OGH 8ObA40/22y

OGH8ObA40/22y29.6.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Mag. Wolfram Hitz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Philipp Brokes (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsrat Bord – A* AG, *, vertreten durch Gerlach Rechtsanwälte (GbR) in Wien, gegen die beklagte Partei A* AG, *, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. März 2022, GZ 8 Ra 79/21b‑15, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00040.22Y.0629.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der anzuwendende Kollektivvertrag („Kollektivvertrag für das Bordpersonal“, OS‑KV Bord 2015) enthält folgende Bestimmung:

„39 VERSETZUNG

Eine örtliche Versetzung, die den Zeitraum von 13 Wochen übersteigt, kann nur im Einvernehmen mit dem Dienstnehmer durchgeführt werden und ist vertraglich zu regeln. Der Betriebsrat ist beratend beizuziehen. Ist mit der Versetzung eine Verschlechterung der Entgelt‑ oder sonstigen Arbeitsbedingungen verbunden, so bedarf sie zu ihrer Rechtswirksamkeit der Zustimmung des Betriebsrates.“

 

[2] Der klagende Betriebsrat begehrte nach § 54 Abs 1 ASGG festzustellen, „dass die von der klagenden Partei vertretenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ihr Dienstverhältnis zur beklagten Partei vor dem 1. 5. 2018 begründet haben und deren Dienstort außerhalb Wiens liegt, nicht verpflichtet sind, der Anordnung der beklagten Partei Folge zu leisten, mit 1. 6. 2021 ihren Dienstort nach Wien zu verlegen, soweit diese Versetzung nicht mit ihrem Einvernehmen erfolgt.

[3] Die Vorinstanzen gaben der Klage statt.

Die beklagte Fluggesellschaft zeigt in ihrer Revision keine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität auf.

Rechtliche Beurteilung

[4] 1. Das Landesgericht Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht erteilte mit Urteil vom 13. 10. 2020 gemäß § 101 ArbVG die Zustimmung zur Versetzung von 185 namentlich angeführten Arbeitnehmern der Beklagten nach Wien. Das Urteil wurde vom Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen mit Urteil vom 29. 11. 2021 bestätigt. Die gegen diese Entscheidung vom (dort) beklagten Betriebsrat erhobene außerordentliche Revision wurde vom Obersten Gerichtshof mit Beschluss vom 24. 3. 2022, 9 ObA 10/22v, mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

[5] Bei einer vertragsändernden Versetzung eines Arbeitnehmers kann die fehlende Zustimmung des Arbeitnehmers durch eine Zustimmung des Betriebsrats iSd § 101 ArbVG nicht ersetzt werden (RIS‑Justiz RS0051120; iglS Reissner in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 [2018] § 101 ArbVG Rz 8). Der Ausgang des Verfahrens nach § 101 ArbVG ist folglich für den Ausgang des vorliegenden – über die Frage, ob eine Zustimmung des einzelnen Arbeitnehmers zu seiner Versetzung notwendig ist, geführten – Verfahrens insoweit ohne Bedeutung.

[6] 2. Es entspricht ganz herrschender Judikatur, dass trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dann keine erhebliche Rechtsfrage vorliegt, wenn das Gesetz selbst eine klare, also eindeutige, Regelung trifft (RS0042656). Dies gilt gleichermaßen für Kollektivverträge (RS0042656 [T15]).

[7] Pkt 39 des KV verlangt für eine örtliche Versetzung nicht nur, dass sie „vertraglich zu regeln [ist]“, sondern auch, dass sie „im Einvernehmen mit dem Dienstnehmer durchgeführt [wird]“. Damit erhält sogar ein Dienstnehmer, der vorab in seinem Arbeitsvertrag einen Versetzungsvorbehalt des Arbeitgebers akzeptiert hat (zu den Grenzen eines solchen Reissner in Reissner/Neumayr, ZellHB AV-Klauseln2 [2019] Rz 15.36), im Ergebnis ein Vetorecht. Schon deshalb besitzt Pkt 39 des KV entgegen der Ansicht der Beklagten in der außerordentlichen Revision einen eigenen Regelungsinhalt. Er sichert vor allem die Rechtsposition solcher Arbeitnehmer ab, die aufgrund des Inhalts ihres Einzelvertrags eine (den Zeitraum von 13 Wochen übersteigende) Versetzung sonst nicht beeinspruchen könnten.

[8] Weil Pkt 39 des KV nach seinem eindeutigen Wortlaut ohne Unterschied zum Tragen kommt, ob einzelvertraglich ein Versetzungsvorbehalt vereinbart wurde, erweist sich die darauf abzielende, in der außerordentlichen Revision zur Zulassungsbegründung aufgeworfene Frage als nicht erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO.

[9] 3. Fragen der Auslegung der Regelungen der Pkte 68.2 und 80.2 des Kollektivvertrags, womit bei „objektiv betriebsbedingte[r] Kündigung“ die Einhaltung einer bestimmten „Kündigungsreihenfolge“ vorgeschrieben wird, sind hier nicht zu klären. Dies und die Stellung der betroffenen Arbeitnehmer in diesem System waren auch gar nicht Gegenstand des erstgerichtlichen Vorbringens und der Feststellungen.

[10] 4. Nach § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG können durch Kollektivverträge „die gegenseitigen aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer“ geregelt werden.

[11] Der Arbeitnehmer hat die Arbeiten an jenem oder jenen Ort(en) zu leisten, für den oder die er sich verpflichtet hat (9 ObA 51/99m mwN; Mathy/Naderhirn in Kozak, ABGB und Arbeitsrecht [2019] § 1153 Rz 15; Gruber-Risak/Pfeil in Schwimann/Kodek, ABGB5 VII [2021] § 1153 Rz 32). Die Frage des Arbeitsorts betrifft unmittelbar die „gegenseitigen aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer“ (§ 2 Abs 2 Z 2 ArbVG) und ist damit grundsätzlich ein tauglicher Regelungsgegenstand eines Kollektivvertrags. Richtig ist zwar, worauf die Beklagte abstellt, dass § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG von der Rechtsprechung einschränkend dahin ausgelegt wird, dass nur der typische, wesentliche oder regelmäßig wiederkehrende Inhalt eines Arbeitsverhältnisses einer kollektivvertraglichen Regelung unterworfen werden kann (RS0050949). Die Regelung des Arbeitsorts wird jedoch vom Gesetzgeber selbst als typischer Inhalt eines Arbeitsvertrags betrachtet, ordnet doch die mit „Schriftliche Aufzeichnung des Inhalts des Arbeitsvertrages“ überschriebene Vorschrift des § 2 AVRAG in ihrem Abs 2 Z 6 an, dass der Dienstzettel den „gewöhnlichen Arbeitsort“ anzuführen hat (vgl Rebhahn/Ettmayer in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.05 [2017] § 1153 Rz 17).

[12] Verlegt der Dienstgeber den Betrieb, kann den Dienstnehmer im Einzelfall eine sogenannte Folgepflicht treffen (vgl 9 ObA 121/97b; 9 ObA 51/99m; 9 ObA 48/00z; aus der Lit zB Rebhahn/Ettmayer in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.05 [2017] § 1153 Rz 20; Gruber-Risak/Pfeil in Schwimann/Kodek, ABGB5 VII [2021] § 1153 Rz 33). Da die Frage des Bestehens einer „Folgepflicht“ selbst nichts anderes als jene ist, ob sich der Dienstort des Dienstnehmers unter Umständen auch ohne dessen Einverständnis ändern kann, ist die Frage der Folgepflicht genauso wie jene des ursprünglichen Dienstorts ein Regelungsgegenstand iSd § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG. Weil Pkt 39 des anzuwendenden KV nur die Frage regelt, unter welchen Voraussetzungen den Dienstnehmer eine Folgepflicht trifft, ist entgegen der Ansicht in der außerordentlichen Revision Pkt 39 des KV ein typischer Inhalt eines Arbeitsverhältnisses im Sinne der dargestellten Rechtsprechung zu § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG.

[13] Mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.

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