European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E132614
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Entscheidungsgründe:
[1] Mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 16. 11. 2016, AZ 26 S 139/16k, wurde über das Vermögen des Einzelunternehmers P* (im Weiteren: Schuldner) das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Masseverwalter bestellt. Am 9. 1. 2017 fand die Berichts‑ und Prüfungstagsatzung statt.
[2] Der Kläger wurde vom Insolvenzverwalter während des Insolvenzverfahrens von 1. 3. 2017 bis 22. 5. 2017 als Arbeiter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde einvernehmlich aufgelöst. Es bestand keine Masseunzulänglichkeit.
[3] Da die Entgeltansprüche des Klägers nicht befriedigt wurden, machte er diese mit Klage gegen den Insolvenzverwalter geltend. Diese wurde dem Insolvenzverwalter erst nach der Sanierungsplantagsatzung (23. 8. 2017) am 24. 8. 2017 zugestellt. Nach Annahme und Bestätigung des Sanierungsplans wurde das Insolvenzverfahren mit Beschluss vom 11. 9. 2017 aufgehoben. Das Verfahren des Klägers wurde gegen den Schuldner selbst weitergeführt und endete am 15. 2. 2019 mit einem Vergleich, in dem sich der Schuldner zur Zahlung eines Betrags von 3.155,24 EUR brutto samt Zinsen und Kosten verpflichtete.
[4] Mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 2. 3. 2019, AZ 27 S 21/18t, wurde über das Vermögen des Schuldners neuerlich ein Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt. In diesem Insolvenzverfahren meldete der Kläger den sich aus dem Vergleich ergebenden Nettobetrag von 3.816 EUR als Insolvenzforderung an.
[5] Mit Bescheid vom 21. 1. 2020 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Zuerkennung von Insolvenz‑Entgelt im Umfang der Forderungsanmeldung ab.
[6] Der Kläger begehrt, die Beklagte zur Zahlung von 3.816 EUR netto zu verpflichten. Seine Ansprüche seien nach der Berichtstagsatzung entstandene Masseforderungen und als solche im ersten Insolvenzverfahren nur im Rahmen der Ausfallhaftung nach § 3a Abs 4 IESG gesichert gewesen. Es handle sich um eine subsidiäre Haftung, die nur eintrete, wenn Massearmut nicht nur bestehe, sondern auch deklariert sei. Dies sei jedoch im ersten Insolvenzverfahren nicht erfolgt. Der Kläger habe auch keine Austrittsobliegenheit verletzt, weil eine solche für bestrittene Ansprüche nicht bestehe. Seine Forderungen seien daher im zweiten Insolvenzverfahren gesichert.
[7] Die Beklagte bestritt und brachte vor, es handle sich bei den Ansprüchen des Klägers um Masseforderungen des ersten Insolvenzverfahrens, zu deren Begleichung der Masseverwalter berufen gewesen wäre. Der Antrag auf Insolvenzentgelt sei hinsichtlich des ersten Insolvenzverfahrens verspätet gewesen, da er erst außerhalb der Antragsfrist nach § 6 IESG gestellt worden sei. Die Masseforderung des ersten Insolvenzverfahrens sei aber nicht als Insolvenzforderung des zweiten Insolvenzverfahrens gesichert. Andernfalls würde Zahlungsunwilligkeit der Masse oder eine willkürliche Bestreitung des Masseverwalters zu einer unzulässigen Entlastung der Masse zu Lasten des Insolvenz-Entgeltfonds führen. Eine IESG‑rechtliche Sicherung komme auch für Masseforderungen nach der Berichtstagsatzung in Betracht, diesbezüglich treffe den Arbeitnehmer aber eine Austrittsobliegenheit. Es sei nicht ersichtlich, weshalb der Kläger im ersten Insolvenzverfahren keinen fristgerechten Antrag auf Insolvenz‑Entgelt gestellt habe. Bei einer solchen Antragstellung wären die Ansprüche gesichert gewesen.
[8] Das Erstgericht gab der Klage statt. Es ging davon aus, dass die Entgeltansprüche des Klägers im ersten Insolvenzverfahren nicht durch die Ausfallhaftung des § 3a Abs 2 Z 5 IESG gesichert gewesen seien, weil keine Massearmut vorgelegen sei. Damit sei das Insolvenz‑Entgelt für solche Ansprüche im Rahmen einer neuerlich eingetretenen Insolvenz des Arbeitgebers geltend zu machen.
[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten gegen diese Entscheidung Folge und wies das Klagebegehren ab. Die Ansprüche des Klägers seien Masseforderungen im Sinn des § 46 Z 3 IO, die nach der Berichtstagsatzung entstanden seien. Solche Ansprüche seien grundsätzlich – in eingeschränktem Ausmaß als Ausfallhaftung nach § 3a Abs 4 IESG – gesichert. § 3a Abs 4 IESG finde allerdings keine Anwendung auf jenes Entgelt, wegen dessen ungebührlicher Schmälerung oder Vorenthaltung der Austritt erklärt worden sei. Nichts anderes könne für die Sicherung jener Entgeltforderungen gelten, die – wie im konkreten Fall – bestritten und vorenthalten worden seien, für die aber gar keine Austrittsobliegenheit bestehe. Daraus folge aber, dass die Entgeltansprüche des Klägers im ersten Insolvenzverfahren gesichert gewesen wären. Dort seien sie aber verspätet geltend gemacht worden. Im zweiten Insolvenzverfahren bestehe dagegen keine Sicherung der Ansprüche.
[10] Die Revision wurde vom Berufungsgericht mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von wesentlicher Bedeutung nicht zugelassen.
[11] In seiner außerordentlichen Revision beantragt der Kläger, die Entscheidung des Berufungsgerichts dahingehend abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben wird.
[12] Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung die Revision zurückzuweisen in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[13] Die Revision ist zur Klarstellung zulässig, aber nicht berechtigt.
[14] 1. Das IESG regelt den Anspruch von Arbeitnehmern auf Insolvenzentgelt, wenn über das Vermögen des Arbeitgebers ein Verfahren nach der Insolvenzordnung eröffnet wird oder ein anderer, dem gleichgestellter Tatbestand nach der IO erfüllt ist.
[15] 2. Nach § 1 Abs 2 IESG sind (unter anderem) gesichert aufrechte, nicht verjährte und nicht ausgeschlossene Ansprüche (Abs 3) aus dem Arbeitsverhältnis und zwar nach Z 1 Entgeltansprüche, insbesondere auch laufendes Entgelt oder aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sowie nach Z 4 auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Prozesskosten.
[16] 3. Die Ansprüche des Klägers stammen unstrittig zur Gänze aus einem Zeitraum, zu dem das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet war und die Berichts‑ und Prüfungstagsatzung bereits stattgefunden hatte. Seine Ansprüche auf laufendes Entgelt für diesen Zeitraum sind damit Masseforderungen im Sinn des § 46 Z 3 IO.
[17] 4. Nach § 3a Abs 2 Z 5 IESG gebührt Insolvenz-Entgelt im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens für Ansprüche auf Entgelt einschließlich der gebührenden Sonderzahlungen bis zum rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses als Ausfallhaftung (Abs 4), wenn (ua) nach der Berichtstagsatzung bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens der Arbeitnehmer infolge der ersten nicht vollständigen Zahlung des ihm zukommenden Entgelts wegen der ungebührlichen Schmälerung oder Vorenthaltung des gebührenden Entgelts seinen berechtigten vorzeitigen Austritt erklärt oder das Arbeitsverhältnis aus anderen Gründen gelöst wird. Diese Austrittsobliegenheit gilt nicht für Sonderzahlungen und bestrittene Ansprüche. Abs 4 findet jedoch keine Anwendung für jenes Entgelt, wegen dessen ungebührlicher Schmälerung oder Vorenthaltung der Austritt erklärt wurde.
[18] § 3a Abs 4 IESG ordnet an, dass der Anspruch auf Insolvenzentgelt in den Fällen des Abs 2 Z 5 und Abs 3 nur dann und nur insoweit gebührt, als der zuständige Verwalter entweder schriftlich erklärt, dass die Insolvenzmasse bzw der Arbeitgeber zur Zahlung nicht oder nicht vollständig in der Lage ist oder die Masseunzulänglichkeit nach § 124a IO dem Insolvenzgericht angezeigt hat.
[19] 5. Die „Austrittspflicht“ des Arbeitnehmers verfolgt den Zweck, dass die Fortführung des Unternehmens trotz weiterer Zahlungsschwierigkeiten und die daraus resultierende Pflicht zur Begleichung der laufenden Arbeitnehmeransprüche nicht mehr zu Lasten des Fonds gehen soll. Das wesentliche Risiko liegt darin, dass der Arbeitnehmer von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses absieht, obwohl das laufende Entgelt nicht mehr aus der Masse getragen werden kann (RS0119116).
[20] In den Fällen, in denen Masseunzulänglichkeit nicht vorliegt, sollten nach der Vorstellung des Gesetzgebers diese Ansprüche „zu 100 %“ aus der Masse zu ersetzen sein (ErläutRV 737 BlgNR 20. GP 10).
[21] 6. Für Arbeitnehmeransprüche, die nach der Berichtstagsatzung, aber vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens entstehen, bedeutet dies, dass
‑ das erste nicht vollständig bezahlte Entgelt, wegen dessen Vorenthaltung der vorzeitige Austritt erklärt wird, zur Gänze gesichert ist. Dabei gilt nach der Rechtsprechung, dass dann, wenn der Arbeitnehmer nachweist, dass die Verletzung der Austrittsobliegenheit auf den Umfang der Leistungspflicht keinen Einfluss hatte, die Verletzung der Austrittsobliegenheit nicht anspruchsvernichtend wirkt (8 ObS 7/05w mwN).
‑ sonstige Ansprüche gesichert sind, wenn der Arbeitnehmer infolge der ersten nicht vollständigen Zahlung des ihm zukommenden Entgelts ausgetreten ist und zusätzlich die Zahlungsunfähigkeit der Masse formell durch den zuständigen Verwalter gegenüber der Beklagten oder dem Insolvenzgericht deklariert wurde (vgl 8 ObS 2/19f).
[22] 7. Durch das IRÄG 2010 wurde in § 3a Abs 2 Z 5 dahin ergänzt, dass die Austrittsobliegenheit nicht für Sonderzahlungen und bestrittene Ansprüche gilt. In den Erläuterungen (RV 612 BlgNR 24. GP 41) wurde dazu ausgeführt, dass in Bezug auf die Verpflichtung zur Erklärung des berechtigten vorzeitigen Austritts und um den Anspruch auf IEG dann zu wahren, wenn der Insolvenzverwalter nicht mehr in der Lage ist, das laufende Entgelt zu zahlen, klargestellt wird, dass ein solcher Austritt (nur) hinsichtlich von strittigen Ansprüchen, über die zB ein Verfahren vor den Arbeitsgerichten anhängig ist, nicht notwendig ist.
[23] Durch diese Novelle ist somit eine Klarstellung erfolgt, dass keine Austrittsobliegenheit besteht, wenn bloß Sonderzahlungen oder bestrittene Ansprüche offen sind (Gahleitner in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 3a IESG Rz 6). Allerdings lässt der Gesetzestext offen, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen derartige Ansprüche gesichert sind. Aus der Regierungsvorlage lässt sich jedoch ableiten, dass es die Intention des Gesetzgebers war, dass hinsichtlich dieser Ansprüche zwar ein Austritt nicht Voraussetzung ist, der Anspruch auf Insolvenzentgelt aber nur besteht „wenn der Insolvenzverwalter nicht mehr in der Lage ist“ zu zahlen. Entsprechend der Systematik des § 3a Abs 2 Z 5 IESG ist daher auch bei solchen Ansprüchen von einer bloßen Ausfallhaftung des Fonds auszugehen, weshalb ein Anspruch im Insolvenzentgelt nur unter den Voraussetzungen des § 3 Abs 4 IESG besteht. Insbesondere bestünde sonst das Risiko, dass allein die Bestreitung der Arbeitnehmeransprüche zu einer generellen Zahlungspflicht des Fonds für Arbeitnehmeransprüche führen würde, was der Gesetzgeber gerade vermeiden wollte.
[24] Für die vom Berufungsgericht angenommene Gleichstellung dieser Ansprüche mit denen, wegen derer der Austritt erklärt wurde und die jedenfalls gesichert sind, bietet das Gesetz dagegen keine Grundlage.
[25] 8. Im konkreten Fall lag keine von § 3 Abs 4 IESG geforderte Deklaration des Masseverwalters hinsichtlich der Masseunzulänglichkeit vor. Darüber hinaus bestand nach den Feststellungen auch tatsächlich keine Masseunzulänglichkeit. Richtig ist daher mit der Revision davon auszugehen, dass die Entgeltforderung des Arbeitnehmers im ersten Insolvenzverfahren des Arbeitgebers nicht gesichert war.
[26] Das führt aber entgegen der Ansicht des Klägers nicht dazu, dass in einer nachfolgenden Insolvenz ein Anspruch auf Insolvenzentgelt besteht.
[27] Durch die den Anspruch auf Insolvenzentgelt einschränkende Regelung des § 3a Abs 2 Z 5 iVm Abs 4 IESG hat der Gesetzgeber in Kauf genommen, dass nicht sämtliche Arbeitsentgelte, die nach der Berichtstagsatzung anfallen, gesichert sind, sondern nur jene, für die die gesetzlichen Voraussetzungen bestehen. Liegt daher keine Masseunzulänglichkeit vor, sind mit Ausnahme des Arbeitsentgelts, wegen dem der Austritt erklärt wurde, die offenen Ansprüche des Arbeitnehmers nicht gesichert. Korrespondierend sieht für den Fall des Sanierungsverfahrens § 152a Abs 1 Z 2 IO vor, dass die Bestätigung des Sanierungsplans erst zu erteilen ist, wenn alle fälligen und feststehenden Masseforderungen gezahlt sind, sowie die bei Gericht oder Verwaltungsbehörde geltend gemachten Masseforderungen, von deren Geltendmachung der Insolvenzverwalter in Kenntnis gesetzt wurde, sichergestellt sind. Damit wird grundsätzlich gewährleistet, dass bei Annahme eines Sanierungsplans Masseforderungen, selbst wenn sie strittig sein sollten, aus der Masse befriedigt wurden bzw sobald sie festgestellt werden, befriedigt werden können.
[28] Im vorliegenden Fall ist es offenbar deshalb zu keiner Sicherstellung gekommen, weil die Klage dem Insolvenzverwalter erst nach der Sanierungsplantagsatzung zugestellt wurde. Das kann jedoch nicht dazu führen, dass in einem nachfolgenden weiteren Insolvenzverfahren diese Arbeitnehmerforderungen gegenüber den Insolvenz-entgeltfonds geltend gemacht werden können. Das würde in Widerspruch zu dem zuvor dargestellten Zweck des § 3 Abs 2 Z 5 IESG stehen, da das dazu führen würde, dass im ersten Insolvenzverfahren nach dem Gesetz ausdrücklich von einer Deckung ausgenommene Ansprüche bei nachträglich eintretender neuerlicher Zahlungsunfähigkeit des Schuldners Deckung finden.
[29] Zusammengefasst bedeutet das, dass Sonderzahlungen und bestrittene Ansprüche, die nach der Berichtstagsatzung, aber vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens entstehen, im laufenden Insolvenzverfahren nur im Fall der Masseunzulänglichkeit iSd § 3a Abs 4 IESG gesichert sind. Sind sie wegen Nichterfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen in diesem Verfahren nicht gesichert, führt auch eine spätere weitere Insolvenz des Schuldners nicht zu einer Sicherung in dem zweiten Insolvenzverfahren.
[30] Im Ergebnis hat daher das Berufungsgericht zu Recht die Klage abgewiesen.
[31] Der Revision war daher nicht Folge zu geben.
[32] Der Kläger hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 ASGG wurden vom Kläger nicht behauptet.
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