OGH 2Ob20/22p

OGH2Ob20/22p26.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende, den Senatspräsidenten Dr. Musger sowie die Hofräte Dr. Nowotny, MMag. Sloboda und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Dr. Sven Rudolf Thorstensen, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei H* ENC, *, vertreten durch Brandl Talos Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen (eingeschränkt) 24.649,40 EUR sA, infolge Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 23.689,40 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgerichtvom 18. Oktober 2021, GZ 13 R 86/21v‑54, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des LandesgerichtsEisenstadtvom 22. April 2021, GZ 34 Cg 98/19k‑50, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00020.22P.0426.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts, das in seinem der Klage stattgebendem Teil (Zuspruch von 960 EUR sA) als unangefochten in Rechtskraft erwachsen ist, einschließlich seiner Kostenentscheidung zur Gänze wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 5.272,04 EUR (darin enthalten 624,34 EUR USt und 1.526 EUR Pauschalgebühren) bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter und dritter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Beklagte ist eine Gesellschaft mit Sitz in Malta, die – als Teil der b*‑Gruppe – weltweit online Wett- und Glücksspieldienstleistungen anbietet; sie verfügt über eine maltesische online Glücksspiellizenz, nicht jedoch über eine Konzession nach dem österreichischen Glücksspielgesetz.

[2] Zwischen 23. 9. 2012 und 15. 5. 2019 verlordie Klägerin bei Online-Casino-Glücksspielen über die Website der Beklagten bzw ihrer Rechtsvorgängerinnen Einsätze von insgesamt 24.649,40 EUR, davon 23.689,40 EUR vor und 960 EUR ab dem 27. 11. 2018.

[3] Die Klägerin registrierte sich als Verbraucherin im Jahr 2012 auf der von einer Rechtsvorgängerin der Beklagten betriebenen Website b*.com und akzeptierte die damaligen Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Die Kundenbeziehung bestand nicht allein aus dem Abschluss einzelner Glücksspielverträge im Zuge des Online‑Casino‑Glücksspiels, sondern unter anderem auch im Führen und Verwalten eines Kundenkontos, über das ihre Glücksspielteilnahmen abgewickelt wurden. Im Jahr 2014 folgte ein Betreiberwechsel hinsichtlich der genannten Website und ein Übergang der Vertragsbeziehung von dieser Rechtsvorgängerin auf eine andere Rechtsvorgängerin der Beklagten.

[4] Die Vertragsbeziehung zur Beklagten begann am 27. 11. 2018, als es zu einem neuerlichen Betreiberwechsel bei der Website zur Beklagten kam. Beim nächsten Spielen auf der Website wurde die Klägerin darüber informiert, dass ihre „Beziehung“ zur Rechtsvorgängerin der Beklagten zur Beklagten transferiert werde, dies keine Auswirkungen auf die angebotenen Dienste habe und ihre Kontodaten einschließlich Guthaben und laufenden Boni unverändert blieben. Die Klägerin stimmte diesem Transfer zu.

[5] Die Klägerin begehrte die Rückzahlung der erlittenen Spielverluste von 24.649,40 EUR sA aus dem Titel der Bereicherung und des Schadenersatzes. Sie habe die Einsätze aufgrund eines unerlaubten und damit unwirksamen Glücksspielvertrags erlitten. Das in Österreich geltende Glücksspielmonopol sei weder verfassungs- noch unionsrechtswidrig. Im Jahr 2018 seien sämtliche Rechte und Pflichten in Bezug auf ihre Vertragsbeziehung auf die Beklagte übertragen worden, weshalb deren Passivlegitimation gegeben sei.

[6] Die Beklagte bestritt und berief sich auf ihre von Malta ausgestellte Online-Glücksspiellizenz und die unionsrechtlich gewährleistete Dienstleistungsfreiheit. Das in Österreich geltende Glücksspielmonopol schränke diese unionswidrig ein und sei daher unwirksam. Hinsichtlich der vor 27. 11. 2018 erlittenen Spielverluste sei sie nicht passiv legitimiert. Die Vertragsbeziehung zwischen ihr und der Klägerin habe erst am 27. 11. 2018 begonnen. Sie sei weder Gesamtrechtsnachfolgerin ihrer Rechtsvorgängerinnen noch sei es zu einem Übergang von Verbindlichkeiten dieser Gesellschaft auf sie gekommen. Dass ein allfällig bestehendes Guthaben der Klägerin an die Beklagte übertragen worden sei, ändere nichts daran, dass Einzahlungen vor dem 27. 11. 2018 an die Rechtsvorgängerin erfolgt seien und diese Empfängerin der Zahlungen gewesen sei. Die Beklagte sei daher höchstens für den Betrag von 960 EUR passiv legitimiert.

[7] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Die Rechtsbeziehungen der Klägerin zu den Betreibergesellschaften seien nach österreichischem Recht zu beurteilen. Das österreichische Glücksspielmonopol verstoße nicht gegen das Unionsrecht. Die von der Beklagten veranstalteten Spiele seien verboten und würden nicht einmal eine Naturalobligation erzeugen, sodass die Klägerin ihre Einsätze zurückfordern könne. Die Vertragsbeziehung zur Rechtsvorgängerin der Beklagten sei mit 27. 11. 2018 auf die Beklagte übergegangen, die hinsichtlich sämtlicher Rechte und Pflichten in die Position ihrer Rechtsvorgängerin eingetreten sei, die zuvor die Vertragsbeziehung von ihrer Rechtsvorgängerin übernommen gehabt habe.

[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge; es bestätigte den Zuspruch von 960 EUR sA (Verluste ab 27. 11. 2018) und änderte das Ersturteil im Übrigen (Zuspruch von 23.689,40 EUR sA) im Sinne einer Abweisung der Klage ab. Der Oberste Gerichtshof sei zwischenzeitlich in zahlreichen Entscheidungen zum Ergebnis gelangt, dass das österreichische System der Glücksspielkonzessionen nicht gegen das Unionsrecht verstoße. Die in der Berufung dazu vorgebrachten Argumente seien von der Rechtsprechung bereits widerlegt worden. Sowohl der Vertrag mit der Beklagten als auch jene mit deren Vorgängerinnen seien von Anfang an nichtig gewesen und hätten daher auch nicht (wirksam) übertragen werden können. Passiv legitimiert für die bereicherungsrechtlichen Rückforderungsansprüche der Klägerin sei die Beklagte daher nur, soweit die Spielverluste aus dem Zeitraum stammten, in dem sie die gegenständliche Website betrieben habe. Nur insoweit erweise sich die Beklagte aufgrund der rechtsgrundlos erfolgten Zahlungen der Klägerin als unrechtmäßig bereichert. Dasselbe gelte für eine schadenersatzrechtliche Haftung wegen Verletzung des Glücksspielgesetzes, die nur den Schädiger, somit den jeweiligen Betreiber des verbotenen Glückspiels, treffen könne. Einen Rechtsgrund, warum die Beklagte für auf Gesetz beruhende Ansprüche gegen frühere Betreiber der Website haften solle, habe die Klägerin nicht zur Darstellung gebracht. Eine Gesamtrechtsnachfolge sei nicht behauptet worden und habe nach dem festgestellten Sachverhalt auch nicht stattgefunden. Auch eine Haftung der Beklagten nach § 1409 ABGB bzw § 38 UGB – auf die sich die Klägerin hier ohnehin nicht gestützt habe – komme nicht in Betracht, weil das Forderungsstatut keinen hinreichenden kollisionsrechtlichen Anknüpfungspunkt für Unternehmenserwerbsvorgänge mit Auslandsbezug darstellt. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil der Rechtsfrage der Haftung der Beklagten für Spielverluste, die auf ihre Rechtsvorgängerinnen als Betreiberinnen derselben Glücksspiel-Website zurückgingen, im Hinblick auf die Vielzahl der in erster Instanz anhängigen Prozesse gegen die Beklagte, eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme und der Oberste Gerichtshof dazu – soweit überblickbar – noch nicht Stellung genommen habe.

[9] Gegen die Abweisung des Klagebegehrens richtet sich die Revision der Klägerin, die auf die Wiederherstellung des stattgebenden Urteils des Erstgerichts abzielt; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] In der Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

[11] Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[12] 1. Das Berufungsgericht lehnte die vom Erstgericht vertretene Vertragsübernahme mit der Begründung ab, dass ein nichtiger Vertrag nicht übertragen werden habe können.

[13] 2.1. In der jüngst in einem die Beklagte und die gegenständliche Webseite betreffenden Parallelfall (3 Ob 44/22z) ergangenen Entscheidung ging der Oberste Gerichtshof demgegenüber davon aus, dass sich die Rechtsfolgen der nichtigen Verträge und somit ihre Rückabwicklung nach österreichischem Recht richten (Pkt 2.2), der von der Beklagten selbst so bezeichnete „Rahmenvertrag“ weitere, dauerhaft zu erbringende Dienstleistungen beinhaltete und es sich daher um ein Dauerschuldverhältnis handelte (Pkt 3.3), das nicht endgültig abgewickelt war (Pkt 6.4) und somit aufgrund einer – ebenso nach österreichischem Recht zu beurteilenden (Pkt 4.) – umfassenden Vertragsübernahme (Pkt 5.2), die nach der Parteienvereinbarung im konkreten Fall auch Kondiktionsansprüche der Restpartei gegen die Altpartei erfasste, die auf Leistungen an die ausgeschiedene Altpartei beruhen und deren Rückabwicklung aufgrund Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts zu erfolgen hat (Pkt 6.3), auf die Beklagte übergegangen war.

[14] 2.2. Auch im vorliegenden Fall wurde die Klägerin beim Einloggen in ihr Kundenkonto darüber informiert, dass ihre „Beziehung“ zur Beklagten transferiert werde, dies keine Auswirkungen auf die angebotenen Dienste habe und ihre Kontodaten einschließlich Guthaben und laufenden Boni unverändert blieben. Nach dem objektiven Verständnis redlicher Vertragsparteien war unter der transferierten „Beziehung“ nicht ein einzelner Glücksspielvertrag, sondern die gesamte Rechtsbeziehung zur Klägerin zu verstehen. Die Klägerin stimmte diesem Transfer zu, sodass die Voraussetzungen für eine umfassende Vertragsübernahme erfüllt sind. Der erkennende Senat schließt sich der genannten Entscheidung, deren maßgeblicher Sachverhalt mit dem hier zu beurteilenden völlig ident ist, an.

[15] 2.3. Die von der Beklagten in der Revisionsbeantwortung gegen ihre Passivlegitimation wie schon im Verfahren 3 Ob 44/22z erhobenen Einwände sind nicht berechtigt. Es lagen nicht einzelne, isoliert zu betrachtende Glücksspielverträge vor, sondern ein Rahmenvertrag, der insbesondere das Führen und Verwalten eines Kundenkontos vorsah. Dieses Dauerschuldverhältnis war im Zeitpunkt des Betreiberwechsels nicht abgewickelt oder beiderseitig erfüllt, sondern sollte nach dem Inhalt der von der Beklagten abgegebenen Erklärung weiter aufrecht bleiben und entsprechend transferiert werden. Dabei geht es auch nicht um die Frage, ob ein nichtiger Vertrag übertragen wurde oder werden konnte, sondern darum, ob die daraus resultierenden Kondiktionsansprüche der Klägerin aufgrund der abgegebenen Erklärung von der Beklagten als Schuldnerin übernommen werden sollten. Angesichts des mit dem Betreiberwechsel intendierten Zwecks einer Befreiung der Rechtsvorgängerin der Beklagten aus dem Leistungsaustausch und der ausdrücklichen Erklärung, dass die Kontodaten, einschließlich Guthaben, ausstehende Wetten, laufende Boni, unverändert bestehen bleiben, ist diese Frage zu bejahen.

[16] 2.4. Als Zwischenergebnis folgt daraus, dass die Beklagte für jene Rückforderungsansprüche der Klägerin passiv legitimiert ist, die sich auf die Spielverluste vor 27. 11. 2018 beziehen.

[17] 3. Zusammengefasst ist die Beklagte auch für die Rückforderungsansprüche der Klägerin aus den verbotenen Glücksspielen vor dem Betreiberwechsel am 27. 11. 2018 passiv legitimiert und somit auch zur Rückzahlung der dabei erlittenen Verluste verpflichtet. Demnach steht der Klägerin der gesamte geltend gemachte Rückzahlungsbetrag zu und war in Stattgebung der Revision der Klägerin die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

[18] 4. Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41, 50 ZPO. Im Berufungsverfahren fand keine Berufungsverhandlung statt, weshalb nur der dreifache Einheitssatz zusteht (§ 23 Abs 9 RATG). Weder die Berufungsbeantwortung noch die Revision ist ein verfahrenseinleitender Schriftsatz, weshalb der ERV-Zuschlag gemäß § 23a RATG nur je 2,10 EUR beträgt (RS0126594).

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