OGH 12Os101/21a

OGH12Os101/21a19.11.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. November 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in der Strafsache gegen „Verantwortliche der H*****“ wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 9 HR 15/10t des Landesgerichts Klagenfurt, über den Antrag des ***** Z***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO in Bezug auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 31. Mai 2021, AZ 9 Bs 167/21h, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0120OS00101.21A.1119.000

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt führt zu AZ 10 St 273/09g unter anderem gegen ***** Z***** ein Ermittlungsverfahren wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen.

[2] Mit Antrag vom 14. August 2020 begehrte der Genannte explizit bezeichnete Aktenbestandteile, und zwar insgesamt 71 Berichte und Amtsvermerke der Ermittlungsbehörden, zwei Urkundenvorlagen der Privatbeteiligten und 53 Vernehmungsprotokolle bzw Äußerungen schriftlich in die kroatische Sprache übersetzen zu lassen (ON 7880). Zur Erforderlichkeit der schriftlichen Übersetzungen führte der Antragsteller aus, bei den Vernehmungsprotokollen handle es sich um solche über Befragungen von Personen zu einem konkreten Faktenkomplex betreffend ihn selbst. Bei weiteren Ordnungsnummern handle es sich um Quartalsberichte, andere Berichte und Amtsvermerke. In den Quartalsberichten erörtere das „Team H*****“ jeweils den aktuellen Ermittlungsstand, den bestehenden Verdacht sowie durchgeführte und geplante Ermittlungsmaßnahmen. Sie vermittelten jeweils einen stichtagsbezogenen und kompakten Überblick über alle gegen den Antragsteller erhobenen Vorwürfe sowie alle relevanten Ermittlungsmaßnahmen. Mit Amtsvermerken, Anlassberichten und Zwischenberichten erstatteten die Ermittlungsbehörden jeweils einen anlassbezogenen Zwischenstandsbericht, mit dem die neuesten Erkenntnisse dargelegt würden. Mit diesen würden auch zahlreiche Unterlagen übermittelt, die für die Vorwürfe und das Verständnis derselben maßgeblich seien. Die beiden Ordnungsnummern mit Urkundenvorlagen der Privatbeteiligten He***** AG enthielten für die Begründung des Tatverdachts wesentliche Dokumente und Informationen und stellten daher eine maßgebliche Grundlage für das Ermittlungsverfahren sowie die einzelnen Ermittlungsmaßnahmen dar. Die Übersetzung der genannten Aktenteile wären zur Wahrung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten und zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens erforderlich.

[3] Mit Note vom 1. Oktober 2020 teilte die Staatsanwaltschaft dem Antragsteller mit, dass „von der Übersetzung der vom Antrag umfassten umfangreichen Aktenteile abgesehen“ werde. Begründend verwies die Anklagebehörde auf die wiederholten, teils im Rechtshilfeweg vorgenommenen und je mit der Gelegenheit zur Äußerung zum Tatvorwurf verbundenen Vernehmungen sowie die – zuletzt – von der Europäischen Ermittlungsanordnung ON 7788 umfasste präzise sowie vollständige und in die kroatische Sprache übersetzte Darstellung der Verdachtslage gegen den Beschuldigten (ON 7883).

[4] Z***** erhob Einspruch wegen Rechtsverletzung nach § 106 Abs 1 StPO mit dem Antrag, die begehrten Aktenbestandteile in die kroatische Sprache übersetzen zu lassen (ON 7890).

[5] Mit Beschluss vom 15. April 2021 wies das Landesgericht Klagenfurt den Einspruch ab (ON 7914).

[6] Der gegen diesen Beschluss vom Beschuldigten erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom 31. Mai 2021 nicht Folge (AZ 9 Bs 167/21h).

Rechtliche Beurteilung

[7] Gegen diesen Beschluss richtet sich der – nicht auf ein Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützte und eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren nach Art 6 MRK reklamierende – Antrag nach § 363a StPO.

[8] Der Antrag ist offenbar unbegründet (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO):

[9] Aus Art 6 Abs 3 lit e MRK ergibt sich nicht das Recht auf schriftliche Übersetzung sämtlicher schriftlicher Beweismittel oder sonstiger Verfahrensdokumente. Der Beschuldigte muss lediglich verstehen, was ihm vorgeworfen wird und er muss in die Lage versetzt sein, den aus seiner Sicht relevanten Sachverhalt darstellen zu können (RIS-Justiz RS0109920; Meyer‑Ladewig/Harrendorf/König, EMRK4 Art 6 Rz 248 mwN).

[10] Wie schon das Landesgericht und auch das Beschwerdegericht ausführten, legte der Beschuldigte im Übrigen entgegen § 56 Abs 4 StPO die Erforderlichkeit der schriftlichen Übersetzung nicht im Einzelnen dar. Der Antrag bezog sich nicht auf wesentliche Aktenstücke im Sinn des § 56 Abs 3 StPO und die Erforderlichkeit der schriftlichen Übersetzung war keineswegs offenkundig. Ob neben den gemäß § 56 Abs 3 StPO jedenfalls schriftlich zu übersetzenden Unterlagen eine schriftliche Übersetzung weiterer Unterlagen erforderlich ist, liegt im Ermessen des zuständigen Gerichts. Um einen Anspruch des Beschuldigten auf schriftliche Übersetzung begründen zu können, müssen die vom Antrag bezeichneten Unterlagen den jedenfalls gemäß § 56 Abs 1 zweiter Satz iVm Abs 3 StPO zu übersetzenden gleichwertig sein. Dass die 126 Ordnungsnummern, deren schriftliche Übersetzung der Antragsteller begehrte, den in § 56 Abs 3 StPO bezeichneten Aktenstücken (das sind die Anordnung und gerichtliche Bewilligung der Festnahme, im Fall der Festnahme aus eigenem Antrieb der Kriminalpolizei die schriftliche Begründung der Kriminalpolizei, der Beschluss auf Verhängung oder Fortsetzung der Untersuchungshaft, die Anklage sowie die Ausfertigung des noch nicht rechtskräftigen Urteils und der noch nicht rechtskräftigen Strafverfügung) gleichwertig wären und die Entscheidung des Oberlandesgerichts somit auf rechtsverletzender Ermessensausübung beruhe, also willkürlich erscheine, ergibt sich aus dem Vorbringen des Antragstellers nicht (vgl 15 Os 157/12w).

[11] Der Erneuerungsantrag war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).

Stichworte