European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00148.21M.0127.000
Spruch:
Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.395,92 EUR (darin 399,32 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 3.251,84 EUR (darin 287,64 EUR USt und 1.526 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Geschäftsgegenstand der Beklagten ist die Vermittlung von Veranstaltungstickets ua. Die Beklagte beschäftigt österreichweit über 100 MitarbeiterInnen.
[2] Die Klägerin war bei der Beklagten ab 3. 7. 2017 als Grafikdesignerin im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Die Streitteile vereinbarten im Hinblick auf die durch die Covid‑19‑Pandemie bewirkte schlechte Auftragslage der Beklagten für den Zeitraum vom 16. 3. bis 16. 6. 2020 Kurzarbeit (Sozialpartnervereinbarung‑Einzelvereinbarung zur Corona‑Kurzarbeit). In der Folge wurde die mit der Klägerin vereinbarte Kurzarbeit auf Basis der neuen Sozialpartnervereinbarung vom 22. 5. 2020 (Formular‑version 7.0) für den Zeitraum 16. 6. bis 15. 9. 2020 verlängert. Am 29. 6. 2020 kündigte die Beklagte das Dienstverhältnis mit der Klägerin zum 31. 8. 2020 auf.
[3] Die Klägerin begehrte 1.) die Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses und 2.) die Zahlung von 2.203,69 EUR brutto sA und brachte vor, dass nach der Sozialpartnervereinbarung eine Behaltepflicht im Ausmaß von einem Monat nach Ende der Kurzarbeit vorgesehen sei. Die Arbeitgeberkündigung dürfte frühestens nach Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen werden. Davon ausgenommen seien nur Kündigungen in den in Punkt IV Z 2 lit c der Sozialpartnervereinbarung vom 22. 5. 2020 angeführten Fällen. Ein solcher Fall liege bei ihr nicht vor. Es liege auch keine Ausnahmebewilligung durch den AMS Regionalbeirat und auch keine Zustimmung der Gewerkschaft vor, die innerhalb von sieben Tagen hätte erteilt werden müssen, falls die Kündigung zum Zweck der Verringerung des Beschäftigtenstandes wegen einer im hohen Maß bestehenden Gefährdung des Fortbestands des Unternehmens/Betriebsstandorts beabsichtigt gewesen sei. Die Kündigung sei daher rechtsunwirksam. Ihr stünden noch 2.203,69 EUR brutto an Entgeltdifferenzen (aliquote Sonderzahlung und Gehalt für September 2020) zu.
[4] Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, dass sie aufgrund der pandemiebedingten wirtschaftlichen Situation und damit verbundener untersagter/abgesagter Veranstaltungen einen Umsatzausfall von weit über 90 % gehabt habe, sodass sie gezwungen gewesen sei, Stellen einzusparen, um den Fortbestand des Unternehmens und eine möglichst große Anzahl an Arbeitsplätzen sichern zu können. Die Kündigung der Klägerin sei auch zulässig gewesen, weil das AMS am 25. 6. 2020 zum Zweck der Verringerung des Beschäftigtenstandes entsprechend Punkt IV Z 2 lit c der „Sozialpartnervereinbarung‑Einzelvereinbarung“ zugestimmt habe. Die Gefährdung des Betriebsstandorts als eine der Bedingungen für die Zustimmung zur Kündigung sei ausschließlich von den Sozialpartnern, konkret der Gewerksschaft bzw dem AMS zu beurteilen. Die Beklagte habe sich auf die Mitteilung des AMS, wonach der Regionalbeirat nicht beigezogen werden müsse, verlassen können. Die Klägerin könne aus dem Umstand der Nichtbefassung des Regionalbeirats des AMS keine individuelle Rechte ableiten.
[5] Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Über Nachfrage der Beklagten, ob eine Zustimmung zur Kündigung erteilt werde, sei eine positive und vorbehaltlose Antwort des AMS erfolgt, dass eine Befassung des Regionalbeirats nicht erforderlich sei. Die Beklagte habe sich darauf verlassen müssen. Die Kündigung habe daher die Beendigung des Dienstverhältnisses bewirkt.
[6] Das Berufungsgericht gab der dagegen gerichteten Berufung der Klägerin Folge und gab dem Klagebegehren statt. Zusammengefasst kam es zum Ergebnis, dass § 37b AMSG einen individuellen Kündigungsschutz bei der Kurzarbeit entfalte. Dass der Regionalbeirat eine Ausnahmebewilligung erteilt habe, habe die Beklagte nicht vorgebracht. Ihr Vertrauen auf eine Auskunft des AMS könne allenfalls Schadenersatzansprüche gegen die auskunftgebende Stelle begründen. Die Kündigung sei unwirksam.
[7] Das Berufungsgericht ließ die Revision zur Frage, ob sich ein individueller Kündigungsschutz aus der Sozialpartner-Einzelvereinbarung betreffend Kurzarbeit ableiten lasse, zu.
[8] In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Wiederherstellung des Ersturteils.
[9] Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die Revision ist zulässig und berechtigt.
[11] 1. Die Frage, ob und inwieweit Sozialpartnervereinbarungen über Corona‑Kurzarbeit einen Individualkündigungsschutz für den einzelnen Arbeitnehmer während der Kurzarbeit und der Behaltefrist bieten, war zwischenzeitig – nach Fällung des Berufungsurteils – bereits mehrfach Gegenstand von Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs.
[12] 2. In der Entscheidung 8 ObA 48/21y hat sich der Oberste Gerichtshof ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Kündigungsbeschränkungen einer Kurzarbeitsvereinbarung, die im dort zu beurteilenden Fall vom klagenden Arbeitnehmer nicht mitunterfertigt worden war, bloß den Beschäftigungsstand in den Unternehmen oder auch die individuellen Arbeitnehmer schützen sollen und einen individuellen Kündigungsschutz gewähren. Dabei kam er in Auseinandersetzung mit dem Zweck der gesetzlichen Regelung und der Kurzarbeitsvereinbarung sowie der zu dieser Problematik ergangenen Literatur zu dem Ergebnis, dass sich aus den Bestimmungen des § 37b AMSG in Verbindung mit den maßgeblichen Regelungen der Kurzarbeitsvereinbarung keine Unwirksamkeit einer während der Kurzarbeit oder der anschließenden Behaltefrist ausgesprochenen Kündigung ergibt. Ebensowenig resultiert daraus eine Änderung der Kündigungsfristen und ‑termine.
[13] 3. Diesem Ergebnis ist der Oberste Gerichtshof mit ausführlicher Begründung auch in der jüngst ergangenen Entscheidung 8 ObA 50/21t gefolgt, in der – wie hier – eine „Sozialpartnervereinbarung – Einzelvereinbarung“ (Formular‑version 7.0) über Begleitmaßnahmen während der Kurzarbeit von sämtlichen Arbeitnehmern mitunterfertigt worden war. In dieser Entscheidung wurde auch ausgeführt, dass sich die Unwirksamkeit einer entgegen der Vereinbarung ausgesprochenen Kündigung aus dem Wortlaut nicht ableiten lasse. Aufgrund des Umstands, dass die zugrunde liegende Mustervereinbarung von den Sozialpartnern ausverhandelt worden sei, müsse davon ausgegangen werden, dass diese Rechtsfolge gerade nicht gewollt gewesen sei.
[14] Verwiesen wurde auch darauf, dass die sonstigen Reglungen des entsprechenden Vertragspunktes nur die Frage beträfen, wann eine Auffüllpflicht bestehe, somit eine Thematik, die für den einzelnen Arbeitnehmer ohne Bedeutung sei. Gegen die Annahme eines individuellen Kündigungsschutzes spreche weiters, dass die Formulierung „dürfen frühestens gekündigt werden“ sprachlich als Handlungsanleitung für Arbeitgeber formuliert sei. Gleiches gelte für den volkswirtschaftlichen Schutzzweck der Subventionierung von Kurzarbeit.
[15] Die Entscheidung kam daher zu dem Ergebnis, dass sich auch aus der vom Arbeitnehmer mit unterfertigten Kurzarbeitsvereinbarung kein individueller Kündigungsschutz ableiten lasse, weshalb auch für eine Kündigung während der Behaltefrist keine Kündigungsentschädigung zustehe.
[16] Dieses Ergebnis wurde jüngst in einer Reihe von Folgeentscheidungen bestätigt (9 ObA 83/21b, 9 ObA 98/21h, 9 ObA 135/21z ua).
[17] 4. Im vorliegenden Fall besteht kein Grund, davon abzuweichen. Unabhängig von der Frage, ob für die Kündigung der Klägerin im Sinn von Punkt IV Z 2 lit c der Sozialpartnervereinbarung vom 22. 5. 2020 der Regionalbeirat zu befassen gewesen wäre, wurde durch die Kurzarbeitsvereinbarung kein individueller Kündigungsschutz begründet. Wie dargelegt, ändert daran auch nichts, dass im konkreten Fall eine Sozialpartnervereinbarung‑Einzel-vereinbarung getroffen wurde. Da die Vereinbarung im Verhältnis zum jeweiligen Arbeitnehmer auch keinen Einfluss auf die Kündigungsfristen und -termine hat, steht der Klägerin im Falle einer solchen Kündigung auch keine Kündigungsentschädigung zu.
[18] 5. In Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts war daher das Ersturteil wiederherzustellen.
[19] 6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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