OGH 6Ob235/21h

OGH6Ob235/21h2.2.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bundesarbeitskammer, 1040 Wien, Prinz Eugen Straße 20–22, vertreten durch Kosesnik‑Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG in Wien, wider die beklagte Partei N*, vertreten durch Proksch & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 189,99 EUR sA, über die „außerordentliche“ Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Berufungsgericht vom 8. September 2021, GZ 13 R 4/21t‑11, womit das Urteil des Bezirksgerichts Mattersburg vom 30. Oktober 2020, GZ 2 C 532/20s‑5, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00235.21H.0202.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Ein Konsument erwarb um 189,99 EUR einen Festival-Pass inklusive Camping für das „N* Festival“, das von 10. bis 13. 6. 2020 hätte stattfinden sollen; Veranstalterin dieses Festivals war die Beklagte. Die Veranstaltung wurde aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie abgesagt; ihre Durchführung war zur angegebenen Zeit unzulässig.

[2] Von der Beklagten waren im Vorfeld des Festivals sowohl Festival-Pässe, die vier Tage Gültigkeit hatten, als auch Eintagestickets zum Verkauf angeboten worden.

[3] Der Konsument trat sämtliche Ansprüche gegen die Beklagte im Zusammenhang mit dem Kauf dieses Festival-Passes zum Zweck des Inkassos und der Klageführung an die gemäß § 29 KSchG klageberechtigte Klägerin ab.

[4] Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren auf Ausstellung und Übergabe eines Gutscheins im Sinn des § 2 KuKuSpoSiG über 70 EUR Zug um Zug gegen Ausfolgung des Festival-Passes statt und wies das Mehrbegehren auf Zahlung von 119,99 EUR sA ab. Es sprach unter Verweis auf § 500 Abs 2 Z 2, § 502 Abs 2 ZPO aus, die Revision sei jedenfalls unzulässig.

[5] Gegen den abweisenden Teil des berufungsgerichtlichen Urteils richtet sich die „außerordentliche Revision“ der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn einer gänzlichen Klagestattgebung. Das Erstgericht legte das Rechtsmittel dem Obersten Gerichtshof direkt vor.

[6] Die Revision ist nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[7] 1. Die Revision zeigt zutreffend auf, dass der Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts verfehlt ist, weil hier ein Fall des § 502 Abs 5 Z 3 ZPO vorliegt und demnach dessen Abs 2 und 3 nicht gelten. Das Berufungsgericht hätte daher nach den Kriterien des § 502 Abs 1 ZPO aussprechen müssen, ob die Revision wegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zulässig ist oder nicht.

[8] Eine Zurückstellung des Akts an das Berufungsgericht zur Nachholung dieses Ausspruchs kann aber unterbleiben, weil der Oberste Gerichtshof an diesen Ausspruch nicht gebunden wäre (RS0042438 [T11]) und die Revision ohnehin als außerordentliche Revision ausgeführt ist (RS0042424 [T2]; RS0042438 [T5]).

[9] 2. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen. Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt somit weg, wenn die bedeutsame Rechtsfrage durch eine andere Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits vorher geklärt wurde (RS0112921 [T5]).

[10] 3. Der Oberste Gerichtshof hat sich jüngst mit den auch hier maßgeblichen Rechtsfragen ausführlich befasst (12. 10. 2021, 1 Ob 131/21b; 19. 10. 2021, 10 Ob 20/21w) und ist zu folgendem Ergebnis gekommen:

[11] § 1 Abs 1 iVm Abs 4 KuKuSpoSiG ist dahin auszulegen, dass der Veranstalter nach dem COVID‑19‑bedingten Entfall einer mehrtägigen Kunst‑ bzw Kultur‑ oder Sportveranstaltung, für die auch Tagestickets gekauft werden konnten, für jeden einzelnen Veranstaltungstag einen Gutschein bis zu 70 EUR begeben kann und nur das über diesen Betrag pro Veranstaltungstag hinausgehende (anteilige) Entgelt bar zurückzuerstatten hat.

[12] 4. Mit den meisten Argumenten der Revision (in allen drei Verfahren treten bzw traten, dieselbe Klägerin und deren rechtsfreundliche Vertretung auf Klagsseite auf) hat sich der Oberste Gerichtshof bereits in den zitierten Entscheidungen auseinandergesetzt, auf die deshalb verwiesen werden kann.

[13] Hier vertritt die Klägerin darüber hinaus die Auffassung, die in 1 Ob 131/21b vorgenommene Gesetzesauslegung, die nur auf die finanziellen Interessen der Veranstaltungsunternehmen, jedoch nicht auch der Verbraucher Rücksicht nehme, sei unverständlich. Die COVID-19-Pandemie stelle nicht nur Unternehmer, sondern auch Verbraucher vor enorme wirtschaftliche Herausforderungen. Dem ist Folgendes zu entgegnen:

[14] Dass die COVID-19-Pandemie auch Verbraucher vor finanzielle Probleme stellen kann, ist unbestritten. Der Zweck des KuKuSpoSiG ist aber primär der Schutz von Veranstaltungsunternehmen vor drohender Insolvenz als Folge der Pandemie. Dass mit diesem Gesetz gerade nicht auch der Schutz der Verbraucher intendiert war, zeigt allein die Tatsache, dass das KuKuSpoSiG die Verbraucher gegenüber der sonst geltenden Rechtslage zwangsläufig schlechter stellt, können sie doch die ihnen sonst nach allgemeinem Zivilrecht zustehende Refundierung des gesamten Preises bei COVID-19-bedingtem Entfall der Veranstaltung gerade nicht verlangen.

[15] Dass – wie die Klägerin behauptet – im KuKuSpoSiG die Grenze der Zumutbarkeit der Zwangskreditierung für die Besucher ausdrücklich verankert worden wäre, trifft nicht zu.

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