European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:009OBA00098.21H.1215.000
Spruch:
Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 377,50 EUR (darin 62,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin war bei der Beklagten ab 17. 12. 2019 als Ladnerin beschäftigt.
[2] Die Parteien schlossen für den Zeitraum 1. 4. 2020 bis 30. 6. 2020 eine „Corona‑Kurzarbeit Sozialpartnervereinbarung Einzelvereinbarung“. Unterpunkt 2. des mit Kurzarbeit übertitelten Punkt IV. lautet auszugsweise:
„2. Aufrechterhaltung des Beschäftigtenstandes:
a) Während der Kurzarbeit:
Der/Die ArbeitgeberIn ist verpflichtet, jenen Beschäftigtenstand im Betrieb aufrecht zu erhalten, der zum Zeitpunkt des Geltungsbeginnes der Kurzarbeitsvereinbarung (Punkt I) bestanden hat (Behaltepflicht).…
b) Nach der Kurzarbeit:
Die Dauer der Behaltepflicht nach Ende der Kurzarbeit beträgt einen Monat.…
c) Die Behaltepflicht nach Kurzarbeit bezieht sich nur auf die ArbeitnehmerInnen, die von Kurzarbeit betroffen waren.
Gemeinsame Bestimmungen:
Kündigungen dürfen frühestens nach Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen werden.
Bereits gekündigte Arbeitsverhältnisse, deren Kündigungsfristen in den Zeitraum der Kurzarbeit hinein reichen, dürfen noch ordnungsgemäß (ohne Auffüllpflicht) beendet werden. Das Gleiche gilt für befristete Arbeitsverhältnisse (Zeitablauf).
Bei Kündigung durch den/die ArbeitnehmerIn besteht für den/die ArbeitgeberIn keine Verpflichtung zur Auffüllung des Beschäftigungsstandes. Das Gleiche gilt, wenn die Voraussetzung für eine vorzeitige Lösung des Arbeitsverhältnisses durch den/die ArbeitgeberIn vorliegt (§ 82 GewO bzw. § 27 AngG).
Bei einvernehmlicher Auflösung von Arbeitsverhältnissen ist der Beschäftigungsstand aufzufüllen, es sei denn, dass vorher eine Beratung des/der Arbeitnehmer/in mit der Gewerkschaft bzw. Arbeiterkammer über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses erfolgt ist.
Die Kündigung von Arbeitsverhältnissen aus personenbezogenen Gründen und das Recht zum vorzeitigen Austritt ist unbenommen. In diesen Fällen ist der Beschäftigungsstand aufzufüllen.
Eine Verminderung des Beschäftigungsstandes ohne Auffüllpflicht kann nur mit Zustimmung des Regionalbeirates der zuständigen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice durchgeführt werden, wenn die zuständige Gewerkschaft zustimmt oder andernfalls nicht innerhalb von 7 Werktagen ab der schriftlichen Bekanntgabe durch den/die ArbeitgeberIn ein Veto gegen die geplante Verminderung eingelegt hat.
d) …“
[3] Auf der letzten Seite der Sozialpartnervereinbarung sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgelistet, darunter auch die Klägerin. Es ist ihre ursprünglich vereinbarte Wochenstundenzahl angegeben, ob Arbeiter oder Angestellter, welchen Prozentsatz sie sich in Kurzarbeit befinden, die Sozialversicherungsnummer, das Geburtsdatum und eine Spalte für die Unterschrift.
[4] Die Klägerin war 30 Wochenstunden bei der Beklagten beschäftigt. Das Kurzarbeitsausmaß betrug 50 %. Die Klägerin unterschrieb dies auf dieser Sozialpartnervereinbarung. Die Klägerin arbeitete in den drei Monaten April bis Juni 2020 auch tatsächlich in Kurzarbeit, allerdings in unterschiedlichem Stundenausmaß.
[5] Bereits während der Kurzarbeit stellte man auf Beklagtenseite Überlegungen an, sich von der Klägerin zu trennen, und schaute sich um neues Personal um. Die Rechtsansicht der Beklagten damals war, dass während der Kurzarbeit die Klägerin nicht gekündigt werden konnte, aber man während der Behaltefrist, wenn der Mitarbeiterstand gleich bleibe, eine Kündigung aussprechen könne. Nachdem ein Nachfolger für die Klägerin gefunden worden war, wurde das Arbeitsverhältnis der Klägerin am 3. 7. 2020 zum 17. 7. 2020 gekündigt. Ihre Lohnansprüche wurden bis 17. 7. 2020 bezahlt. Die Position der Klägerin wurde nachbesetzt.
[6] Die Klägerin begehrte von der Beklagten die der Höhe nach unstrittige Kündigungsentschädigung von 1.369,45 EUR brutto sA für den Zeitraum 18. 7. 2020 bis 14. 8. 2020. Die Kündigung durch den beklagten Arbeitgeber sei während der einmonatigen Behaltefrist nach Abschluss der Kurzarbeitsphase erfolgt und daher unwirksam. Die Kündigung hätte frühestens am 31. 7. 2020 zum 14. 8. 2020 ausgesprochen werden können. Personenbezogene Kündigungsgründe lägen nicht vor.
[7] Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Weder aus dem Gesetz noch aus der Sozialpartnervereinbarung könne ein individueller Bestandschutz abgeleitet werden. Im Übrigen lägen – im Detail dargelegt – personenbezogene Kündigungsgründe vor.
[8] Das Erstgericht gab der Klage statt.
[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das Ersturteil im Sinn einer Klagsabweisung ab, weil die Vereinbarung – zusammengefasst – keinen individuellen Kündigungsschutz entfalte. Die Revision sei zur Frage zulässig, ob einzelne Arbeitnehmer aus einer „Corona‑Kurzarbeit Sozialpartnervereinbarung“ ein subjektives Recht ableiten können, während der Kurzarbeit oder innerhalb der Behaltefrist nicht gekündigt zu werden, bzw im Falle des Akzeptierens der Kündigung Anspruch auf Kündigungsentschädigung zu haben.
[10] In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Klägerin die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[11] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[12] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch unzulässig, weil zur maßgeblichen Rechtsfrage bereits Judikatur vorliegt.
[13] 1. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (RS0112921, RS0112769). Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt weg, wenn diese durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits vorher geklärt wurde (RS0112921 [T5]). Dies ist hier der Fall.
[14] 2. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung vom 22. 10. 2021, 8 ObA 48/21y, zu der vom Berufungsgericht für erheblich erachteten Frage mit eingehender Begründung Stellung genommen. Zusammenfassend wurde die Frage, ob die Kündigungsbeschränkungen in einer vergleichbaren Kurzarbeitsvereinbarung bloß den Beschäftigtenstand in dem Unternehmen schützen sollen oder auch dem Arbeitnehmer einen individuellen Kündigungsschutz gewähren soll, dahin gelöst, dass sich aus den Bestimmungen des § 37b AMSG in Verbindung mit den maßgeblichen Regelungen der Kurzarbeitsvereinbarungen keine Unwirksamkeit einer während der Kurzarbeit oder der anschließenden Behaltefrist ausgesprochenen Kündigung ergibt, sondern die Förderung im Rahmen einer allfälligen Kündigungsanfechtung bei der Beurteilung des Vorliegens „betrieblicher Erfordernisse“ für die Kündigung (§ 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG) zu berücksichtigen ist. Ebensowenig resultiert daraus eine Änderung der Kündigungsfristen und ‑termine.
[15] 3. In der Entscheidung vom 29. 11. 2021, 8 ObA 50/21t, hat der Oberste Gerichtshof an die Ausführungen in der Entscheidung 8 ObA 48/21y anknüpfend weiters zu der Frage Stellung genommen, ob es einen Unterschied mache, wenn der (die) Arbeitnehmer/in (Kläger/in) die Sozialpartnervereinbarung zur Kurzarbeit mitunterfertigt hat und ist zu dem Ergebnis gelangt, aus der Formulierung, dass Arbeitgeberkündigungen frühestens nach Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen werden dürfen, sei auch kein vereinbarter individueller Kündigungsschutz abzuleiten. Auf die Begründung dieser Entscheidung kann ebenfalls verwiesen werden. Entgegen den Revisionsausführungen liegt damit kein vertraglich vereinbarter Kündigungsschutz, aus dem die Klägerin die begehre Kündigungsentschädigung ableiten möchte, vor.
[16] 4. Auf die Rechtsansicht der Klägerin, dass zwischen personen- und verhaltensbezogenen Kündigungsgründen zu unterscheiden sei und die Beklagte lediglich verhaltensbezogene Gründe angezogen habe, die nicht vorlägen und unbeachtlich seien, weil sie nicht von der Sozialpartnervereinbarung als Kündigungsgründe umfasst seien, kommt es danach nicht an.
[17] 5. Die Beurteilung des Berufungsgerichts entspricht damit höchstgerichtlicher Rechtsprechung. Die Revision der Klägerin war daher mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
[18] 6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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