European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E132540
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Baden vom 22. Juni 2020 (ON 24) wird nicht Folge gegeben.
Gründe:
[1] Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt führte zu AZ 9 St 113/19s ein Ermittlungsverfahren (unter anderem) gegen den am 29. August 2006 geborenen Clemens A* wegen der Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 2 StGB und nach § 207a Abs 3 zweiter Satz StGB.
[2] Diesem lag der Verdacht zugrunde, der Genannte habe vom 1. Juli 2019 bis zum 25. September 2019 pornographische Darstellungen einer unmündigen minderjährigen Person, nämlich wirklichkeitsnahe Abbildungen einer geschlechtlichen Handlung einer unmündigen Person an sich selbst, besessen und einem anderen verschafft, indem er Fotos und Videos, die die unmündige Anna‑Lena W* unter anderem dabei zeigen, wie sie sich einen Textmarker in die Scheide einführt, auf sein Mobiltelefon zugesendet erhielt und zumindest die Fotos an Lukas M* weiterleitete (vgl ON 4 S 2 und ON 24 S 2 f).
[3] Nach Sicherstellung des Mobiltelefons iPhone 7+ des A* über Anordnung der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt (ON 4) am 26. September 2019 (ON 16 S 13 ff; ON 20) wurde das (nunmehr zu AZ 18 St 213/19s geführte) Ermittlungsverfahren gegen den Unmündigen mit Verfügung vom 7. Oktober 2019 gemäß § 190 Z 1 StPO aus dem Grund des § 4 Abs 1 JGG eingestellt (ON 1 S 7).
[4] Über Antrag des A* (unter anderem) auf Aufhebung der Sicherstellung seines Mobiltelefons (mit einem Zeitwert von rund 600 Euro) und – für den Fall der Ablehnung dieses Begehrens – auf ein Vorgehen gemäß §§ 445 Abs 1 und Abs 3, 445a StPO (ON 12), beantragte die Staatsanwaltschaft gemäß § 445 Abs 1 und 3 iVm § 445a Abs 1 StPO dessen Einziehung beim Bezirksgericht Baden (ON 1 S 8 f).
[5] Zur vom Bezirksgericht in Aussicht genommenen Vorgehensweise, dem Haftungsbeteiligten A* (vgl § 64 Abs 1 StPO) zu ermöglichen, sein Mobiltelefon in Anwesenheit eines Polizeibeamten auf Werkseinstellungen zurückzusetzen (ON 1 S 11), äußerte sich die Staatsanwaltschaft ablehnend (ON 1 S 12).
[6] Im Zuge der mündlichen Anhörung vor dem Bezirksgericht Baden am 28. Mai 2020 (ON 23) wurde dem Haftungsbeteiligten (im Sinn des § 26 Abs 2 StGB) die Gelegenheit eingeräumt, die auf dem Telefon befindlichen Daten durch Zurücksetzen auf Werkseinstellungen zu beseitigen. Dies wurde von A* unter Aufsicht der Richterin – welche sich zuvor versichert hatte, dass im iCloud‑Speicher keine Daten vorhanden sind – durchgeführt (ON 23 S 3).
[7] Mit Beschluss vom 22. Juni 2020 (ON 24) wies das Bezirksgericht Baden – ohne (hier gebotene) neuerliche Anhörung der Anklagebehörde zum protokollierten Inhalt des Termins vom 28. Mai 2020 (ON 23; vgl § 445a Abs 1 StPO) – den Antrag der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt auf Einziehung des sichergestellten Mobiltelefons des Clemens A* ab. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass durch Zurücksetzen des Mobiltelefons auf Werkseinstellungen ein Zugriff auf den früheren Datenbestand nicht mehr möglich und die besondere Deliktstauglichkeit des Geräts demnach beseitigt sei und – im Übrigen – auch im iCloud‑Speicher keinerlei Daten vorhanden seien (ON 24 S 3 und 5).
[8] Der dagegen erhobenen Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt (ON 25) gab das Landesgericht Wiener Neustadt als Beschwerdegericht mit Beschluss vom 10. November 2020, AZ 14 Bl 32/20i (ON 28), Folge und hob den bekämpften Beschluss mit dem Auftrag zu neuerlicher Entscheidung durch das Erstgericht unter Verfahrensergänzung durch Beiziehung eines Sachverständigen auf.
[9] Inhaltlich stützte sich das Beschwerdegericht auf die telefonisch eingeholte Auskunft eines Sachverständigen (ON 27), wonach nach Zurücksetzen des Mobiltelefons auf Werkseinstellungen ein Zugriff auf Dateien und deren Wiederherstellung (nach derzeitigem Wissensstand) nicht mehr möglich sei. Allerdings werde von jedem iPhone ein Backup der Daten in der iCloud abgespeichert. Auf diese Daten könne jeder zugreifen, der das Backup‑Passwort kennt, und zwar auch ohne Verwendung des iPhones, auf dem die Daten abgespeichert sind oder waren. Von einer Beseitigung der besonderen Gefährlichkeit des Mobiltelefons könne sohin (noch) nicht gesprochen werden. Das Erstgericht habe den Haftungsbeteiligten daher zur Bekanntgabe des Backup‑Passworts aufzufordern und die inkriminierte Datei durch einen Sachverständigen aus dem iCloud‑Speicher entfernen zu lassen (BS 8 f).
Rechtliche Beurteilung
[10] Wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, verletzt der dargestellte Beschluss das Gesetz.
[11] Einziehung nach § 26 Abs 1 StGB setzt voraus, dass diese vorbeugende Maßnahme nach der besonderen Beschaffenheit des betroffenen Gegenstands geboten erscheint, um der Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen durch den Täter selbst oder durch andere Personen entgegenzuwirken. Das Wort „geboten“ spricht dabei die Deliktstauglichkeit des Gegenstands an (RIS‑Justiz RS0121298).
[12] Dass dieser zwar zur Verübung deliktischer Angriffe verwendet werden kann, primär (und überwiegend) aber anderweitigem rechtmäßigen Gebrauch dient, genügt nicht, vielmehr muss das Tatwerkzeug nach seiner besonderen Beschaffenheit spezifisch in erster Linie zur Verwendung bei der Verübung von strafbaren Handlungen bestimmt sein; die Tauglichkeit des Gegenstands für irgendeine Art von Delinquenz muss demnach überwiegen (RIS‑Justiz RS0090389 [T1, T14] und RS0121298 [T6]; Ratz in WK² StGB § 26 Rz 12 f).
[13] Davon kann bei einem (handelsüblichen) Mobiltelefon in aller Regel – ohne Hinzutreten besonderer Umstände – keine Rede sein (15 Os 76/07a), auch wenn auf dem Gerät zuvor pornographisches Bildmaterial gespeichert war (und zwischenzeitig wieder gelöscht wurde; vgl 12 Os 112/15k).
[14] Bei gegebener Deliktstauglichkeit – etwa bei einem (von der Maßnahme betroffenen) Datenträger, auf dem pornographische Bilddateien gespeichert sind (vgl RIS‑Justiz RS0121298 [T11, T12]) – ist dem Berechtigten vor Einziehung angemessen Gelegenheit zu geben, diese besondere Beschaffenheit auf welche Weise auch immer zu beseitigen (RIS‑Justiz RS0121299). Wurde diese eliminiert, ist das Absehen von der Maßnahme zwingend (vgl Ratz in WK² StGB § 26 Rz 15 letzter Satz).
[15] Davon ausgehend verletzt die Bejahung der Deliktstauglichkeit durch das Beschwerdegericht auch nach erfolgter irreversibler Unlesbarmachung der Daten am gegenständlichen Mobiltelefon, weil mit diesem – aber auch ohne Verwendung genau dieses Geräts – ein Zugriff auf die iCloud und die Wiedererlangung dort gespeicherter Daten möglich sei, § 26 Abs 1 und Abs 2 StGB. Denn die bloße Möglichkeit, unter Verwendung des gegenständlichen Mobiltelefons (wie auch jedes anderen iPhones) auf die iCloud zuzugreifen, begründet keine besondere Beschaffenheit des Gegenstands, die diesen spezifisch zur Begehung strafbarer Handlungen geeignet macht.
[16] Die Abweisung des auf Einziehung des betreffenden Mobiltelefons gerichteten Antrags der Staatsanwaltschaft mit Beschluss des Erstgerichts vom 22. Juni 2020 (ON 24) erfolgte daher zu Recht (erneutRatz in WK² StGB § 26 Rz 15 letzter Satz).
[17] Überdies unterliegen nur körperliche Gegenstände der Einziehung nach § 26 StGB (Ratz in WK² StGB § 26 Rz 2; vgl auch § 408 Abs 1 StPO). Die vom Beschwerdegericht angeordnete Entfernung der inkriminierten Datei „aus dem iCloud‑Speicher“ durch einen Sachverständigen (ON 28 S 9), ist hingegen ersichtlich eine bloß auf in der iCloud (somit auf anderen, nicht näher bezeichneten Datenträgern) gespeicherte Datenbestände per se bezogene Maßnahme und entspricht daher nicht dem Gesetz (zur grundsätzlichen Problematik des „Cloudcomputings“ und eines Fernzugriffs auf Daten auf externen Datenträgern siehe Reindl-Krauskopf/Salimi/Stricker, IT‑Strafrecht [2018] Rz 5.10 ff).
[18] Da sich die aufgezeigte Gesetzesverletzung zum Nachteil des Haftungsbeteiligten, dem gemäß § 64 Abs 1 StPO die Rechte des Angeklagten zukommen, auswirkt, war deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO), der Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Beschwerdegericht vom 10. November 2020, AZ 14 Bl 32/20i (ON 28), aufzuheben und wie aus dem Tenor ersichtlich in der Sache selbst zu erkennen.
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