OGH 12Os77/21x

OGH12Os77/21x22.10.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Oktober 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M in Gegenwart der Schriftführerin AAss Schaffhauser in der Strafsache gegen ***** S***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 206 Abs 1, 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtgkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom 12. März 2021, GZ 154 Hv 50/19f‑40, sowie über den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0120OS00077.21X.1022.000

 

Spruch:

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit im ersten Rechtsgang gefälltem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 3. Februar 2020, GZ 154 Hv 50/19f‑22, war ***** S***** der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (A./) und des (tateinheitlich begangenen) Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (B./) schuldig erkannt worden.

[2] Der Oberste Gerichtshof hatte dieses Urteil mit Erkenntnis vom 22. Juli 2020, GZ 12 Os 58/20a‑12, aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde im Schuldspruch B./ und im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

[3] Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte im zweiten Rechtsgang – unter verfehlter, aber prozessual bedeutungsloser Wiederholung der bereits rechtskräftig gewordenen Teile des Urteils im Urteilstenor (vgl RIS-Justiz RS0100041, RS0098685; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 9.272) – jeweils mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 206 Abs 1, 15 StGB (1./) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (2./) schuldig erkannt.

[4] Danach hat er in der Zeit von 2015 bis zum 23. September 2018 in W***** in mehreren Angriffen

1./ an der am 23. September 2004 geborenen, somit unmündigen Person ***** W***** dem Beischlaf gleichzusetzende Handlungen vorgenommen und vorzunehmen versucht, indem er diesen mit seinem Penis anal und oral penetrierte, wobei es teilweise beim Versuch blieb;

2./ außer dem Fall des § 206 StGB dadurch, dass er sich von ***** W***** mit der Hand befriedigen ließ, von einer unmündigen Person geschlechtliche Handlungen an sich vornehmen lassen.

[5] Den nunmehr angefochtenen Schuldsprüchen liegen Taten zum Nachteil eines weiteren Opfers zugrunde, die dem Angeklagten aufgrund einer im zweiten Rechtsgang erfolgten Verfahrensverbindung (§ 37 Abs 3 StPO) nachträglich zur Last gelegt wurden.

Rechtliche Beurteilung

[6] Die gegen dieses Urteil aus Z 4, 5, 5a, 7, 9 lit a, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wurde rechtzeitig ausgeführt (vgl ON 44 S 1). Damit war der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als gegenstandslos zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0101307).

[7] Dieses Rechtsmittel verfehlt aber sein Ziel.

[8] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung zweier Beweisanträge (ON 39 S 69) Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt.

[9] Der Antrag auf „Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Bereich der Proktologie zum Beweis dafür, dass die Angaben des Hauptbelastungszeugen über den vermeintlichen Analverkehr – nämlich dass dieser stets ohne Kondom und Gleitmittel und dergleichen stattgefunden hätte – mit den vom Hauptbelastungszeugen geschilderten sehr milden Beschwerden nicht mit der Realität beziehungsweise den zu erwartenden Verletzungsfolgen in Einklang zu bringen sind“, bezog sich angesichts der Konstatierungen (auch) zur oralen Penetration auf keine für die Lösung der Schuld- oder Subsumtionsfrage erheblichen Tatsachen (vgl RIS‑Justiz RS0118319 [T1]).

[10] Der Antrag auf Vernehmung der „wie gehört, auch mehrfach“ anwesenden Zeugin H***** zum Beweis dafür, „dass die vom Hauptbelastungszeugen dem Angeklagten angelasteten Vorwürfe so nicht stattgefunden haben können“, ließ wiederum die Relevanz für die Schuld- oder Subsumtionsfrage offen (vgl erneut RIS‑Justiz RS0118444). Denn selbst, wenn die Zeugin entsprechende Wahrnehmungen vom Tatgeschehen bei einzelnen Aufenthalten hätte machen können – wozu der Antragsteller aber ebenfalls kein Vorbringen erstattete – hätte dieser Beweis nur einzelne der zu einer gleichartigen Verbrechensmenge (zum Begriff vgl Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 9.205)zusammengefassten Taten in Frage gestellt, womit sich an der Subsumtion der Taten nichts geändert hätte (vgl RIS‑Justiz RS0116736).

[11] Entgegen der Mängelrüge (Z 5 erster Fall) bewirkt die vom Schöffengericht vorgenommene Zusammenfassung gleichartiger, nur pauschal individualisierter Taten zu einer gleichartigen Verbrechensmenge keine Undeutlichkeit (vgl RIS‑Justiz RS0116736). Dies gilt auch für den von der Beschwerde pauschal in Zweifel gezogenen Tatzeitraum.

[12] Indem der Beschwerdeführer (Z 5 zweiter Fall) die Angaben des Opfers, wonach es im Tatzeitraum unter „Fressattacken“ gelitten habe und starke Medikamente eingenommen habe, zu seinen Gunsten als Ursache für die – als Folge der Analpenetrationen konstatierten – Blutungen und Schmerzen (US 6) interpretiert, zeigt er keine unterbliebene Erörterung erheblicher Tatsachen auf, sondern erstattet lediglich ein Vorbringen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

[13] Gleiches gilt, soweit die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) die Feststellungen zu den sexuellen Übergriffen laut Schuldspruch 1./ wegen des Fehlens schwererer und nachhaltig vorhandener Verletzungsfolgen, weiters der Möglichkeit, dass sich das Opfer den sexuellen Angriffen entziehen hätte können, und des Umstands bezweifelt, dass ***** W***** dem Angeklagten seine Homosexualität eingestanden hätte.

[14] Der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5a StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt – wird dadurch nicht eröffnet (RIS‑Justiz RS0119583).

[15] An diesen Voraussetzungen geht die breit angelegte Tatsachenrüge vorbei, die im Wesentlichen unterschiedliche Angaben des ***** W***** zur Anzahl der sexuellen Übergriffe und die dem Opfer vom Sachverständigen attestierte eingeschränkte Zeugnisfähigkeit hervorkehrt, auf das Fehlen von Wahrnehmungen sonstiger im Tatortbereich aufhältiger Zeugen hinweist, die Argumentation der Mängelrüge zum Fehlen von entsprechenden Verletzungsfolgen im Anusbereich des Opfers wiederholt und eine aufrechte homosexuelle Beziehung des Angeklagten im Tatzeitraum ins Spiel bringt.

[16] Soweit der Beschwerdeführer das Unterbleiben eines Freispruchs wegen des Wegfalls der ihm im Urteil des ersten Rechtsgangs angelasteten Tat laut damaligem Schuldspruch B./ moniert (Z 7), übersieht er zunächst, dass ein solcher bei Tateinheit gar nicht zu erfolgen hat (vgl RIS‑Justiz RS0090675; Lendl, WK‑StPO § 259 Rz 1). Selbst wenn das Erstgericht die Anklage rechtsirrig nicht erledigt hätte, wäre dies einem – vom Angeklagten nicht anfechtbaren – Freispruch gleichgekommen (vgl RIS‑Justiz RS0099656 [T2]; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 9.166).

[17] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) erklärt nicht, aus welchem Grund die Feststellung zum wissentlichen Handeln in Bezug auf das Alter des Opfers nicht auch die entsprechende Wollenskomponente vorsätzlicher Begehungsweise enthalten sollte (vgl aber RIS‑Justiz RS0088835 [T4]).

[18] Die Subsumtionsrüge (Z 10) spekuliert darüber, dass die zu 1./ und 2./ abgeurteilten Taten in einem – scheinbare Idealkonkurrenz bewirkenden (Philipp in WK2 StGB § 206 Rz 31) – zeitlichen Zusammenhang erfolgt sein könnten, ohne aber einen diesbezüglichen Feststellungsmangel (zum Begriff und zur prozessualen Geltendmachung vgl RIS‑Justiz RS0118580) auch nur zu behaupten.

[19] Die Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall) rügt mit der These, dass der Angeklagte sämtliche Taten noch als Jugendlicher begangen haben könnte, das Unterbleiben der Anwendung des § 5 Z 4 JGG. Einen Begründungsmangel (Z 11 erster Fall iVm Z 5) in Bezug auf den angenommenen, weit ins (junge) Erwachsenenalter des Angeklagten reichenden Tatzeitraum macht sie jedoch nicht geltend.

[20] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

[21] Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.

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