European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E133095
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im beide Angeklagten betreffenden Schuldspruch II./, demzufolge auch in den Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnungen) sowie in den Aussprüchen über die Konfiskation aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.
Mit seiner Berufung wird * S* auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden * L* des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, 3 Z 2 und Abs 4 erster Fall FPG (I./) und dieser Angeklagte sowie * S* jeweils eines weiteren solchen Verbrechens nach § 15 StGB, § 114 Abs 1, 3 Z 2 und Abs 4 erster Fall FPG (II./) schuldig erkannt.
[2] Soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung, haben * S* und * L* (zu II./) am 12. März 2021 in S* und an anderen Orten in einverständlichem Zusammenwirken mit weiteren unbekannten Mittätern als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung die rechtswidrige Ein- sowie Durchreise in Bezug auf mindestens drei Fremde in sowie durch Mitgliedstaaten der Europäischen Union, und zwar Österreich und Ungarn, mit dem Vorsatz, sich durch ein dafür geleistetes Entgelt (zu ergänzen:) unrechtmäßig (US 5) zu bereichern, zu fördern versucht, indem sie insgesamt 23 Fremde in Ungarn abholen und nach Wien bringen wollten, wobei es beim Versuch blieb, weil die Fremden kurz zuvor von ungarischen Polizeibeamten aufgegriffen wurden.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die dagegen aus Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * S* ist im Recht.
[4] Nach den wesentlichen Feststellungen zum Schuldspruch II./ (US 5) fuhren * S* und * L* im Auftrag einer Schlepperverbindung zwecks Beförderung von 23 Fremden nach Österreich mit einem von der Organisation beauftragten Taxi nach Ungarn. Dort sollten sie zunächst zwei Pkw für die Durchführung der Schleppung ankaufen und sich mit diesen Fahrzeugen an den von den Auftraggebern bekannt zu gebenden Standort der Fremden begeben. Auf dem Weg nach Ungarn wurden die Angeklagten darüber informiert, dass die 23 Fremden bereits in Ungarn von der Polizei aufgegriffen worden waren. Auftragsgemäß brachen sie daher das Vorhaben ab, kauften die Pkw aber dennoch an und kehrten wieder nach Österreich zurück.
[5] Die Rüge (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 10) macht zutreffend geltend, dass diese Feststellungen die vom Erstgericht getroffene Annahme ausführungsnahen Verhaltens (§ 15 Abs 2 StGB) in Bezug auf die Förderung rechtswidriger Einreise iSd § 114 Abs 1 FPG nicht tragen.
[6] Gemäß § 15 Abs 2 StGB ist eine Tat versucht, sobald der Täter den Entschluss fasst, eine Vorsatztat zu begehen und diesen Tatentschluss durch eine der Ausführung unmittelbar vorangehende Handlung betätigt. Demnach begründen nicht alle Handlungen, die eine Bedingung der Tatbestandsverwirklichung darstellen, eine Strafbarkeit. Vielmehr sollen erst jene Handlungen pönalisiert werden, die der Ausführung unmittelbar vorangehen. Maßgebend dabei ist, ob die Handlung bei wertender Betrachtung ex ante und unter Berücksichtigung der konkreten Vorstellungen des Täters unmittelbar, das heißt ohne weitere selbständige Zwischenakte, in die Tatbestandsverwirklichung einmünden soll. Bedarf es dagegen noch weiterer essentieller zeitlicher, örtlicher oder manipulativer Etappen, fehlt es an dem für die Ausführungsnähe vorausgesetzten engen zeitlich-örtlichen bzw aktionsmäßigen Konnex zur Tatausführung (RIS‑Justiz RS0124906; statt vieler Bauer/Plöchl in WK2 StGB §§ 15, 16 Rz 27/1; Hinterhofer, SbgK § 15 Rz 83 ff; Fabrizy, StGB13 § 15 Rz 7, 16 ff).
[7] Zwar kann im Einzelfall schon die bloße Anreise zum Tatort als ausführungsnahe Handlung angesehen werden (vgl die jeweils zur Übernahme von Suchtgift ergangenen Entscheidungen in RIS‑Justiz RS0087986; aA Hinterhofer, SbgK § 15 Rz 95; zum Einbruchsdiebstahl vgl 10 Os 182/77 = EvBl 1978/197 und die Nachweise bei Stricker in WK2 StGB § 129 Rz 133), doch mussten beim vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt, die Angeklagten vor Übernahme der Fremden noch Fahrzeuge ankaufen, um überhaupt die beauftragte Schleppung durchführen zu können.
[8] In den mit einem Fahrzeugkauf regelmäßig einhergehenden Begleitumständen (insb Ausschau nach einem geeigneten Fahrzeug, Kaufpreisverhandlungen, Vertragsabschluss, Abschluss einer Kraftfahrzeugversicherung) liegen aber genau jene eingangs angesprochenen Etappen und Zwischenakte, die die vom Erstgericht angenommene Versuchsstrafbarkeit mangels unmittelbarer sinnfälliger Beziehung zum tatbildmäßigen Unrecht entfallen lassen (vgl Fabrizy, StGB13 § 15 Rz 16).
[9] Eine sofortige Entscheidung in der Sache konnte aber im Hinblick auf die Feststellungen betreffend die Beteiligung des Angeklagten S* als Mitglied einer auf Schleppungen abzielenden kriminellen Vereinigung (§ 278 Abs 1 StGB) nicht ergehen.
[10] Denn § 278 Abs 1 StGB wurde – auf Basis der vom Erstgericht vorgenommenen Tatbeurteilung – wegen des einen höheren Strafsatz bedingenden Qualifikations-tatbestands nach § 114 Abs 4 FPG kraft scheinbarer Idealkonkurrenz verdrängt, weil gleichzeitig alle Tatbestandsmerkmale der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung durch die Begehung einer strafbaren Handlung im Rahmen dieser Vereinigung erfüllt waren (vgl RIS‑Justiz RS0119763; Plöchl in WK2 StGB § 278 Rz 63). Die Frage, ob die * S* angelasteten Tathandlungen (insb der Ankauf von Fahrzeugen für die Schlepperorganisation) § 278 Abs 1 StGB subsumierbar sind, kann aber noch nicht abschließend beantwortet werden. Denn die hier vor allem in Betracht kommende Tatalternative des § 278 Abs 3 dritter Fall StGB (vgl Plöchl in WK2 StGB § 278 Rz 39) erfordert Wissentlichkeit (§ 5 Abs 3 StGB) in Bezug auf die Förderung der Vereinigung oder deren strafbarer Handlungen. Vorliegend hat aber das Erstgericht (was zwar für eine Tatbeurteilung nach § 114 Abs 4 erster Fall FPG ausgereicht hätte) bloß bedingten Vorsatz festgestellt (US 5).
[11] Der aufgezeigte Subsumtionsfehler führte – in amtswegiger Wahrnehmung materieller Nichtigkeit (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO iVm § 281 Abs 1 Z 10 StPO) – auch zur Aufhebung des zum Angeklagten * L* ergangenen Schuldspruchs II./. Zwar wurde dieser Angeklagte (zu I./) eines weiteren Verbrechens nach § 114 Abs 1 und 3 Z 2 und Abs 4 erster Fall FPG schuldig erkannt, doch kann § 278 Abs 1 StGB mit einer vereinigungsqualifizierten strafbaren Handlung (ua) dann in echte Konkurrenz treten, wenn sich die Beteiligung an der kriminellen Vereinigung nicht in der Begehung solcher strafbarer Handlungen erschöpft (vgl RIS‑Justiz RS0119763; Plöchl in WK2 StGB § 278 Rz 63; L/St/Tipold, StGB4 § 278 Rz 10).
[12] Demgemäß war Urteilskassation – entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung (§ 285e StPO) unumgänglich.
[13] Bleibt anzumerken, dass die von der Generalprokuratur unter Bezugnahme auf zwei Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs (13 Os 129/17w; 11 Os 39/16v) vertretene Auffassung, wonach die konstatierte Fahrt nach Ungarn bereits eine – Tatvollendung bewirkende – Mitwirkung am beabsichtigten Weitertransport der Fremden darstelle, nicht geteilt werden kann. Schlichte Tätigkeitsdelikte wie die Schlepperei (vgl RIS‑Justiz RS0127813) sind (erst) mit der Ausführung der gesetzlich umschriebenen Tathandlung vollendet (Hinterhofer, SbgK § 15 Rz 63). Da es aber vorliegend (nach den Feststellungen) zu einem „Fördern“ – wozu jede Beihilfe zählt, die dem Fremden den rechtswidrigen Grenzübertritt ermöglicht oder erleichtert und dafür in irgendeiner Form kausal wird bzw kausal werden soll (Tipold in WK2 FPG § 114 Rz 10 mwN) – nicht gekommen ist, stellte sich allein die Frage nach der Ausführungsnähe des inkriminierten Verhaltens.
[14] Im Übrigen stützen auch die in der Stellungnahme ins Treffen geführten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs 11 Os 39/16v und 13 Os 129/17w die Auffassung der Generalprokuratur nicht: Denn die Aussage in 11 Os 39/16v, wonach Verhaltensweisen im Vorfeld der angestrebten rechtswidrigen Migration (dort: Reparatur von Schlepperfahrzeugen) vom Tatbestand erfasst sind, bezieht sich nur auf die Irrelevanz der Einreise für die Frage der Tatvollendung und nicht auf vor der Ausführungsnähe gesetzte Handlungen. Zu 13 Os 129/17w wurde der „im letzten Moment“ unterbliebene Transport aufgrund von Unstimmigkeiten zwischen den Schleppern und den Fremden gerade nicht als Tatvollendung, sondern ausdrücklich als Tatversuch gewertet (vgl die Strafzumessungserwägungen zum Schuldspruch A./12./). Eine Tatvollendung erblickte der Oberste Gerichtshof zwar in der „Mitwirkung am Transport“ (Schuldspruch A./8./), wobei die Schlepper aber ohnedies tatsächliche Reisebewegungen mit den Fremden unternommen hatten.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)