OGH 12Os80/22i

OGH12Os80/22i18.8.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. August 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Dr. Blecha als Schriftführerin im Verfahren zur Unterbringung des P* W* in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 4. Mai 2022, GZ 52 Hv 4/22w‑37, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0120OS00080.22I.0818.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde gemäß § 21 Abs 1 StGB die Unterbringung des P* W* in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

[2] Danach hat er in W* unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer undifferenzierten Schizophrenie (ICD‑10 F20), beruhte, M* W* am

I./ 29. Juni 2021 mit Gewalt und durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme des Verlassens seiner Wohnung sowie der Verständigung der Polizei, eines Arztes und des Psychosozialen Dienstes, genötigt, indem er ihm zunächst einen Stoß gegen den Körper versetzte, wodurch er zu Boden stürzte, ihm im Anschluss mehrere Tritte gegen den Körper versetzte und zu ihm sagte, er werde sterben, wenn er diese verständige,

II./ 17. Juli 2021 widerrechtlich gefangen gehalten, indem er sich ca fünf Stunden lang derart vor die nach außen hin zu öffnende Türe des Zimmers des M* W* legte, dass dieser die Türe nicht öffnen und das Zimmer verlassen konnte (US 4),

also Taten begangen, die als Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105, 106 Abs 1 Z 1 [erster Fall] StGB und als Vergehen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen, der keine Berechtigung zukommt.

[4] Soweit die Sanktionsrüge (nominell Z 11 erster Fall iVm Z 5 zweiter und fünfter Fall des § 281 Abs 1 StPO) sich ausschließlich gegen die Feststellungen zur Gefährlichkeitsprognose richtet und auf die Angaben des Betroffenen sowie die Ausführungen des beigezogenen Sachverständigen in der Hauptverhandlung verweist, wird ausschließlich ein Berufungsvorbringen erstattet (vgl RIS‑Justiz RS0113980, RS0118581).

[5] Die weitere Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) behauptet, das angefochtene Urteil ließe Feststellungen zu den Prognosekriterien nach § 21 Abs 1 StGB vermissen. Insbesondere sei der Zustand des Betroffenen im Entscheidungszeitpunkt gänzlich außer Acht gelassen worden.

[6] Nichtigkeit eines Ausspruchs nach § 21 Abs 1 StGB aus Z 11 zweiter Fall des § 281 Abs 1 StPO liegt vor, wenn die Gefährlichkeitsprognose zumindest eine der in der angesprochenen Norm genannten Erkenntnisquellen, nämlich Person und Zustand des Rechtsbrechers im Urteilszeitpunkt sowie Art der Tat, vernachlässigt oder die aus den gesetzlich angeordneten Erkenntnisquellen gebildete Feststellungsgrundlage die Ableitung der Befürchtung, also die rechtliche Wertung einer hohen Wahrscheinlichkeit für die Sachverhaltsannahme, der Rechtsbrecher werde (zumindest) eine Handlung begehen, welche ihrerseits rechtlich als mit Strafe bedroht und entsprechend sozialschädlich (mit schweren Folgen) zu beurteilen wäre, als willkürlich erscheinen lässt (vgl neuerlich RIS‑Justiz RS0113980, RS0118581).

[7] Der Rechtsmittelwerber legt nicht dar, weshalb die vom Erstgericht zu diesen Kriterien getroffenen Feststellungen (US 5 f) nicht ausreichen sollten. Soweit die Nichtigkeitsbeschwerde auf die Verbesserung des Zustands des Betroffenen durch die während der Anhaltung erhaltene Therapie (vgl dazu US 7) verweist, ist ihr zu entgegnen, dass eine Maßnahme nach § 21 Abs 1 StGB auch dann anzuordnen ist, wenn eine bestehende Gefährlichkeit durch eine medikamentöse oder andere Behandlung lediglich eingedämmt (hintangehalten), aber nicht dauerhaft beseitigt wird und ihre weitere Eindämmung die Fortsetzung der Behandlung erfordert (RIS‑Justiz RS0127350; Fabrizy/Michel‑Kwapinski/Oshidari, StGB14 § 21 Rz 11 mwN).

[8] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung ergibt (§ 285i StPO).

Stichworte