European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00214.21W.1222.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
[1] Die Antragsgegnerin ist eine eingetragene Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft mit beschränkter Haftung, deren Zweck die Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder ist (§ 2 der Satzung); der Antragsteller ist Genossenschafter der Antragsgegnerin.
[2] Der Genossenschaftsvertrag enthält keine allgemeine Regelung zu Einsichtsrechten der Genossenschafter; § 26 Abs 3 des Vertrags bezieht sich lediglich auf die Einsicht in den Jahresabschluss und den Lagebericht. § 26 des Vertrags regelt für „Bekanntmachungen“ wie folgt:
„(1) Die für Mitglieder nach dem Genossenschaftsgesetz und nach dieser Satzung vorgeschriebenen Bekanntmachungen erfolgen durch Anschlag im Geschäftslokal am Sitz der R*.
(2) In den Bekanntmachungen ist der Tag des Aushanges und der Tag der Abnahme anzumerken. Mit dem dem Tag des Aushanges folgenden Tag beginnt der Fristenlauf.
(3) Eine nach dem BWG erforderliche Bekanntmachung des Jahresabschlusses erfolgt in der ′R*zeitung′ und im Geschäftslokal am Sitz der R*.“
[3] Der Antragstellerbeantragte ursprünglich, das Gericht möge die Antragsgegnerin auffordern, ihm volle Einsichtnahme in das Mitgliederregister samt Mitgliedernummern und Adressdaten zu gewähren; allenfalls möge das Gericht eine Ordnungsstrafe nach § 87 GenG verhängen und die Einsicht erforderlichenfalls mit weiteren Zwangsstrafen erzwingen. Er habe am 23. 3. 2021 nach vorheriger Ankündigung Einsicht in das Mitgliederregister genommen. Dabei sei ihm jedoch keine vollständige Einsicht gewährt worden, weil Mitgliedernummern und Adressen der Mitglieder gefehlt hätten. Die umfassende Einsichtnahme sei ihm unter Berufung auf datenschutzrechtliche Gründe verweigert worden. Dies sei gesetzeswidrig und widerspräche höchstgerichtlicher Judikatur. Das Einsichtsrecht in die Adressdaten sei insbesondere zur Geltendmachung seiner Minderheitenrechte, die eine Kontaktaufnahme zwischen Genossenschaftern erfordere, unerlässlich, weshalb keine datenschutzrechtlichen Schutzüberlegungen entgegenstünden. Sowohl eine aus § 14 GenG ableitbare gesetzliche Verpflichtung als auch die Erfüllung von vertraglichen Verpflichtungen aus dem Genossenschaftsvertrag würden einen tauglichen Rechtfertigungsgrund für die Datenverarbeitung und ‑weitergabe gemäß Art 6 DSGVO darstellen.
[4] Die Antragsgegnerin wandte ein, gemäß § 14 GenG seien die Adressen nicht im Register zu führen. Daran ändere auch die grundsätzliche Berechtigung der Genossenschaft nichts, die Adressen ihrer Mitglieder zu sammeln und zu verarbeiten. Die Adressdaten würden in einer gesonderten Liste gesammelt und nicht im Register verzeichnet. Adressdaten seien personenbezogene Daten gemäß Art 4 Z 1 DSGVO, die begehrte Einsichtnahme in diese Daten stelle eine Verarbeitung nach Art 4 Z 2 DSGVO dar. Diese sei gemäß Art 6 Abs 1 lit c DSGVO nur dann zulässig, wenn eine rechtliche Pflicht des Verantwortlichen bestehe, konkrete Daten zu verarbeiten. Vertragliche Verpflichtungen würden nicht ausreichen, um eine solche rechtliche Pflicht zu begründen; eine solche sei auch aus § 14 GenG nicht ableitbar.
[5] Unmittelbar vor der erstinstanzlichen Entscheidung legte die Antragsgegnerin ein Mitgliederverzeichnis samt Mitgliedernummern, aber ohne Adressen vor.
[6] Das Erstgericht gab dem Antrag zur Gänze statt. Aus § 14 Abs 1 und Abs 2 GenG ergebe sich zwar keine unmittelbare rechtliche Verpflichtung der Verantwortlichen zur Verarbeitung der Adressdaten von Genossenschaftsmitgliedern. Der Mangel eines gesetzlichen Auskunftsrechts von Genossenschaftsmitgliedern zur Geltendmachung von Minderheitenrechten sei allerdings als planwidrige Lücke im Genossenschaftsgesetz zu qualifizieren, welche durch analoge Anwendung des § 14 GenG zu schließen sei. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Gesetzgeber im Genossenschaftsgesetz gewisse Minderheitenrechte vorsehe, diese allerdings mangels entsprechender Regelung eines Auskunftsrechts praktisch nicht durchsetzbar seien; auch der Satzung seien gewisse Minderheitenrechte zu entnehmen. Ein Genossenschaftsmitglied könne seine vollen Mitgliedschaftsrechte aber nur dann effektiv wahrnehmen, wenn eine Kontaktaufnahme zwischen den Genossenschaftern außerhalb der Mitgliederversammlung ermöglicht werde. Durch die Mitteilung der Anschriften solle das die Einsichtnahme begehrende Mitglied gerade in die Lage versetzt werden, sich mit anderen Mitgliedern in Verbindung setzen zu können, um das erforderliche Quorum für die Geltendmachung entsprechender Minderheitenrechte zu erreichen.
[7] Darüber hinaus sei die Verarbeitung personenbezogener Daten unter anderem zur Erfüllung eines Vertrags (Satzung) rechtmäßig. Bereits kraft der Mitgliedschaft ergebe sich aufgrund der gesetzlich und vertraglich eingeräumten Minderheitenrechte ein rechtliches Interesse des Antragstellers gemäß Art 6 Abs 1 lit f DSGVO. Die Genossenschaftsmitglieder seien mit ihrem Beitritt zur Genossenschaft in eine gewollte Rechtsgemeinschaft zu anderen, also auch unbekannten Mitgliedern getreten und hätten hinzunehmen, dass andere Mitglieder in berechtigter Verfolgung genossenschaftspolitischer Ziele an sie herantreten. Konkrete Umstände, die ein besonderes Geheimhaltungsinteresse begründen würden, welche bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen wären, seien von der Antragsgegnerin nicht behauptet worden und auch nicht ersichtlich.
[8] Das Rekursgericht schränkte im Hinblick auf die erst unmittelbar vor der Entscheidung des Erstgerichts erfolgte Vorlage der Mitgliedernummern, den Zuspruch des Erstgerichts insofern ein, als nur mehr die Gestattung der Einsicht in die Adressdaten aufgetragen wurde.
[9] Es vertrat die Auffassung, dass es zwar keine höchstgerichtliche Judikatur zur Frage eines Einsichtsrechts in Adressen der Mitglieder einer Genossenschaft gäbe, in Übereinstimmung mit Ansichten in der Lehre jedoch höchstgerichtliche Rechtsprechung zu dieser Frage zum Vereinsrecht und zum Wohnungseigentumsrecht auf den vorliegenden Fall übertragen werden könne. Aufgrund der vertraglichen Rechtsgemeinschaft der Mitglieder untereinander ergebe sich eine vertragliche Nebenpflicht aller Mitglieder, die Bekanntgabe ihrer Kontaktdaten zur Ausübung und Organisation von Minderheitenrechten im Zusammenhang mit der Einberufung einer Generalversammlung durch die Genossenschaft zu dulden. Außerdem ergebe sich eine weitere – aus der Treuepflicht resultierende – Nebenpflicht der Genossenschaft, den einzelnen Mitgliedern gemäß § 14 GenG analog Einsicht in diese Daten zu gewähren, es sei denn es hätten einzelne Mitglieder dies ausdrücklich untersagt und es lägen diesbezüglich auch berechtigte Gegeninteressen vor, was hier aber nicht der Fall sei.
[10] Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil keine höchstgerichtliche Judikatur dazu vorliege, ob einem Genossenschaftsmitglied gegenüber der Genossenschaft ein Recht auf Einsicht in die Adressdaten der übrigen Mitglieder zukomme, ob der Antragsteller dazu allenfalls konkretisieren müsse, welches Minderheitenrecht er warum beabsichtigte, in Anspruch zu nehmen, und ob den davon betroffenen Mitgliedern im Außerstreitverfahren (zur Dartuung berechtigter Geheimhaltungsinteressen) Parteistellung einzuräumen sei (wofür jedoch deren Adressen erforderlich wären).
Rechtliche Beurteilung
[11] Der dagegen erhobene Revisionsrekurs ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig; er ist aber nicht berechtigt.
1. Zum Einsichtsrecht des Genossenschafters
[12] 1.1. Gemäß § 14 Abs 1 GenG ist am Sitz der Genossenschaft ein Register zu führen, in welches der Vor- und Zuname und der „Stand eines jeden Genossenschafters“, der Tag seines Eintritts in die Genossenschaft und seines Ausscheidens aus derselben, die Anzahl der einem jeden gehörigen Geschäftsanteile sowie die Kündigung eines oder mehrerer Geschäftsanteile einzutragen sind. Die Einsicht dieses Registers sowie des Genossenschaftsvertrags und seiner allfälligen Abänderungen ist „jedermann“ zu gestatten (§ 14 Abs 2 GenG).
[13] Werden auch die Adressen in diese Liste aufgenommen, soll sich nach einigen Entscheidungen auch das Einsichtsrecht darauf erstrecken (OGH Adler-Clemens, Sammlung handelsrechtlicher Entscheidungen 1905 Nr 2491; OLG Wien, 28 R 41/05p NZ 2006, Gen 3, 27), wobei die zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs noch zur Stammfassung des GenG RGBl 1873/70 erging. Dieses sah in § 14 GenG vor:
„Am Sitze der Genossenschaft und einer jeden Zweigniederlassung derselben ist ein Register zu führen, in welches der Vor- und Zunahme und Stand eines jeden Genossenschafters, der Tag seines Eintritts in die Genossenschaft und seines Ausscheidens aus derselben, die Anzahl der einem Jeden gehörenden Geschäftsantheile, sowie die Kündigung eines oder mehrerer Geschäftsantheile einzutragen ist.
Die Einsicht dieses Registers, sowie des Genossenschaftsvertrags und seiner allfälligen Abänderung muss Jedermann gestattet werden.“
[14] Der Oberste Gerichtshof stellte klar, dass die nach § 14 GenG gestattete Einsichtnahme in das am Sitze der Genossenschaft zu führende Register (Mitgliederverzeichnis) das Recht der Abschriftnahme einschließe; dieses Recht erstrecke sich auch auf die im Mitgliederverzeichnisse vorkommenden Adressen der Genossenschafter. Die Abschrift müsse jedoch durch den Einsichtsberechtigten persönlich erfolgen. Der Oberste Gerichtshof bejahte somit ein Einsichtsrecht auch hinsichtlich der Adressen, auch wenner festhielt, dass die Eintragung dieser Adressen nach § 14 GenG nicht zum gesetzlich vorgeschriebenen Inhalt des Mitgliederverzeichnisses gehöre.
[15] 1.2. § 14 GenG aF unterscheidet sich nicht wesentlich von der heute geltenden Rechtslage des Genossenschaftsgesetzes idF BGBl I 2021/86, sodass sich – vorbehaltlich der noch vorzunehmenden Prüfung nach der DSGVO – die zitierte Entscheidung grundsätzlich auch auf die heutige Rechtslage übertragen lässt. Mangels Nennung der Adressen der Genossenschafter in der Aufzählung des § 14 Abs 1 GenG besteht aber jedenfalls keine entsprechende Verpflichtung zur Erhebung und Eintragung dieses Umstands. Im Hinblick auf den Schutz der Privatsphäre der Genossenschafter kann auch bei (freiwilliger) Abfrage grundsätzlich keine Verpflichtung zur Eintragung dieses Umstands in das öffentlich einsehbare Register (§ 14 Abs 2 GenG) abgeleitet werden (aA Kaster in Patera, Handbuch des österreichischen Genossenschaftswesens [1986] 145, der „Stand eines jeden Genossenschafters“ offenbar als „Beruf und Wohnsitz“ versteht; ebenso Feil, Genossenschaftsrecht [1991] § 14 GenG Rz 1).
[16] 1.3. Da die Adressen im vorliegenden Fall tatsächlich nicht in das Mitgliederregister eingespielt wurden, liegen jedenfalls auch keine aufgrund allgemeiner (öffentlicher) Verfügbarkeit der Daten iSd § 1 Abs 1 DSG vom Schutzbereich des Grundrechts auf Datenschutz ausgenommene Daten vor (vgl Lachmayer in Knyrim, DatKomm Art 1 DSGVO Rz 71).
2. Zur Verletzung des Zweckbindungsgrundsatzes
[17] 2.1. Weder das Genossenschaftsgesetz noch die Satzung der Antragsgegnerin enthalten eine allgemeine Regelung zu Kontrollrechten der Genossenschafter, auch wenn das Gesetz einzelne Einsichtsrechte (vgl etwa § 27 Abs 1, § 34 Abs 2, § 51 Abs 2 GenG) normiert. Eine analoge Anwendung des in § 14 Abs 2 GenG geregelten Einsichtsrechts in Bezug auf die in die Mitgliederliste oder eine separate Liste aufgenommenen Adressen der Genossenschafter (nur) für die übrigen Genossenschafter erübrigt sich jedoch entgegen der Auffassung der Vorinstanzen mangels (planwidriger) Unvollständigkeit:
[18] 2.2. Gemäß dem sinngemäß anzuwendenden (§ 1175 Abs 4 ABGB) § 1194 Abs 1 S 2 ABGB kann sich ein Gesellschafter, auch wenn er von der Geschäftsführung ausgeschlossen ist, von den Angelegenheiten der Gesellschaft persönlich unterrichten, die Aufzeichnungen der Gesellschaft einsehen und sich aus ihnen eine Abrechnung anfertigen oder die Vorlage einer solchen Abrechnung fordern, und zwar grundsätzlich ohne Angabe eines Grundes. Das Recht auf Einsichtnahme umfasst nach hA nicht nur vermögensbezogene Aufzeichnungen, sondern auch alle sonstigen mit den Angelegenheiten der Gesellschaft in Zusammenhang stehende Aufzeichnungen (Appl in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4 § 118 Rz 14 f; S.-F. Kraus in U. Torggler, UGB³ § 118 Rz 6 f; Artmann/Haglmüller in Klang³ § 1194 Rz 23; zum grundsätzlich unbeschränkten Informationsanspruch des GmbH-Gesellschafters siehe RS0105318). In diesem Sinne hat auch der deutsche Bundesgerichtshof ausgesprochen, dass es sich bei den Namen und Anschriften der Gesellschafter um eine „Angelegenheit der BGB‑Gesellschaft“ handle (BGH II ZR 263/18 NZG 2020, 381).
[19] Dass § 1194 Abs 1 S 2 ABGB an § 118 Abs 1 UGB angelehnt ist, der für Kommanditisten aufgrund ihrer beschränkten Haftung nicht gilt (§ 166 Abs 2 UGB), steht der Anwendung dieser Bestimmung trotz der beschränkten Haftung der Genossenschafter der Antragsgegnerin nicht entgegen. Einerseits unterscheidet § 1194 Abs 1 S 2 ABGB diesbezüglich nicht, obwohl auch das 27. Hauptstück Haftungsbeschränkungen kennt (§ 1199 Abs 1 ABGB). Andererseits hat der Oberste Gerichtshof die Anwendbarkeit von § 1194 Abs 1 S 2 ABGB sogar für Gesellschafter einer GmbH bejaht (6 Ob 166/19h [ErwGr 1.]).
[20] Somit wäre auch eine separat von dem Mitgliederverzeichnis nach § 14 Abs 1 GenG geführte Adressenliste gemäß § 1194 Abs 1 S 2 iVm § 1175 Abs 4 ABGB grundsätzlich für den Genossenschafter einsehbar.
3. Zur Erforderlichkeit der Datenverarbeitung
[21] 3.1. Unstrittig sind die Adressdaten der Genossenschafter als personenbezogene Daten (Art 4 Z 1 DSGVO) und die begehrte Einsichtnahme als Verarbeitung (Art 4 Z 2 DSGVO) zu qualifizieren. Gemäß Art 8 Abs 2 S 1 GRC dürfen personenbezogene Daten nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden. Nach Art 5 Abs 1 DSGVO müssen personenbezogene Daten unter anderem:
„a) auf rechtmäßige Weise, nach Treu und Glauben und in einer für die betroffene Person nachvollziehbaren Weise verarbeitet werden (′Rechtmäßigkeit, Verarbeitung nach Treu und Glauben, Transparenz′);
b) für festgelegte, eindeutige und legitime Zwecke erhoben werden und dürfen nicht in einer mit diesen Zwecken nicht zu vereinbarenden Weise weiterverarbeitet werden; eine Weiterverarbeitung für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke, für wissenschaftliche oder historische Forschungszwecke oder für statistische Zwecke gilt gemäß Artikel 89 Absatz 1 nicht als unvereinbar mit den ursprünglichen Zwecken (′Zweckbindung′);
c) dem Zweck angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein (′Datenminimierung′);“ [...]
[22] Die bestimmten Zwecke, zu denen die personenbezogenen Daten verarbeitet werden, sollten zum Zeitpunkt der Erhebung der personenbezogenen Daten feststehen (ErwGr 39 DSGVO).
[23] 3.2. Das Gebot der eindeutigen Zweckbestimmung folgt primär aus Art 5 Abs 1 lit b DSGVO, ergibt sich aber indirekt auch aus dem in Art 5 Abs 1 lit a DSGVO manifestierten Transparenzgebot, dem eine zu vage oder zu weite Zweckbestimmung ebenfalls widersprechen würde (Hötzendorfer/Tschohl/Kastelitz in Knyrim, DatKomm Art 5 DSGVO Rz 25). Die Gruppe für den Schutz von Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, die gemäß Art 29 der (seinerzeitigen) Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr („Datenschutzrichtlinie“, Abl L 1995/281, 31 ff) beratend für die Europäische Kommission tätig geworden ist (sog „Art‑29‑Datenschutzgruppe“), stellte fest, dass der Zweck detailliert genug sein muss, um zu bestimmen, welche Art der Verarbeitung unter den angegebenen Zweck fällt und welche nicht, und um die Beurteilung der Einhaltung des Gesetzes und der Datenschutzgarantien zu ermöglichen. Begriffe wie etwa „Verbesserung der Benutzerfreundlichkeit“, „Marketingzwecke“, „Zwecke der IT‑Sicherheit“ oder „künftige Forschung“ sollen dabei nicht dem Kriterium der hinreichenden Bestimmtheit gerecht werden (Opinion 03/2013 on purpose limitation, 00569/13/EN WP 203, 15 f).
[24] Auch wenn sich Art 5 DSGVO primär an den Verantwortlichen richtet (Art 5 Abs 2 DSGVO), ist auch bei der Weiterverarbeitung eine Zweckangabe insofern notwendig, als es gilt, die Kompatibilität von Erhebungs‑ und Verwendungszweck zu prüfen. Nach (insoweit nicht bekämpfter) Auffassung des Erstgerichts erfolgte die Erhebung der Adressen zur „Abwicklung der Mitgliedschaft“.
[25] Vor dem Hintergrund insbesondere der Erwägungen der Art‑29‑Datenschutzgruppe ist die Beurteilung des Rekursgerichts, wonach der Zweck der Ausübung und Organisation von Minderheitenrechten im Zusammenhang mit der Einberufung einer Generalversammlung als ausreichend bestimmt erachtet wurde, nicht zu beanstanden. Dieser Zweck erfüllt zunächst zweifelsfrei eine Begrenzungsfunktion. Zudem ist durch diesen Zweck einerseits für den betroffenen Genossenschafter die Verarbeitung seiner Daten ausreichend nachvollziehbar; andererseits versetzt er den Betroffenen ebenso wie damit befasste Behörden in die Lage, die Einhaltung des Gesetzes und der Datenschutzgarantien zu überprüfen.
4. Zur Rechtmäßigkeit der Verarbeitung
[26] 4.1. Gemäß Art 6 Abs 1 DSGVO kommen für die Begründung der Rechtmäßigkeit der Verarbeitung unter anderem folgende gleichwertige (6 Ob 56/21k) Bedingungen in Betracht:
„b) die Verarbeitung ist für die Erfüllung eines Vertrags, dessen Vertragspartei die betroffene Person ist, oder zur Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen erforderlich, die auf Anfrage der betroffenen Person erfolgen;
c) die Verarbeitung ist zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich, der der Verantwortliche unterliegt;
f) die Verarbeitung ist zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt.“
[27] 4.2. Der von der Datenverarbeitung betroffene Genossenschafter ist Vertragspartei des Genossenschaftsvertrags. Aus der mit dem Einsichtsrecht des Genossenschafters gemäß § 1194 Abs 1 S 2 iVm § 1175 Abs 4 ABGB korrespondierenden Pflicht der Genossenschaft, ebenso wie aus der (Neben‑)Pflicht, die effektive Ausübung der Minderheitenrechte des Genossenschafters zu gewährleisten, die gefährdet wäre, wenn dem Genossenschafter die übrigen Genossenschafter und ihre Erreichbarkeit unbekannt wären, folgt, dass die Einsicht in Adressdaten übriger Genossenschafter jedenfalls für die Erfüllung bzw Abwicklung des Genossenschaftsvertrags notwendig ist (Art 6 Abs 1 lit b DSGVO, vgl auch 6 Ob 56/21k zu Nebenpflichten).
[28] 4.3. Dies wurde für das österreichische Recht auch bereits zur Ausübung der Individualrechte innerhalb einer Wohnungseigentümergemeinschaft (5 Ob 175/08h; 5 Ob 238/12d) ausdrücklich bejaht.
[29] 4.4. Auch das deutsche Bundesverfassungsgericht hat aus der die Einberufung der Mitgliederversammlung eines Vereins auf Verlangen der Minderheit regelnden Bestimmung des § 37 BGB abgeleitet, dass sich daraus ein berechtigtes Interesse im Sinne des Datenschutzrechts auf Einsicht in die Vereins-Mitgliederliste mit dem Ziel der Kontaktaufnahme mit anderen Vereinsmitgliedern zur Erörterung vereinsrechtlicher Belange ergebe (BVerfG 18. 2. 1991, 1 BvR 185/91 BeckRS 2012, 47998; ebenso BGH II ZR 219/09 NZG 2010, 1430; BGH II ZR 187/09 ZIP 2011, 322 zum Recht der Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, Auskunft über die Namen und Anschriften ihrer Mitgesellschafter zu verlangen).
[30] Weiters erkannte die deutsche Rechtsprechung vor Inkrafttreten der DSGVO keine datenschutzrechtlichen Bedenken, wenn die Verwendung von personenbezogenen Daten von Verbandsmitgliedern gegenüber anderen Verbandsmitgliedern erfolgte und dem keine berechtigten Belange der übrigen Mitglieder entgegenstanden (so zum Recht der Gesellschaft bürgerlichen Rechts BGH II ZR 187/09 ZIP 2011, 322; zum Vereinsrecht BGH II ZR 219/09 NZG 2010, 1430; OLG München 19 U 3483/90 BeckRS 2012, 05531; OLG Saarbrücken 1 U 450/07 BeckRS 2008, 9167), wobei schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen mit Blick auf das bestehende rechtsgeschäftliche Schuldverhältnis und die Erforderlichkeit der Datenverwendung zur Durchführung konkret verneint wurden (BGH II ZR 187/09 [Rz 17] ZIP 2011, 322).
[31] Nach Inkrafttreten der DSGVO hat der Bundesgerichtshof (II ZR 263/18 NZG 2020, 381) festgehalten, dass zwischen Anlegern, die als Treugeber über eine Treuhandkommanditistin (Fondsgesellschaft) an einer Gesellschaft beteiligt sind, aufgrund der bestehenden Innen-Gesellschaft bürgerlichen Rechts ein Auskunftsanspruch über die übrigen Anleger (Name und Anschrift) zukommt, insbesondere um das Verhalten mit den übrigen Treugebern abstimmen zu können. Nach dieser Entscheidung ist „das Recht, seine Vertragspartner zu kennen, [...] in jedem Vertragsverhältnis selbstverständlich“ (aaO Rz 13). Eine Übermittlung gegenüber den übrigen Treugebern verstoße auch nach Inkrafttreten der DSGVO nicht gegen datenschutzrechtliche Vorschriften, insbesondere nicht die Art 5 und 6 DSGVO (BGH II ZR 263/18 [Rz 26 ff] NZG 2020, 381; zust Rohde, jurisPR-BKR 7/2020 Anm 1; krit Zoller, BB 2020, 788 in Hinblick auf den Umstand, dass Anlegeranwälte Namen und Anschriften von Gesellschaftern bei einer in Schieflage befindlichen Gesellschaft zur Mandantenakquisition nutzen, und die damit bestehende Missbrauchsgefahr; abl Nast, Auskunftsanspruch über Mitanleger eines treuhänderisch organisierten Publikumsfonds unter Geltung der DS‑GVO, NZG 2020, 826 mangels „Automatismus“ zwischen Gesellschaftsrecht und Datenschutzrecht).
[32] 4.5. Die Herausgabe personenbezogener Daten eines Genossenschafters an einen anderen Genossenschafter ist daher vom Erlaubnistatbestand des Art 6 Abs 1 lit b DSGVO umfasst. Dieses Ergebnis deckt sich überdies mit ErwGr 48 DSGVO, wonach sogar innerhalb von Unternehmensgruppen ein berechtigtes Interesse zur internen Übermittlung personenbezogener Daten für interne Verwaltungszwecke anerkannt wird (ebenso BGH II ZR 263/18 [Rz 37] NZG 2020, 381).
[33] 4.6. Eine systematische Auslegung der Erlaubnistatbestände des Art 6 Abs 1 DSGVO ergibt zudem, dass die von der Antragsgegnerin relevierte dreigliedrige Interessenabwägung (Vorliegen eines berechtigten Interesses, Erforderlichkeit der Verarbeitung der personenbezogenen Daten zur Verwirklichung des berechtigten Interesses und kein Überwiegen der Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person) lediglich nach Art 6 Abs 1 lit f DSGVO erforderlich ist, nicht aber beim Erlaubnistatbestand des Art 6 Abs 1 lit b DSGVO. Damit liegt entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Auffassung auch keine Abweichung von der Entscheidung 6 Ob 87/21v vor, weil diese Entscheidung den hier gerade nicht anzuwendenden Erlaubnistatbestand des Art 6 Abs 1 lit f DSGVO betraf. Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf zu verweisen, dass auch der BGH in der zitierten Entscheidung II ZR 263/18 (NZG 2020, 381) keine derartige Interessenabwägung vorgenommen hat.
[34] 4.7. Dass die angeführte dreistufige Interessenabwägung bei den Erlaubnistatbeständen der Art 6 Abs 1 lit a bis e DSGVO nicht erforderlich ist, ist in Anbetracht der engen Formulierung dieser Tatbestände systemkonform, zumal diesen Tatbeständen entweder eine ausdrückliche (Art 6 Abs 1 lit a DSGVO), eine hypothetische (Art 6 Abs 1 lit d erster Fall DSGVO: Schutz eigener lebenswichtiger Interessen) oder (wohl) eine konkludente Zustimmung (Art 6 Abs 1 lit b DSGVO: Vertragsbeitritt) zur Datenverarbeitung oder eine vom europäischen Gesetzgeber vorweggenommene Interessenabwägung zugrundeliegt (Art 6 Abs 1 lit c, lit d zweiter Fall, lit e DSGVO).
[35] 4.8. Die in § 1 Abs 2 DSG generell vorgesehene Interessenabwägung ist aufgrund des Anwendungsvorrangs von Unionsrecht – auch wenn es sich dabei um eine Verfassungsbestimmung handelt (vgl nur EuGH 17. 12. 1970, 11/70 , Internationale Handelsgesellschaft, Rz 3) – im Rahmen der Öffnungsklausel des Art 6 Abs 1 lit b DSGVO unangewendet zu lassen.
5. Verletzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes (Art 6 DSGVO)
[36] 5.1. Die Antragsgegnerin steht auf dem Standpunkt, das Rekursgericht habe fälschlicherweise nicht überprüft, ob die Adressdaten zur Zweckerreichung notwendig sind. Die für die Mitglieder nach dem Genossenschaftsgesetz und nach der Satzung vorgeschriebenen Bekanntmachungen, etwa die Einberufung der Generalversammlung nach § 29 Abs 2 GenG, hätten durch Anschlag im Geschäftslokal der R* zu erfolgen (§ 26 Abs 1 der Satzung). Die Mitgliederadressen müssten den Mitgliedern zur Ausübung ihrer Rechte daher nicht bekannt sein, weil die Kommunikation ausschließlich über Bekanntmachungen/Aushang erfolge. Alternativ hätte der Antragsteller zur Wahrnehmung seiner Rechte an den Vorstand als Leitungsorgan ein konkretes Begehren richten können, eines seiner Schreiben an bestimmte oder alle Genossenschaftsmitglieder weiterzuleiten und/oder sein Kontaktaufnahmeersuchen weiterzuleiten bzw zuzustellen.
[37] 5.2. Dem kann nicht gefolgt werden. Art 5 Abs 1 lit c DSGVO statuiert den Grundsatz der Datenminimierung (vgl Hötzendorfer/Tschohl/Kastelitz in Knyrim, DatKomm Art 5 DSGVO Rz 21). Die Verarbeitung personenbezogener Daten soll auf das Unvermeidbare reduziert werden. Dadurch wird sichergestellt, dass die Verarbeitung durch den festgelegten Zweck tatsächlich begrenzt wird (Hötzendorfer/Tschohl/Kastelitz in Knyrim, DatKomm Art 5 DSGVO Rz 34).
[38] Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin sind die von ihr genannten Kommunikationsmethoden für die Wahrnehmung von Minderheitenrechten und die Abstimmung von Genossenschaftern untereinander nicht geeignet. Der Genossenschafter muss sich insofern nicht von der Genossenschaft auf bestimmte Kommunikationsmittel mit den übrigen Genossenschaftern verweisen lassen. Vielmehr obliegt ihm selbst die Wahl desjenigen Kommunikationsmittels, das seiner Meinung nach eine erfolgversprechende Einflussnahme auf die Willensbildung gewährleistet (ebenso BGH II ZR 187/09 ZIP 2011, 322; OLG München 19 U 3483/90 BeckRS 2012, 05531). § 26 Abs 1 der Satzung, auf den die Antragsgegnerin ihre Behauptung stützt, ist weder vom Wortlaut noch vom Zweck her auf die Kommunikation der Mitglieder untereinander anwendbar.
[39] Der Vorschlag der Antragsgegnerin, der Antragsteller könnte anstelle der Einsicht in die Adressdaten an den Vorstand ein konkretes Begehren richten, sein Schreiben an bestimmte oder alle weiteren Genossenschaftsmitglieder weiterzuleiten und/oder sein Kontaktaufnahmeersuchen weiterzuleiten bzw zuzustellen, findet ebenfalls keine Deckung im Genossenschaftsgesetz oder der Satzung.
6. Zur Parteistellung der übrigen Genossenschaftsmitglieder
[40] Die Antragsgegnerin stützt sich in ihrem Revisionsrekurs schließlich auch darauf, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob den übrigen Genossenschaftsmitgliedern (verfahrens‑)rechtliche Parteistellung, insbesondere zur Dartuung berechtigter Geheimhaltungsinteressen, einzuräumen ist und ob diese nach Stellung eines Begehrens auf Adressdateneinsichtnahme eines Genossenschaftsmitglieds hinsichtlich der Adressdaten aller anderen Genossenschaftsmitglieder in die Entscheidung des Leitungsorgans im Rahmen der Gewährung einer Äußerungsmöglichkeit einzubeziehen sind.
[41] Diese Argumentation ist in mehrfacher Hinsicht nicht stichhaltig. Zunächst wurde bereits ausgeführt, dass es im Rahmen des Erlaubnistatbestands des Art 6 Abs 1 lit b DSGVO keiner eigenen Interessenabwägung bedarf. Schon deshalb ist eine Beiziehung der anderen Genossenschaftsmitglieder zum vorliegenden Verfahren nicht erforderlich. Insofern ist die von der Antragsgegnerin angesprochene Rechtsfrage für den vorliegenden Fall rein hypothetischer Natur; eine Beantwortung erübrigt sich insofern mangels Präjudizialität (RS0088931 [T2]; E. Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 508a Rz 1).
[42] Außerdem ist der Argumentation der Antragsgegnerin entgegenzuhalten, dass im Verfahren zur Einsichtsgewährung (auch) die Interessen der übrigen Genossenschaftsmitglieder durch die Antragsgegnerin wahrgenommen werden. Insofern unterscheidet sich die Rechtslage bei der Genossenschaft nicht von derjenigen bei der GmbH oder anderen Verbänden (vgl zum Gedanken der prozessualen Repräsentation Oberhammer, Die OHG im Zivilprozess [1998] 59 ff; G. Kodek/G. Nowotny, Das neue Außerstreitgesetz und das Verfahren vor dem Firmenbuchgericht, NZ 2004, 257; 6 Ob 201/09s).
[43] Schließlich ist darauf zu verweisen, dass die Anhörung der übrigen Genossenschaftsmitglieder wiederum die Offenlegung ihrer Adressen (zumindest gegenüber dem Gericht) erfordern würde.
[44] 7. Zusammenfassend erweist sich sohin die Entscheidung des Rekursgerichts als zutreffend, sodass dem unbegründeten Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen war.
[45] Der Antragsteller hat keine Revisionsrekursbeantwortung erstattet, sodass eine Kostenentscheidung zu entfallen hatte.
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