OGH 2Ob158/21f

OGH2Ob158/21f26.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie den Senatspräsidenten Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am * 2019 verstorbenen H*, zuletzt wohnhaft in *, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Witwe M*, vertreten durch Dr. Borns Rechtsanwalts GmbH & Co KG in Gänserndorf, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 18. Juni 2021, GZ 43 R 229/21a‑215, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom 1. April 2021, GZ 31 A 11/21s‑147, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00158.21F.0426.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgericht wiederhergestellt wird.

 

Begründung:

[1] Nach dem am * 2019 Verstorbenen sind dessen erwachsener Sohn, die Witwe und die beiden aus dieser Ehe stammenden minderjährigen Kinder aufgrund des Gesetzes zu Erben berufen. Die Witwe hat aufgrund des Gesetzes im eigenen Namen zu einem Drittel des Nachlasses und namens der minderjährigen Kinder jeweils zu 2/9 des Nachlasses bedingte Erbantrittserklärungen abgegeben.

[2] Der Verstorbene war Gesellschafter (90 %) einer GmbH und weiters zu je 1 % an zwei KG, jeweils als Komplementär, beteiligt. Der erwachsene Sohn war und ist mit 10 % an der GmbH beteiligt.

[3] Mit Kodizill vom 16. 2. 2015 vermachte der Verstorbene jeweils als Vermächtnis seinen minderjährigen Kindern Geschäftsanteile von jeweils einAchtel Anteil an der GmbH und seine restlichen Anteile an der GmbH sowie seine Gesellschaftsanteile an den KG seinem erwachsenen Sohn.

[4] Die Witwe erklärte mit notariell beglaubigter Verzichtserklärung vom 15. 3. 2019 auf allfällige Pflichtteilsergänzungsansprüche in Bezug auf die Geschäfts- und Gesellschaftsanteile des Erblassers zu verzichten, im Gegenzug verzichtete der erwachsene Sohn auf das im Nachlass befindliche Privatvermögen des Erblassers. Er gab aufgrund des Kodizills „zu 65 % in Ansehung des gesamten Stammkapitals der Gesellschaft sowie aufgrund des Gesetzes zum restlichen Nachlasses“ eine bedingte Erbantrittserklärung ab.

[5] Im Herbst 2018 wurden unter Führung des Erblassers, der bis zu seinem Tod eingebunden war, und des erwachsenen Sohns Gespräche über die Finanzierung und Förderung einer neuen Produktionshalle – unter anderem mit der Austria Wirtschaftsservice Gesellschaft mbH („AWS“) und diversen Banken – geführt und ein Vertrag mit einem Auftragsvolumen von netto 9,95 Mio EUR abgeschlossen. Die Gesamtkosten für das Projekt belaufen sich auf 19,27 Mio EUR. Sowohl die Kreditnehmer (diedrei Gesellschaften), als auch deren Gesellschafter sind gemäß den ERP‑Kreditbestimmungen verpflichtet, während der Laufzeit der erteilten AWS‑Garantieerklärung bis 2032 Gewinnausschüttungen außerhalb der Schuldnergemeinschaft nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung der AWS vorzunehmen. Die Garantieerklärung enthält auch die Verpflichtung für die kreditgebende Bank, die Kreditnehmer und die Gesellschafter in diesem Sinn zu verpflichten. Entsprechend ist die Bank berechtigt, im Fall der Nichterfüllung der Bestimmungen und Auflagen der AWS, den gesamten aushaftenden Kreditbetrag sofort fällig zu stellen. Eine vergleichbare Verpflichtung besteht auch laut einem mit der NÖBEG abgeschlossenen Beteiligungsvertrag.

[6] Im Gesellschaftsvertrag der GmbH sind keine Regelungen zur Gewinnverwendung enthalten. In der Generalversammlung vom 26. 11. 2020 wurde einstimmig der – aufschiebend bedingte – Beschluss gefasst, den Gesellschaftsvertrag in Punkt X.a) durch folgende Regelung zu ergänzen/zu ändern:

[7] „1) Die Entscheidung über die Verwendung des Bilanzgewinnes ist der Generalversammlung vorbehalten. Die Generalversammlung entscheidet mit einfacher Mehrheit jährlich über die Verwendung des Bilanzgewinns. Eine Thesaurierung ganz oder teilweise ist zulässig. Erfolgt keine Beschlussfassung, wird das Jahresergebnis auf neue Rechnung vorgetragen.

[8] (2) Grundsätzlich ist der Bilanzgewinn im Verhältnis der übernommenen Stammeinlagen an die Gesellschafter auszuschütten. Durch einstimmigen Beschluss sämtlicher Gesellschafter kann auch eine vom Verhältnis der Stammeinlagen abweichende Gewinnausschüttung an die Gesellschafter vorgenommen werden. Ein solcher Beschluss gilt nur für das beschlussgegenständliche Geschäftsjahr, es können von den Gesellschaftern daraus keine Ansprüche über Folgegeschäftsjahre abgeleitet werden.

[9] (3) Sofern die Generalversammlung nichts anderes beschließt, sind zur Ausschüttung gelangende Gewinnanteile 30 Tage nach Beschlussfassung über die Gewinnverteilung zur Zahlung an die Gesellschafter fällig.“

[10] Der Antragsteller wurde zum Verlassenschaftskurator gemäß § 173 Abs 1 AußStrG bestellt. Sein Wirkungskreis umfasst die Wahrnehmung der Gesellschafterrechte des Erblassers, insbesondere die Geltendmachung einer verbotenen Einlagenrückgewähr sowie die Vertretung der Verlassenschaft in der Generalversammlung einer GmbH. Er beantragte, den in der Generalversammlung der GmbH gefassten Beschluss zu genehmigen.

[11] Die Witwe sprach sich gegen die Genehmigung aus, weil es den Interessen der Verlassenschaft und damit auch jenen der Witwe und der minderjährigen Kinder entspreche, die gesellschaftsvertragliche Regelung und die Vollausschüttung des Bilanzgewinns beizubehalten und nicht dahin zu ändern, dass eine allfällige Ausschüttung letztlich ausschließlich vom Willen des Mehrheitsgesellschafters abhängig wäre.

[12] Das Erstgericht wies den Antrag ab. Der nur zeitlich begrenzt mit der Verwaltung des zum Nachlass gehörenden Gesellschaftsanteils betraute Kurator sei nur dazu berufen, die während der Zeit seiner Vertretungsbefugnis notwendigen Vertretungshandlungen zu setzen. Die Ergänzung/Änderung des Gesellschaftsvertrags sei nicht erforderlich, um befürchtete Nachteile von der Gesellschaft bzw von dem den Nachlassbestandteil bildenden Gesellschaftsanteil abzuwenden. Dass es allenfalls wirtschaftlich sinnvoll sei, aufgrund der Investitionen in die neue Produktionsstätte in den ersten Jahren keine Gewinnausschüttungen vorzunehmen, möge richtig sein, dazu stehe es den künftigen Gesellschaftern aber frei, nach erfolgter Einantwortung entsprechende Regelungen zu beschließen.

[13] Das Rekursgericht genehmigte dagegen über Rekurs des Verlassenschaftskurators, dessen Ziel der erwachsene Sohn unterstützte, die Änderung des Gesellschaftsvertrags. § 82 Abs 5 GmbHG sehe eine wesentliche Einschränkung des Vollausschüttungsgebots vor, um Gläubiger zu schützen. Die GmbH sei hier im Begriff, ein Großbauprojekt zu realisieren, das zu rund 72 % fremdfinanziert und noch zu Lebzeiten des Erblassers begonnen worden sei. Die Thesaurierung von Gewinnen sei im Hinblick auf die laufenden Investitionen wirtschaftlich sinnvoll, sodass die Vorgangsweise des Verlassenschaftskurators für die Verlassenschaft nicht offenbar nachteilig, sondern vielmehr von Vorteil und daher zu genehmigen sei.

[14] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Witwe, mit dem Abänderungsantrag, den Genehmigungsantrag abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Dem Verlassenschaftskurator stehe eine satzungsändernde Beschlussfassung nicht zu. Diese sei hier auch nicht zum Wohl der Verlassenschaft. Überdies dürften die Gesellschafter nach der Rechtsprechung die Auszahlung des Gewinns ohnehin nicht verlangen, wenn das Interesse der Gesellschaft an der Bildung von Rücklagen stark ausgeprägt sei. Damit sei die Änderung des Gesellschaftsvertrags nicht notwendig.

[15] Der Verlassenschaftskurator beantragt in der freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben. Weitere Revisionsrekursbeantwortungen wurden nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

[16] Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung abgewichen ist. Er ist deshalb auch berechtigt.

[17] 1. Der Verlassenschaftskurator ist Vermögensverwalter und Vertreter nur der Verlassenschaft, deren Interessen er zu wahren hat (RS0007737; vgl RS0117034; Spruzina in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.02 § 810 Rz 12 mwN; Schweda in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 810 Rz 26; Nemeth in Schwimann/Kodek 5 § 810 Rz 12 mwN). Er handelt aber materiell für den oder die späteren wahren Erben (RS0007737 [T2]; 2 Ob 45/15d mwN).

[18] 2. Für Vertretungshandlungen des Verlassenschaftskurators ist nicht die auf die Vertretung durch die Erben (Gesamtrechtsnachfolger) zugeschnittene Regelung des § 810 ABGB einschlägig, sondern vielmehr aufgrund der Verweisung in § 281 Abs 3 ABGB iVm § 258 Abs 4 ABGB die Regelung des § 167 Abs 3 ABGB anzuwenden (RS0129074). Danach bedürfen Vertretungshandlungen außerhalb des ordentlichen Wirtschaftsbetriebs der gerichtlichen Zustimmung.

[19] Dadurch ist der Prüfmaßstab strenger, denn Handlungen des Kurators können nur dann genehmigt werden, wenn sie im Interesse der Verlassenschaft liegen, für diese also von Vorteil sind. Hingegen genügt es nicht, wenn diese Handlungen für die Verlassenschaft nur „nicht offenbar nachteilig“ sind (RS0129074 [T1]; 2 Ob 45/15d; 2 Ob 6/21v).

[20] 3. Der Verlassenschaftskurator hat in Vertretung der Verlassenschaft die zur ordentlichen Verwaltung erforderlichen Maßnahmen und Vertretungshandlungen zu setzen. Dies umfasst grundsätzlich auch die Ausübung der Stimmrechte, die mit einem in die Verlassenschaft fallenden Geschäftsanteil verbunden sind, wobei jeweils die konkrete Maßnahme zu beurteilen ist (8 Ob 501/93; 1 Ob 245/12d mwN; Weber/Lotz, Die Ausübung von Gesellschafterrechten vom Erbfall bis zur Einantwortung, JEV 2020, 167 [174]). Ob ein Satzungsänderungsbeschluss ein außerordentliches und somit für den Verlassenschaftskurator genehmigungsbedürftiges Geschäft ist, bedarf es einer Prüfung im Einzelfall, insbesondere anhand der Risiken sowie der Dauer und des Umfangs der für die Verlassenschaft entstehenden Verpflichtungen (1 Ob 245/12d mwN).

[21] Dass die hier zu beurteilende Satzungsänderung tiefgreifende Folgen für die finanziellen Rechte der Gesellschafter und ihr Verhältnis untereinander hätte, liegt auf der Hand; die verlassenschaftsgerichtliche Genehmigungsbedürftigkeit ist daher auch nicht strittig.

[22] 4. So wie aber dem Verlassenschaftskurator allgemein nicht zu gestatten ist, das Schicksal des Nachlasses nachhaltig zu gestalten oder endgültige Weichen für die Zukunft zu stellen, weil er dem Erben nicht vorgreifen soll (2 Ob 45/15d), ist mit seiner vorübergehenden Verwaltung der Verlassenschaft auch die Fassung satzungsändernder Beschlüsse in der Regel nicht vereinbar (8 Ob 501/93). Den Erben soll die Beteiligung in jener rechtlichen Gestaltung erhalten bleiben, wie sie der Erblasser besessen hat, und es soll auch diesen zukommen, den Inhalt der Satzung zu bestimmen (8 Ob 501/93; 1 Ob 245/12d).

[23] 5. Ausnahmen sind dann möglich, wenn zum Beispiel eine solche Satzungsänderung schon zu Lebzeiten des Erblassers in die Wege geleitet worden war oder aufgrund von Anordnungen des Erblassers noch vor der Einantwortung vorgenommen werden soll oder muss, um seinem letzten Willen zu entsprechen und solcherart überhaupt erst die Voraussetzungen für die Einantwortung zu schaffen (8 Ob 501/93). Auch bei dringend erforderlichen Sanierungsmaßnahmen, bei deren Unterbleiben nachteilige Folgen (wie etwa eine Insolvenz) drohen, kann die Satzungsänderung durch Stimmrechtsausübung des Verlassenschaftskurators im Einzelfall im Interesse der Verlassenschaft bzw der Erben gelegen sein (Weber/Lotz, Die Ausübung von Gesellschafterrechten vom Erbfall bis zur Einantwortung, JEV 2020, 167 [175]). Die in Aussicht genommene Änderung des Gesellschaftsvertrags muss aber erforderlich sein, um die befürchteten Nachteile von der Gesellschaft bzw dem den Nachlassbestandteil bildenden Geschäftsanteil abzuwenden (1 Ob 245/12d).

[24] Hier sollen durch die Satzungsänderung die Voraussetzungen für die Gewinnausschüttung der Gesellschaft geändert werden.

[25] 6. Grundsätzlich haben nach § 82 Abs 1 GmbHG die Gesellschafter Anspruch auf den sich nach dem Jahresabschluss ergebenden Bilanzgewinn, soweit dieser nicht aufgrund des Gesellschaftsvertrags oder durch einen Beschluss der Gesellschafter von der Verteilung ausgeschlossen ist. In der GmbH herrscht somit prinzipiell das Vollausschüttungsgebot (Nowotny in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht, Rz 4/391). Der jeweils anfallende Bilanzgewinn ist im vollen Umfang an die Gesellschafter auszuschütten (Bauer/Zehetner in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG § 82 Rz 26).

[26] 7. Dieser Gewinnanspruch des Gesellschafters entsteht, sobald der Jahresabschluss durch Gesellschafterbeschluss festgestellt worden ist und die Ausschüttung des Gewinns entweder keiner weiteren Beschlussfassung bedarf oder die Gewinnverteilung von den Gesellschaftern beschlossen wurde (Bauer/Zehetner in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG § 82 Rz 20), hier nach der bestehenden Satzung also mit der Genehmigung des Jahresabschlusses (Bauer/Zehetner in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG § 82 Rz 21).

[27] 8. Die Verlassenschaft ist hier ohnehin zu 90 % Gesellschafterin der GmbH und könnte, solange sie noch Gesellschafterin ist, aufgrund der Satzungsänderung alleine über die Verwendung des Bilanzgewinns entscheiden. Der zu 10 % beteiligte erwachsene Sohn trat aber ohnehin dem Genehmigungsbemühungen des Verlassenschaftskurators im Rekursverfahren bei, und unterstützt die Thesaurierungsbemühungen. Die alleinige Entscheidungsbefugnis der Mehrheitsgesellschafterin begründet insofern keinen relevanten Vorteil der Verlassenschaft.

[28] 9. Praktische Relevanz könnte die vorgesehene Satzungsänderung dagegen nach Erfüllung der Vermächtnisse erlangen und dann dazu führen, dass in Zukunft mit einfacher Stimmenmehrheit – und damit möglicherweise gegen den Willen der nach dem Kodizill mit je einem Achtel Anteil bedachten minderjährigen Erben – entgegen dem derzeit gegebenen gesetzlichen Auszahlungsanspruch über die Verwendung des Bilanzgewinns entschieden werden könnte.

[29] Es gehört nicht zur Aufgabe des Verlassenschaftskurators, im Rahmen der Verwaltung eines Geschäftsanteils an solchen gesellschaftsrechtlichen Vorgängen mitzuwirken, deren Zweck notwendigerweise erst zu einem Zeitpunkt eintreten wird, zu dem die Kuratel schon beendet ist (1 Ob 245/12d; Weber/Lotz, Die Ausübung von Gesellschafterrechten vom Erbfall bis zur Einantwortung, JEV 2020, 167 [175]).

[30] 10. Es besteht daher hier kein Anlass, dem Verlassenschaftskurator zu gestatten, das Schicksal der Gesellschaftsanteile des Nachlasses nach dessen Ausscheiden nachhaltig zu gestalten und damit endgültige Weichen für die Zukunft zu stellen. Mangels klaren Vorteils sowohl für die Verlassenschaft als auchalle wahren Erben (RS0007737 [T2]) liegen die für die Genehmigung erforderlichen Voraussetzungen nicht vor, weshalb dem Revisionsrerkurs Folge zu geben und der erstinstanzliche Beschluss wiederherzustellen ist.

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