OGH 2Ob54/21m

OGH2Ob54/21m24.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Sloboda als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei A* H*, vertreten durch Dr. Nora Kluger, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. A* W* (AZ 2 Cg 93/18d), und 2. K* S* (AZ 2 Cg 101/19g), beide vertreten durch Dr. Werner Paulinz, Rechtsanwalt in Korneuburg, jeweils wegen 9.737,58 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 16. November 2020, GZ 11 R 157/20v‑27, womit das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 21. Juli 2020, GZ 2 Cg 93/18d‑23, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132372

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Verlassenschaft nach der im März 2018 verstorbenen Erblasserin wurde den Beklagten als gesetzlichen Erben jeweils zur Hälfte aufgrund bedingter Erbantrittserklärungen eingeantwortet. Der Reinnachlass belief sich auf 19.475,16 EUR. Der Kläger war seit dem Jahr 2003 Lebensgefährte der Erblasserin und lebte ab diesem Zeitpunkt auch gemeinsam mit ihr in deren Wohnung. Seitdem trug die Erblasserin einvernehmlich die laufenden Kosten für die Wohnung, der Kläger zahlte immer wieder größere Einkäufe und seit mehr als zehn Jahren auch die Kosten für Telefon und Internet. Den Haushalt erledigten die Lebensgefährten anfangs „gemeinsam“, seit 2010 kümmerte sich nach einer Verschlechterung des Gesundheitszustands der Erblasserin nur mehr der Kläger um den Haushalt. Zumindest seit März 2015 führte alle 14 Tage für zwei Stunden eine – von den Lebensgefährten abwechselnd bezahlte – Reinigungskraft eine Grundreinigung der Küche und der Sanitärräume durch. Während die Lebensgefährten am Anfang ihrer Beziehung abwechselnd kochten, tat dies der Kläger wegen der Verschlechterung des Gesundheitszustands der Erblasserin seit 2014 allein. Ab Dezember 2016 erbrachte der Kläger, der mit Ende März 2017 in Pension ging, (umfassende) Hilfeleistungen bei der Körperpflege der Erblasserin. Diese bezog seit dem 1. 10. 2010 Pflegegeld der Stufe 2, wobei der Einstufung ein angenommener Pflegebedarf von 97 Stunden pro Monat zu Grunde lag; seit 1. 2. 2016 bezog sie Pflegegeld der Stufe 3, wobei der Einstufung ein angenommener Pflegebedarf von 126 Stunden pro Monat zu Grunde lag. Von 16. 2. 2018 bis zu ihrem Tod war die Erblasserin im Krankenhaus.

[2] Der Kläger begehrte gestützt auf die Bestimmung des § 677 ABGB die Zahlung von jeweils 9.737,58 EUR sA. Er sei der Lebensgefährte der Erblasserin gewesen und habe diese in den letzten drei Jahren ihres Lebens gepflegt. Die benötigten und auch vom Kläger tatsächlich erbrachten Pflegeleistungen hätten sich in diesem Zeitraum auf im Durchschnitt zumindest sechs Stunden täglich belaufen. Das der Erblasserin zuerkannte Pflegegeld sei ein Indikator für ein jedenfalls benötigtes zeitliches Minimum an Fremdhilfe. Auf Basis des in den Pflegegeldverfahren angenommenen monatlichen Pflegebedarfs sei in den letzten drei Jahren vor dem Tod der Erblasserin ein Pflegeaufwand von mindestens 3.912,5 Stunden erforderlich gewesen. Der Berechnung des Anspruchs werde ein „bescheidener Stundensatz“ von 10 EUR zu Grunde gelegt. Der damit eigentlich zustehende Betrag liege deutlich über dem im Verfahren unter Bedachtnahme auf die Höhe des Reinnachlasses geforderten Betrag. Es könne keine Rede davon sein, dass die Erblasserin die vom Kläger erbrachten Pflegeleistungen durch Zahlung von Wohnkosten abgegolten habe, zumal sich die Gestaltung des gemeinsamen Wirtschaftens der Lebensgefährten über die Jahre hinweg nicht geändert habe.

[3] Die Beklagten bestritten. Der Kläger sei nach dem Tod der Erblasserin in deren Mietvertrag eingetreten und habe sich damit einen Vorteil verschafft. Wäre die Erblasserin in Drittpflege gekommen, hätte der Kläger die von jener gezahlten Wohnungskosten selbst tragen müssen. Das Ausmaß der vom Kläger behaupteten Pflegeleistungen sei weit überhöht. Der Anspruch des Klägers auf Abgeltung von Pflegeleistungen sei durch von der Erblasserin für die Pflege gemachte Geldzuwendungen erloschen.

[4] Von den Beklagten eingewendete Gegenforderungen sind nicht Gegenstand des Rekursverfahrens.

[5] Das Erstgericht erkannte die Klageforderungen als zu Recht, die eingewendeten Gegenforderungen hingegen als nicht zu Recht bestehend und gab den Zahlungsbegehren in den verbundenen Verfahren statt. Die Erblasserin sei pflegebedürftig gewesen. Der Kläger habe in den letzten drei Jahren vor deren Ableben insgesamt 2.195 Stunden an Pflegeleistungen erbracht, ein Stundensatz von 10 EUR sei gemäß § 273 ZPO angemessen. Bei der Kochtätigkeit und Haushaltsführung berücksichtigte das Erstgericht nur den halben festgestellten Zeitaufwand des Klägers als Pflegeleistung, weil diese Tätigkeiten auch ihm selbst zu Gute gekommen seien.

[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, hob das angefochtene Urteil auf und ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu. Es erachtete die Beweisrüge der Beklagten, in deren Rahmen sie – soweit hier relevant – Feststellungen zum Umfang der im Bereich Haushaltsarbeiten und Kochen erbrachten Pflegeleistungen des Klägers bekämpften, als teilweise berechtigt und nahm Begründungsmängel des angefochtenen Urteils in diesem Umfang an. Da die Finanzierung der Fixkosten der Wohnung durch die Erblasserin nicht der Abgeltung von Pflegeleistungen gedient habe und mit diesen auch in keinem Kausalzusammenhang gestanden sei, könne die Bestreitung dieser Kosten keine „Zuwendung“ iSd § 677 Abs 1 ABGB darstellen. Bei Berechnung der Höhe des Pflegevermächtnisses sei nach hA auf bereicherungsrechtliche Grundsätze nach § 1435 ABGB Bedacht zu nehmen; der Nutzen liege bei der Erbringung von Pflegeleistungen in der Ersparnis andernfalls erforderlicher Fremdpflegekosten. Es sei daher nicht maßgeblich, wie viele Stunden der Kläger für die Pflege aufgewendet habe, sondern für wie viele objektiv notwendige Stunden Dritte entlohnt hätten werden müssen. Das Erstgericht sei offenbar irrtümlich von 1.068 Tagen als relevantem Zeitraum ausgegangen, obwohl drei Jahre 1.095 Tagen entsprächen.

[7] Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zuzulassen, weil dieser bisher weder zur Auslegung des Wortes „Zuwendung“ in § 677 Abs 1 ABGB noch zur Berechnung der Höhe des Pflegevermächtnisses Stellung genommen habe.

[8] Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Abänderungsantrag, das Klagebegehren abzuweisen; hilfsweise wird die „Aufhebung“ des angefochtenen Beschlusses unter Überbindung einer vom Berufungsgericht abweichenden Rechtsansicht begehrt.

[9] Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung, den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

[10] Der Rekurs ist im Sinn der Ausführungen des Berufungsgerichts zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[11] 1. Anzuwendendes Recht

[12] Da die Erblasserin nach dem 31. 12. 2016 verstorben ist, sind die hier maßgeblichen Bestimmungen des Vermächtnisrechts in der Fassung des ErbRÄG 2015 (BGBl I 2015/87) anzuwenden (§ 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB).

[13] 2. Maßgebliche Bestimmungen aus dem ABGB

„Pflegevermächtnis

§ 677 (1) Einer dem Verstorbenen nahe stehenden Person, die diesen in den letzten drei Jahren vor seinem Tod mindestens sechs Monate in nicht bloß geringfügigem Ausmaß gepflegt hat, gebührt dafür ein gesetzliches Vermächtnis, soweit nicht eine Zuwendung gewährt oder ein Entgelt vereinbart wurde.

(2) Pflege ist jede Tätigkeit, die dazu dient, einer pflegebedürftigen Person soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen. […]

§ 678 (1) Die Höhe des Vermächtnisses richtet sich nach Art, Dauer und Umfang der Leistungen.

(2) Das Vermächtnis gebührt jedenfalls neben dem Pflichtteil, neben anderen Leistungen aus der Verlassenschaft nur dann nicht, wenn der Verstorbene das verfügt hat. Das Vermächtnis kann nur bei Vorliegen eines Enterbungsgrundes entzogen werden.“

[14] 3. Zuwendung (§ 677 Abs 1 ABGB)

[15] 3.1. Die Beklagten argumentieren, dass der in § 677 Abs 1 ABGB verwendete Begriff der Zuwendung im Gesetz keine Legaldefinition erfahren habe und daher nach dem allgemeinen Wortsinn auszulegen sei. Das Tragen der „überwiegenden monatlichen Fixkosten“ durch die Erblasserin stelle eine solche Zuwendung dar, weil der Gesetzgeber durch Verwendung des allgemeinen Begriffs „Zuwendung“ jegliche Erlangung eines Vorteils abdecken habe wollen. Bei der Anrechnung von Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte sei jede Zuwendung zu berücksichtigen; analog müsse auch im Anwendungsbereich des § 677 Abs 1 ABGB jede Zuwendung an den Pflegenden ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Pflegebedürftigkeit auf das Pflegevermächtnis anzurechnen sein. Das Gesetz stelle nicht einmal darauf ab, ob die Zuwendung in Ansehung der Pflege gewährt worden sei, was hier jedoch „natürlich“ der Fall gewesen sei.

[16] Der Kläger vertritt in der Rekursbeantwortung den Standpunkt, dass eine auf das Pflegevermächtnis anzurechnende „Zuwendung“ nur dann vorliege, wenn ein Konnex zwischen der Vorteilsgewährung und der geleisteten Pflege vorliege. Dies sei bei der lange vor Eintritt der Pflegebedürftigkeit erfolgten einvernehmlichen Gestaltung des gemeinsamen Wirtschaftens von Lebensgefährten nicht der Fall.

[17] Dazu hat der Senat erwogen:

[18] 3.2. Nach den Gesetzesmaterialien sollte die Einführung des Rechtsinstituts des Pflegevermächtnisses den Missstand beseitigen, dass die aufopfernden und umfangreichen Leistungen Angehöriger nicht selten unter den Tisch fallen (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP  16). Nach § 677 Abs 1 ABGB entstehe das Vermächtnis (unter anderem) nicht, soweit Zuwendungen zB aufgrund eines Vertrags zugunsten Dritter (Geschwister delegierten Pflege an einen von ihnen und zahlten dafür einen bestimmten Betrag) oder von der öffentlichen Hand (zB in Gestalt der erhöhten Familienbeihilfe, die allerdings der Pflegeperson zugekommen sein müsse) gewährt oder letztwillig vom Verstorbenen eingeräumt worden seien (wenn er dies im Sinn des § 678 Abs 2 verfügt habe; ErläutRV 688 BlgNR 25. GP  17).

[19] 3.3. In der Lehre finden sich – soweit überblickbar – folgende nähere Ausführungen zur Definition einer „Zuwendung“ iSd § 677 Abs 1 ABGB:

[20] (a) Nach Neumayr/Kiener (in Barth/Pesendorfer, Praxishandbuch des neuen Erbrechts [2016] 141) entfällt das Pflegevermächtnis nur insoweit, als eine Zuwendung als Gegenleistung für erbrachte Pflegeleistungen gewährt wurde; Schenkungen aus Dankbarkeit für die Pflege sollen demnach zu keiner Reduktion des Pflegevermächtnisses führen.

[21] (b) Christandl (in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ §§ 677, 678 Rz 39 ff) lehrt, dass unter „Zuwendung“ alles zu verstehen sei, was der Pflegende als Gegenleistung für seine Pflegedienste erhalten habe. Es könne auch eine Schenkung aus Dankbarkeit als „Zuwendung“ iSd § 677 Abs 1 ABGB qualifiziert werden; wesentlich sei dabei nur, dass sie in Anbetracht der geleisteten Dienste erfolgt sei. Die Beweislast für das Vorliegen einer Zuwendung trage der Erbe.

[22] (c) Kiener (Abgeltung von Pflegeleistungen naher Angehöriger – Das Pflegevermächtnis, ÖZPR 2015/121, 186 [188]) betont, dass eine iSd § 677 Abs 1 ABGB zu berücksichtigende Zuwendung als Gegenleistung für die erbrachten Pflegeleistungen gewährt werden müsse. Schenkungen aus Dankbarkeit stünden daher einem Pflegevermächtnis nicht entgegen.

[23] (d) Ganner (Die Abgeltung von Pflegeleistungen im Erbrecht, in FS Eccher [2017] 389 [399]) lehrt, dass eine Zuwendung unter Lebenden, die nicht als Gegenleistung für die Pflege gewährt worden sei, nicht als „Zuwendung“ iSd § 677 Abs 1 ABGB zu qualifizieren sei.

[24] (e) Barth/Pesendorfer (Erbrechtsreform 2015 § 677 Anm 4) führen aus, dass eine Schenkung aus Dankbarkeit kein „Entgelt“ iSd § 677 Abs 1 ABGB darstelle. [25] (f) Kolmasch (in Schwimann/Neumayr, ABGB‑TaKomm5 §§ 677, 678 Rz 5) geht von einem Entfall des Pflegevermächtnisses nur dann aus, wenn Pflegeleistungen durch Zuwendungen des Verstorbenen oder Dritter abgegolten sind. Ähnlich argumentieren N. Brandstätter (Neue und alte Rechtsbehelfe zur Pflegeabgeltung, ecolex 2016, 1040: „für die Pflegeleistung bereits eine Zuwendung geleistet“) und Zöhrer (Das Pflegevermächtnis nach dem ErbRÄG 2015, EALR 2018, 25 [28]: „Pflegeleistung … abgegolten“).

[26] (g) Stefula (Die Abgeltung von Pflegeleistungen. Das Pflegevermächtnis nach dem ErbRÄG 2015, EF‑Z 2016/56, 116 [119]) lehrt, dass sich der Pflegende als Zuwendung all das anrechnen lassen müsse, was er vom Gepflegten oder einem Dritten oder der öffentlichen Hand aufgrund der geleisteten Pflege erhalten habe.

[27] (h) Baldovini betont in seiner Monografie (Das Pflegevermächtnis [2020] 56), dass eine Schenkung nach gewöhnlichem Begriffsverständnis eine „Zuwendung“ darstelle. Es solle daher auch eine Schenkung, die aufgrund der erbrachten Pflegeleistungen erfolgt sei und somit belohnenden Charakter habe („Schenkung aus Dankbarkeit“), auf das Pflegevermächtnis angerechnet werden. Allerdings sei eine Schenkung, die gänzlich freigiebig und unabhängig von den erbrachten oder zu erbringenden Pflegeleistungen getätigt worden sei, keine „Zuwendung“ iSd § 677 Abs 1 ABGB.

[28] 3.4. In der Lehre besteht damit Übereinstimmung, dass es eines Kausalzusammenhangs zwischen der gewährten Zuwendung und der Erbringung von Pflegeleistungen bedarf, um eine Anrechnung der Zuwendung auf das Pflegevermächtnis zu rechtfertigen. Dies entspricht auch der Rechtslage in Deutschland, die dem Gesetzgeber als Vorbild für das Pflegevermächtnis diente (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP  16); allerdings ist anzumerken, dass der Wortlaut des § 2057a Abs 2 dBGB („wenn für die Leistungen ein angemessenes Entgelt gewährt“) einen solchen Kausalzusammenhang – im Gegensatz zur österreichischen Gesetzeslage – explizit normiert.

[29] 3.5. Der erkennende Fachsenat hält die Annahme des Erfordernisses eines Kausalzusammenhangs vor dem Hintergrund für überzeugend, dass die Bestimmung des § 677 Abs 1 letzter Halbsatz ABGB Doppelabgeltungen vermeiden soll (Spruzina in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.02 § 677 Rz 14; Welser, Erbrechts-Kommentar § 677 ABGB Rz 6; Neumayr/Kiener in Barth/Pesendorfer, Praxishandbuch des neuen Erbrechts [2016] 141). Der vom Gesetzgeber mit der Einführung des Pflegevermächtnisses offenkundig verfolgte Zweck, eine angemessene Abgeltung wertvoller Pflegeleistungen von Angehörigen (vgl ErläutRV 688 BlgNR 25. GP  16) zu erreichen, wäre vereitelt, wenn man– im Sinn der Rekursausführungen – jegliche in einem bloß zeitlichen Nahebereich zu erbrachten Pflegeleistungen erfolgte Zuwendung (des Erblassers oder eines Dritten) unabhängig davon anrechnen wollte, ob ein Kausalzusammenhang mit erbrachten (oder zu erbringenden) Pflegeleistungen besteht oder nicht.

[30] 3.5.1. Die im Rekurs erwähnten Abgrenzungsprobleme in Grenzfällen stellen sich jedenfalls im vorliegenden Fall nicht. Dass die Erblasserin den monatlich anfallenden Mietzins beglich, beruhte nach den Feststellungen auf einer zwischen den Lebensgefährten lange vor der Verschlechterung des Gesundheitszustands der Erblasserin getroffenen Vereinbarung über die Tragung der für das gemeinsame Leben und Wohnen anfallenden Kosten. Anhaltspunkte dafür, dass die Tragung des Mietzinses durch die Erblasserin in einem Kausalzusammenhang mit der Erbringung von Pflegeleistungen durch den Kläger gestanden wäre, lassen sich weder den Feststellungen noch dem erstinstanzlichen Vorbringen der Streitteile entnehmen. Soweit die Beklagten argumentierten, die Erblasserin hätte die „überwiegenden monatlichen Fixkosten“ getragen, erfolgen ihre Ausführungen im Übrigen nicht auf Basis des vom Erstgericht festgestellten Sachverhalts, der mangels entsprechenden Vorbringens der Streitteile keine absoluten Zahlen zur Höhe der von den beiden Lebensgefährten jeweils getragenen laufenden Kosten enthält.

[31] 3.5.2. Der von den Beklagten gezogene Vergleich zur Bestimmung des § 761 ABGB überzeugt nicht, weil die im Rahmen des Pflegevermächtnisses erfolgende Abgeltung für erbrachte Pflegeleistungen durch Angehörige nicht unmittelbar mit den an keine Leistungen des Pflichtteilsberechtigten geknüpften Pflichtteilsansprüchen verglichen werden kann.

[32] Auch aus § 678 Abs 2 ABGB lässt sich für den Standpunkt der Beklagten nichts gewinnen. Dass der Erblasser nach dieser Bestimmung die Anrechnung einer „Leistung aus der Verlassenschaft“ auf das Pflegevermächtnis anordnen muss, lässt nicht den (Umkehr‑)Schluss zu, dass jeder vom Erblasser dem Pflegenden zu Lebzeiten gewährte geldwerte Vorteil (unabhängig vom Vorliegen eines Zusammenhangs mit Pflegeleistungen) auf das Pflegevermächtnis anzurechnen wäre.

[33] 3.6. Als Zwischenergebnis ist damit festzuhalten:

[34] Eine „Zuwendung“ iSd § 677 Abs 1 ABGB liegt nur dann vor, wenn ein Kausalzusammenhang zwischen der gewährten Zuwendung und der Erbringung von Pflegeleistungen besteht.

[35] 4. Höhe des Pflegevermächtnisses

[36] 4.1. Die Beklagtenargumentieren, dass das Berufungsgericht zutreffend erkannt habe, dass eine Bemessung nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen zu erfolgen habe; es seien jedoch nicht Kosten für eine professionelle Pflegekraft, sondern bloß eine nach § 273 ZPO zu ermittelnde Entlohnung für pflegende Laien zu Grunde zu legen. Eine Entlohnung komme auch nur dann in Frage, wenn eine finanzielle Erwartungshaltung des Leistenden feststellbar sei. Es könne lediglich die Ersparnis eigener Aufwendungen für eine anderenfalls beizuziehende Fremdpflege anzusetzen sein, wobei bereits vor Eintritt der Pflegebedürftigkeit aufgrund getroffener Vereinbarungen ohnehin erbrachte Tätigkeiten abzuziehen seien.

[37] Der Kläger argumentiert in der Rekursbeantwortung, dass ihm Haushaltsarbeiten, die die Erblasserin vor ihrer Pflegebedürftigkeit erbracht habe, zur Gänze anzurechnen seien; Haushaltsarbeiten, die seit jeher der Kläger verrichtet habe, müssten ihm anteilig angerechnet werden. Es seien auch Zeiten für Beaufsichtigung und Rufbereitschaft anzurechnen.

[38] Dazu hat der Senat erwogen:

[39] 4.2. Den Materialien zum ErbRÄG 2015 ist zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber im Hinblick auf die Ausmittlung der Höhe des Vermächtnisses an bereicherungsrechtlichen Grundsätzen (§ 1435 ABGB analog) orientierte (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP  16 f). Die Erwägungen zu § 678 Abs 1 ABGB lauten wörtlich (aaO 17):

„In Abs. 1 ist die Höhe des Pflegevermächtnisses geregelt: Die Bemessung orientiert sich primär am dem Empfänger verschafften Nutzen, der häufig in der Ersparnis von eigenen Aufwendungen (etwa für eine andere Arbeitskraft, wenngleich diese Tätigkeit nicht der Tätigkeit einer professionellen Fachkraft gleichgestellt ist) besteht. Dabei ist insbesondere auf Art, Umfang und Dauer der Leistungen zu achten. Auf den Wert der Verlassenschaft soll es dagegen – anders als eventuell im Bereicherungsrecht – nicht ankommen. […]

Sofern das Ausmaß der geleisteten Pflege oder der Pflegebedarf strittig ist, sollen zur Ermittlung der Höhe auch die nach § 174a AußStrG des Entwurfs eingeholten nötigen Informationen und Unterlagen für ein vom Verstorbenen allenfalls bezogenen Pflegegeld von den zuständigen Trägern herangezogen werden. Auf diese Weise sollte sich der Pflegebedarf ermitteln und objektivieren lassen und in Verhältnis zum behaupteten Ausmaß der geleisteten Pflege gebracht werden.“

[40] 5. Pflegeleistungen/Stundenanzahl

[41] 5.1. Nach einhelliger Lehre sind – was die Streitteile im Rekursverfahren auch nicht in Zweifel ziehen – nur jene Leistungen als Pflegeleistungen zu qualifizieren, die aufgrund des beim Gepflegten bestehenden Pflegebedarfs objektiv erforderlich sind. Es kommt damit auf die konkrete Pflegebedürftigkeit des Erblassers an (Stefula, EF‑Z 2016/56, 116 [118]; Hueber, Zur Abgeltung von erbrachten Pflegeleistungen nach dem neuen Erbrecht, NZ 2016/96, 281 [283]; vgl ErläutRV 688 BlgNR 25. GP  17: „objektivieren“). Das Berufungsgericht hat in diesem Sinn zutreffend betont, dass es nicht allein auf die geleistete Stundenanzahl ankomme, sondern auch auf das Ausmaß der objektiv erforderlichen Pflege.

[42] 5.2. Das Ausmaß der objektiv erforderlichen Pflegeleistungen kann im Verfahren – bei Vorhandensein entsprechender Unterlagen – regelmäßig auf Basis der ärztlichen oder pflegerischen Gutachten nach § 8 Einstufungsverordnung zum Bundespflegegeldgesetz (EinstV) beurteilt werden (Peyerl, Das Pflegevermächtnis: Bewertung und steuerrechtliche Aspekte, iFamZ 2017, 45 f; vgl § 174a AußStrG). Im vorliegenden Fall standen dem Erstgericht nicht nur Unterlagen aus den Verfahren über die Gewährung von Pflegegeld zur Verfügung, vielmehr wurde sogar ein medizinisches Gutachten über das objektiv erforderliche Ausmaß an Pflege eingeholt, das das Erstgericht im Urteil allerdings nicht erkennbar verwertete.

[43] 5.3. Die gesetzliche Definition des Pflegezwecks in § 677 Abs 2 ABGB entspricht fast wörtlich der Beschreibung des Zwecks des Pflegegeldes in § 1 Bundespflegegeldgesetz (BPGG). Zur Konkretisierung der Begriffe „Betreuung und Hilfe“ kann folglich auf die Bestimmungen der EinstV zurückgegriffen werden. Der Begriff „Pflege“ iSd § 677 Abs 2 ABGB ist damit weit gefasst und erfasst alle (nicht medizinischen) Unterstützungsleistungen zugunsten des Erblassers, sofern dessen Pflegebedürftigkeit die alleinige Ausübung dieser Tätigkeiten verhindert (Christandl in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ §§ 677, 678 Rz 61 ff; vgl auch Fischer‑Czermak, Abgeltung von Pflegeleistungen naher Angehöriger, in FS Eccher [2017] 349 [353]).

[44] Leistungen aus der familiären Beistandspflicht schließen – im Gegensatz zum Bereicherungsrecht – die Abgeltung im Rahmen eines Pflegevermächtnisses nicht aus (Ganner in FS Eccher 389 [400]; Stefula, EF‑Z 2016/56, 116 [119 f]).

[45] 5.4. Nach der (schadenersatzrechtlichen) Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist die Aufteilung von Haushaltsdienstleistungen, die allen Familienmitgliedern zu Gute kommen, im Zweifel – also mangels eines behaupteten und festgestellten besonderen Verhältnisses – nach Kopfteilen vorzunehmen (2 Ob 17/19t mwN; 6 Ob 11/10a). Dieser Gedanke kann auch bei Ermittlung der der Berechnung des Pflegevermächtnisses zu Grunde zu legenden Stundenanzahl fruchtbar gemacht werden. Kommt daher eine Hilfeleistung (iSd § 2 EinstV) für die zu pflegende Person nicht bloß dieser, sondern auch einer weiteren im gleichen Haushalt lebenden Person zu Gute, hat im Zweifel eine Aufteilung nach Kopfteilen zu erfolgen.

[46] 5.5. Auf die (einvernehmliche oder bloß faktische) Gestaltung der Haushaltsführung vor dem gemäß § 677 ABGB relevanten Zeitraum kommt es bei Ausmittlung der Höhe des Pflegevermächtnisses nicht entscheidend an. Es ist nämlich nicht Ersatz für einen pflegebedingten Mehraufwand zu leisten, sondern es sind alle Leistungen zu berücksichtigen, die einerseits tatsächlich erbracht wurden, andererseits aber auch aufgrund des konkreten Pflegebedarfs erforderlich waren. Die Rechtsprechung zur Zuerkennung von Schadenersatz für den Fall der Minderung der Erwerbsfähigkeit einer haushaltsführenden Person (vgl 2 Ob 179/18i mwN), die die konkreten Verhältnisse vor dem die Ersatzpflicht auslösenden Unfall berücksichtigt (vgl 2 Ob 2123/96m = RS0030922 [T11]), basiert auf Kausalitätserwägungen und Überlegungen zum Umfang des Schadens (vgl 2 Ob 31/12s). Sie kann daher im Bereich des Pflegevermächtnisses keine Anwendung finden.

[47] 5.6. Zutreffend kritisieren die Beklagten, dass das Berufungsgericht von einem Betreuungszeitraum von 1.095 Tagen ausgegangen ist. Zwar entspricht diese Zahl exakt einem Zeitraum von drei Jahren, allerdings übersieht das Berufungsgericht – im Gegensatz zum Erstgericht – bei seinen Ausführungen, dass die Erblasserin ab 16. 2. 2018 in Spitalspflege war und daher vom Kläger in diesem Zeitraum keine Betreuungsleistungen zu erbringen waren (vgl zur Ausklammerung der Zeiten stationärer Pflege aus der Berechnung [im schadenersatzrechtlichen Kontext] 2 Ob 148/19g mwN).

[48] 5.7. Da das Erstgericht bisher weder zum objektiv erforderlichen Ausmaß der Pflege noch zum Gesamtausmaß der tatsächlich erbrachten Pflegeleistungen (tragfähige bzw hinreichend aufgeschlüsselte) Feststellungen getroffen hat, können nähere Ausführungen zur Berücksichtigung von Zeiten für Beaufsichtigung und Rufbereitschaft (vgl dazu RS0131541 im schadenersatzrechtlichen Kontext) derzeit unterbleiben.

[49] 5.8. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren unter Beachtung dieser Grundsätze und unter Bedachtnahme auf die vom Berufungsgericht geäußerten Bedenken gegen die Beweiswürdigung Feststellungen zum Ausmaß der tatsächlich erbrachten und der objektiv erforderlichen Pflegeleistungen zu treffen haben.

[50] 5.9. Als weiteres Zwischenergebnis lässt sich somit festhalten:

[51] Die Höhe des Pflegevermächtnisses ist einerseits durch das Ausmaß der objektiv erforderlichen Pflege (konkrete Pflegebedürftigkeit des Erblassers) und andererseits durch das Ausmaß der tatsächlich von der nahe stehenden Person erbrachten Pflegeleistungen begrenzt.

[52] 6. Höhe des Stundensatzes

[53] Die in der Literatur strittige Frage, nach welchem Maßstab die erbrachten Pflegeleistungen im Rahmen eines Pflegevermächtnisses abzugelten sind (vgl aber 2 Ob 63/21k), muss hier aus folgenden Erwägungen nicht geklärt werden:

[54] Der Kläger legte der Berechnung seines Anspruchs im erstinstanzlichen Verfahren einen Stundensatz von 10 EUR zu Grunde. Die Beklagten haben die Angemessenheit dieses Stundensatzes weder im erstinstanzlichen Verfahren noch in den von ihnen erhobenen Rechtsmitteln konkret in Zweifel gezogen. Es ist damit den im weiteren Verfahren anzustellenden Berechnungen ein Stundensatz von 10 EUR im Sinn eines abschließend erledigten Streitpunkts zu Grunde zu legen.

[55] 7. Da der Kläger sein Begehren nur auf die Bestimmungen über das Pflegevermächtnis stützt, hingegen erkennbar keine Bereicherungsansprüche nach allgemeinen Grundsätzen geltend macht, kommt es auf die Frage seiner finanziellen Erwartungshaltung bei Erbringung der Pflegeleistungen nicht an (Christandl in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ §§ 677, 678 Rz 58;Eccher, Die österreichische Erbrechtsreform, § 678 ABGB Rz 66; Schauer in Deixler-Hübner, Handbuch Familienrecht [2015] 715; Hueber, NZ 2016/96, 281 [285]; Herndl, Zur Abgeltung von Pflegeleistungen im Todesfall, NZ 2020/93, 321 [328]).

[56] Es erübrigen sich damit auch nähere Ausführungen zum Verhältnis zwischen diesen beiden Ansprüchen (vgl dazu 2 Ob 198/20m Rz 28ff).

[57] 8. Ergebnis

[58] Dem Rekurs ist aus den erörterten Gründen der Erfolg zu versagen. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht nur mehr das Ausmaß der der Berechnung des Pflegevermächtnisses zu Grunde zu legenden Stundenanzahl zu ermitteln haben. Alle anderen im Rekursverfahren noch offen gewesenen Fragen (Anrechnung der von der Erblasserin getragenen Wohnungskosten als „Zuwendung“; Höhe des Stundensatzes) sind als abschließend erledigte Streitpunkte anzusehen.

[59] 9. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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