OGH 15Os12/22m

OGH15Os12/22m27.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. April 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des OKontr. Bodinger als Schriftführer in der Strafsache gegen * W* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2013/116 und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 20. Juli 2021, GZ 22 Hv 28/21i‑21, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0150OS00012.22M.0427.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * W* des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2013/116 (I./) und der Vergehen der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlungen nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in der Nacht vom 5. auf 6. Oktober 2018 in A* * K*

I./ mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er sie an den Oberschenkeln ergriff, aufhob und auf einen Tisch setzte, sie am Oberarm und teilweise auch am Handgelenk packte und festhielt, ihre Beine auseinander drückte und sich dazwischen stellte, ihr die Hose öffnete und mit der Hand unter ihre Hose und Unterhose fuhr, sie im Genitalbereich streichelte und einen Finger in ihre Vagina einführte;

II./ durch eine geschlechtliche Handlung an ihr belästigt, und zwar

1./ vor der unter I./ genannten Handlung, indem er mit den Händen unter ihre Kleidung und direkt auf ihre Brüste (unterhalb des BH) griff;

2./ nach der unter I./ genannten Handlung auf der Heimfahrt, indem er mit der Hand oberhalb und unterhalb der Kleidung in ihrem Schritt auf und ab fuhr und sie im Scheidenbereich betastete.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf Z 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

[4] Als Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) rügt die Beschwerde zu I./, die Tatrichter hätten die Angaben der Zeugin K* in ihrer ersten Vernehmung vor der Polizei (ON 4 S 7) übergangen, wonach sie Berührungen durch den Angeklagten unterhalb der Kleidung verhindern konnte (vgl aber die Angaben in der kontradiktorischen Vernehmung ON 12 S 14, 33 f).

[5] Da für eine Tatbestandsverwirklichung des § 201 Abs 1 StGB schon das Unternehmen einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genügt (RIS‑Justiz RS0090720) und die Abgrenzung zwischen Versuch und Vollendung keine entscheidende Tatsache betrifft (RIS‑Justiz RS0122137), bezieht sich der Einwand angesichts der – auf den Schilderungen der Zeugin basierenden – erstgerichtlichen Konstatierungen, wonach der Angeklagte mehrfach versucht hat, ihr seinen Finger in die Vagina einzuführen (US 5), nicht auf einen für die Schuld- oder Subsumtionsfrage relevanten Umstand.

[6] Gleiches gilt für die Kritik zu II./2./, die darauf hinweist, die Zeugin habe in ihrer polizeilichen Vernehmung (ON 4 S 8) – anders als in der kontradiktorischen Vernehmung (ON 12 S 18 f, 34 f) – nur davon gesprochen, der Angeklagte habe sie oberhalb der Kleidung berührt. Denn das Tatbestandsmerkmal der geschlechtlichen Handlung ist schon durch das von der Zeugin geschilderte und auch so konstatierte mehrmalige Berühren oberhalb der Kleidung im Schritt und dem Auf‑ und Abfahren mit der Hand erfüllt (vgl RIS‑Justiz RS0095733 [T10], RS0095668; Philipp in WK2 StGB § 202 Rz 13).

[7] Die (der Sache nach damit bekämpfte) Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit der Zeugin ist der Anfechtung mit Mängelrüge entzogen (RIS‑Justiz RS0106588). Auch mit der Berufung auf den Zweifelsgrundsatz wird keiner der von Z 5 bezeichneten Fehler geltend gemacht (RIS‑Justiz RS0117445).

[8] Die Konstatierungen, wonach die Berührungen des Angeklagten (zu II./1./ und 2./) gegen den Willen der * K* erfolgten (US 4 und 6), wurden – entgegen der weiteren Kritik (Z 5 vierter Fall) – nicht unzureichend begründet. Denn die Tatrichter stützten ihre Feststellungen nicht nur auf den „beträchtlichen Altersunterschied“ zwischen Angeklagtem und Opfer, sondern auch auf die Angaben der Zeugin, dass sie ihren gegenteiligen Willen deutlich zum Ausdruck gebracht habe, sowie auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten geführten Chat-Konversation (US 9 ff).

[9] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a, ebenso Z 10) bekämpft die Schuldsprüche zu II./1./ und 2./ mit dem Vorbringen, zufolge „nahen zeitlichen Zusammenhangs“ bei „einheitlichem Tätervorsatz“ habe es sich insgesamt um „eine einheitliche Tathandlung“ gehandelt; die inkriminierten geschlechtlichen Handlungen würden daher durch den Schuldspruch nach § 201 Abs 1 StGB konsumiert (RIS‑Justiz RS0094869).

[10] Dabei geht sie aber nicht von den Feststellungen des Erstgerichts aus, wonach sich das Tatgeschehen über mehrere Stunden (von 19:00 Uhr bis 03:00 Uhr) erstreckte und sich in mehreren „Anläufen“ vollzog. Der erste Übergriff (II./1./) erfolgte „bald“ nach Arbeitsbeginn (US 4), danach schlossen beide die Reparatur eines Fahrzeugs ab, bevor der Angeklagte um „etwa 23:00 Uhr“, als sich K* die Hände waschen wollte, die ihm zu I./ zur Last gelegte Handlung setzte (US 4 f). Das weitere Geschehen (II./2./) fand schließlich erst nach 02:00 Uhr bei einer Autofahrt statt. Wieso man bei dieser Sachverhaltsbasis von einem „nahen zeitlichen Zusammenhang“ ausgehen sollte, vermag die Rüge nicht darzulegen (vgl zB 14 Os 81/21z: unmittelbar aufeinanderfolgende Handlungen).

[11] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sogleich zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO, woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen ergibt (§ 285i StPO).

[12] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte