OGH 1Ob131/21b

OGH1Ob131/21b12.10.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bundesarbeitskammer, *, vertreten durch die Kosesnik-Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG, Wien, gegen die beklagte Partei m* GmbH, *, vertreten durch die Proksch & Partner Rechtsanwälte OG, Wien, wegen 169,99 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgerichtvom 19. April 2021, GZ 1 R 7/21i‑13, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 28. Oktober 2020, GZ 15 C 316/20k‑7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E133201

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 501,91 EUR (darin enthalten 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin ist ein in § 29 Abs 1 KSchG genannter privilegierter Verband, dem M* (im Folgenden: Konsumentin) ihre Ansprüche gegen die Beklagte zum Inkasso abgetreten hat.

[2] Die Konsumentin kaufte von der beklagten Veranstalterin einen Festivalpass (3‑Tagesticket) für das dreitägige F*, das vom 20. 8. bis 22. 8. 2020 (in Form einer Aneinanderreihung von mehreren Konzerten auf einem Gelände) stattfinden hätte sollen. Der Preis des Tickets betrug 169,99 EUR. Die Beklagte verkaufte neben den Mehrtagestickets auch Tagestickets. Das Festival musste wegen der COVID‑19‑Pandemie abgesagt werden.

[3] Unstrittig ist, dass dieser Sachverhalt in den zeitlichen Anwendungsbereich des Bundesgesetzes zur Sicherung des Kunst‑, Kultur‑ und Sportlebens vor weiteren Auswirkungen der COVID‑19‑Pandemie (BGBl I 2020/40; kurz: KuKuSpoSiG) fällt (§ 4 Abs 2).

[4] Beide Parteien gehen davon aus, dass dieses Gesetz die Ersetzungsbefugnis des Kunst-, Kultur- oder Sportveranstalters statuiert, nach Entfall eines Kunst-, Kultur- oder Sportereignisses aufgrund der COVID‑19-Pandemie anstatt der geschuldeten Rückzahlung des Eintritts- oder Teilnahmepreises mit Befreiungswirkung einen Gutschein über den zu erstattenden Betrag zu übergeben (§ 1 Abs 4 KuKuSpoSiG).

[5] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Auslegung von § 1 Abs 1 iVm Abs 4 KuKuSpoSiG, der die Substitutionsbefugnis der Rückzahlungspflicht des Veranstalters durch die Begebung eines Gutscheins betragsmäßig (auf 70 EUR) begrenzt. Strittig ist, wie diese Regelung bei Entfall einer mehrtägigen Kunst-, Kultur- oder Sportveranstaltung zu verstehen ist.

[6] Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Erstattung von 70 EUR in Form eines Gutscheins sowie die Zahlung von 99,99 EUR sA. § 1 Abs 1 iVm Abs 4 und § 2 KuKuSpoSiG seien dahin zu interpretieren, dass bei COVID‑19-bedingtem Entfall des – ein durchgehendes Ereignis darstellenden – F*, ein (einziger) Gutschein über 70 EUR auszustellen sei. Der diesen Betrag übersteigende Teil des Entgelts sei in bar rückzuerstatten.

[7] Die Beklagte anerkannte den Anspruch auf Übergabe eines Gutscheins über 70 EUR und wendete ansonsten ein, § 1 Abs 1 iVm Abs 4 KuKuSpoSiG sei dahin auszulegen, dass bei mehrtägigen Veranstaltungen – wie dem F* – die Übergabe von gesonderten Gutscheinen für jeden einzelnen Veranstaltungstag bis zum Betrag von (maximal) 70 EUR zulässig sei. Entsprechend dieser Rechtsansicht habe sie gegenüber der Konsumentin erklärt, ihre Rückzahlungsverpflichtung durch die Übergabe dreier Gutscheine im Wert von jeweils 56,63 EUR (somit im Gesamtwert des Ticketpreises von 169,99 EUR) Zug um Zug gegen Rückgabe des Festivaltickets erfüllen zu wollen. Dies sei jedoch abgelehnt worden. Eine Rückerstattungspflicht durch Barzahlung treffe sie nicht.

[8] Das Erstgericht erkannte die Beklagte mit in Rechtskraft erwachsenem Teilanerkenntnisurteil schuldig, der Klägerin einen Gutschein über 70 EUR auszustellen und zu übergeben. Das Mehrbegehren auf Zahlung von 99,99 EUR sA wies es ab. Zur Abweisung des Klagebegehrens führte es aus, ein Musikfestival wie das F*  falle unter den Begriff eines Kunst‑ und Kulturereignisses im Sinn des KuKuSpoSiG. Fraglich sei, ob ein mehrtägiges Festival nur als ein Kunst‑ und Kulturereignis oder als mehrere anzusehen seien. § 1 Abs 3 KuKuSpoSiG setze voraus, dass durch die Zahlung eines Entgelts mehrere Kunst-, Kultur- oder Sportereignisse bezahlt werden könnten. Ob damit gemeint sei, dass mehrere Konzerttickets gemeinsam gekauft würden oder auch bei mehrtägigen Musikfestivals mehrere solche Kunst- oder Kulturereignisse vorliegen könnten, sei nicht klar. Da die „Ausdrucksweise“ zweifelhaft sei, könne auf die historische Interpretation zurückgegriffen werden. Aus dem Justizausschussbericht ergebe sich eindeutig, dass mit einem Vertrag mehrere Kunst-, Kultur- oder Sportereignisse gebucht werden könnten. Die Limitierung des Gutscheins auf 70 EUR beziehe sich nach § 1 Abs 1 und 4 KuKuSpoSiG auf das Entgelt für jedes einzelne Kunst‑, Kultur‑ oder Sportereignis und nicht etwa auf jenes für den gesamten Vertrag. Entsprechendes gelte auch bei mehrtägigen Veranstaltungen wie Musikfestivals. Da beim F* auch Tagestickets erworben werden konnten, sei die Auslegung, einen einzelnen Tag dieses Festivals als eigenes Ereignis anzusehen, vom Gesetzeswortlaut gedeckt. Die Ansicht der Klägerin, dass Besucher in der Regel auch am Festivalgelände übernachten und abseits des Festivalgeländes feiern würden und dieses damit als Gesamtereignis anzusehen sei, treffe nicht zu. Aus dem Justizausschussbericht ergebe sich der Wille des Gesetzgebers, dass bei mehrtägigen Festivals für jeden Veranstaltungstag ein gesonderter Gutschein von bis zu 70 EUR begeben werden könne. Diese Auslegung entspreche auch dem Ziel des KuKuSpoSiG, den wirtschaftlichen Bestand der Veranstalter zu sichern und Insolvenzfällen entgegenzuwirken.

[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und billigte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts. Rechtlich führte es ergänzend aus, aus dem Wortlaut von § 1 Abs 1 KuKuSpoSiG ergebe sich kein eindeutiges Ergebnis, was als einheitliches Kulturereignis anzusehen sei. Aus dem Bericht des Justizausschusses erschließe sich der eindeutige gesetzgeberische Wille, bei mehrtägigen Veranstaltungen (zB einem Musikfestival) für jeden einzelnen Veranstaltungstag einen gesonderten Gutschein von bis zu 70 EUR „zuzulassen“. Ein sekundärer Feststellungsmangel liege nicht vor, weil Feststellungen dazu, ob Besucher des Festivals auf dem Festival-Gelände campen und übernachten könnten, keine rechtliche Relevanz hätten.

[10] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil zur Auslegung des KuKuSpoSiG keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege und der Auslegung dieses Gesetzes über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.

[11] Die – von der Beklagten beantwortete – Revision der Klägerin, mit der sie die Stattgebung des Zahlungsbegehrens von 99,99 EUR sA anstrebt, ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revisionswerberin argumentiert, auch ein mehrtägiges Musikfestival wie das vorliegende stelle ein (einziges) zusammenhängendes Ereignis im Sinn des § 1 Abs 1 und 4 KuKuSpoSiG dar, weshalb nur die Begebung eines Gutscheins zulässig sei und daher das restliche Entgelt in bar zurückzuzahlen sei. Mit der Auslegung, jeder Tag eines mehrtägigen Festivals sei als eigenständige Veranstaltung zu qualifizieren, werde der äußerst mögliche Wortsinn des in § 1 Abs 1 KuKuSpoSiG verwendeten Begriffs „ein Kunst- oder Kulturereignis“ überschritten. Dass sich diese Auslegung im Bericht und Antrag des Justizausschusses finde, bleibe daher unmaßgeblich. Auch die starke wirtschaftliche Beeinträchtigung der Kunst-, Kultur‑ und Sportveranstalter durch die COVID‑19‑Pandemie könne keine unrichtige Gesetzesauslegung rechtfertigen. Verbraucher seien durch die COVID‑19‑Krise ebenfalls vor enorme wirtschaftliche Herausforderungen gestellt.

Dazu ist auszuführen:

[13] 1. § 1 KuKuSpoSiG (in der zur Zeit des abgesagten Festivals im August 2020 geltenden Stammfassung) lautete auszugsweise:

„(1) Wenn ein Kunst-, Kultur- oder Sportereignis aufgrund der COVID‑19‑Pandemie im Jahr 2020 entfallen ist und der Veranstalter deshalb einem Besucher oder Teilnehmer den Eintritts- oder Teilnahmepreis oder ein vergleichbares Entgelt zurückzuzahlen hat, kann der Veranstalter dem Besucher oder Teilnehmer anstelle der Rückzahlung einen Gutschein über den zu erstattenden Betrag übergeben […]

(4) Wenn das zu erstattende Entgelt den Betrag von 70 EUR, nicht aber jenen von 250 EUR übersteigt, kann sich der Veranstalter oder Betreiber nur bis zum Betrag von 70 EUR durch die Übergabe eines Gutscheins von seiner Rückzahlungspflicht befreien; den 70 EUR übersteigenden Teil des Entgelts hat er hingegen dem Besucher oder Teilnehmer zurückzuzahlen.“

[14] Nach § 2 Abs 2 KuKuSpoSiG kann der Inhaber des Gutscheins mit diesem bis zu dessen Wert das Entgelt für ein anderes Kunst-, Kultur- oder Sportereignis des Veranstalters oder für einen Besuch der Kunst‑ oder Kultureinrichtung nach deren Wiedereröffnung bezahlen. Er ist aber nicht dazu verpflichtet, den Gutschein einzulösen. Hat der Inhaber eines Gutscheins diesen nicht bis zum 31. 12. 2022 eingelöst, so hat ihm der Veranstalter oder Betreiber den Wert des Gutscheins auf Aufforderung unverzüglich auszuzahlen (§ 2 Abs 3 KuKuSpoSiG).

[15] 2.1. Der Entwurf des KuKuSpoSiG beruht auf einem selbständigen Antrag des Justizausschusses. Die Absicht der Redaktoren dieses Gesetzes hat ihren Niederschlag daher im Bericht und Antrag des Justizausschusses gefunden (142 BlgNR 27. GP  1 f). Wie daraus hervorgeht, soll das Gesetz Kunst-, Kultur- und Sportveranstalter nach COVID‑19‑bedingtem Entfall der Veranstaltungen davor schützen, dass sie durch nahezu zeitgleiche Erfüllung von Rückzahlungspflichten in ihrem wirtschaftlichem Bestand gefährdet werden und möglicherweise in Insolvenz verfallen. Dem soll das Gesetz durch die den Veranstaltern gebotene Möglichkeit entgegenwirken, anstelle der Rückzahlungspflicht Gutscheine auszustellen. Zugleich sollen aber auch die Interessen der Verbraucher angemessen Berücksichtigung finden.

[16] Zu § 1 Abs 4 KuKuSpoSiG wird ausgeführt, dass die Begebung eines Gutscheins auf einen Betrag von 70 EUR begrenzt wird, weil es bis zu diesem Betrag dem Einzelnen durchaus zugemutet werden könne, das geleistete Entgelt nicht sofort zurückzuerhalten, sondern sich zunächst mit einem Gutschein zufrieden zu geben, dessen Einlösung er jedoch spätestens nach etwas mehr als zweieinhalb Jahren verlangen könne. Belaufe sich das zurückzuzahlende Entgelt aber auf beispielsweise 90 EUR, so könne der Veranstalter oder Betreiber nur für einen Teilbetrag von 70 EUR einen Gutschein begeben, die restlichen 20 EUR habe er sogleich zurückzuerstatten. Weiters wird auch auf den Fall Bezug genommen, dass mit einem Vertrag mehrere Kunst-, Kultur- oder Sportereignisse gebucht werden. In einem derartigen Fall soll sich die betragsmäßige Limitierung auf das Entgelt für jedes einzelne Kunst-, Kultur- oder Sportereignis und nicht etwa auf jenes für den gesamten Vertrag beziehen. Wenn also ein Besucher oder Teilnehmer mit ein und demselben Vertrag drei Kunst-, Kultur‑ oder Sportereignisse gebucht habe, könne der Veranstalter für jedes dieser drei Ereignisse einen Gutschein bis zu 70 EUR begeben und sei zu einer sofortigen Rückzahlung nur insoweit verpflichtet, als das Teilentgelt für eines der einzelnen Ereignisse 70 EUR übersteige. Gleiches gelte entsprechend bei mehrtägigen Veranstaltungen (zB einem Musikfestival). Auch hier könne der Veranstalter für jeden einzelnen Veranstaltungstag einen gesonderten Gutschein von bis zu 70 EUR begeben (142 BlgNR 27. GP  2).

[17] 2.2. Im Schrifttum finden sich dazu folgende Stellungnahmen:

[18] 2.2.1. Gram/Gram (Coronavirus Übersicht, COVID‑19 Gutschein statt Rückzahlung bei Veranstaltungen, Lexis Briefings Wirtschaftsrecht Mai 2020) verweisen zunächst auf den Zweck des Gesetzes, der in der Vermeidung von Insolvenzen von Veranstaltern liege, und referieren, die Betragsgrenzen des KuKuSpoSiG gelten – wie aus den Erläuterungen des Justizausschusses hervorgehe – auch, wenn gleichzeitig Eintrittskarten für mehrere verschiedene Veranstaltungen erworben worden seien. Bei Eintrittskarten für mehrtägige Veranstaltungen würden die Betragsgrenzen „bezogen auf jeden einzelnen Veranstaltungstag“ gelten.

[19] 2.2.2. Kriegner (Kunst, Kultur, Sport: Gutscheine statt Entgeltrückerstattung, VbR 2020/78, 124 [125 f]) meint hingegen, die „Berechnung“ des zu erstattenden Betrags nach Veranstaltungstagen sei nicht zulässig, weil nach dem Gesetzestext nicht vorgesehen. § 1 Abs 1 iVm 4 KuKuSpoSiG ordne klar und unzweifelhaft eine vollständige Rückzahlung des Entgelts an; an Stelle dieser Rückzahlung könne ein Gutschein über den „zu erstattenden Betrag“ übergeben werden. Wenn etwa ein viertägiges Musikfestival mit einem Vertrag gebucht worden sei, dann sei nach dessen Entfall „das vollständige Entgelt zurückzuzahlen“. Da eine unzweifelhafte Formulierung gegeben sei, sei auf die Absicht des Gesetzgebers nicht zurückzugreifen. Die in den Materialien angesprochene „Berechnung“ nach Verstanstaltungstagen gelte nur, wenn für eine mehrtägige Veranstaltung tatsächlich mehrere Verträge pro Veranstaltungstag abgeschlossen werden, also etwa für zwei Tage eines viertägigen Festivals.

[20] 2.2.3. Ähnlich argumentiert Gelbmann (COVID‑19‑Fälle aus der verbraucherrechtlichen Praxis, VbR 2021/89, 156 [161]). Umstritten sei, ob eine mehrtägige Veranstaltung als ein einziges Ereignis gilt, sodass der Veranstalter einen Gutschein bis zu 70 EUR ausstellen kann und den Überbetrag refundieren muss, oder ob jeder Veranstaltungstag ein eigenes Ereignis darstellt. Laut Bericht des Justizausschusses sei Letzteres der Fall, was der Wortlaut des Gesetzes allerdings nicht hergebe. Nach Ansicht der Autorin sei bei einem zB dreitägigen Musikfestival, bei dem ein Drei‑Tage‑Ticket gekauft wird, von einem Ereignis auszugehen, also von einer Einheit; dies um so mehr, wenn die Karte auch die Berechtigung zum Campen auf dem Festivalgelände umfasst und es dem Kunst‑ und Kulturereignis immanent ist, dort den Großteil der Zeit zu verbringen, also auch am Festivalgelände zu schlafen. Hier ziele der Parteiwille auf die Teilnahme an einer Mehrtagesveranstaltung ab; es werde nicht mit Punkt Mitternacht oder mit Ende des letzten Konzerts des ersten Tages ein neues Kulturereignis eingeläutet.

[21] 3. Am Anfang jeder Gesetzesauslegung steht die wörtliche (sprachliche, grammatikalische) Auslegung, der nach ständiger Rechtsprechung große Bedeutung zukommt (vgl RIS-Justiz RS0008896). Die Gesetzesauslegung darf aber nicht bei der Wortinterpretation stehenbleiben (RS0008788 [T3]). Bleibt nach der Wortinterpretation und logischer Auslegung die Ausdrucksweise des Gesetzes dennoch zweifelhaft, so ist die Absicht des Gesetzgebers zu erforschen und der Sinn einer Bestimmung unter Bedachtnahme auf den Zweck der Regelung zu erfassen (RS0008836).

[22] Der Gesetzeswortlaut legt die – auch mit dem erkennbar verfolgten Gesetzeszweck in Einklang stehende – Auslegung nahe, dass die Regelung in § 1 Abs 4 KuKuSpoSiG, nach der sich der Veranstalter bis zu einem Betrag von 70 EUR durch die Übergabe eines Gutscheins von seiner Rückzahlungspflicht befreien kann, wenn ein Kunst‑, Kultur‑ oder Sportereignis (im Folgenden: Kulturereignis) im Sinn des Abs 1 entfallen ist und deshalb einem Besucher der Eintrittspreis zurückzuzahlen wäre, sich auf ein einzelnes Kulturereignis und den Preis für eine Eintrittskarte, die zu dessen Besuch berechtigt, beziehen soll. Dieses Verständnis entspricht auch den Ausführungen im Justizausschussbericht, nach denen der Veranstalter für jedes einzelne Ereignis einen Gutschein bis zu 70 EUR begeben könne, wenn etwa ein Besucher mit einem Vertrag drei Kunst‑, Kultur‑ oder Sportereignisse gebucht hat. Gleiches muss für die einzelnen Tickets gelten, wenn ein Besucher mehrere Eintrittskarten für dasselbe Kulturereignis erwirbt, weil er die Eintrittsberechtigung für mehrere Personen anstrebt.

[23] Die Frage, ob im Einzelfall ein einziges einheitliches Kulturereignis gebucht oder die Berechtigung zum Besuch mehrerer zeitlich aufeinanderfolgender oder zumindest eng beieinander liegender Ereignisse erworben wurde, ist grundsätzlich nach der Verkehrsauffassung zu beantworten. Für diese ist vor allem die Präsentation, Bewerbung und sonstige Vermarktung der Veranstaltung(en) von Bedeutung. Bei – wie im vorliegenden Fall – mehrtägigen Veranstaltungen wird grundsätzlich von einem einheitlichen und damit einzigem Kulturereignis auszugehen sein, wenn der Veranstalter ausschließlich Tickets ausgibt, mit denen die Berechtigung verbunden ist, alle Einzelelemente in der gesamten Veranstaltungszeit zu besuchen (oder sich gar während der gesamten Dauer auf dem Veranstaltungsgelände aufzuhalten). Werden hingegen Tagestickets für die einzelnen Veranstaltungstage angeboten, spricht dies für mehrere rechtlich voneinander unabhängige Kulturereignisse.

[24] Nicht eindeutig erscheint die gesetzliche Regelung allerdings für Sachverhalte wie den vorliegenden, in denen sowohl ein „Festival-Pass“ (3‑Tages‑Ticket) als auch Tickets für einzelne Tage angeboten werden. Hier kann von einer einheitlichen Verkehrsauffassung darüber, ob eine einzige (dreitägige) Kulturveranstaltung vorliegt oder an drei Tagen hintereinander einzelne Kulturveranstaltungen dargeboten werden, nicht gesprochen werden. Auch wenn es grundsätzlich denkbar wäre, die Frage nach der Verkehrsauffassung aus dem Blickwinkel des jeweiligen Besuchers zu beantworten, der als Käufer eines Tagestickets den gebuchten Veranstaltungstag als abgegrenztes Kulturereignis versteht, wogegen der Erwerber eines Festival‑Passes in der Regel die Gesamtveranstaltung als Einheit betrachten wird (idS offenbar Gelbmann aaO 161), erscheint eine solche Differenzierung keineswegs zwingend, weshalb dem Willen des historischen Gesetzgebers entgegen der Auffassung der Klägerin besondere Bedeutung zukommt. Dieser geht ersichtlich dahin, dass es bei mehrtägigen Veranstaltungen nicht auf die Auffassung des einzelnen Besuchers ankommen, sondern die Veranstaltung insgesamt – und gegenüber allen Besuchern – wie einzelne Ereignisse behandelt werden soll; dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass auch die Berechtigung zum Besuch einzelner Veranstaltungstage erworben werden kann, weil ansonsten – im Widerspruch zur normativen Regelung, die sich auf einzelne Kulturereignisse bezieht und auf deren Dauer nicht abstellt – eine gesetzlich nicht vorgesehene Zerlegung eines einzigen einheitlichen Kulturereignisses in mehrere (fiktive) Teilereignisse vorgenommen und für jedes davon das Recht des Veranstalters zur Ausgabe eines Gutscheins bis zu 70 EUR anstelle der Rückerstattung des Preises eingeräumt würde.

[25] Im vorliegenden Fall wurden sowohl Festival‑Pässe für die gesamten drei Tage als auch Tagestickets verkauft, womit nach dem bisher Gesagten entsprechend der insoweit deutlichen Absicht des historischen Gesetzgebers, die auch mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang gebracht werden kann, der Veranstalter das Recht hat, das Festival wie drei einzelne Kulturereignisse zu behandeln.

[26] Zusammenfassend ist § 1 Abs 1 iVm Abs 4 KuKuSpoSiG daher dahin auszulegen, dass der Veranstalter nach dem COVID‑19‑bedingten Entfall einer mehrtägigen Kunst- bzw Kultur- oder Sportveranstaltung – hier: eines dreitägigen Musikfestivals –, für die auch Tagestickets gekauft werden konnten, für jeden einzelnen Veranstaltungstag einen Gutschein bis zu 70 EUR begeben kann und nur das über diesen Betrag pro Veranstaltungstag hinausgehende (anteilige) Entgelt bar zurückzuerstatten hat.

[27] 4. Sekundäre Feststellungsmängel liegen nur dann vor, wenn Tatsachen fehlen, die für die rechtliche Beurteilung wesentlich sind und diese Umstände betreffen, die nach dem Vorbringen der Parteien und den Ergebnissen des Verfahrens zu prüfen waren (RS0053317). Die von der Klägerin begehrte Feststellung, dass viele Besucher des F* auf dem Festivalgelände „campen, übernachten und feiern“, ist nicht entscheidungserheblich, weil selbst bei Zugrundelegung dieser Feststellung das dreitägige Musikfestival nicht als ein einziges zusammenhängendes Kunst‑ und Kulturereignis im Sinn des § 1 Abs 1 iVm 4 KuKuSpoSiG zu behandeln wäre.

[28] 5. Der Revision der Klägerin ist daher nicht Folge zu geben.

[29] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO.

Stichworte