OGH 15Os66/21a

OGH15Os66/21a15.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. September 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Lampret als Schriftführer in der Medienrechtssache der Antragstellerin Mag. U* S* gegen die Antragsgegnerinnen M* GmbH und o* GmbH wegen §§ 14 ff MedienG, AZ 112 Hv 15/20a des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 9. September 2020, AZ 17 Bs 222/20a (ON 16 der Hv‑Akten), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, der Vertreterin der Antragstellerin Mag. Rest, und des Vertreters der Antragsgegnerinnen Mag. Bauer, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E132811

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In der Medienrechtssache der Antragstellerin Mag. U*S* gegen die Antragsgegnerinnen M* * GmbH und o* GmbH wegen §§ 14 ff MedienG, AZ 112 Hv 15/20a des Landesgerichts für Strafsachen Wien, verletzt das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 9. September 2020, AZ 17 Bs 222/20a, § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO (iVm § 489 Abs 1 StPO und § 9 Abs 3 MedienG) sowie § 270 Abs 2 Z 5 StPO (iVm §§ 474, 489 Abs 1 StPO), und das vom Berufungsgericht geführte Verfahren § 6 Abs 2 StPO, dies jeweils iVm § 14 Abs 3 MedienG.

 

Gründe:

[1] In der Medienrechtssache der Antragstellerin Mag. U*S*gegen die Antragsgegnerinnen M* GmbH und o* GmbH wegen §§ 14 ff MedienG, AZ 112 Hv 15/20a des Landesgerichts für Strafsachen Wien, wurde mit Urteil vom 6. Februar 2020 (ON 8) den Antragsgegnerinnen ua – nämlich soweit hier von Relevanz – gemäß § 17 Abs 1 MedienG die Veröffentlichung nachstehender (im Wesentlichen inhaltsgleicher) Gegendarstellungen aufgetragen, und zwar

[2] 1./ der Antragsgegnerin M* GmbH als Medieninhaberin des periodischen Druckwerks „o*“:

„Sie haben in Ihrer periodischen Druckschrift 'o*'am 23. Oktober 2019 auf Seite 21 unter der Überschrift 'Rauch-Sheriffs kosten pro Tag 24.000 €' berichtet, dass eine 'Aktion scharf' von Stadträtin Mag.U* S* laut FPÖ‑Gastro‑Spitzenkandidat für die Wirtschaftskammerwahl, D* Sc*, allein am 1. November 2019, in der ersten Nacht des Rauchverbots, 24.000 € an Steuergeld verschlingen würde, weil von den rund 80 Kontrolloren des Marktamtes für den konzertierten Einsatz mindestens 3 Zulagen und Überstunden verrechnet werden. Diese Behauptungen sind unrichtig bzw irreführend unvollständig. In der ersten Nacht des Rauchverbots vom 31. Oktober 2019 auf 1. November 2019 haben gar keine Kontrollen stattgefunden. In der Nacht vom 1. November 2019 auf 2. November 2019 wurden für die 14 Kontrollore des Marktamtes jeweils Taggeld sowie Feiertagsüberstunden verrechnet. Bis zum Jahresende sind insgesamt 4.000 bis 5.000 Kontrollen geplant, die überwiegend im Routinebetrieb stattfinden werden. Für Schwerpunktaktionen außerhalb des Routinebetriebs werden bis zum Jahresende insgesamt rund 7.000 € anfallen.“ und

2./ der Antragsgegnerin o* GmbH als Medieninhaberin der Website www.o*:

„Sie berichten auf Ihrer Website www.o* seit 22. Oktober 2019 in der Rubrik 'Wien' unter der Überschrift 'Rauch-Sheriffs kosten pro Tag 24.000 €', dass eine 'Aktion scharf' von Stadträtin Mag.a U* S* laut FPÖ-Gastro-Spitzenkandidat für die Wirtschaftskammerwahl, D* Sc*, allein am 1. November 2019, in der ersten Nacht des Rauchverbots, 24.000 € an Steuergeld verschlingen würde, weil von den rund 80 Kontrolloren des Marktamtes mindestens 3 Zulagen und Überstunden verrechnet werden. Diese Behauptungen sind unrichtig bzw irreführend unvollständig. In der ersten Nacht des Rauchverbots vom 31. Oktober 2019 auf 1. November 2019 haben gar keine Kontrollen stattgefunden. In der Nacht vom 1. November 2019 auf 2. November 2019 wurden für die 14 Kontrollore des Marktamtes jeweils Taggeld sowie Feiertagsüberstunden verrechnet. Bis zum Jahresende sind insgesamt 4.000 bis 5.000 Kontrollen geplant, die überwiegend im Routinebetrieb stattfinden werden. Für Schwerpunktaktionen außerhalb des Routinebetriebs werden bis zum Jahresende insgesamt rund 7.000 € anfallen.“

[3] Zum Bedeutungsinhalt der beiden inkriminierten (im Wesentlichen inhaltsgleichen) Artikel stellte der Einzelrichter fest, dass der Leser aus dem (im Urteil beschriebenen [US 3]) Leserkreis der in Rede stehenden (periodischen) Medien diese dahin verstand, dass „die Antragstellerin als amtsführende Stadträtin in der Nacht vom 31. Oktober 2019 auf den 1. November 2019 eine umfassende Kontrolle des in dieser Nacht in Kraft getretenen Rauchverbots in Lokalen veranlasst habe und dadurch Kosten von 24.000 € entstanden seien, da in dieser Nacht 80 Kontrolleure im Einsatz gewesen seien und diese jeweils Anspruch auf zumindest drei Zulagen für ihre Tätigkeit während dieser Kontrolle hätten“ (US 3).

[4] Den Sinngehalt von These und Antithese konstatierte das Erstgericht wie folgt (US 3 f):

[5] Die jeweilige These der begehrten Gegendarstellungen versteht der potentielle Leser aus dem genannten Leserkreis so, dass im periodischen Druckwerk „o*“ bzw auf der Website „www.o*“ […] berichtet wurde, dass die Antragstellerin als amtsführende Stadträtin in der Nacht vom 31. Oktober 2019 auf den 1. November 2019 eine umfassende Kontrolle des in dieser Nacht in Kraft getretenen Rauchverbots in Lokalen veranlasst habe und dadurch dem Steuerzahler alleine in dieser Nacht Kosten von 24.000 Euro entstanden seien, da in dieser Nacht 80 Kontrolleure im Einsatz gewesen seien und diese jeweils Anspruch auf zumindest drei Zulagen hätten.

[6] Die Antithese der jeweils beantragten Gegendarstellung versteht der potentielle Leser aus dem genannten Leserkreis so, dass in der Nacht vom 31. Oktober 2019 auf den 1. November 2019 gar keine Kontrollen stattgefunden haben. Zwar hat es eine Kontrolle in der folgenden Nacht vom 1. auf den 2. November 2019 gegeben, dabei waren allerdings nur 14 Kontrolleure beteiligt, welchen jeweils Taggeld und Feiertagsüberstunden zustehen. Die für das Jahr 2019 geplanten 4.000 bis 5.000 Kontrollen sollten überwiegend im Routinebetrieb stattfinden, für Schwerpunktaktionen außerhalb desselben wurden bis zum Jahresende rund 7.000 Euro budgetiert.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Antragsgegnerinnen (ON 12) gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht mit Urteil vom 9. September 2020, AZ 17 Bs 222/20a (ON 16 des Hv‑Aktes), dahin Folge, dass es das angefochtene Urteil (zur Gänze) aufhob und ua die Anträge auf Anordnung der Veröffentlichung der Gegendarstellungen abwies.

[8] Dies begründete das Berufungsgericht damit, dass es der aufgetragenen Gegendarstellung – wie die Berufung wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) „im Ergebnis“ zutreffend moniert habe – an der gebotenen Kontradiktion mangle; dazu führte es erläuternd wie folgt aus (US 14 f):

[9] Die begehrte These gibt den Bedeutungsinhalt des Artikels korrekt wieder, dass in den genannten Artikeln unter der Überschrift 'Rauchsheriffs kosten pro Tag 24.000 €' berichtet werde, dass eine Aktion 'scharf' von der Antragstellerin laut FPÖ‑Gastrospitzenkandidat für die Wirtschaftskammerwahl allein am 1. November 2019, in der ersten Nacht des Rauchverbots, 24.000 € an Steuergeld verschlingen würde, weil von den rund 80 Kontrolloren des Marktamts für den konstatierten (gemeint: konzertierten) Einsatz mindestens drei Zulagen und Überstunden verrechnet werden.

[10] Diese These gibt den Bedeutungsinhalt der am 22. bzw 23. Oktober 2019 erschienenen Artikel, korrekt derart, was für den 1. November 2019 an Kontrollen geplant sei – sohin Zukünftiges, und nicht wie vom Erstgericht zu Bedeutungsinhalt von Artikel und These irrig angenommen, bereits Vergangenes – wieder.

[11] Dieser These über eine Planung bzw Zukünftiges entgegnet die Antithese jedoch damit, was aus späterer Sicht in der Vergangenheit in der ersten Nacht des Rauchverbots vom 31. Oktober 2019 auf 1. November 2019 tatsächlich geschehen sei, dass gar keine Kontrollen stattgefunden hätten und in der Nacht vom 1. November 2019 auf 2. November 2019 für 14 Kontrollore des Marktamts jeweils Taggeld sowie Feiertagsüberstunden verrechnet wurden, anstelle im Sinne der gebotenen Kontradiktion zu entgegnen, was tatsächlich für die erste Nacht des Rauchverbots an Kontrollen geplant und veranlasst war.

[12] Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes aufzeigt, stehen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht und (zu 2./ erkennbar gemeint [vgl 14 Os 167/94]) das dieser Entscheidung vorausgegangene Berufungsverfahren mit dem Gesetz nicht im Einklang:

[13] 1./ Gemäß § 14 Abs 3 MedienG iVm § 489 Abs 1 StPO kann im gerichtlichen Verfahren aufgrund eines Antrags iSd § 14 Abs 1 MedienG gegen ein vom Landesgericht als Einzelrichter gefälltes Urteil das Rechtsmittel der Berufung ua wegen des in § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO genannten Nichtigkeitsgrundes ergriffen werden. Danach ist ein Urteil dann nichtig, „wenn durch den Ausspruch über die Frage, ob die dem Angeklagten zur Last fallende Tat eine zur Zuständigkeit der Gerichte gehörige strafbare Handlung begründe, ein Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet wurde“. Die Prüfung der materiellen Rechtsrichtigkeit eines angefochtenen Urteils hat stets auf Basis der Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts zu erfolgen, das heißt, dass der festgestellte Sachverhalt (und nur dieser) mit dem zur Anwendung gebrachten materiellen Recht zu vergleichen ist (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 581; RIS‑Justiz RS0099810, RS0099658).

[14] Die Feststellungsgrundlage im Gegendarstellungsverfahren nach §§ 9 ff MedienG sind die tatsächlichen Urteilsannahmen zum Bedeutungsinhalt der These (als Tatfrage [RIS‑Justiz https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0092588&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False; Rami in WK² MedienG Präambel Rz 1/2; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Koukal, Praxiskommentar MedienG4 Vor §§ 6–8a Rz 42 ff; Höhne in Berka/Heindl/Höhne/Koukal,Praxiskommentar MedienG4 § 9 Rz 5 f]). Diese sind Bezugspunkt der rechtlichen Beurteilung der geforderten Kontradiktorietät der Antithese (§ 9 Abs 3 erster Satz MedienG; RIS‑Justiz RS0119079). Die Kontradiktorietät kann sohin nur auf der Basis der Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der These mit Rechtsrüge (Z 9 lit a) releviert werden (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 581 [zweiter Absatz]).

[15] Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht der auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsberufung der Antragsgegnerinnen Folge gegeben, indem es seiner Entscheidung ausgehend vom Wortlaut der These, die Feststellungen des Erstrichters zum Bedeutungsinhalt aber vernachlässigend, einen anderen Sinngehalt der These zugrunde legte. Denn es führte aus, dass „die These den Bedeutungsinhalt der am 22. bzw 23. Oktober 2019 erschienenen Artikel korrekt derart [wiedergibt], was für den 1. November 2019 an Kontrollen geplant sei – sohin Zukünftiges , und nicht [,] wie vom Erstgericht zu Bedeutungsinhalt von Artikel und These irrig angenommen, bereits Vergangenes “. Damit wurden aber der Sache nach die tatrichterlichen Konstatierungen zum Theseninhalt, nämlich dass die Antragstellerin eine umfassende Kontrolle des in der Nacht auf den 1. November 2019 in Kraft tretenden Rauchverbots in Lokalen in dieser Nacht [bereits] veranlasst habe und dem Steuerzahler alleine in dieser Nacht Kosten von 24.000 Euro entstanden seien (US 3 des Urteils des Landesgerichts für Strafsachen Wien), prozessordnungswidrig geändert bzw ersetzt.

[16] 2./ Wiewohl eine Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld dem Berufungsgericht prinzipiell eine umfassende Überprüfung des Urteilssachverhalts ermöglicht, ist eine Abänderung der vom Erstrichter getroffenen Feststellungen zum Bedeutungsinhalt (hier:) der These dennoch nicht ohne Weiteres zulässig.

[17] Denn gemäß § 6 Abs 2 StPO hat jede am Verfahren beteiligte Person das Recht auf angemessenes rechtliches Gehör (Art 6 Abs 1 MRK; siehe dazu Wiederin, WK‑StPO § 6 Rz 6 f, 10 ff, 198 f, 202, 212 ff, 218, 225). Unbeschadet dessen, dass fallbezogen eine formelle Beweiswiederholung im Berufungsverfahren durch Verlesung der inkriminierten Artikel nicht erforderlich war (vgl Ratz, WK‑StPO § 473 Rz 8, insbesondere unter Hinweis auf https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&GZ=15Os15/08g&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True ) und im Übrigen eine solche auch nicht erfolgte (vgl Protokoll über die Berufungsverhandlung ON 15 [S 1 f]), hätte das Berufungsgericht die Beteiligten des Verfahrens, in concreto auch die Antragstellerin (welche gemäß § 14 Abs 3 MedienG die Rechte des Privatanklägers hat [vgl Rami in WK2 MedienG § 14 Rz 4, 31]), auf den seines Erachtens nach vorliegenden – vom Antragsvorbringen und vom im Ersturteil konstatierten Sachverhalt abweichenden – Bedeutungsinhalt der Thesen hinweisen und der Antragstellerin die Gelegenheit geben müssen, in der Berufungsverhandlung dazu Stellung zu nehmen (vgl Ratz, WK-StPO § 464 Rz 16 f sowie Rami in WK² MedienG § 8 Rz 15/1 f; zur Warnpflicht bei überraschenden Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen allgemein vgl RIS‑Justiz RS0120025).

[18] 3./ Im Übrigen blieben die vom Berufungsgericht (wie dargestellt der Sache nach) getroffenen Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der beiden in Rede stehenden Thesen gänzlich unbegründet, wodurch die auch für Urteile der Oberlandesgerichte als Berufungsgericht geltende Begründungspflicht gerichtlicher Entscheidungen (§ 270 Abs 2 Z 5 iVm §§ 474, 489 Abs 1 StPO; Danek/Mann, WK‑StPO § 270 Rz 28) verletzt wurde (RIS‑Justiz RS0123668 [T1, T2]).

[19] Diese Gesetzesverletzungen gereichen den Antragsgegnerinnen, die im vorliegenden Verfahren die Rechte der Angeklagten haben (§ 14 Abs 3 MedienG), nicht zum Nachteil, weshalb es mit ihrer Feststellung sein Bewenden hat (§ 292 letzter Satz StPO).

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