OGH 13Ns71/21a

OGH13Ns71/21a21.12.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Dezember 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in der Strafsache gegen ***** B***** und eine Angeklagte wegen Verbrechen des schweren gewerbsmäßig und im Rahmen einer kriminellen Vereinigung durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 3, 130 Abs 2 (iVm Abs 1 erster und zweiter Fall) und 15 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen in dem zu AZ 14 Hv 45/21g des Landesgerichts für Strafsachen Graz zwischen diesem und dem Landesgericht Linz geführten Zuständigkeitsstreit nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0130NS00071.21A.1221.000

 

Spruch:

Für die Durchführung des Strafverfahrens ist das Landesgericht für Strafsachen Graz zuständig.

 

Gründe:

[1] Gegen ***** F***** ist zu AZ 22 Hv 70/17k des Landesgerichts Linz ein als Jugendstrafsache (§ 1 Abs 1 Z 4 JGG) geführtes, einzelrichterliches Hauptverfahren anhängig, das derzeit gemäß § 427 Abs 2 zweiter Satz StPO iVm § 197 Abs 1 StPO abgebrochen ist.

[2] Gegen (die Erwachsenen) ***** B***** und ***** L***** wiederum behängt ein (ebenfalls einzelrichterliches) Hauptverfahren zu AZ 14 Hv 45/21g des Landesgerichts für Strafsachen Graz (in dem diese beiden Angeklagten seit 24. September 2020 in Haft angehalten werden).

[3] Am 10. November 2021 verfügte die Einzelrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Graz die „Abtretung“ dieses Verfahrens „zu 22 Hv 70/17k des LG Linz zur Einbeziehung gemäß § 37 StPO“ wegen „Konnexität“ (AZ 14 Hv 45/21g des Landesgerichts für Strafsachen Graz, nicht journalisiert).

[4] Die Einzelrichterin des Landesgerichts Linz bezweifelte ihre Zuständigkeit für das gegen B***** und L***** geführte Verfahren und verfügte – ohne die Strafsachen miteinander zu verbinden – (soweit hier von Interesse) gemäß § 38 dritter Satz StPO die Vorlage der Akten an den Obersten Gerichtshof (ON 1 S 9 in AZ 22 Hv 70/17k des Landesgerichts Linz).

Rechtliche Beurteilung

Dieser hat erwogen:

[5] Entgegen der Auffassung des Landesgerichts für Strafsachen Graz tritt die Verbindung zweier Hauptverfahren, auch wenn sie geboten ist, keineswegs „ex lege“ ein. Vielmehr ist sie vom (für die Verfahrensverbindung und die Führung des verbundenen Verfahrens gemäß § 37 StPO oder § 34 Abs 1 JGG zuständigen) Gericht mittels prozessleitender Verfügung (§ 35 Abs 2 zweiter Fall StPO) vorzunehmen (RIS‑Justiz RS0130527, insbesondere 11 Ns 3/19h mwN).

[6] Eine solche Verfügung wurde hier nicht getroffen. Zu prüfen ist daher zunächst, ob die Verbindung des (vom Zuständigkeitsstreit betroffenen) Verfahrens gegen B***** und L***** mit jenem gegen F***** zu Recht unterblieb. Nur bei Verneinung dieser Frage wäre weiters zu prüfen, welches Gericht zur gemeinsamen Führung der (in diesem Fall zu verbindenden) Hauptverfahren zuständig wäre.

[7] Die beiden – auf voneinander getrennt eingebrachten, nach der Aktenlage jeweils rechtswirksamen (§ 4 Abs 2 StPO) Anklagen beruhenden – Hauptverfahren nach § 37 Abs 3 StPO miteinander zu verbinden war vorliegend nicht geboten:

[8] Zwar wird F***** (im Verfahren AZ 22 Hv 70/17k des Landesgerichts Linz [dort Strafantrag ON 108 in ON 5a]) und L***** (im Verfahren AZ 14 Hv 45/21g des Landesgerichts für Strafsachen Graz [dort ON 173, ON 202 und ON 306]) – unter anderem – Beteiligung (§ 12 StGB) an derselben strafbaren Handlung angelastet (die F***** als junge Erwachsene begangen habe). Dies stellt – im Gegensatz zur Rechtslage vor BGBl I 2016/121 (dazu RIS‑Justiz RS0123444 [T1] und RS0125115 [T1]) – die Voraussetzungen für eine Verbindung der Hauptverfahren grundsätzlich her (§ 37 Abs 3 StPO).

[9] Keine derartige objektive Konnexität besteht jedoch in Bezug auf mehrere Jugendstraftaten (§ 1 Abs 1 Z 3 JGG) und eine weitere, als junge Erwachsene (§ 1 Abs 1 Z 5 JGG) begangene Tat, die F***** im Verfahren AZ 22 Hv 70/17k des Landesgerichts Linz noch darüber hinaus angelastet werden (dort Strafanträge ON 3, ON 3 in ON 20, ON 3 in ON 7 in ON 20 und ON 3 in ON 27). Insoweit liegt allein subjektive Konnexität vor (zur Einordnung des gesamten die Angeklagte F***** betreffenden Verfahrens als Jugendstrafsache siehe Schroll in WK2 JGG § 1 Rz 14 ff, § 28 Rz 4 ff und § 29 Rz 1).

[10] Das Verfahren gegen B***** wiederum ist weder mit jenem gegen F***** noch mit jenem gegen L***** objektiv konnex. Jene strafbaren Handlungen, die den – „gleichzeitig“ (im Sinn von gemeinsam) angeklagten (§ 37 Abs 1 StPO) – B***** und L***** zur Last liegen, stehen allenfalls in einem – nach § 37 Abs 3 StPO (und § 34 JGG) nicht maßgeblichen – „sonst“ engen sachlichen Zusammenhang im Sinn des § 37 Abs 1 letzter Satz StPO (erneut ON 173, ON 202 und ON 306 in AZ 14 Hv 45/21g des Landesgerichts für Strafsachen Graz).

[11] Hiervon ausgehend betreffen beide Strafsachen – nämlich die Jugendstrafsache gegen F***** einerseits und die Strafsache gegen die Erwachsenen B***** und L***** andererseits – weder ausschließlich noch überwiegend die Beteiligung „an derselben Straftat“. Gerade für solche Fälle normiert § 34 Abs 2 Z 1 JGG eine Ausnahme zum (sich aus § 34 Abs 1 JGG und § 37 StPO ergebenden) Grundsatz der (hier Verbindung und) gemeinsamen Führung der Hauptverfahren (dazu Schroll in WK2 JGG § 34 Rz 5).

[12] Demzufolge wird das Verfahren gegen B***** und L***** zu Recht (mangels bislang verfügter Verbindung mit jenem gegen F***** weiterhin) gesondert geführt. Auch kommt die Zuständigkeit zur Führung dieses Verfahrens – weiterhin – dem Landesgericht für Strafsachen Graz als jenem Gericht zu, in dessen Sprengel (nach Lage der Akten) sämtliche B***** und L***** angelasteten Taten ausgeführt wurden oder werden sollten (§ 37 Abs 1 und 2 StPO iVm § 36 Abs 3 erster Satz StPO; vgl Schroll in WK2 JGG § 34 Rz 6/1).

[13] Nichts anderes gälte im Übrigen, wenn das Gericht mit Sonderzuständigkeit (hier nach § 29 JGG iVm § 34 JGG) – selbst wenn es gemäß § 37 Abs 3 StPO dazu verpflichtet gewesen wäre (vgl RIS‑Justiz RS0128876) – die Verfahren zunächst verbunden, jenes wegen der (den Erwachsenen B***** und L***** zur Last liegenden) allgemeinen strafbaren Handlungen aber sogleich wieder ausgeschieden hätte (§ 36 Abs 4 StPO; Oshidari, WK‑StPO § 37 Rz 17 und § 36 Rz 9; Schroll in WK2 JGG § 34 Rz 7; 14 Ns 40/19x). Letzteres wäre dann (unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 34 Abs 2 Z 1 JGG) fallkonkret nicht nur – analog § 27 StPO (12 Os 145/17s; Oshidari, WK‑StPO § 37 Rz 12) – zulässig, sondern geradezu geboten gewesen (§ 9 Abs 2 StPO). Das Verfahren gegen die in Untersuchungshaft angehaltenen Angeklagten B***** und L***** würde nämlich durch gemeinsame Führung mit dem (derzeit abgebrochenen) Verfahren gegen die auf freiem Fuß befindliche, nach der Aktenlage in Rumänien aufhältige Angeklagte F***** noch weiter verzögert.

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