OGH 5Ob59/21v

OGH5Ob59/21v5.7.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragsteller 1. R*, 2. A*, vertreten durch Mag. E*, Mietervereinigung Österreichs, *, gegen die Antragsgegnerin R* GmbH, *, vertreten durch die Eckert Fries Carter Rechtsanwälte GmbH, Baden, wegen § 37 Abs 1 Z 6 iVm § 9 MRG, über den Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 16. Dezember 2020, GZ R 39 166/20f‑15, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom 30. März 2020, GZ 8 Msch 21/19g‑7, aufgehoben wurde, den

Sachbeschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132500

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin entschieden, dass der erstinstanzliche Sachbeschluss in der Hauptsache wiederhergestellt wird und dessen Kostenentscheidung lautet:

„Die Antragsteller sind schuldig, der Antragsgegnerin die mit 573,62 EUR (darin 95,60 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die Antragsteller sind weiters schuldig, der Antragsgegnerin die mit 1.014,24 EUR (darin 128,04 EUR USt und 246 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Antragsgegnerin ist die Vermieterin der von den Antragstellern seit 1. 6. 2012 gemieteten Wohnung, die im 4. Stock des Hauses, unmittelbar unterhalb des Flachdachs liegt. Zur Beschattung ihrer Wohnung stehen den Antragstellern ein Sonnensegel am Balkon sowie Außenjalousien an den Fenstern zur Verfügung. Trotz dieser Vorrichtungen und Querdurchlüftungsmaßnahmen kommt es während der Sommermonate zwei bis drei Mal pro Woche vor, dass die Raumtemperatur in der Nacht nicht unter 29° C sinkt. In solchen Nächten finden die berufstätigen Antragsteller keinen erholsamen Schlaf.

[2] Am Flachdach des Hauses befindet sich das Außengerätder Klimaanlage einer im Erdgeschoß des Hauses untergebrachten Filiale einer Lebensmittelkette. Innerhalb eines Radius von 700 m sind an manchen Häusern Klimaanlagen zu sehen, die zum Teil aber der Kühlung von Geschäftsräumlichkeiten dienen.

[3] Die Antragsteller begehrten die Feststellung, dass die Installation eines Klimageräts in der von ihnen gemieteten Wohnung eine Veränderung (Verbesserung) des Mietgegenstands gemäß § 9 MRG sei, und die Zustimmung der Antragsgegnerin zu einer solchen Maßnahme zu ersetzen. Es sei geplant, die notwendige Leitungsführung für das Klimaaußengerät im vorhandenen Leitungsschacht unterzubringen, sodass ein Durchbohren der Außenhaut nicht erforderlich wäre. Eine solche Veränderung entspreche der Übung des Verkehrs; in der näheren Umgebung des Hauses seien bereits mehrere Klimaanlagen installiert. Die Errichtung einer Klimaanlage diene auch einem wichtigen Interesse, weil eine solche Einrichtung zunehmend dem Wohnstandard entspräche, ohne die in den Sommermonaten kein erholsamer Schlaf möglich sei.

[4] Die Antragsgegnerin wendete ein, der Einbau einer Klimaanlage begründe eine Luxusausstattung und entspreche nicht der Übung des Verkehrs. Bei ordnungsgemäßer Lüftung steigen die Temperaturen in der Wohnung auch nicht über 29° C. Die Wohnung liege in einem Niedrigenergiehaus, wobei mit Eingriffen in die Haushülle bei der Installation zu rechnen sei. Das Flachdach sei allgemeiner Teil des Hauses, der nicht vom Mietvertrag erfasst sei, weswegen die Montage der Außenanlage der Klimaanlage in diesem Bereich weder zulässig noch verkehrsüblich sei. Es seien Lärmemissionen zu befürchten; das äußere Erscheinungsbild des Hauses werde beeinträchtigt.

[5] Das Erstgericht wies den Antrag ab. Die Errichtung einer Klimaanlage falle nicht unter die privilegierten Maßnahmen des § 9 Abs 2 MRG, sodass sowohl ein wichtiges Interesse der Mieter als auch die Verkehrsüblichkeit kumulativ vorliegen müssen, damit der Vermieter seine Zustimmung nicht verweigern dürfe. Bei der Beurteilung der Übung des Verkehrs sei auf die objektiven Umstände abzustellen, wofür die Antragsteller beweispflichtig seien. Dieser Beweis sei ihnen nicht gelungen, weil die im weiteren Umkreis des Hauses vorhandenen Klimaanlagen, die der Kühlung gewerblich genutzter Räume dienten, außer Betracht zu bleiben hätten, und sich auch sonst aus der eher geringen Anzahl von Klimageräten innerhalb dieses Bereichs keine Rückschlüsse auf die Verkehrsüblichkeit ableiten ließen.

[6] Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel der Antragsteller Folge, hob den Sachbeschluss des Erstgerichts auf und verwies die Sache an dieses zur Ergänzung des Verfahrens zurück. Bei der Beurteilung, ob eine Maßnahme verkehrsüblich sei, komme es auf die konkret beabsichtigte Änderung in ihrer geplanten Ausgestaltung an. Dabei seien die mit der Verwirklichung der angestrebten Veränderung verbundenen Eingriffe in die Bausubstanz sowie das Ausmaß der Inanspruchnahme oder Umgestaltung allgemeiner Teile zu berücksichtigen. Da die mit der von den Antragstellern geplanten Errichtung des Klimaaußengeräts auf dem Flachdach verbundenen Eingriffe in die Bausubstanz sowie die Inanspruchnahme allgemeiner Teile marginal seien, und die Raumtemperatur trotz der vorhandenen Beschattungsmöglichkeiten während der Nacht nicht unter 29° C gesenkt werden könne, sei die beabsichtigte Veränderung als verkehrsüblich anzusehen. Es treffe zwar zu, dass die festgestellte Anzahl der im Gebäude oder innerhalb der Vergleichsfläche vorhandenen Klimaaußengeräte zu gering sei, um auf eine Verkehrsüblichkeit oder Baupraxis schließen zu lassen. Es sei jedoch notorisch, dass Wohnungen in Gebäuden, die noch bis in jüngster Zeit ohne technische Ausstattungen zur Klimatisierung errichtet worden seien, aufgrund der bereits eingetretenen und noch zu erwartenden Klimaentwicklungen („Erderwärmung“) nachgerüstet werden müssten und würden, um zu Wohnzwecken geeignete Räumlichkeiten zu erhalten. Da die Abweisung des Antrags mangels Verkehrsüblichkeit nicht berechtigt sei, müsse das Erstgericht prüfen, ob die übrigen Voraussetzungen gemäß § 9 Abs 1 MRG erfüllt seien. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil das Rekursgericht von der herrschenden Rechtsprechung insofern abgewichen sei, als der (noch) geringen Anzahl vorhandener Klimaaußengeräte keine maßgebliche Bedeutung beigemessen und die Verkehrsüblichkeit eines Klimaaußengeräts auf dem Dach des Hauses angesichts der nur geringfügigen Inanspruchnahme allgemeiner Teile bereits aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung („Erderwärmung“) bejaht worden sei.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der von den Antragstellern beantwortete Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist zulässig, weil die Rechtsansicht des Rekursgerichts einer Korrektur bedarf; er ist auch berechtigt.

[8] 1.1 Nach § 9 Abs 1 MRG erfordert die Genehmigung einer vom Mieter geplanten wesentlichen Veränderung des Mietgegenstands unter anderem, dass diese Veränderung der Übung des Verkehrs entspricht und einem wichtigen Interesse des Hauptmieters dient (§ 9 Abs 1 Z 2 MRG). Im Unterschied zu § 16 WEG, wo diese Voraussetzungen nur alternativ gefordert sind, hat im Geltungsbereich des § 9 MRG der Mieter nachzuweisen, dass beide Voraussetzungen kumulativ vorhanden sind (RIS‑Justiz RS0069551 [T2]; 5 Ob 245/18t mwN). Deshalb kann die fehlende Verkehrsüblichkeit einer Änderung nicht durch das wichtige Interesse eines Mieters daran legitimiert sein (5 Ob 167/10k; 5 Ob 57/14i).

[9] 1.2 Gegenstand der Prüfung einer Duldungspflicht des Vermieters kann immer nur die im konkreten Fall beabsichtigte Änderung in ihrer geplanten Ausgestaltung sein (vgl RS0113606; RS0069695 [T6]). Ob eine vom Mieter beabsichtigte Veränderung der Übung des Verkehrs entspricht, richtet sich nach objektiven Umständen (5 Ob 167/10k). Auf persönliche Bedürfnisse des Mieters kommt es dabei nicht an (RS0069695 [T2]).

[10] 1.3 Unter die Bestimmung des § 9 MRG fallen grundsätzlich auch Maßnahmen, die eine (vorläufige oder dauerhafte) Inanspruchnahme von nicht zum Mietgegenstand selbst gehörenden Teilen des Hauses erfordern. Im Gegenzug ist allerdings ein strenger Maßstab bei der Prüfung anzulegen, ob die Voraussetzungen für eine Duldung durch den Vermieter, insbesondere jener nach § 9 Abs 1 Z 2 MRG, vorliegen (5 Ob 167/10k; vgl Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht³ Rz 13 zu § 9 MRG).

[11] 2.1 Was verkehrsüblich ist, bestimmt sich zunächst nach allgemeiner Lebenserfahrung und im Weiteren danach, ob die konkrete Änderung unter Berücksichtigung der bestimmten Beschaffenheit des betreffenden Hauses und seines Umfelds als üblich anzusehen ist (RS0126244 [T2] zu § 16 Abs 2 Z 2 WEG).

[12] 2.2 Mit der Frage, ob der Vermieter seine Zustimmung zum Einbau einer Klimaanlage durch den Mieter verweigern kann, und damit zusammenhängend der Frage nach der Verkehrsüblichkeit von Klimaanlagen, hatte sich der Fachsenat schon wiederholt zu befassen. Der Entscheidung zu 5 Ob 245/18t (immo aktuell 2019/30 [Höllwerth]) lag der Antrag einer Mieterin zugrunde, die Zustimmung des Vermieters zur Errichtung und Installation eines Klimageräts auf der Loggia zu ersetzen. Der Fachsenat erachtete die Auffassung des Rekursgerichts, die Installation einer Außenklimaanlage sei nicht verkehrsüblich, als nicht korrekturbedürftig. Die dort zu beurteilende Wohnung verfügte über Außenrollläden und entsprach damit den normativen Vorgaben zur Vermeidung sommerlicher Überwärmung. Objektive Umstände, aus denen sich ableiten hätte lassen, dass ungeachtet dessen die Installation einer Außenklimaanlage der Übung des Verkehrs entspreche, habe die Antragstellerin nicht dargelegt. Die angeblich durch Verkaufszahlen zu belegende „Zunahme“ derartiger Klimageräte allein reiche für die Annahme der Verkehrsüblichkeit der im konkreten Einzelfall beabsichtigten Änderung nicht aus; auf eine generalisierende Betrachtung einer vom konkreten Standort abstrahierten Baupraxis komme es nicht an. Auch zu 5 Ob 10/21p wurde die Installation einer Außenklimaanlage auf der Loggia als nicht verkehrsüblich beurteilt. Der Fachsenat hielt fest, weder der Umstand, dass nur das Schlafzimmerfenster, nicht hingegen die Wohnzimmer- und Kinderzimmerfenster mit Außenrollläden ausgestattet sind, noch dass in einem anderen Nutzungsobjekt der Wohnanlage, die mehr als 100 Wohnungen auf zumindest vier Stiegen aufweist, eine Klimaanlage installiert ist, könne die Verkehrsüblichkeit der begehrten Maßnahme begründen. Da die subjektiven Interessen der Mieterin bei Beurteilung dieses Kriteriums außer Betracht zu bleiben hätten, seien die geltend gemachten persönlichen Bedürfnisse der Bewohner (Vermeidung von Schlafstörungen infolge zu hoher nächtlicher Temperaturen) nicht zu berücksichtigen.

[13] 3.1 Von diesen Grundsätzen abzugehen, gibt weder die Argumentation des Rekursgerichts Anlass, noch die vereinzelt in der Literatur gegen die Entscheidung zu 5 Ob 245/18t vorgetragene Kritik (Pletzer, Erhaltung, Verbesserung und das Recht des MRG-Mieters auf zeitgemäßes Wohnen – für eine dynamische Auslegung des § 9 MRG, wobl 2019, 312 [318]).

[14] 3.2 Die Errichtung einer Außenklimaanlage gehört unstrittig nicht zu den gemäß § 9 Abs 2 Z 1 bis Z 5 MRG privilegierten Veränderungen. Die von den Antragstellern geplante Maßnahme sieht die Installation des Außengeräts der Klimaanlage auf dem Flachdach des Hauses und damit die Inanspruchnahme von nicht zum Mietgegenstand gehörenden (allgemeinen) Teilen des Hauses vor. In einem solchen Fall ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 9 Abs 1 Z 2 MRG ein strenger Maßstab anzulegen. Vor diesem Hintergrund kann aus der allgemeinen Lebenserfahrung keineswegs auf die Verkehrsüblichkeit der von den Antragstellern beabsichtigten Maßnahme geschlossen werden. Die vom Rekursgericht aus der als notorisch angesehenen allgemeinen Klimaentwicklung („Erderwärmung“) abgeleitete Schlussfolgerung, dass Wohnungen in Gebäuden, die noch bis in jüngster Zeit ohne technische Ausstattungen zur Klimatisierung errichtet worden seien, nachgerüstet werden müssten, um zu Wohnzwecken geeignet zu sein, ist keineswegs zwingend und kann den für eine Bejahung der Verkehrsüblichkeit erforderlichen Tatsachenbeweis daher nicht ersetzen. Damit obliegt es den insoweit behauptungspflichtigen und beweispflichtigen Mietern, konkrete Tatsachen darzutun, die den Schluss auf die Verkehrsüblichkeit der Änderung zulassen (vgl RS0069704 [T2]).

[15] 3.3 Nach den Feststellungen verfügt die Wohnung über Außenjalousien an den Fenstern und die Möglichkeit zur Beschattung des Balkons. Aufgrund ihrer Ausstattung entspricht sie damit den normativen Vorgaben für die Vermeidung sommerlicher Überwärmung. Objektive Umstände, aus denen sich ableiten ließe, dass ungeachtet dessen die Installation einer Außenklimaanlage der Übung des Verkehrs entspricht, können dem Sachverhalt demgegenüber nicht entnommen werden, wie auch das Rekursgericht erkannte, wenn es darauf verwies, dass die im Gebäude selbst installierte Klimaanlage und die im weiteren Umfeld von dessen Standort vorhandenen Klimageräte nicht auf eine Verkehrsüblichkeit schließen lassen, weil ihre Anzahl zu gering ist. Dass in Anbetracht der konkret beabsichtigten Veränderung von Wohnräumlichkeiten die zur Kühlung von Geschäftsräumen installierten Klimaanlagen außer Betracht bleiben müssen, hat bereits das Erstgericht zutreffend erkannt.

[16] 4. Da es bei der Beurteilung der Verkehrsüblichkeit auf die subjektiven Interessen der Mieter und damit auch auf die von den Antragstellern ins Treffen geführten persönlichen Bedürfnisse (fehlender erholsamer Schlaf wegen zu hoher nächtlicher Temperaturen) nicht ankommt, fehlt es schon an dieser Voraussetzung des § 9 Abs 1 Z 2 MRG, womit sich eine Ergänzung des Verfahrens erübrigt. Dem Revisionsrekurs ist damit Folge zu geben und der Sachbeschluss des Erstgerichts wiederherzustellen.

[17] 5. Die Antragsteller haben mit ihrem Rekurs auch die Kostenentscheidung des Erstgerichts bekämpft und darin zu Recht geltend gemacht, dass die Bemessungsgrundlage für die Verfahrenskosten gemäß § 10 Z 3 lit a, sublit aa RATG 2.000 EUR beträgt. Die auf dieser Basis berechneten Kosten der Antragsgegnerin betragen 573,62 EUR inklusive Umsatzsteuer anstelle des von der Antragsgegnerin verzeichneten und vom Erstgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten Betrags, sodass die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz neu zu fassen ist.

[18] 6. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG. Es entspricht der Billigkeit, dass die Antragsteller der siegreichen Antragsgegnerin auch die Kosten des Rekurs- und Revisionsrekursverfahrens ersetzen. Die Bemessungsgrundlage beträgt auch in diesen Verfahrensabschnitten 2.000 EUR (§ 10 Z 3 RATG); die Pauschalgebühr in dritter Instanz beläuft sich auf 246 EUR (TP 12 lit c Z 4 GGG).

Stichworte