OGH 10Ob30/22t

OGH10Ob30/22t28.7.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers A* F*, vertreten durch BHF Briefer Hülle Frohner Gaudernak Rechtsanwälte OG in Wien, gegen den Antragsgegner A* A*, vertreten durch Dr. Stephan Duschel, Mag. Klaus Hanten und Mag. Clemens Kurz, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 23. März 2022, GZ 45 R 526/21t‑70, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom 27. Oktober 2021, GZ 7 Fam 36/19z‑62, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0100OB00030.22T.0728.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller ist schuldig, dem Antragsgegner binnen 14 Tagen die mit 501,91 EUR (darin 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Antragsteller ist Vater des mittlerweile volljährigen Antragsgegners und war diesem aufgrund des Beschlusses des Erstgerichts vom 23. April 2009 (GZ 38 Pu 5/09f‑13) zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 832,50 EUR verpflichtet.

[2] Der Antragsgegner lebt im Haushalt seiner Mutter, maturierte im Juni 2016, absolvierte von 1. Oktober 2016 bis 30. Juni 2017 den Zivildienst und ist seit 1. Oktober 2017 für das Diplomstudium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien inskribiert, das – bei 240 ECTS‑Punkten – eine Regelstudiendauer von acht und eine durchschnittliche Studiendauer von 13,7 Semester aufweist; zu einer abschnittsweisen Durchschnittsdauer „liegen keine Daten vor“.

[3] Seit Mitte/Ende 2017 leidet der Antragsgegner an einer Autoimmunerkrankung, weswegen er bis zur Einstellung der medikamentösen Therapie in der Betreibung seines Studiums eingeschränkt war. Seit der Einstellung der medikamentösen Therapie Ende 2019 war ihm die Betreibung des Studiums in durchschnittlicher Intensität, mit fallweise geringfügigen Verzögerungen möglich.

[4] Abgesehen von zwei positiv absolvierten Lehrveranstaltungen im Wintersemester 2017/2018 (aufgrund derer der Antragsgegner insgesamt sechs ECTS‑Punkte erlangte) erbrachte er (trotz entsprechender „negativer“ Versuche bzw Prüfungsantritte) bis zum Ende des Sommersemesters 2019 keine positiven Studienleistungen. Danach erlangte er im Wintersemester 2019/2020 zwanzig, im Sommersemester 2020 zwölf, im Wintersemester 2020/2021 neun und im Sommersemester 2021 achtundzwanzig, insgesamt somit 75 ECTS‑Punkte.

[5] Der Antragsteller beantragte, ihn beginnend mit 1. September 2017 von seiner Unterhaltsverpflichtung zu entheben, weil der Antragsgegner das Studium nicht ernsthaft und zielstrebig betreibe und er einer eigenen Berufstätigkeit nachgehe. Überdies beziehe er nunmehr niedrigere Einkünfte als der Unterhaltsbemessung zugrunde gelegt worden seien.

[6] Das Erstgericht setzte den Unterhalt des Antragsgegners – aufgrund dessen Eigeneinkommens – für die Zeiträume von 1. September 2017 bis 31. Oktober 2017 auf 740 EUR, von 1. Juni 2019 bis 31. August 2020 auf 275 EUR und ab 1. September 2020 auf 310 EUR herab und wies den Enthebungsantrag im Übrigen ab.

[7] Zur im Revisionsrekursverfahren strittigen Frage der Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit des Studiums des Antragsgegners ging es in rechtlicher Hinsicht davon aus, dass es dem Antragsgegner aufgrund seiner Erkrankung zumindest von Mitte 2017 bis Mitte 2019 nicht möglich gewesen sei, einen wesentlichen Studienerfolg zu erzielen. Nach erfolgreicher Einstellung habe er sein Studium mit einer Intensität aufgenommen, die in etwa der eines durchschnittlichen Studenten in dieser Studienfachrichtung entspreche.

[8] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragstellers nicht Folge. Aufgrund der krankheitsbedingten Einschränkungen sei der Antragsgegner in den ersten vier Semestern an einem Studienfortgang gehindert gewesen, weshalb im Ergebnis nur sein danach erzielter Prüfungserfolg ausschlaggebend sein könne, der jedoch auch unter Bedachtnahme auf seine weiterhin krankheitsbedingt eingeschränkte Leistungsfähigkeit zu beurteilen sei. Der Studienerfolg liege durchaus noch im Durchschnitt und es könne davon ausgegangen werden, dass der Antragsgegner das Studium gerechnet ab dem fünften Semester innerhalb der durchschnittlichen Studiendauer abschließen werde. Eine Beurteilung anhand der drei Studienabschnitte sei mangels einer geeigneten Sachverhaltsgrundlage nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[9] Der – vom Antragsgegner beantwortete – Revisionsrekurs des Antragstellers ist entgegen diesem nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

[10] 1. Zur Beurteilung der – im Rechtsmittel allein thematisierten – Frage, wann ein Studium ausreichend ernsthaft und zielstrebig betrieben wird und zu einem weiteren Unterhalt berechtigt, besteht umfassende Judikatur.

[11] 1.1. Grundsätzlich kann die Frage, ob ein Kind seinen Unterhaltsanspruch verliert, weil es seine Ausbildung nicht zielstrebig betreibt, nur nach den Umständen des Einzelfalls entschieden werden (RIS‑Justiz RS0008857; RS0109289).

[12] 1.2. Nach ständiger Rechtsprechung hat ein noch nicht selbsterhaltungsfähiges studierendes Kind so lange Anspruch auf Unterhalt, als es sein Studium ernsthaft und zielstrebig betreibt, was in der Regel zu bejahen ist, wenn die durchschnittliche Studiendauer für das betreffende Fach nicht überschritten wird (RS0083694; RS0110596).

[13] 1.3. Es ist grundsätzlich auf die durchschnittliche Studiendauer für einzelne Studienabschnitte abzustellen (RS0083694 [T10]). Bei fehlender Gliederung in Studienabschnitte hat die Kontrolle, ob ein Studium ernsthaft und zielstrebig betrieben wird, durch eigenständige Beurteilung der vom Unterhaltswerber erbrachten Leistungen zu erfolgen (RS0120928). Eine starre Differenzierung danach, ob das Studium in Studienabschnitte gegliedert ist, würde zu völlig unsachlichen Ergebnissen führen, beruht die Gliederung eines Studiums in Studienabschnitte oder in ein (nicht weiter untergliedertes) Bachelor- und Masterstudium doch teilweise auf völlig zufälligen Umständen, ohne dass dem der Sache nach ein entsprechender Unterschied zugrunde läge (RS0110600 [T11]). Ein zielstrebiger Studienerfolg ist nicht zwingend bereits dann zu verneinen, wenn nach schlichtem Dividieren die pro Semester erreichten ECTS‑Punkte nicht (stets) jenen Punkten entsprechen, die bei einer durchschnittlichen Studiendauer im rechnerischen Durchschnitt auf ein Semester entfallen (RS0110600 [T15]).

[14] 1.4. Dass jede – wenn auch allenfalls nur vorübergehende oder geringfügige – Unterschreitung der Durchschnittsstudienleistung automatisch zum Entfall des Unterhaltsanspruchs führen würde, ist aus der Rechtsprechung nicht abzuleiten (RS0120928 [T3]). Der Anspruch erlischt vielmehr trotz Erreichen der durchschnittlichen Studiendauer nicht, wenn besondere Gründe vorliegen, die ein längeres Studium gerechtfertigt erscheinen lassen (RS0047687 [T1]; RS0110596 [T5]; RS0083694 [T5, T29]), wie etwa bei Vorliegen von Krankheit (RS0083694 [T6]) oder wenn der Unterhaltsberechtigte zur Ausübung einer Nebenbeschäftigung gezwungen ist (6 Ob 8/17w [Pkt 3.]).

[15] 2.1. Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Antragsgegner schon zu Beginn seines Studiums bis zur medikamentösen Einstellung seiner Krankheit in der Betreibung seines Studiums eingeschränkt war. Das Rekursgericht ging – vom Revisionsrekurswerber unbekämpft – auf der Sachverhaltsebene davon aus, dass dem Antragsgegner erst ab Ende 2019 die Betreibung des Studiums in durchschnittlicher Intensität mit fallweise geringfügigen Verzögerungen möglich war. Der darauf aufbauenden Beurteilung des Rekursgerichts, dass im Ergebnis nur der nach den ersten vier Semestern erzielte Prüfungserfolg ausschlaggebend sein könne, setzt der Revisionsrekurs nichts Substanzielles entgegen.

[16] 2.2. Im Revisionsrekurs steht der Antragsteller vielmehr auf dem Standpunkt, dass auf die durchschnittliche Studiendauer pro Studienabschnitt abzustellen sei. Diese will der Rechtsmittelwerber ausgehend von einer durchschnittlichen Dauer des auf acht Semester angelegten Diplomstudiums von 13,7 Semestern durch (verhältnismäßige) Umlegung auf die durchschnittliche Dauer eines planmäßigen Semesters von „real 1,7 Semestern“ berechnen. Er nimmt somit eine durchschnittliche Studiendauer des ersten „zweisemestrigen“ Abschnitts von 3,4 Semestern an. Der Antragsgegner, der sich nach Wegfall seiner gesundheitlichen Problematik im fünften Semester befinde, habe somit den ersten Studienabschnitt noch nicht abgeschlossen und die durchschnittliche Studiendauer dieses Abschnitts bei weitem überschritten.

[17] 2.2.1. Dabei geht der Revisionsrekurswerber nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, nach dem die durchschnittliche Studiendauer pro Studienabschnitt mangels entsprechender Daten nicht festgestellt werden konnte. Diese Negativfeststellung geht hier zu Lasten des Antragstellers, weil er eine für die Unterhaltsbemessung maßgebliche, zu seinen Gunsten ausschlaggebende Änderung der Verhältnisse (Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit des Antragsgegners) insofern nicht unter Beweis stellen konnte (RS0006348).

[18] 2.2.2. Die im Revisionsrekurs zur Ermittlung eines Durchschnittswerts angestellte Berechnung in Form einer verhältnismäßigen Umlegung der durchschnittlichen Studienzeit für das gesamte Studium auf die für den jeweiligen Studienabschnitt vorgesehene Zeit scheitert überdies daran, dass eine solche verhältnismäßige Aufteilung nicht zwingend ist, weil die durchschnittliche Geschwindigkeit der Studierenden in den jeweiligen Studienabschnitten (und den einzelnen Semestern) nicht immer gleich hoch sein muss (vgl den zu 1 Ob 276/07f festgestellten Sachverhalt). Wie im vorliegenden Fall bei der Frage, ob der Antragsgegner das Studium ernsthaft und zielstrebig betreibt, konkret auf einzelne Studienabschnitte abzustellen wäre, lässt sich dem Revisionsrekurs somit nicht nachvollziehbar entnehmen.

[19] 2.2.3. Mit der weiteren Behauptung, dass der Antragsgegner in fünf (maßgeblichen) Semestern den ersten Studienabschnitt nicht abgeschlossen habe und daher kein entsprechender Studienfortschritt vorliege, gelingt es dem Revisionsrekurswerber nicht darzulegen, dass die Beurteilung der Vorinstanzen den ihnen zukommenden Ermessensspielraum überschreitet. Entgegen der Konstatierung im Rechtsmittel legte der Antragsgegner vom Wegfall der krankheitsbedingten Behinderung (Ende 2019) an gerechnet bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (Ende Oktober 2021) nicht fünf Semester, sondern nicht mehr als zwei Jahre (also vier Semester) zurück und er ist somit auch nicht als im fünften Semester befindlich anzusehen. Das Rekursgericht hob in diesem Zusammenhang außerdem hervor, dass auch der nach den ersten vier Semestern erzielte Prüfungserfolg des Antragsgegners unter Bedachtnahme auf seine weiterhin krankheitsbedingt eingeschränkte Leistungsfähigkeit zu beurteilen sei, sich die Leistungen des Antragsgegners nach Ansprechen der Therapie ab Mitte 2019 stets gesteigert hätten und sie seit Jänner 2020 in etwa dem Durchschnitt entsprächen. Auf diese Argumentation und die darauf aufbauende Prognose des Rekursgerichts, dass davon ausgegangen werden könne, dass der Antragsgegner – gerechnet ab dem fünften Semester – sein eingeschlagenes Diplomstudium innerhalb der durchschnittlichen Studiendauer abschließen werde, geht der Revisionsrekurs nicht näher ein, sodass es ihm auch insofern nicht gelingt, eine von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweichende Beurteilung der Vorinstanzen darzustellen.

[20] 3. Mangels Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG ist der Revisionsrekurs des Antragstellers zurückzuweisen.

[21] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Abs 2 AußStrG. Der Antragsgegner hat in der Revisionsrekursbeantwortung zutreffend auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen (RS0129381; RS0122774).

Stichworte