European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0100NC00008.22S.0330.000
Spruch:
Der Ordinationsantrag wird abgewiesen.
Begründung:
[1] Der Kläger strebt – gestützt auf die Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 2. 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr 295/91 (in der Folge kurz „Fluggastrechte‑Verordnung“) – die Verpflichtung des beklagten Luftfahrtunternehmens mit Sitz in der Türkei zur Zahlung von 651,13 EUR an. Die vom Kläger bei der Beklagten gebuchten Flüge von Wien über Antalya nach Izmir und von Izmir nach Wien seien aufgrund eines von der Beklagten zu verantwortenden Umstands annulliert worden.
[2] Das Bezirksgericht Schwechat erklärte sich für international unzuständig. Das Landesgericht Korneuburg als Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung.
[3] Nach Rechtskraft des Zurückweisungsbeschlusses legte das Bezirksgericht Schwechat den Akt zur Entscheidung über den vom Kläger in der Klage und im Rekurs hilfsweise gestellten Ordinationsantrag nach § 28 JN vor.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die Voraussetzungen für eine Ordination liegen nicht vor.
[5] 1. Gemäß § 28 Abs 1 Z 2 JN hat der Oberste Gerichtshof, wenn für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts im Sinne dieses Gesetzes oder einer anderen Rechtsvorschrift nicht gegeben oder nicht zu ermitteln sind, aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen, welches für die fragliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat, wenn unter anderem der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre.
[6] 2. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Ordinationsantrag unzulässig, bevor die Frage der inländischen Gerichtsbarkeit und der Zuständigkeit in einem bereits anhängigen ordentlichen Verfahren rechtskräftig entschieden wurde (RIS‑Justiz RS0046450). Anders als bei einer Ordination nach § 28 Abs 1 Z 1 JN (vgl 4 Nc 8/19t) kommt eine Ordination nach § 28 Abs 1 Z 2 JN auch dann in Betracht, wenn – wie hier – im Rahmen des Zuständigkeitsstreits die internationale Zuständigkeit Österreichs verneint wurde (§ 28 Abs 2 JN). Der Antrag ist daher zulässig.
[7] 3. In vergleichbaren Konstellationen (ebenfalls türkische Luftfahrtunternehmen betreffend) hat der Oberste Gerichtshof erst jüngst in mehreren Entscheidungen zusammengefasst ausgeführt, dass die sich aus der EU‑FluggastrechteVO ergebenden Rechte für sich allein genommen keine Grundlage dafür bieten, eine allenfalls fehlende Zuständigkeitsvorschrift nur aus dem Grund des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes generell und unabhängig vom Einzelfall zu ersetzen (7 Nc 2/22m; 7 Nc 21/21d; 5 Nc 11/21v; 10 Nc 38/19y; 10 Nc 28/19b). Der Ansicht, eine wirksame Durchsetzung der Ansprüche nach der Fluggastrechte‑Verordnung sei nur dann gewährleistet, wenn diese vor einem Gericht eines Mitgliedstaats geltend gemacht werden, ist daher nicht zu folgen (RS0117751 [T5]).
[8] 4. In Bezug auf die Türkei geht der Oberste Gerichtshof vielmehr davon aus, dass für eine Durchsetzung der Ansprüche ausreichender Rechtsschutz besteht (RS0132702 [T12]; RS0046148 [T14]).
[9] 4.1. Eine Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung in der Türkei ist nicht anzunehmen, weil die Türkei eine eigene Fluggastverordnung („SHY‑Passenger“, Regulation on Air Passenger Rights from the Directorate General of Civil Aviation) kennt, die in Art 6 iVm Art 8 bis 10 auch Regelungen für die Annullierung eines Fluges („Cancellation of flights“) enthält (vgl 7 Nc 2/22m; 5 Nc 11/21v).
[10] 4.2. Nach der Rechtsprechung kann eine Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland auch vorliegen, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt oder vollstreckt würde (RS0046644; RS0046148), dies allerdings unter der weiteren Voraussetzung, dass überhaupt eine Exekutionsführung im Inland geplant ist (RS0046148 [T17, T18]). Der Kläger stellt aber gar keine dahingehenden Behauptungen auf. Darüber hinaus besteht zwischen Österreich und der Türkei ein Abkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Vergleichen in Zivil‑ und Handelssachen (BGBl 1992/571).
[11] 4.3. Eine unterschiedliche Ausgestaltung der materiellen Rechtslage allein kann für eine Ordination nicht ausreichen. Eine günstigere oder ungünstigere materielle Rechtslage allein kann nicht die Begründung einer ansonsten nicht gegebenen inländischen Gerichtsbarkeit bewirken (RS0117751). Der Ansicht, eine wirksame Durchsetzung der Ansprüche nach der Fluggastrechte-Verordnung sei nur dann gewährleistet, wenn diese vor einem Gericht eines Mitgliedstaats geltend gemacht werden, ist daher nicht zu folgen (RS0117751 [T5]).
[12] 4.4. Auch dass ein Verfahren in der Türkei kostspieliger als im Inland wäre (zu diesem allenfalls eine Unzumutbarkeit einer ausländischen Verfahrensführung mitbegründenden Argument siehe etwa 6 Nc 1/19b, 2 Nc 12/19s), hat der Kläger nicht behauptet.
[13] 5. Insgesamt vermögen die Ausführungen des Antrags die Voraussetzungen für eine Ordination nach § 28 JN nicht darzustellen. Der Ordinationsantrag ist daher abzuweisen.
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