OGH 10ObS33/22h

OGH10ObS33/22h28.7.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dora Camba (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Alexander Leitner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Mag. Elisabeth Brandstetter, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. Jänner 2022, GZ 10 Rs 108/21 g‑138, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00033.22H.0728.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Strittig ist im Revisionsverfahren noch der Anspruch der 1961 geborenen Klägerin auf Weitergewährung der seit 1. 11. 2013 befristet gewährten Berufsunfähigkeitspension über den Ablauf des 31. 1. 2017 hinaus bis zum 31. 7. 2020. Im Umfang des Zuspruchs einer Berufsunfähigkeitspension an die Klägerin ab 1. 8. 2020 samt Zuerkennung einer vorläufigen Leistung erwuchs die Entscheidung des Erstgerichts unangefochten in Rechtskraft.

[2] Die Klägerin hat unstrittig Berufsschutz als diplomierte Gesundheits‑ und Krankenpflegerin (DGKP). Ihr war trotz ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen und des dadurch eingeschränkten Leistungskalküls die Tätigkeit als DGKP, eingesetzt als qualifizierte Ordinationsassistentin (ohne Hausbesuche) sowie eingesetzt als Betriebskrankenschwester (jeweils im Rahmen des Minimalanforderungsprofils) vom 1. 2. 2017 bis zum 29. 7. 2020 weiter zumutbar. Als qualifizierte Ordinationsassistentin hätte die Klägerin in diesem Zeitraum das erworbene qualifizierte berufliche Wissen bei den vom Erstgericht im Einzelnen festgestellten Tätigkeiten verwenden können. Österreichweit stehen zumindest hundert Arbeitsplätze für DGKP, eingesetzt in Arztpraxen als qualifizierte Ordinationsassistentin, zur Verfügung.

[3] Mit Bescheid vom 25. 1. 2017 wies die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag der Klägerin auf Weitergewährung der bis 31. 1. 2017 gewährten Berufsunfähigkeitspension ab, weil Berufsunfähigkeit nicht mehr vorliege.

[4] Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Weitergewährung der Berufsunfähigkeitspension über den Ablauf des 31. 1. 2017 hinaus.

[5] Das Erstgericht wies inhaltlich – soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung – das Klagebegehren auf Weitergewährung der Berufsunfähigkeitspension über den 31. 1. 2017 hinaus bis 31. 7. 2020 ab.

[6] Das Berufungsgericht gab der gegen den abweisenden Teil der Entscheidung des Erstgerichts erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

[7] In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

[8] 1.1 Das Erstgericht hat – wenn auch disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung – festgestellt, dass die Klägerin aufgrund des Umstands, dass ihr damaliges Leistungskalkül für die Ausübung ihres Berufs (unter bestimmten Rahmenbedingungen) ausreichend gewesen wäre, das für den Nachweis der gesundheitlichen Eignung erforderliche ärztliche Zeugnis gemäß § 15 Abs 4 des Bundesgesetzes über die Registrierung von Gesundheitsberufen, BGBl I 2016/87 (GBRG), erlangen hätte können (Ersturteil S 13). Von dieser Feststellung weicht die Revisionswerberin in unzulässiger Weise ab, wenn sie geltend macht, dass sie ab 2017 nicht mehr in der Lage gewesen wäre, ein derartiges ärztliches Zeugnis zu erbringen.

[9] 1.2 Darüber hinaus wird die Minderung der Arbeitsfähigkeit auch im Anwendungsbereich des § 273 Abs 1 ASVG grundsätzlich nicht konkret, sondern abstrakt ermittelt, weil nur diese Betrachtungsweise eine weitgehend gleiche Beurteilung vergleichbarer Fälle ermöglicht (10 ObS 43/14t SSV‑NF 28/25 mwH; RIS‑Justiz RS0088972). Persönliche Umstände, wie beispielsweise die Sprache oder die familiäre Situation eines Versicherten (RS0107503 [T2]) spielen keine Rolle. Davon ist das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend ausgegangen, wenn es ausführt, dass § 15 Abs 1 GBRG nicht zu entnehmen sei, dass das nach dieser Bestimmung erforderliche ärztliche Zeugnis nicht gesundheitliche Einschränkungen beinhalten dürfte. Denn der Umstand, dass diese bei der Klägerin unstrittig bestehen, ändert nichts daran, dass Berufsunfähigkeit bei der Klägerin im hier maßgeblichen Zeitraum nicht bestand.

[10] 2. Die Revisionswerberin macht weiters geltend, dass es einen Beruf der „qualifizierten Ordinationsassistentin“ nicht gebe. Weder bestehe für einen solchen Beruf eine Rechtsgrundlage – etwa als Lehrberuf oder in einem Kollektivvertrag – noch gebe es ein Ausbildungscurriculum, das über eine bloße Einschulung beim Dienstgeber hinausgehe. Bei der Bezeichnung „qualifizierte Ordinationsassistentin“ handle es sich um eine bloß angelernte Tätigkeit, auf die die Klägerin nicht verwiesen werden könne. Diese Ausführungen übergehen, dass die Vorinstanzen vom Beruf (und vom Berufsschutz, vgl RS0065823, zuletzt 10 ObS 132/15g) der Klägerin als DGKP ausgehen. Das Erstgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass es sich bei den Tätigkeiten als qualifizierte Ordinationsassistentin oder Betriebskrankenschwester nicht um Teiltätigkeiten aus dem Berufsbild der DGKP handelt, „sondern DGKP können in unterschiedlichen Bereichen eingesetzt werden und üben den erlernten Beruf in unterschiedlichen Einsatzorten/Einsatzbereichen (Arztpraxen, Betriebsstätten etc) aus. Grundlage all dieser Berufe bleiben die qualifiziert erworbenen Kompetenzen gemäß GuKG (Ersturteil S 8)“. Der von der Revisionswerberin behauptete Widerspruch zur Entscheidung 10 ObS 225/89 ist nicht ersichtlich, weil dort nicht die Verweisung auf die Tätigkeit einer DGKP als qualifizierte Ordinationsassistentin mit den vom Erstgericht im Einzelnen festgestellten Tätigkeitsinhalten und Berufsanforderungen zu beurteilen war, sondern jene auf eine bloße Ordinationsgehilfin, die vom Obersten Gerichtshof als unzulässig beurteilt wurde.

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