OGH 3Ob108/21k

OGH3Ob108/21k21.10.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S* AG *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. I*, 2. D*, beide vertreten durch Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Exszindierung, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 9. April 2021, GZ 53 R 27/21h‑61, mit das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 10. Dezember 2020, GZ 39 C 16/18d‑56, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E133216

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit 1.465,55 EUR (darin 244,26 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin ist Eigentümerin des Verteilernetzes für Elektrizität und Erdgas im Bundesland Salzburg; seit 1. Jänner 2006 betreibt eine Tochtergesellschaft der Klägerin dieses Verteilernetz als dafür konzessioniertes Unternehmen.

[2] Die Beklagten sind je zur Hälfte Eigentümer einer Liegenschaft, auf der sich seit 1964 eine Doppelhaushaushälfte befindet. Den Beklagten wurde (nach einem Nachbarschaftsstreit) im August 2018 gegen die Eigentümerin der benachbarten Liegenschaft, auf der sich die andere Doppelhaushaushälfte befindet, die Exekution zur fachgerechten Entfernung der Stromleitung bewilligt, die von der Straße aus über die im Eigentum der Beklagten stehende Liegenschaft zur Ostecke des Hauses der Verpflichteten verläuft. Diese Stromleitung war 1993/1994 verlegt worden. Die Verpflichtete hatte am 1. September 1993 mit der Rechtsvorgängerin der Klägerin einen Strom-Anschlussvertrag und im Oktober 1993 einen Strombezugsvertrag für ihre Doppelhaushälfte abgeschlossen. Laut den – damals von der Verpflichteten akzeptierten – Allgemeinen Geschäftsbedingungen der (damaligen) Netzbetreiberin verblieben die Anlagen und Anlagenteile im Eigentum der Betreiberin. Auch der Rechtsvorgänger der Beklagten (Vater der Zweitbeklagten) schloss im Jahr 1993 für „seine“ Doppelhaushälfte (an der er ein Wohnrecht hatte) einen Strom-Anschlussvertrag sowie einen Strombezugsvertrag mit derselben Anbieterin wie die Verpflichtete (und ebenfalls mit vertraglicher Einbeziehung der Allgemeinen Bedingungen) ab; die Zweitbeklagte war mit diesem Vertragsabschluss einverstanden. Im März 2011, als sie und der Erstbeklagte bereits jeweils Hälfteeigentümer der Liegenschaft mit der Doppelhaushälfte waren (im Jahr 2010 hatten sie von den Geschwistern der Zweitbeklagten deren Anteile erworben), schloss die Zweitbeklagte für ihre Doppelhaushälfte mit der Rechtsvorgängerin der Klägerin einen (eigenen) Strombezugsvertrag „zur Betriebsführung über das Netz der klagenden Partei“. Auch diesem Vertrag wurden die Allgemeinen Bedingungen zugrunde gelegt und zum Vertragsinhalt, laut denen die Anlagen und Anlagenteile nicht in das Eigentum des Netzkunden übergehen. Außerdem enthielten diese Vertragsbedingungen eine Bestimmung, nach der sich der Netzkunde „verpflichtet, die Zu- und Fortleitung und die Herstellung und Änderung des Netzanschlusses anderer Netzkunden über sein Grundstück in der bereits bestehenden oder geplanten örtlichen Niederspannungsbauweise (...) zu gestatten“.

[3] Die Klägerin begehrte, die von den Beklagten gegen die Verpflichtete geführte Exekution zur Erwirkung der fachgerechten Entfernung der Stromleitung für unzulässig zu erklären (§ 37 EO). Sie sei die Eigentümerin der Leitungen und eine Exekution auf Stromleitungen sei überhaupt unzulässig.

[4] Die Beklagten wendeten im Wesentlichen ein, die Verpflichtete (Grundeigentümerin) sei ihnen gegenüber aufgrund des Exekutionstitels zur Entfernung des Stromkabels verpflichtet, weil dieses eigenmächtig und ohne Zustimmung der Liegenschaftseigentümer auf deren Grund verlegt worden sei; es handle sich um ein im Eigentum des Stromkunden befindliches Privatkabel.

[5] Das Erstgericht gab der Klage statt.

[6] Eigentümer eines Stromnetzteilstücks sei nicht der Grundeigentümer, sondern der an der Anlage Berechtigte; dies sei auch in § 22 Abs 1 Starkstromwegegesetz sowie in § 20 des „Gesetzes über elektrische Leitungen“ so geregelt. Die Eigentumsgrenze liege an der Außenwand des Hauses der Verpflichteten und nicht am Durchleitungsgrundstück der Beklagten; die Entfernungsermächtigung betreffe die Stromleitung, die aber im Eigentum der Klägerin stehe, weshalb ihre Klage nach § 37 EO berechtigt sei.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten dagegen nicht Folge.

[8] Sinn und Zweck des § 20 Abs 1 des Bundesgesetzes über elektrische Leitungsanlagen, BGBl 1968/71, sei es zu vermeiden, dass solche Leitungsanlagen in das Eigentum der Grundstückseigentümer gelangen. Nach der Rechtsprechung sei das Leitungsnetz Bestandteil der Hauptanlage und stehe im Eigentum des an dieser Anlage Berechtigten. Es müsse nicht geklärt werden, ob es sich um eine Starkstromleitung handle, ebenso spiele es keine Rolle, ob der Vater der Zweitbeklagten zur Herstellung des Hausanschlusses berechtigt gewesen sei. Die Freilassungserklärung anlässlich der Grundstücksteilung 1986 sei ebenfalls ohne Bedeutung für das Eigentum der Klägerin am Leitungsnetz. Die Frage, ob das Haus der Verpflichteten auch über eine andere Leitung mit Strom versorgt werden könne, habe mit dem Eigentumsrecht der Klägerin ebenfalls nichts zu tun. Für die Entscheidung über die Berechtigung der Exszindierungsklage sei allein das Eigentumsrecht der Klägerin an der Leitung bedeutsam.

[9] Die Revision sei zur Frage zulässig, ob sich die Eigentümerin eines elektrischen Leitungsnetzes gegen die Exekution zur Entfernung der Leitung mit einer Exszindierungsklage wehren könne und „inwiefern in diesem Zusammenhang auch die Frage einer Dienstbarkeit oder eines Leitungsrechts mit zu entscheiden“ sei.

[10] Die Beklagten beantragen in ihrer Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, die Entscheidung im klagsabweisenden Sinn abzuändern.

[11] Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

[12] Die Revision ist zur Klarstellung zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[13] 1.1 Streitigkeiten über die Verweigerung des Netzzugangs entscheidet gemäß § 22 Abs 1 ElWOG die Regulierungsbehörde; in allen „übrigen Streitigkeiten“ zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern „über die aus diesem Verhältnis entspringenden Verpflichtungen“ entscheiden die Gerichte (§ 22 Abs 2 Z 1 ElWOG 2010), wobei das Gesetz in diesem Umfang eine sukzessive Anrufungszuständigkeit vorsieht (RS0118326 [T1]; vgl auch RS0119839).

[14] 1.2 Zu einer Klage auf Entfernung eines (nach den Behauptungen des dortigen Klägers ohne seine Zustimmung von der Beklagten verlegten) Versorgungskabels hat der Oberste Gerichtshof bereits entschieden, dass diese nicht in die sukzessive Kompetenz der Regulierungsbehörde fällt; für solche Ansprüche fehlt es am erforderlichen Zusammenhang mit dem Netznutzungsverhältnis (10 Ob 19/15i mwN). Dies gilt auch hier.

[15] 2.1 Gemäß § 37 Abs 1 EO kann ein Dritter Widerspruch gegen die Exekution erheben, wenn er an einem davon betroffenen Gegenstand ein Recht behauptet, das die Vornahme der Exekution unzulässig machen würde. Die Exszindierungsgründe sind in der Exekutionsordnung nicht näher determiniert; als solche können daher alle nach materiellem Recht bestehenden, sowohl dinglichen als auch obligatorischen Rechte – sofern die Sachen und Rechte nicht im Eigentum des Verpflichteten stehen – geltend gemacht werden, wenn sie durch eine Exekutionsführung beeinträchtigt werden (RS0118352; Jakusch in Angst/Oberhammer, EO3 § 37 Rz 7; Geroldinger/Holzner in Deixler‑Hübner, EO § 37 Rz 48). Von der Exekution ist ein Gegenstand auch dann betroffen, wenn nicht auf ihn Exekution geführt wird, sondern dort exekutive Handlungen vorgenommen werden sollen (RS0110679). Das einer Exszindierungsklage stattgebende Urteil hat zur Folge, dass die Exekution einzustellen ist (§ 37 Abs 4 EO).

[16] 2.2 Gemäß § 20 Abs 1 des Bundesgesetzes vom 6. Februar 1968 über elektrische Leitungsanlagen, die sich nicht auf zwei oder mehrere Bundesländer erstrecken, BGBl 1968/71, fallen elektrische Leitungsanlagen dadurch, dass sie mit einer unbeweglichen Sache in Verbindung gebracht werden, nicht in das Eigentum des Grundstückseigentümers. Auf diese Anlagen und das zur Instandhaltung und zum Betrieb derselben gehörende Material „findet eine abgesonderte Exekution nicht statt“ (§ 20 Abs 2 leg cit); dies im „Interesse einer klaglosen Stromversorgung“ (ErlRV 625 BlgNR XI. GP  13). Eine wortgleiche Regelung enthält das Bundesgesetz vom 6. Februar 1968 über elektrische Leitungsanlagen, die sich auf zwei oder mehrere Bundesländer erstrecken (Starkstromwegegesetz 1968, BGBl 1968/70). Nach der Auffassung des Gesetzgebers soll es vermieden werden, dass elektrische Leitungsanlagen mit ihrer Errichtung in das Eigentum des Grundstückseigentümers fielen, was sowohl für das die Leitung betreibende Unternehmen als auch im Hinblick auf Haftungsfragen für den Grundstückseigentümer zu unerwünschten und wirtschaftlich unbefriedigenden Konsequenzen führen würde (ErlRV 625 BlgNR 11. GP  13; dazu P. Bydlinski/Stefula, Zur sachenrechtlichen Qualifikation von Leitungsnetzen, JBl 2003, 69 [72]). Gleichgültig, ob man zu diesen Bestimmungen eine Einzelanalogie zieht oder die besondere Interessenlage der Beteiligten bei der Auslegung des § 297 ABGB berücksichtigt, kommt man zum Ergebnis, dass der Grundstückseigentümer nicht Eigentümer des über sein Grundstück verlaufenden Netz-Teilstücks wird (P. Bydlinski/Stefula, JBl 2003, 69 [85]); vielmehr werden die einzelnen Leitungs‑Teilstücke Bestandteile des Gesamtleitungsnetzes (P. Bydlinski/Stefula, JBl 2003, 69 [87]; dazu auch Neubauer/Onz/Mendel, Starkstromwegerecht, § 22 StWG Rz 7). Der Oberste Gerichtshof hat dementsprechend bereits klargestellt, dass das Leitungsnetz Bestandteil (Zubehör) der betreffenden Hauptanlage ist und damit im Eigentum des an dieser Anlage Berechtigten steht (6 Ob 60/07b = RS0122548 = RS0009915 [T5]).

[17] 2.3 In ihrer Revision ziehen die Beklagten das Eigentumsrecht der Klägerin am Verteilernetz letztlich nicht mehr in Zweifel („Recht am Kabel, das gar nicht strittig ist“). Sie argumentieren, durch die Exekutionsführung werde „das Eigentumsrecht am Kabel als solchem (...) nicht tangiert“. Dabei übersehen sie jedoch, dass die – wenngleich fachgerechte – Entfernung des Kabels als Bestandteil des Verteilernetzes sehr wohl einen Eingriff in das Eigentumsrecht der Klägerin am Leitungsnetz bedeutet und dass dadurch zweifellos auch die Funktion der Leitungsanlage beeinträchtigt würde. Das Argument der Beklagten, nach der „fachgerechten Entfernung“ werde das Kabel „zur Gänze an die Klägerin zurückgestellt“ und „nicht verwertet“, weshalb eine „Beeinträchtigung des Eigentumsrechts de facto nicht“ stattfinde, übergeht die Tatsache, dass auch die Entfernung eines Kabels als Bestandteil des Verteilernetzes einen Eingriff in die Rechte der Klägerin als Eigentümerin der gesamten Anlage bedeutet.

[18] 2.4 Das Argument, durch diese Entscheidung komme es zu einer „allgemeinen Verpflichtung zur Duldung von Stromleitungen“ (als Zuleitung zu einer anderen Liegenschaft), trifft nicht zu: Fest steht nämlich, dass die Zweitbeklagte beim Abschluss ihres Strombezugsvertrags im März 2011 mit der Tochtergesellschaft der Klägerin zur Betriebsführung über das Verteilernetz der Klägerin die Allgemeinen Geschäftsbedingungen akzeptierte, nach denen sie sich unter anderem ausdrücklich verpflichtete, dem Netzbetreiber die Zu- und Fortleitung elektrischer Energie und die Herstellung und Änderung des Netzanschlusses anderer Netzkunden über sein Grundstück in der bereits bestehenden oder geplanten örtlichen Niederspannungsbauweise gegen angemessene Entschädigung sowie Ersatz der Flurschäden zu gestatten. An diese Vereinbarung ist auch der Erstbeklagte infolge jahrelang vertragskonformen Verhaltens gebunden (§ 863 ABGB). Damit besteht eine vertragliche Grundlage für die Duldung der Zuleitung des Stroms über das Grundstück der Beklagten zum Haus der Verpflichteten. Den Übergang der vertraglich eingeräumten Rechte auf die Klägerin haben die Beklagten nie bestritten.

[19] 2.5 Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten wird durch den Erfolg der Exszindierungsklage kein „unerträglicher Rechtszustand“ geschaffen und weder „das Sachenrecht“ noch „die Rechtskraft“ der im Titelverfahren ergangenen Entscheidungen „umgangen“. Die Klägerin verhindert durch die Exszindierung den Eingriff in ihr Eigentumsrecht am Leitungsnetz sowie in die ihr vertraglich eingeräumten Leitungsrechte, der durch die Exekutionsführung des (nur) gegen die Verpflichtete gerichteten Beseitigungstitels vorgenommen würde. Dies entspricht dem Wesen der Exszindierung nach § 37 EO, die verhindern soll, dass durch eine formell gesetzmäßig ablaufende Exekution materiell rechtswidrig in die Rechtssphäre eines Dritten eingegriffen wird (vgl Jakusch in Angst/Oberhammer, EO3 § 37 Rz 1 bis 3 und 5).

[20] 3.1 Die Revisionswerber verweisen schließlich auf eine „Freilassungserklärung“ aus dem Jahr 1986 sowie darauf, dass „keine entsprechende Dienstbarkeit“ bestehe, aufgrund derer die Beklagten „zur Duldung der Stromleitung“ auf ihrer Liegenschaft verpflichtet seien. Allerdings wurden die Strombezugsverträge erst 1993 abgeschlossen und das fragliche Stromkabel erst 1993/1994 verlegt, weshalb der Inhalt einer „Freilassungserklärung“ im Zusammenhang mit der Grundstücksteilung 1986 für erst später erworbene Eigentums- und/oder Leitungsrechte nicht von Bedeutung seien und dem Eingriff in die Rechte der Klägerin durch die nunmehr von den Beklagten als Betreibende geführte Exekution nicht erfolgreich entgegengehalten werden kann.

[21] 3.2 Aus welchem Grund der Verbleib der Stromleitung – wie die Revision behauptet – einen „erheblichen Nachteil“ für die Beklagten bedeuten können sollte, ist nicht erkennbar.

[22] 4. Auf die Behauptung, dass die Klagsführung als rechtsmissbräuchlich anzusehen sei, ist schon wegen des Neuerungsverbots (§ 482 Abs 1 ZPO iVm § 78 EO) nicht einzugehen.

[23] 5. Die Revision erweist sich damit insgesamt als nicht berechtigt. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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