzelnen Glücksspielverträge der ehemaligen Websitebetreiberin mit ihren Kunden eingetreten. Außerdem wandte sie die Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen Glücksspielmonopols, ein Mitverschulden des Klägers und eine Gegenforderung ein.

[8] Das Erstgericht gab der Klage zur Gänze statt. Die Beklagte habe alle Verträge des Klägers mit der Rechtsvorgängerin übernommen und sei daher für die Rückforderung passiv legitimiert. Nach dem Vertragsstatut seien alle Verträge zwischen dem Kläger und den Websitebetreiberinnen sowie der Vertragsübergang nach österreichischem Recht zu beurteilen. Die Beklagte müsse daher die Spielverluste als ungerechtfertigte Bereicherung durch verbotenes Glücksspiel herausgeben.

[9] Das Berufungsgericht hob die Entscheidung über die Spielverluste vor dem Betreiberwechsel auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang ans Erstgericht zurück. Die Glücksspielverträge mit der ehemaligen Websitebetreiberin seien nichtig, sodass der Kläger keine vertraglichen, sondern gesetzliche Ansprüche geltend mache. Für bereicherungsrechtliche Rückforderungsansprüche sei grundsätzlich nur die jeweilige Betreiberin der Website zum Zeitpunkt der Bereicherung passiv legitimiert. Eine allfällige Haftung der Beklagten aufgrund eines Unternehmensübergangs könne derzeit nicht beurteilt werden, weil nach den bisherigen Verfahrensergebnissen nicht einmal klar sei, ob ein solcher stattgefunden habe und welches Recht anwendbar sei. Dies richte sich mangels Sonderregelung nach der stärksten Beziehung iSd § 1 Abs 1 IPRG. Das Berufungsgericht ließ den Rekurs wegen fehlender höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Haftung der Beklagten für eine bei der ehemaligen Websitebetreiberin eingetretene Bereicherung zu.

[10] Der Rekurs des Klägers zielt auf die Wiederherstellung des Ersturteils, in eventu auf die Zurückverweisung ans Erstgericht unter Überbindung einer anderen Rechtsansicht ab.

[11] Die Beklagte beantragt, den Rekurs zurückzuweisen oder ihm nicht Folge zu geben.

[12] Der Rekurs ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[13] 1. Der Oberste Gerichtshof judiziert – im Einklang mit der Rechtsprechung der beiden anderen österreichischen Höchstgerichte – auf Basis der einschlägigen Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in ständiger Rechtsprechung, dass das österreichische System der Glücksspielkonzessionen nach gesamthafter Würdigung aller tatsächlichen Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben entspricht und nicht gegen Unionsrecht verstößt (jüngst etwa 4 Ob 223/21d mwN). Daran ist auch weiterhin festzuhalten.

[14] 2. Der Kläger kann daher seine Spieleinsätze aus dem lizenzlosen und damit verbotenen Online-Glücksspiel (abzüglich der Auszahlungen) zurückfordern (3 Ob 44/22z [Rz 14] mwN). Die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung nach § 877 ABGB erfolgt dabei gegenüber dem (vermeintlichen) Vertragspartner, der nach der Zweckvereinbarung Leistungsempfänger sein sollte (3 Ob 44/22z [Rz 16] mwN).

[15] 3. Die von der Beklagten vertretene Rechtsansicht, dass zwischen dem Kläger und der ehemaligen Websitebetreiberin zahlreiche Glücksspielverträge und somit bereits vollständig erfüllte Zielschuldverhältnisse abgeschlossen wurden, teilt der erkennende Senat nicht.

[16] Vielmehr ist – wie der Oberste Gerichtshof jüngst in einer vergleichbaren Konstellation entschieden hat – davon auszugehen, dass sich der vom Kläger mit der ehemaligen Websitebetreiberin abgeschlossene Rahmenvertrag nicht nur auf die wiederholte Inanspruchnahme von Glücksspieldienstleistungen durch den wiederkehrenden Abschluss von Glücksspielverträgen beschränkte, sondern auch weitere, dauerhaft zu erbringende Dienstleistungen beinhaltete. Es handelte sich also um ein Dauerschuldverhältnis (3 Ob 44/22z [Rz 19] mwN).

[17] Dieses unterliegt nach Art 12 Abs 1 Rom I‑VO dem Verbraucherstatut – hier also österreichischem Recht. Dies gilt nach Abs 1 lit e leg cit auch für die Folgen der Nichtigkeit des Vertrags (3 Ob 44/22z [Rz 15] mwH).

[18] Der 2018 erfolgte „Transfer der Beziehung“ zwischen Kläger und ehemaliger Websitebetreiberin auf die Beklagte unterliegt dem Statut des übernommenen Vertrags. Das Vorliegen und die Wirkungen einer Vertragsübernahme des Dauerschuldverhältnisses sind daher ebenfalls nach österreichischem Recht zu beurteilen (3 Ob 44/22z [Rz 21] mwH).

[19] Die Vertragsübernahme führt im Sinn der Einheitstheorie zum Übergang der gesamten rechtlichen Rahmenbeziehung, also auch der vertragsbezogenen Gestaltungsrechte sowie der Sekundäransprüche des Klägers als Restpartei gegen die ehemalige Websitebetreiberin als Altpartei. Dies gilt insbesondere auch für auf § 877 ABGB gestützte Kondiktionsansprüche der Restpartei, die auf Leistungen an die ausgeschiedene Altpartei beruhen und deren Rückabwicklung aufgrund Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts zu erfolgen hat (3 Ob 44/22z [Rz 26] mwN).

[20] 4. Auf die rechtlichen Argumente der Beklagten im Zusammenhang mit Unternehmensübergang und Schuldbeitritt ist daher nicht mehr einzugehen.

[21] 5. Zusammengefasst ergibt sich: Da die Beklagte auch für Rückforderungsansprüche des Klägers aus den verbotenen Glücksspielen vor dem „Betreiberwechsel“ passiv legitimiert ist, steht dem Kläger der gesamte Klagsbetrag zu. Damit erübrigt sich die vom Berufungsgericht angeordnete Verfahrensergänzung, sodass dem Rekurs stattzugeben, in der Sache selbst zu erkennen und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen ist.

[22] 6. Da bereits eine Sachentscheidung getroffen werden kann, ist auch über die Kosten des Berufungs- und Rekursverfahrens abzusprechen. Diese Kostenentscheidung beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 41 ZPO.

[23] Ein ERV-Zuschlag gemäß § 23a erster Satz RATG in Höhe von 4,10 EUR gebührt nur für verfahrenseinleitende, nicht jedoch für fortgesetzte Schriftsätze, unter denen auch alle Rechtsmittelschriftsätze zu verstehen sind (RS0126594 [T1]; nunmehr 2,10 EUR).

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