European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00145.21M.0907.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1.1. Ein Mitverschuldensantrag nach § 60 Abs 3 EheG muss nicht ausdrücklich unter Hinweis auf das Gesetz gestellt werden, es genügt vielmehr, dass der Antrag dem Vorbringen der beklagten Partei zweifelsfrei entnommen werden kann (RIS‑Justiz RS0109404). Dafür reicht es aus, dass der beklagte Ehegatte unter Berufung auf das Verschulden des die Scheidung begehrenden Ehegatten der Scheidung widerspricht, sofern nicht ganz besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, dass ein solcher Antrag absichtlich unterlassen wurde (RS0057285). Voraussetzung für die Annahme eines Mitverschuldensantrags ist demnach nur, dass aus dem Beklagtenvorbringen erkennbar hervorgeht, welches Zerrüttungsverhalten dem Kläger vorgeworfen wird (vgl RS0082194; 8 Ob 63/20b). Die Frage, wie ein bestimmtes Vorbringen zu verstehen ist, ist eine solche des jeweiligen Einzelfalls, die regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO begründet (vgl RS0042828 [insb T3, T13, T16, T24, T25, T26, T31, T42]).
[2] 1.2. Die Beklagte widersprach der vom Kläger begehrten Scheidung in erster Instanz unter Berufung auf dessen „massive bzw grob schuldhafte Eheverfehlungen“, wobei sie sich primär darauf bezog, dass der Kläger seit 2018 fast jeden Abend – mit der Behauptung, er gehe jagen – parfümiert und mit seinem „Ausgeh-Gewand“ fortging, was sie, weil sie eine ehewidrige Beziehung vermutete, als kränkend empfunden habe. Sie sei daher – obwohl bereits zuvor kaum mehr ein geschlechtlicher Kontakt stattfand – aus dem gemeinsamen Schlafzimmer ausgezogen.
[3] Dass es eine vom Obersten Gerichtshof im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung darstellen soll, dass die Vorinstanzen darin einen Antrag nach § 60 Abs 3 EheG erblickten, vermag der Revisionswerber auch mit dem Hinweis auf das Vorbringen der Frau, wonach sie „dennoch die Nähe des Klägers genossen habe“ und noch vereinzelt gemeinsame Unternehmungen stattgefunden hätten (wobei sie auch vorbrachte, dass man zunehmend „nebeneinander“ gelebt habe), nicht darzulegen, behauptete sie doch ausdrücklich, dass die genannte Eheverfehlung des Mannes der Grund für die Zerrüttung der Ehe gewesen und das ihr vorgeworfene (Fehl‑)Verhalten (die Mitnahme einzelner Gebrauchsgegenstände bei ihrem Auszug sowie der „eigenmächtige Einbehalt“ von 5.000 EUR aus dem Verkauf einer gemeinsamen Liegenschaft im Jahr 2014) demgegenüber zu vernachlässigen sei.
[4] 2.1. Bei der Beurteilung des überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten sind einander alle Umstände in ihrer Gesamtheit gegenüberzustellen (RS0057303). Es kommt nicht allein auf die Schwere der jeweiligen Verfehlungen an, sondern darauf, in welchem Umfang sie zur Zerrüttung der Ehe beigetragen haben (RS0057858). Die Verschuldenszumessung bei der Scheidung erfolgt jeweils nach den konkreten Umständen des Einzelfalls und begründet daher in der Regel ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage (RS0119414).
[5] 2.2. Die Ehegatten sind einander zur „anständigen Begegnung“ verpflichtet (§ 90 ABGB). Schwere und beharrliche Verstöße gegen dieses Verhaltensgebot, in denen sich eine mangelnde Schätzung der Persönlichkeit des Ehepartners ausdrückt, begründen eine schwere Eheverfehlung (RS0056321; RS0056711). Die Ehepartner haben sich im Rahmen ihrer Verpflichtung zur „anständigen Begegnung“ auch gegenseitig Einblick in ihre privaten Tätigkeiten zu gewähren und den anderen nicht grundlos von der Möglichkeit einer solchen Kenntnisnahme auszuschließen. Es gehört auch zu den ehelichen Pflichten, den anderen über die nicht gemeinsame Freizeitgestaltung zu informieren (1 Ob 224/01z mwN). Begründet das Verhalten eines Ehegatten den Anschein einer ehewidrigen Beziehung, hat er seinen Partner aktiv „über alle relevanten Umstände“ aufzuklären (9 Ob 62/05s mwN).
[6] 2.3. Nach den erstinstanzlichen Feststellungen legte der Mann den Grundstein für die Zerrüttung der Ehe, indem er ab Mai 2018 am Abend – entgegen seiner früheren Gewohnheit, nach der Arbeit „stets“ auf die Jagd zu gehen – regelmäßig „in Ausgehkleidung und einparfümiert“ ausging, wobei er der Frau auch auf ihr Nachfragen nicht mitteilte, wohin er gehe, sondern ihr vorwarf, streitsüchtig und eifersüchtig zu sein. Dadurch fühlte sie sich – weil sie (was jedoch nicht festgestellt werden konnte) eine ehewidrige Beziehung des Mannes vermutete – gekränkt, sodass sie aus dem gemeinsamen Schlafzimmer auszog. Die gemeinsame Kommunikation der Ehegatten verschlechterte sich in der Folge derart, dass sie schließlich „nur mehr das Notwendigste“ miteinander sprachen bzw sich – über einen gemeinsamen Bekannten – Nachrichten übermittelten. Der Mann forderte die Frau schließlich auf, nach einer von den Ehegatten seit langem geplanten bäuerlichen Festveranstaltung (dem sogenannten „Dreschafest“), bei der die Frau die Bewirtung der Gäste übernehmen sollte, aus der Ehewohnung auszuziehen. Sie kam dieser Aufforderung nach und nahm dabei Teile des Hausrats mit.
[7] 2.4. Dass das Berufungsgericht auf Basis dieses Sachverhalts von einem überwiegenden Verschulden des Mannes an der – spätestens mit dem Auszug der Frau angenommenen – unheilbaren Zerrüttung der Ehe ausging, begegnet keinen vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden Bedenken.
[8] 2.5. Dem Argument des Revisionswerbers, es sei der Frau als zumindest gleich zu gewichtende Eheverfehlung anzulasten, dass sie kurz vor ihrem Auszug „eigenmächtig“ Teile des Hausrats (die zum Teil ohnehin in ihrem Eigentum standen) aus der Ehewohnung entfernte, ist zu entgegnen, dass nicht festgestellt werden konnte, dass dies eheliches Gebrauchsvermögen von größerem Wert betraf. Da sie vom Mann ausdrücklich aufgefordert worden war, aus dem gemeinsamen Haus auszuziehen, begründet jedenfalls kein den Eheverfehlungen des Mannes gleichwertiges Verschulden der Frau, dass sie seiner Aufforderung nachkam und dabei – wenngleich ohne weitere Absprache mit diesem – einige Gebrauchsgegenstände in die von ihr neu bezogene Wohnung mitnahm.
[9] 2.6. Dass die Frau vom Erlös aus dem 2014 erfolgten Verkauf einer gemeinsamen Liegenschaft 5.000 EUR (wobei dies nur einen Bruchteil des Verkaufserlöses darstellte) – mit Wissen des Mannes – einbehielt und diesen Betrag ihrer Tochter schenkte, worin der Revisionswerber ebenfalls eine schwere Eheverfehlung erblickt, vermag ein gleichteiliges Verschulden der Ehegatten an der Zerrüttung der Ehe schon deshalb nicht zu begründen, weil sich – entgegen der Behauptung des Rechtsmittelwerbers – aus den Feststellungen nicht ergibt, dass der daraus resultierende Streit maßgeblich zur Zerrüttung der Ehe beigetragen hätte. Diese wurde vielmehr hauptsächlich dadurch bewirkt, dass der Mann jeden Abend „parfümiert und in Ausgehkleidung“ ausging, wobei er der Frau verschwieg, wohin er geht, wodurch er den Eindruck einer außerehelichen Beziehung erweckte. Davon abgesehen kann der Frau der „Einbehalt“ der 5.000 EUR auch deshalb nicht als Eheverfehlung vorgeworfen werden, weil die verkaufte Liegenschaft zur Hälfte in ihrem Eigentum stand.
[10] 3. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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