OGH 10Ob20/21w

OGH10Ob20/21w19.10.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bundesarbeitskammer, 1040 Wien, Prinz-Eugen-Straße 20–22, vertreten durch Kosesnik-Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei, m***** GmbH, *****, vertreten durch Proksch & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 99,90 EUR sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgerichtvom 19. März 2021, GZ 60 R 16/21i‑11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 30. November 2020, GZ 9 C 319/20g‑6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0100OB00020.21W.1019.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 501,91 EUR (darin 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin ist ein in § 29 Abs 1 KSchG genannter privilegierter Verband, dem S***** (im Folgenden: „Konsumentin“) ihre Ansprüche gegen die Beklagte zum Inkasso abgetreten hat.

[2] Die Konsumentin kaufte von der beklagten Veranstalterin einen Festivalpass (3‑Tages‑Ticket) für das dreitägige F*****, das von 20. 8. bis 22. 8. 2020 in S***** (in Form einer Aneinanderreihung von mehreren Konzerten auf demselben Gelände) stattfinden hätte sollen. Der Preis des Tickets betrug 169,99 EUR. Das Festival musste wegen der COVID‑19‑Pandemie abgesagt werden.

[3] Unstrittig ist, dass dieser Sachverhalt in den zeitlichen Anwendungsbereich des Bundesgesetzes zur Sicherung des Kunst‑, Kultur‑ und Sportlebens vor weiteren Auswirkungen der COVID‑19‑Pandemie (Kunst-, Kultur- und Sportsicherungsgesetz (BGBl I 2020/40; kurz KuKuSpoSiG) fällt (§ 4 Abs 2).

[4] Beide Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass dieses Gesetz die Ersetzungsbefugnis des Kunst-, Kultur- oder Sportveranstalters statuiert, nach Entfall eines Kunst- Kultur- oder Sportereignisses aufgrund der COVID‑19-Pandemie anstatt der geschuldeten Rückzahlung des Eintritts- oder Teilnahmepreises mit Befreiungswirkung einen Gutschein über den zu erstattenden Betrag zu übergeben (§ 1 Abs 4 KuKuSpoSiG).

[5] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Auslegung des § 1 Abs 1 iVm Abs 4 KuKuSpoSiG, der die Substitutionsbefugnis der Rückzahlungspflicht des Veranstalters durch die Begebung eines Gutscheins betragsmäßig (auf 70 EUR) begrenzt. Strittig ist, wie diese Regelung bei Entfall einer mehrtägigen Kunst-, Kultur- und Sportveranstaltung zu verstehen ist.

[6] Die Klägerin begehrte die Erstattung von 70 EUR in Form eines Gutscheins sowie die Zahlung von 99,99 EUR sA. § 1 Abs 1 iVm § 1 Abs 4 und § 2 KuKuSpoSiG seien dahin zu interpretieren, dass bei COVID‑19-bedingtem Entfall des – ein durchgehendes Ereignis darstellenden – F*****, ein (einziger) Gutschein über 70 EUR auszustellen sei. Der diesen Betrag übersteigende Teil des Entgelts sei in bar rückzuerstatten.

[7] Die Beklagte anerkannte den Anspruch auf Übergabe eines Gutscheins über 70 EUR und wandte ansonsten ein, § 1 Abs 1 iVm Abs 4 KuKuSpoSiG sei dahin auszulegen, dass bei mehrtägigen Veranstaltungen – wie dem F***** – die Übergabe von gesonderten Gutscheinen für jeden einzelnen Veranstaltungstag bis zum Betrag von (maximal) 70 EUR zulässig sei. Bei mehrtägigen Musikfestivals handle es sich um mehrere voneinander abgrenzbare Einzelereignisse. Dies ergebe sich schon aus der Tatsache, dass es Kunden möglich sei, Tickets für einzelne Festivaltage zu erwerben. Die Beklagte habe daher gegenüber der Konsumentin erklärt, ihre Rückzahlungsverpflichtung durch die Übergabe dreier Gutscheine im Wert von jeweils 56,63 EUR (somit im Gesamtwert des Ticketpreises von 169,99 EUR) Zug um Zug gegen Rückgabe des Festivaltickets erfüllen zu wollen. Dies sei jedoch abgelehnt worden. Eine Rückerstattungspflicht durch Barzahlung treffe sie nicht.

[8] Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, der Klägerin – entsprechend dem Anerkenntnis – binnen 14 Tagen einen Gutschein in Höhe von 70 EUR auszustellen und diesen zu übergeben (Pkt 1 des Urteilsspruchs). Das Mehrbegehren auf Zahlung von 99,99 EUR sA wurde abgewiesen (Pkt 2 des Urteilsspruchs). Zur Abweisung des Klagebegehrens führte es aus, es sei fraglich, ob das für die Dauer von drei Tagen geplante F***** 2020 als ein (einheitliches) Kunst- oder Kulturereignis iSd § 1 Abs 1 KuKuSpoSiG anzusehen sei. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch werde unter einem Kunst- oder Kulturereignis typischerweise eine punktuelle Veranstaltung wie eine Theateraufführung oder ein Konzert verstanden. Als Kunst- oder Kulturereignis seien aber auch Veranstaltungen wie Festspiele oder Ausstellungen anzusehen, die von Besuchern an mehreren Tagen hintereinander besucht werden können. Diesen Ereignissen sei gemeinsam, dass die Besucher nach dem Ende der Veranstaltung oder der Öffnungszeit den Veranstaltungsort zu verlassen haben, es ihnen aber frei steht, bei der nächsten Aufführung oder am nächsten Ausstellungstag wieder teilzunehmen. Nicht anders verhalte es sich bei einem Festival, das als Aneinanderreihung von mehreren (Konzert‑)Veranstaltungen desselben Genres auf demselben Gelände innerhalb von mehreren aufeinanderfolgenden Tagen zu definieren sei. Dass die Besucher des F***** nach dem Ende des letzten Konzerts eines Veranstaltungstages den Konzertbereich verlassen und sich – falls sie am Gelände nächtigen – zum Campingbereich zu begeben haben und am nächsten Festivaltag neuerlich an den Konzerten teilnehmen können, sei gerichtsnotorisch. Bereits daraus ergebe sich, dass im Einklang mit dem allgemeinen Sprachgebrauch ein mehrtägiges Festival als Mehrzahl von Kunst- und Kulturereignissen anzusehen sei, wobei die Anzahl der im Rahmen des Festivals stattfindenden Kunst- oder Kulturereignisse der Anzahl der Tage des Festivals entspreche. Jeder der drei Veranstaltungstage sei daher als eigenständige Veranstaltung zu verstehen. Mit diesem Auslegungsergebnis stünden auch die Gesetzesmaterialien und die gesetzgeberische Zielsetzung in Einklang. Diese bestehe darin, Kunst-, Kultur- und Sportveranstalter vor den wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID‑19-Pandemie abzusichern. Müssten Kunst-, Kultur- und Sportveranstalter nach einer COVID‑19-bedingten Absage all ihre Rückzahlungspflichten nahezu zeitgleich erfüllen, wären sie in ihrem wirtschaftlichen Bestand gefährdet. Dem wolle das Gesetz entgegenwirken, indem es den Veranstaltern und Betreibern die Möglichkeit biete, anstelle ihrer Rückzahlungspflicht entsprechende Gutscheine auszustellen. Dem gesetzgeberischen Gedanken der Sicherung des wirtschaftlichen Fortbestands von Veranstaltern aus dem Kunst-, Kultur und Sportbereich entspreche daher die von der Beklagten ins Treffen geführte Gesetzesauslegung bedeutend mehr.

[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und billigte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts. Die vorgenommene Gesetzesauslegung überschreite nicht den äußerst möglichen Wortsinn der Gesetzesbestimmung und entspreche dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel der Sicherung des wirtschaftlichen Fortbestands von Kunst‑, Kultur- und Sportveranstaltern. Dass die Regelung zu mehrtägigen Veranstaltungen im Gesetzestext nicht so formuliert sei, wie sie detailliert im Bericht des Justizausschusses dargelegt ist, stelle das gewonnene Auslegungsergebnis nicht in Frage. Ein sekundärer Feststellungsmangel liege nicht vor, weil Feststellungen darüber, ob Besucher des Festivals auf dem Festival-Gelände campen und übernachten, keine rechtliche Relevanz hätten.

[10] Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, dass zur Auslegung des KuKuSpoSiG keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege und der Auslegung dieses Gesetzes über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision der Klägerin, die sich gegen die Abweisung des Begehrens auf Zahlung von 99,99 EUR sA richtet, ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

[12] Die Revisionswerberin bleibt bei ihrem Standpunkt, auch ein mehrtägiges Musikfestival wie das vorliegende stelle ein (einziges) zusammenhängendes Ereignis iSd § 1 Abs 1 und Abs 4 KuKuSpoSiG dar, weshalb nur die Begebung eines Gutscheins zulässig sei und daher das restliche Entgelt in bar zurückzuzahlen sei. Mit der Auslegung, jeder Tag eines mehrtägigen Festivals sei als eigenständige Veranstaltung iSd § 1 Abs 1 und 4 KuKuSpoSiG zu qualifizieren, werde der äußerst mögliche Wortsinn des in § 1 Abs 1 KuKuSpoSiG verwendeten Begriffs „ein Kunst-, Kultur‑ oder Sportereignis“ überschritten. Dass sich diese Auslegung im Bericht und Antrag des Justizausschusses finde, bleibe unmaßgeblich. Auch die starke wirtschaftliche Beeinträchtigung der Kunst-, Kultur‑ und Sportveranstalter durch die COVID‑Krise könne keine unrichtige Gesetzesauslegung rechtfertigen. Verbraucher seien durch die COVID‑Krise ebenfalls vor enorme wirtschaftliche Herausforderungen gestellt.

Dazu ist auszuführen:

[13] 1. § 1 Kunst-, Kultur‑ und Sportsicherungsgesetz in der zur Zeit des abgesagten Festivals im August 2020 geltenden Stammfassung lautet auszugsweise:

„(1) Wenn ein Kunst-, Kultur- oder Sportereignis aufgrund der COVID‑19‑Pandemie im Jahr 2020 entfallen ist und der Veranstalter deshalb einem Besucher oder Teilnehmer den Eintritts- oder Teilnahmepreis oder ein vergleichbares Entgelt zurückzuzahlen hat, kann der Veranstalter dem Besucher oder Teilnehmer anstelle der Rückzahlung einen Gutschein über den zu erstattenden Betrag übergeben. (…)

(4) Wenn das zu erstattende Entgelt den Betrag von 70 EUR, nicht aber jenen von 250 EUR übersteigt, kann sich der Veranstalter oder Betreiber nur bis zum Betrag von 70 EUR durch die Übergabe eines Gutscheins von seiner Rückzahlungspflicht befreien; den 70 EUR übersteigenden Teil des Entgelts hat er hingegen dem Besucher oder Teilnehmer zurückzuzahlen.“

[14] Nach § 2 Abs 2 KuKuSpoSiG kann der Inhaber des Gutscheins mit diesem bis zu dessen Wert das Entgelt für ein anderes Kunst-, Kultur- oder Sportereignis des Veranstalters zahlen. Er ist aber nicht dazu verpflichtet, den Gutschein einzulösen. Hat der Inhaber eines Gutscheins diesen nicht bis zum 31. Dezember 2022 eingelöst, so hat ihm der Veranstalter oder Betreiber den Wert des Gutscheins auf Aufforderung unverzüglich auszuzahlen (§ 2 Abs 3 KuKuSpoSiG).

[15] 2.1 Der Entwurf des KuKuSpoSiG beruht auf einem selbständigen Antrag des Justizausschusses. Die Absicht der Redaktoren dieses Gesetzes hat ihren Niederschlag daher in dem Bericht und Antrag des Justizausschusses gefunden (142 BlgNR 27. GP  2 f). Wie daraus hervorgeht, soll das Gesetz Kunst-, Kultur- und Sportveranstalter nach COVID‑19‑bedingtem Entfall der Veranstaltungen davor schützen, dass sie durch zeitgleiche Erfüllung von Rückzahlungspflichten in ihrem wirtschaftlichen Bestand gefährdet sind und möglicherweise in Insolvenz verfallen. Dem solle das Gesetz durch die den Veranstaltern gebotene Möglichkeit entgegenwirken, anstelle der Rückzahlungspflicht entsprechende Gutscheine auszustellen. Zugleich sollen aber auch die Interessen der Verbraucher angemessene Berücksichtigung finden.

[16] 2.2 Zu § 1 Abs 4 wird ausgeführt, dass die Begebung eines Gutscheins auf einen Betrag von 70 EUR begrenzt wird, weil es bis zu diesem Betrag dem Einzelnen durchaus zugemutet werden könne, das geleistete Entgelt nicht sofort zurückzuerhalten, sondern sich zunächst mit einem Gutschein zufrieden zu geben, dessen Einlösung er jedoch spätestens nach etwas mehr als zweieinhalb Jahren verlangen kann. Belaufe sich das zurückzuzahlende Entgelt aber auf beispielsweise 90 EUR, so könne der Veranstalter oder Betreiber nur für einen Teilbetrag von 70 EUR einen Gutschein begeben, die restlichen 20 EUR habe er sogleich zurückzuerstatten. Weiters wird auch auf den Fall Bezug genommen, dass mit einem Vertrag mehrere Kunst-, Kultur- oder Sportereignisse gebucht werden. In einem derartigen Fall soll sich die betragsmäßige Limitierung auf das Entgelt für jedes einzelne Kunst-, Kultur- oder Sportereignis und nicht etwa auf jenes für den gesamten Vertrag beziehen. Wenn also ein Besucher oder Teilnehmer mit ein und demselben Vertrag drei Kunst-, Kultur‑ oder Sportereignisse gebucht habe, könne der Veranstalter für jedes dieser drei Ereignisse einen Gutschein bis zu 70 EUR begeben und sei zu einer sofortigen Rückzahlung nur insoweit verpflichtet, als das Teilentgelt für eines der einzelnen Ereignisse 70 EUR übersteige. Gleiches gelte entsprechend bei mehrtägigen Veranstaltungen (zum Beispiel einem Musikfestival). Auch hier könne der Veranstalter für jeden einzelnen Veranstaltungstag einen gesonderten Gutschein von bis zu 70 EUR begeben (142 BlgNR 27. GP  2).

2.3 Im Schrifttum finden sich dazu folgende Stellungnahmen:

[17] 2.3.1 Gram/Gram, (Coronavirus Übersicht, COVID‑19 Gutschein statt Rückzahlung bei Veranstaltungen, Lexis Briefings Wirtschaftsrecht Mai 2020) verweisen zunächst auf den Zweck des Gesetzes, der in der Vermeidung von Insolvenzen von Veranstaltern liege, und referieren, die Betragsgrenzen des KuKuSpoSiG gelten, – wie aus den Erläuterungen des Justizausschusses hervorgehe – auch, wenn gleichzeitig Eintrittskarten für mehrere verschiedene Veranstaltungen erworben worden seien. Bei Eintrittskarten für mehrtägige Veranstaltungen würden die Betragsgrenzen „bezogen auf jeden einzelnen Veranstaltungstag“ gelten.

[18] 2.3.2 Kriegner (Kunst, Kultur, Sport: Gutscheine statt Entgeltrückzahlung VbR 2020/78, 124 [125 f]) meint hingegen, die „Berechnung“ des zu erstattenden Betrags nach Veranstaltungstagen sei nicht zulässig, weil nach dem Gesetzestext nicht vorgesehen. § 1 Abs 1 iVm Abs 4 KuKuSpoSiG ordne klar und unzweifelhaft eine vollständige Rückzahlung des Entgelts an; an Stelle dieser Rückzahlung könne ein Gutschein über den „zu erstattenden Betrag“ übergeben werden. Wenn etwa ein viertägiges Musikfestival mit einem Vertrag gebucht worden sei, dann sei nach dessen Entfall „das vollständige Entgelt zurückzuzahlen“. Da eine unzweifelhafte Formulierung gegeben sei, sei auf die Absicht des Gesetzgebers nicht zurückzugreifen. Die in den Materialien angesprochene „Berechnung“ nach Veranstaltungstagen gelte nur, wenn für eine mehrtägige Veranstaltung tatsächlich mehrere Verträge pro Veranstaltungstag abgeschlossen werden, also etwa für zwei Tage eines viertägigen Festivals.

[19] 2.3.3 Ähnlich argumentiert Gelbmann (COVID‑19-Fälle aus der verbraucherrechtlichen Praxis, VbR 2021/89, 156 [161]). Umstritten sei, ob eine mehrtägige Veranstaltung als ein einziges Ereignis gilt, sodass der Veranstalter einen Gutschein bis zu 70 EUR ausstellen kann und den Überbetrag refundieren muss, oder ob jeder Veranstaltungstag ein eigenes Ereignis darstellt. Laut Bericht des Justizausschusses sei Letzteres der Fall, was der Wortlaut des Gesetzes allerdings nicht hergebe. Nach Ansicht der Autorin sei bei einem zB dreitägigen Musikfestival, bei dem ein Drei-Tage-Ticket gekauft wird, von einem Ereignis auszugehen, also von einer Einheit; dies umso mehr, wenn die Karte auch die Berechtigung zum Campen auf dem Festivalgelände umfasst und es dem Kunst- und Kulturereignis immanent ist, dort den Großteil der Zeit zu verbringen, also auch auf dem Festivalgelände zu schlafen. Hier ziele der Parteiwille auf die Teilnahme an einer Mehrtagesveranstaltung ab; es werde nicht mit Punkt Mitternacht oder mit Ende des letzten Konzerts des ersten Tages ein neues Kulturereignis eingeläutet.

[20] 2.3.4 Karel, Gutschein anstelle der Entgeltrückzahlung (BBi 2020 H 6, 4), und Laimer/Schickmair (in Resch, Corona-Handbuch Kap 11 Rz 46) fassen nur die Eckpunkte der Regelungen zusammen, nehmen aber auf das hier zu lösende Problem nicht Bezug.

[21] 3.1  Am Anfang jeder Gesetzesauslegung steht die wörtliche (sprachliche, grammatikalische) Auslegung, der nach ständiger Rechtsprechung große Bedeutung zukommt (vgl RS0008896). Bleibt nach der Wortinterpretation und logischen Auslegung die Ausdrucksweise des Gesetzes dennoch zweifelhaft, so ist die Absicht des Gesetzgebers zu erforschen und der Sinn einer Bestimmung unter Bedachtnahme auf den Zweck der Regelung zu erfassen (RS0008836).

[22] 3.2 Der Gesetzeswortlaut legt die – auch mit dem erkennbar verfolgten Gesetzeszweck in Einklang stehende – Auslegung nahe, dass die Regelung in § 1 Abs 4 KuKuSpoSiG, nach der sich der Veranstalter bis zu einem Betrag von 70 EUR durch die Übergabe eines Gutscheins von seiner Rückzahlungspflicht befreien kann, wenn ein Kunst‑, Kultur‑ oder Sportereignis (im Folgenden: Kulturereignis) im Sinn des Abs 1 entfallen ist und deshalb einem Besucher der Eintrittspreis zurückzuzahlen wäre, sich auf ein einzelnes Kulturereignis und den Preis für eine Eintrittskarte, die zu dessen Besuch berechtigt, beziehen soll. Dieses Verständnis entspricht auch den Ausführungen im Justizausschussbericht, nach denen der Veranstalter für jedes einzelne Ereignis einen Gutschein bis zu 70 EUR begeben könne, wenn etwa ein Besucher mit einem Vertrag drei Kunst‑, Kultur‑ oder Sportereignisse gebucht hat. Gleiches muss für die einzelnen Tickets gelten, wenn ein Besucher mehrere Eintrittskarten für dasselbe Kulturereignis erwirbt, weil er etwa die Eintrittsberechtigung für mehrere Personen anstrebt.

[23] 4. Die Frage, ob im Einzelfall ein einziges einheitliches Kulturereignis gebucht oder die Berechtigung zum Besuch mehrerer zeitlich aufeinander folgender oder zumindest eng beieinander liegender Ereignisse erworben wurde, ist grundsätzlich nach der Verkehrsauffassung zu beantworten. Für diese ist vor allem die Präsentation, Bewerbung und sonstige Vermarktung der Veranstaltung(en) von Bedeutung. Bei – wie im vorliegenden Fall – mehrtägigen Veranstaltungen wird grundsätzlich von einem einheitlichen und damit einzigen Kulturereignis auszugehen sein, wenn der Veranstalter ausschließlich Tick ets ausgibt, mit denen die Berechtigung verbunden ist, alle Einzelelemente in der gesamten Veranstaltungszeit zu besuchen (oder sich gar während der gesamten Dauer auf dem Veranstaltungsgelände aufzuhalten). Werden hingegen Tagestickets für die einzelnen Veranstaltungstage angeboten, spricht dies für mehrere (rechtlich) voneinander unabhängige Kulturereignisse.

[24] 5.1 Nicht eindeutig erscheint die gesetzliche Regelung allerdings für Sachverhalte, in denen sowohl ein „Festival-Pass“ (für die gesamte Dauer eines mehrtägigen Festivals) als auch Tickets für einzelne Tage angeboten werden.

[25] Von dieser Möglichkeit (Erwerb von Tickets für einzelne Tage neben dem „Festival-Pass“) ist auch im vorliegenden Fall auszugehen. Die beklagte Partei hat in ihrem vorbereitenden Schriftsatz vom 22. 9. 2020 (ON 3) vorgebracht, dass neben dem Festivalpass auch Einzeltagestickets verfügbar waren; dieses Vorbringen wurde von der klagenden Partei nicht substantiiert bestritten.

[26] 5.2 In einem solchen Fall kann von einer einheitlichen Verkehrsauffassung darüber, ob eine einzige (dreitägige) Kulturveranstaltung vorliegt oder an drei Tagen hintereinander einzelne Kulturveranstaltungen dargeboten werden, nicht gesprochen werden. Auch wenn es grundsätzlich denkbar wäre, die Frage nach der Verkehrsauffassung aus dem Blickwinkel des jeweiligen Besuchers zu beantworten, der als Käufer eines Tagestickets den gebuchten Veranstaltungstag als abgegrenztes Kulturereignis versteht, wogegen der Erwerber eines Festival‑Passes in der Regel die Gesamtveranstaltung als Einheit betrachten wird (idS offenbar Gelbmann, VbR 2021/89, 156 [161]), erscheint eine solche Differenzierung keineswegs zwingend, weshalb dem Willen des historischen Gesetzgebers entgegen der Auffassung der Klägerin besondere Bedeutung zukommt. Dieser geht ersichtlich dahin, dass es bei mehrtägigen Veranstaltungen nicht auf die Auffassung des einzelnen Besuchers ankomme, sondern die Veranstaltung insgesamt – und gegenüber allen Besuchern – wie einzelne Ereignisse behandelt werden soll; dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass auch die Berechtigung zum Besuch einzelner Veranstaltungstage erworben werden kann, weil ansonsten – im Widerspruch zur normativen Regelung, die sich auf einzelne Kulturereignisse bezieht und auf deren Dauer nicht abstellt – eine gesetzlich nicht vorgesehene Zerlegung eines einzigen einheitlichen Kulturereignisses in mehrere (fiktive) Teilereignisse vorgenommen und für jedes davon das Recht des Veranstalters zur Ausgabe eines Gutscheins bis zu 70 EUR anstelle der Rückerstattung des Preises eingeräumt würde.

[27] 5.3 Im vorliegenden Fall wurden sowohl Festival‑Pässe für die gesamten drei Tage als auch Tagestickets verkauft, womit nach dem bisher Gesagten entsprechend der insoweit deutlichen Absicht des historischen Gesetzgebers, die auch mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang gebracht werden kann, der Veranstalter das Recht hat, das Festival wie drei einzelne Kulturereignisse zu behandeln.

[28] 6. Zusammenfassend ist § 1 Abs 1 iVm Abs 4 KuKuSpoSiG dahin auszulegen, dass der Veranstalter nach dem COVID‑19-bedingten Entfall einer mehrtägigen Kunst-, Kultur- oder Sportveranstaltung, für die auch Tagestickets gekauft werden konnten, für jeden einzelnen Veranstaltungstag einen Gutschein bis zu 70 EUR begeben kann und nur das über diesen Betrag pro Veranstaltungstag hinausgehende (anteilige) Entgelt bar rückzuerstatten hat.

[29] 7. Sekundäre Feststellungsmängel liegen nur dann vor, wenn Tatsachen fehlen, die für die rechtliche Beurteilung wesentlich sind und diese Umstände betreffen, die nach dem Vorbringen der Parteien und den Ergebnissen des Verfahrens zu prüfen waren (RS0053317). Die von der Klägerin begehrte Feststellung, dass viele Besucher des Festivals auf dem Festivalgelände campen, übernachten und feiern, ist nicht entscheidungserheblich, weil selbst bei Zugrundelegung dieser Feststellung das dreitägige Musikfestival nicht als ein einziges zusammenhängendes Kunst- und Kulturereignis i Sd § 1 Abs 1 iVm Abs 4 KuKuSpoSiG zu behandeln wäre.

[30] 8. Der Revision der Klägerin ist daher nicht Folge zugeben.

[31] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41,50 ZPO.

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