European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00215.21K.0623.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
[1] Die Antragstellerin ist Alleineigentümerin einer Liegenschaft, die nach dem Grundbuchstand mit einem Vorkaufsrecht für die R* R* regGenmbH (FN 6*) belastet ist.
[2] Die R* R* regGenmbH wurde als übertragende Genossenschaft unter gleichzeitiger Namensänderung der übernehmenden Genossenschaft mit der R* M* eGen (FN 5*) als übernehmende Genossenschaft durch Aufnahme gemäß § 1 Abs 1 Z 1 Genossenschaftsverschmelzungsgesetz (GenVG) verschmolzen.
[3] Die Antragstellerin begehrte die Löschung des Vorkaufsrechts. Die laut Grundbuchsstand Vorkaufsberechtigte sei im Weg der Gesamtrechtsnachfolge in die R* M* eGen eingebracht und im Firmenbuch gelöscht worden. Deren Vorkaufsrecht könne daher gemäß § 136 GBG gelöscht werden.
[4] Das Erstgericht bewilligte die Löschung des Vorkaufsrechts.
[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der R* M* eGen – soweit für das Revisionsrekursverfahren von Relevanz – Folge und wies den Antrag der Antragstellerin ab.
[6] Die Verschmelzung durch Aufnahme gemäß § 1 Abs 1 Z 1 iVm § 2 ff GenVG führe nach § 5 GenVG dazu, dass das Vermögen der übertragenden Genossenschaft einschließlich ihrer Schulden auf die übernehmende Genossenschaft übergehe. Die übertragende Genossenschaft erlösche bei diesem Vorgang. Es trete Gesamtrechtsnachfolge ein; diese Wirkung entstehe ipso iure und gesamthaft für alle Rechtsverhältnisse. Es sei somit Gesamtrechtsnachfolge der übernehmenden gegenüber der übertragenden Genossenschaft eingetreten. Nach der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehe das Vorkaufsrecht bei einem derartigen Verschmelzungsvorgang (auch dann) fort, wenn das Vorkaufsrecht (nicht der aufnehmenden, sondern) der übertragenden Gesellschaft zukam. Bei einer Verschmelzung von Kapitalgesellschaften erlöschen der übertragenden Gesellschaft zustehende Gestaltungsrechte in Gestalt von Wiederkaufs- oder Vorkaufsrechten an Liegenschaften nicht, sondern gingen aufgrund der mit solchen gesellschaftsrechtlichen Vorgängen verbundenen Gesamtrechtsnachfolge auf die übernehmende Gesellschaft über.
[7] Dieser Grundsatz gelte bei Verschmelzungsvorgängen allgemein, somit auch bei der Verschmelzung zweier Genossenschaften im Sinn des GenVG. Bei einer Verschmelzung zweier Genossenschaften gehe das der übertragenden Genossenschaft zustehende Vorkaufsrecht demnach nicht unter, sondern im Rahmen der hierbei eintretenden Gesamtrechtsnachfolge auf die übernehmende Gesellschaft über. Ein Grund, das Vorkaufsrecht wegen des Untergangs der übertragenden Gesellschaft gemäß § 136 GBG zu löschen, bestehe somit nicht.
[8] Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie beantragt, den angefochtenen Beschluss abzuändern und (der Sache nach) den Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen.
Rechtliche Beurteilung
[9] Der Revisionsrekurs der Antragstellerin ist zur Klarstellung zulässig, aber nicht berechtigt.
[10] 1. Das Vorkaufsrecht kann nach der zwingenden Bestimmung des § 1074 ABGB weder einem Dritten abgetreten, noch auf die Erben des Berechtigten übertragen werden. Die Unvererblichkeit soll der im Vorkaufsrecht enthaltenen Beschränkung des freien Verkehrs eine zeitliche Grenze setzen. Ein Vorkaufsrecht kann auch einer juristischen Person eingeräumt werden. Es erlischt dann mit deren Untergang (5 Ob 74/20y).
[11] Die Bestimmung des § 1074 ABGB entspricht inhaltlich der insoweit ebenfalls zwingenden Bestimmung des § 1070 ABGB (5 Ob 136/19i). Danach kann (auch) das Wiederkaufsrecht vom Berechtigten weder auf die Erben noch auf einen anderen übertragen werden.
[12] 2. Nach der schon vom Rekursgericht zitiertenjüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gehen bei einer gesellschaftsrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge die der übertragenden Gesellschaft eingeräumten Wiederkaufs- und Vorkaufsrechte aufgrund der mit solchen gesellschaftsrechtlichen Vorgängen verbundenen Gesamtrechtsnachfolge auf die übernehmende Gesellschaft über; explizit ausgesprochen wurde dies für den Fall der Verschmelzung nach § 96 GmbHG, §§ 220 ff AktG (5 Ob 136/19i [Wiederkaufsrecht]), der Verschmelzung im Zug der Errichtung einer SE (1 Ob 173/19a [Wiederkaufsrecht]) und der Vermögensübernahme nach § 142 UGB (5 Ob 74/20y). Die zu 5 Ob 106/95 vertretene gegenteilige Rechtsansicht, die Verschmelzung führe zum Erlöschen der im Grundbuch zugunsten der übertragenden Gesellschaft eingetragenen höchstpersönlichen Gestaltungsrechte, wurde ausdrücklich nicht aufrecht erhalten.
[13] Diese Judikaturwende wurde in der Literatur überwiegend positiv aufgenommen (Anmerkungen zu 5 Ob 136/19i: Peissl, ecolex 2020/229; Bittner, NZ 2020/56; zu 1 Ob 173/19a: Foglar-Deinhardstein, ecolex 2020/183 und zu 5 Ob 74/20y: Richter, immolex 2021/53; Horn/Berger, ecolex 2020/412;Nicolussi, Wiederkaufsrecht und Gesamtrechtsnachfolge, GesRZ 2020, 132; diese jüngere Rechtsprechung ablehnend dagegenCsoklich, Gesellschaftsrechtliche Gesamtrechtsnachfolge bei Vor- und Wiederkaufsrecht, JBl 2020, 678).
[14] 3.1. Die Entscheidung 5 Ob 136/19i betraf ein Wiederkaufsrecht im Fall der Verschmelzung nach §§ 220 bis 233 AktG iVm § 96 GmbHG. Der 5. Senat begründete die Änderung seiner Rechtsprechung mit der Besonderheit der Verschmelzung, die darin liegt, dass sie die Beendigung der juristischen Person ohne das Erfordernis eines Liquidationsverfahrens herbeiführt. Die übernehmende Gesellschaft tritt in jeder rechtlichen Hinsicht an die Stelle der übertragenden Gesellschaft. Sämtliche Rechte und Pflichten, Forderungen und Schulden gehen (auch in Durchbrechung des bücherlichen Eintragungsgrundsatzes) als Folge der liquidationslosen Beendigung der übertragenden Gesellschaft über, unabhängig davon, ob sie bekannt sind oder nicht. Die einzelnen verschmolzenen selbständigen Gesellschaften werden zu einer einzigen Rechtsperson. Im Fall der Verschmelzung als einer besonderen gesellschaftsrechtlichen Form der Gesamtrechtsnachfolge ist die übertragende Gesellschaft, wenn sie auch als selbständige juristische Person nicht mehr existiert, in der anderen juristischen Person enthalten; alle Rechte der dann vereinigten juristischen Personen sollen dabei erhalten bleiben. Die übertragende Gesellschaft wirkt damit wirtschaftlich auch nach Verschmelzung als Einheit mit der übernehmenden Gesellschaft fort. Das ist Folge des Umstands, dass gerade keine Abwicklung der übertragenden Gesellschaft stattfindet, sodass ihr Erlöschen aufgrund dieses gesellschaftsrechtlichen Vorgangs auch nicht ihrem (endgültigen) Untergang, in dem Sinn, dass sie mit ihren Rechten und Pflichten aufgehört hätte zu existieren, gleich gehalten werden kann.
[15] Da die Übertragung der Rechte und des Vermögens einer juristischen Person auf die übernehmende Gesellschaft im Weg der Verschmelzung nicht deren (endgültigen) Untergang gleichzusetzen ist und bei dieser gesellschaftsrechtlichen Maßnahme die Gesamtheit der Rechte erhalten bleiben soll, geht auch ein zugunsten der übertragenden Gesellschaft bestehendes Wiederkaufsrecht nicht unter. Mit der Verschmelzung findet keine Übertragung dieses Rechts an einen von der berechtigten Gesellschaft verschiedenen Dritten iSd § 1070 ABGB statt; das Vermögen der übertragenden Gesellschaft geht vielmehr in der übernehmenden Gesellschaft auf, sodass ein solches Gestaltungsrecht zugunsten der dann vereinten Gesellschaft fortwirkt. Diese Form der Gesamtrechtsnachfolge kann auch nicht den Rechtsfolgen des Todes einer natürlichen Person gleich gehalten werden. Der vom historischen Gesetzgeber verfolgte Zweck des § 1070 ABGB, die übermäßig lange Beschränkung des freien Rechtsverkehrs von Liegenschaften zu unterbinden, stößt bereits mit der Einräumung dieses Rechts einer juristischen Person an seine Grenzen, weil eine solche nicht zwingend ein natürliches Ende hat, sondern es im Allgemeinen der Willkür der darüber zur Entscheidung berufenen Personen überlassen ist, ein solches herbeizuführen. Das Fehlen einer zeitlichen Bindung, wie es das Lebensende einer natürlichen Person mit sich bringt, ist damit in der Natur der Sache gelegen und kann diesem Ergebnis nicht erfolgreich entgegengehalten werden.
[16] 3.2. Diesen Erwägungen schloss sich der 1. Senat zu 1 Ob 173/19a, in einem Fall der Verschmelzung von Gesellschaften durch Neugründung einer Europäischen Gesellschaft [SE] und bezogen auf ein Wiederkaufsrecht, ausdrücklich an. Bei einer Verschmelzung vollzieht sich – ob nach der SE‑VO oder nach innerstaatlichem Recht – im Kern der gleiche Vorgang. Wie gemäß § 225a Abs 3 Z 1, § 233 AktG kommt es nach Art 29 Abs 1 und 2 SE‑VO („ipso jure“) zur Gesamtrechtsnachfolge der neu gegründeten bzw übernehmenden (Europäischen) Gesellschaft und dem Erlöschen der übertragenden bzw sich verschmelzenden Gesellschaften. Bei einer Verschmelzung findet damit keine Übertragung „auf einen anderen“ iSd § 1070 ABGB statt.
[17] 3.3. Zu 5 Ob 74/20y wandte der 5. Senat diese zur Verschmelzung von Kapitalgesellschaften entwickelten Grundsätze (RS0132979) auf eine Kommanditgesellschaft und eine Vermögensübernahme nach § 142 UGB an. Er sprach aus, dass ein Vorkaufsrecht der Kommanditgesellschaft durch Übergang des Gesellschaftsvermögens auf den verbleibenden Gesellschafter nach § 142 UGB nicht unter, sondern im Weg der Gesamtrechtsnachfolge auf diesen übergeht (RS0133206).
[18] Nach § 142 Abs 1 Satz 1 UGB erlöschen eine OG und eine KG, wenn nur noch ein Gesellschafter verbleibt. Das Gesellschaftsvermögen geht im Weg der Gesamtrechtsnachfolge auf diesen über (§ 142 Abs 1 Satz 2 UGB). Die Übertragung aller Kommanditanteile auf eine Komplementär-GmbH mit dem Ergebnis einer Umgründung der GmbH & Co KG in eine GmbH unterliegt § 142 Abs 1 UGB. Es kommt daher – auch hier – ohne Liquidation zum Übergang des gesamten Gesellschaftsvermögens im Weg der Gesamtrechtsnachfolge.
[19] 4.1. Der Revisionsrekurswerber gesteht zu, dass auch die hier zu beurteilende im Firmenbuch eingetragene Verschmelzung der Genossenschaften eine Gesamtrechtsnachfolge durch die übernehmende Genossenschaft bewirkte. Er sieht das Vorkaufsrecht aber deshalb nicht von dieser Gesamtrechtsnachfolge erfasst, weil nicht jede gesellschaftsrechtliche Gesamtrechtsnachfolge die Übertragung auch aller höchstpersönlichen Rechte gestatte. Vielmehr müsse danach differenziert werden, ob es sich bei der aufnehmenden Gesellschaft nicht doch um einen Dritten (hier iSd § 1074 ABGB) handle. Die Bestimmungen der §§ 9f GenVG wiesen darauf hin, dass diesbei der Verschmelzung zweier Genossenschaften der Fall sei.
[20] 4.2. Genossenschaften sind Personenvereinigungen mit Rechtspersönlichkeit von nicht geschlossener Mitgliederzahl, die im Wesentlichen der Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder dienen, wie für Kredit-, Einkaufs-, Verkaufs-, Konsum-, Verwertungs-, Nutzungs-, Bau-, Wohnungs- und Siedlungsgenossenschaften (§ 1 Abs 1 GenG). Die körperliche Struktur verbindet die Genossenschaft dabei mit den Kapitalgesellschaften. In ihrer rechtlichen Ausgestaltung bestehen zwischen Kapitalgesellschaften und Genossenschaften freilich erhebliche Unterschiede (vgl etwa Dellinger in Dellinger, Genossenschaftsgesetz samt Nebengesetzen2 [2014] § 1 GenG Rz 4 f, Rz 10 mwN). Im hier interessierendenZusammenhang zeigen diese Unterschiede aber keine entscheidenden Auswirkungen.
[21] Gemäß § 5 GenVG bewirkt die Eintragung der Verschmelzung durch Aufnahme in das Genossenschaftsregister des Sitzes der übertragenden Genossenschaft den Übergang des Vermögens dieser Genossenschaft auf die übernehmende Genossenschaft und das Erlöschen der übertragenden Genossenschaft. Die Verschmelzung ist damit ein Fall der Rechtsnachfolge durch Universalsukzession (RS0035032).
[22] Der die jüngere Rechtsprechung zum Schicksal der Wiederkaufs- und Vorkaufsrechte im Fall der Verschmelzung tragende Grund, dass bei dieser Form der Gesamtrechtsnachfolge eine Liquidation unterbleibt und die übertragende Genossenschaft in der übernehmenden Genossenschaft aufgeht, gilt demnach auch für die Verschmelzung durch Übertragung des Vermögens einer (übertragenden) Genossenschaft als Ganzes auf eine andere (übernehmende) Genossenschaft (Verschmelzung durch Aufnahme gemäß § 1 Abs 1 Z 1 GenVG). Angesichts dieser wesentlichen Gemeinsamkeit ist eine Differenzierung zwischen der Verschmelzung von Genossenschaften und den von der zitierten jüngeren Rechtsprechung beurteilten Fällen der Gesamtrechtsnachfolge nicht angezeigt. Auch in diesem Fall kann von keinem (endgültigen) Untergang der übertragenden Genossenschaft gesprochen werden, der im Zusammenhang mit den §§ 1070, 1074 ABGB dem Tod einer natürlichen Person gleichzusetzen wäre.
[23] 4.3. Es ist zwar richtig, dass ein Genossenschafter die durch die Verschmelzung erworbene Mitgliedschaft unter den Voraussetzungen des § 9 GenVG durch schriftliche Erklärung gegenüber der übernehmenden Genossenschaft kündigen kann und ein Mitglied der übertragenden Genossenschaft, das vom außerordentlichen Kündigungsrecht gemäß § 9 GenVG Gebrauch macht, nach § 10 Abs 1 GenVG die Mitgliedschaft der übernehmenden Genossenschaft nicht erwirbt (dazu etwa Weiß in Dellinger, Genossenschaftsgesetz samt Nebengesetzen2 [2014] § 10 GenVG Rz 2 f). Diese Ausprägung der stärker personalistischen Ausgestaltung einer Genossenschaft ändert aber nichts daran, dass das gesamte Vermögen und damit sämtliche Rechte der übertragenden Genossenschaft – ohne Liquidation – auf die übernehmende Genossenschaftübergehen und die übertragende Genossenschaft dadurch in der übernehmenden Genossenschaft aufgeht und fortwirkt.
[24] Außerdem sieht auch das Aktiengesetz eine ähnliche Regelung vor: Nach § 225a Abs 3 Z 3 AktG werden die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft, soweit sich aus § 224 AktG nichts anderes ergibt. Nach § 224 Abs 2 Z 2 AktG können Aktionäre aber auf die Gewährung von Aktien verzichten. Gemäß § 96 Abs 2 GmbH ist die Bestimmung des § 224 AktG sinngemäß auch auf die Verschmelzung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung anzuwenden.
[25] Dass es im Hinblick auf die Zuordnung der Rechte zu einer juristischen Person als eigener Rechtspersönlichkeit auch bei der Übertragung und Fortwirkung dieser Rechte nicht auf die Identität und jeweilige Rechtsstellung der an den juristischen Personen beteiligten Personen ankommt, zeigt letztlich auchdie Gleichbehandlung der „Verschmelzung“ von Personengesellschaften nach § 142 UGB (5 Ob 74/20y). Bei Personengesellschaften steht das personale Substrat ja viel mehr im Vordergrund als bei den Kapitalgesellschaften und auch als bei den Genossenschaften.
[26] 5. Als Ergebnis ist daher festzuhalten: Bei der Verschmelzung durch Aufnahme gemäß § 1 Abs 1 Z 1 GenVG geht ein der übertragenden Genossenschaft eingeräumtes Vorkaufsrecht im Weg der Gesamtrechtsnachfolge auf die übernehmende Genossenschaft über.
[27] Der Revisionsrekurs bleibt daher ohne Erfolg.
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