OGH 13Os57/21p

OGH13Os57/21p14.7.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Juli 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Pentz in der Auslieferungssache des Mikhail G***** zur Strafverfolgung an die Russische Föderation, AZ 11 HR 201/20s des Landesgerichts St. Pölten, über den Antrag des Betroffenen auf Erneuerung des Verfahrens und dessen damit verbundenen Antrag auf Zuerkennung aufschiebender Wirkung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0130OS00057.21P.0714.000

 

Spruch:

Die Anträge werden zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Mit Beschluss vom 15. Jänner 2021, AZ 11 HR 201/20s, erklärte die Einzelrichterin des Landesgerichts St. Pölten die Auslieferung des russischen Staatsangehörigen Mikhail G***** an die Russische Föderation zur Strafverfolgung wegen der im Auslieferungsersuchen vom 16. November 2020 beschriebenen Tatvorwürfe für zulässig (ON 19).

[2] Der dagegen erhobenen Beschwerde des Betroffenen gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 20. April 2020, AZ 22 Bs 64/21d, nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich der Antrag des Betroffenen auf Erneuerung des Verfahrens. Geltend gemacht wird eine Verletzung der Art 3 und 6 MRK.

[4] Der Antrag ist unzulässig.

[5] Indem der Erneuerungsantrag die Behauptung eines im ersuchenden Staat drohenden Verstoßes gegen Art 3 und 6 MRK nicht auf der Tatsachenbasis der Rechtsmittelentscheidung, sondern – ohne Begründungsfehler aufzuzeigen oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen zu wecken – aus davon abweichenden Prämissen entwickelt, verfehlt er die Kriterien erfolgversprechender Antragstellung (RIS‑Justiz RS0125393 [T1]).

[6] Weder die MRK noch eines ihrer Zusatzprotokolle gewährt einen Anspruch auf politisches Asyl in einem Konventionsstaat (RIS‑Justiz RS0123232). Soweit der Erneuerungsantrag eine Prüfung der „allfällige[n] Asylrelevanz“ vermisst und das Fehlen eines hinreichenden Tatverdachts thematisiert, spricht er keine Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle an (siehe aber 13 Os 49/16d, EvBl 2019/27, 183 [verst Senat]; RIS‑Justiz RS0132365).

[7] Das Auslieferungsverfahren selbst unterliegt nicht den Verfahrensgarantien des Art 6 MRK ( Göth‑Flemmich in WK 2 ARHG § 19 Rz 14).

[8] Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war daher – wie auch die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – schon bei der nichtöffentlichen Beratung als unzulässig zurückzuweisen (§ 363b Abs 1 und 2 StPO).

[9] Hinzugefügt sei:

[10] Im Auslieferungsverfahren gilt das sogenannte formelle Prüfungsprinzip (dazu eingehend mwN Göth‑Flemmich in WK 2 ARHG § 33 Rz 3 ff). Diesem folgend wird der für das Auslieferungsverfahren hinreichende Tatverdacht bei schlüssigen Auslieferungsunterlagen vermutet (RIS‑Justiz RS0087119). Gründe, die geeignet wären, die Schlüssigkeit der gegenständlichen Auslieferungsunterlagen in Zweifel zu setzen, werden nicht substantiiert behauptet. Die Beurteilung der Frage, ob die auszuliefernde Person der ihr zur Last gelegten Straftat schuldig zu halten ist, obliegt dem dazu berufenen ausländischen Gericht ( Göth‑Flemmich in WK 2 ARHG § 33 Rz 2).

[11] Eine Auslieferung kann für den Aufenthaltsstaat eine Konventionsverletzung bedeuten, wenn die betroffene Person im Zielstaat einer Strafe oder Behandlung ausgesetzt wird, welche die Schwelle zur unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung erreicht und daher mit Art 3 MRK unvereinbar ist (RIS‑Justiz RS0123229; Göth‑Flemmich in WK 2 ARHG § 19 Rz 7 mwN): Die zur Auslieferung gesuchte Person hat die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen, ernsthaften (gewichtigen) Gefahr einer Art 3 MRK nicht entsprechenden Behandlung schlüssig nachzuweisen, wobei der Nachweis hinreichend konkret sein muss. Die bloße Möglichkeit drohender Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung reicht nicht aus. Vielmehr muss unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles ein reales, an Hand stichhaltiger Gründe belegbares Risiko bestehen, die betreffende Person würde im Empfangsstaat der tatsächlichen Gefahr einer Art 3 MRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein (RIS‑Justiz RS0123229; Göth‑Flemmich in WK 2 ARHG § 19 Rz 8 mwN). Solche machte der Betroffene weder mit dem Hinweis auf angebliche „Verstrickungen zwischen dem russischen Inlandsgeheimdienst IFB und der tschetschenischen Mafia“ noch mit jenem auf den – mit der gegenständlichen Auslieferungssache nicht vergleichbaren – „Fall Nawalny“ klar.

[12] Die Verfahrensgarantien des Art 6 MRK können für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung nur dann (ausnahmsweise) Relevanz erlangen, wenn die betroffene Person nachweist, dass ihr im ersuchenden Staat eine offenkundige Verweigerung eines fairen Verfahrens („a flagrant denial of justice“) droht ( Göth‑Flemmich in WK 2 ARHG § 19 Rz 14; RIS‑Justiz RS0123200). Substantiierte Gründe für eine drohende Verletzung von Art 6 MRK im Strafverfahren des ersuchenden Staates brachte der Betroffene nicht vor. Die schlichte Behauptung, es handle sich um ein politisch motiviertes Verfahren, die Kritik an der Nichteinholung eines länderkundigen Sachverständigen-gutachtens und der Nichterteilung von Erhebungsaufträgen sowie der Hinweis auf eine Verurteilung der Russischen Föderation durch den EuGH wegen „unfairer und willkürlicher Strafverfahren“ können den erforderlichen Nachweis nicht ersetzen.

[13] Ein Antrag auf Zuerkennung aufschiebender Wirkung ist gesetzlich nicht vorgesehen, weshalb das darauf bezogene Begehren des Antragstellers ebenfalls als unzulässig zurückzuweisen war (vgl RIS‑Justiz RS0125705).

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