OGH 10ObS27/21z

OGH10ObS27/21z22.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei DI B*****, vertreten durch Mag. Ralph Kilches, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, wegen Kostenerstattung (Revisionsinteresse: 8.859,31 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 17. Dezember 2020, GZ 8 Rs 78/20 d‑28, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00027.21Z.0622.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren der Klägerin auf Erstattung von Kosten ihrer bei insgesamt vier Ärzten in Österreich in den Jahren 2013 bis 2017 in Anspruch genommenen Krankenbehandlungen in einem über 80 % des Kassentarifs hinausgehenden Umfang.

[2] Die Vorinstanzen wiesen das darauf gerichtete Klagebegehren (weitere Ansprüche waren nicht Gegenstand des Teilurteils des Erstgerichts) ab.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen von der Klägerin erhobene außerordentliche Revision ist unzulässig.

[4] 1. Der Rechtsmittelwerber hat in einer Verfahrensrüge wegen Verletzung der Pflichten nach § 182a ZPO darzulegen, welches zusätzliche oder andere Vorbringen er aufgrund der von ihm nicht beachteten neuen Rechtsansicht erstattet hätte (RS0037300 [T48]; vgl RS0037095 [T5, T16, T19]).

[5] Das hat die Revisionswerberin im vorliegenden Fall unterlassen.

[6] 2.1. Leistungen der Krankenversicherung werden gemäß § 133 Abs 2 ASVG grundsätzlich als Sachleistungen erbracht. Werden keine Vertragspartner zur Leistung der Krankenbehandlung in Anspruch genommen, richtet sich die Kostenerstattung nach § 131 ASVG. Dem Versicherten, der nicht die Vertragspartner (§ 338 ASVG), die eigenen Einrichtungen oder Vertragseinrichtungen des Versicherungsträgers zur Erbringung der Sachleistungen der Krankenbehandlung (ärztliche Hilfe, Heilmittel, Heilbehelfe) in Anspruch nimmt, gebührt gemäß § 131 Abs 1 ASVG der Ersatz der Kosten dieser Krankenbehandlung im Ausmaß von 80 % des Betrags, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre.

[7] Nach § 456 Abs 1 ASVG haben die Träger der Krankenversicherung eine Krankenordnung aufzustellen, die insbesondere die Pflichten der Versicherten und der Leistungsempfänger im Leistungsfall, das Verfahren bei Inanspruchnahme von Leistungen der Krankenversicherung und die Kontrolle der Kranken zu regeln hat. Die Krankenordnung, die im Rang einer Verordnung steht, gestaltet also das gesetzliche und satzungsmäßige Leistungsverhältnis detaillierter aus, indem sie nähere Bedingungen für die Leistungsgewährung festlegt (10 ObS 119/14v SSV‑NF 28/62 mwN; RS0129819).

[8] Die Kostenerstattung bei Inanspruchnahme von Wahlärzten/Wahlärztinnen oder Wahl-Gruppenpraxen ist in § 37 der Krankenordnung der Wiener Gebietskrankenkasse (Krankenordnung 2016 idF avsv 144/2016; davor inhaltlich übereinstimmend § 28 Krankenordnung der Wiener Gebietskrankenkasse; vgl nunmehr § 37 Krankenordnung der Österreichischen Gesundheitskasse).

[9] Nach § 37 Abs 1 der Krankenordnung der Österreichischen Gesundheitskasse (bzw der Vorgängerbestimmung, des § 28 der Krankenordnung) hat der Anspruchsberechtigte dem Wahlarzt das vollständige Honorar vor Einreichung der Honorarnote bei der Kasse zu zahlen; für die Kostenerstattung muss er der Kasse die Honorarnote übergeben oder sie auf elektronischem Weg übermitteln. Die Honorarnote muss die in § 37 Abs 1 Satz 4 Z 1 bis 9 aufgezählten Angaben enthalten.

[10] Wenn ein Versicherter gegen Bestimmungen der für ihn geltenden Krankenordnung verstößt, kann dies zum Verlust seines Anspruchs führen (10 ObS 119/14v SSV‑NF 28/62 mwN; RS0129819). So hat der Versicherte keinen Anspruch auf Kostenerstattung, wenn er keine „zumindest rechnungsähnlichen Belege“ vorlegt, aus denen sich die Höhe des Kostenersatzanspruchs ableiten lässt (10 ObS 2303/96s SSV‑NF 10/95).

[11] 2.2. Das Berufungsgericht lehnte eine Erstattung von Kosten für Laboruntersuchungen mit der Begründung ab, dass die Klägerin dafür keine Rechnungen vorgelegt habe.

[12] Die Klägerin behauptet in ihrer außerordentlichen Revision nicht, Rechnungen von Laboreinrichtungen vorgelegt zu haben. Sie bringt vielmehr vor, die Kosten der Laboruntersuchungen seien in den Rechnungen Dris. L***** enthalten (vgl Schriftsatz vom 8. 7. 2019). Dieses Vorbringen wurde von ihr – trotz ausdrücklicher Erörterung des Erstrichters, dass nicht erkennbar sei, wo die Kosten für die Laboruntersuchungen enthalten seien und wer Rechnungen für Laborleistungen ausgestellt habe (Protokoll vom 17. 1. 2020, Seite 4) – nicht konkretisiert.

[13] Der Auslegung von Urkunden kommt in der Regel keine über den Einzelfall hinausgehende und damit revisible Bedeutung zu (RS0043415).

[14] Nach den von der Klägerin vorgelegten – ihrem Inhalt nach unstrittigen und daher im Revisionsverfahren verwertbaren (RS0121557 [T3]) – Honorarnoten Dris. L***** stellte dieser jeweils die Kosten für die Ordination an einem bestimmten Tag in Rechnung, wobei die von ihm (vgl „für meine ärztlichen Tätigkeiten“) erbrachten medizinischen Leistungen durch Ankreuzen von Rubriken bezeichnet sind (beispielsweise „Studium aller Vorbefunde“, „körperliche Untersuchung“ ua). Hinsichtlich Laborleistungen finden sich lediglich die Angaben „Laboranalysen“, bzw „Laboranalysen *****“. In Rechnung gestellt wurde in den vorgelegten Honorarnoten jeweils ein Pauschalbetrag für sämtliche angegebenen Leistungen. Ein Hinweis, aus dem erkennbar wäre, dass mit der Angabe „Laboranalysen“ bzw „Laboranalysen *****“ nicht bloß die vom Rechnung legenden Arzt selbst vorgenommene Beauftragung einer Laborauswertung gemeint sei, sondern dass in dem von ihm verrechneten Pauschalbetrag allfällige labordiagnostische Leistungen Dritter bereits enthalten seien, fehlt.

[15] Angesichts dieser Urkundeninhalte und der trotz Erörterung nicht erfolgten Konkretisierung, dass eine Weiterverrechnung von Laborkosten stattgefunden habe, sowie aufgrund des gänzlichen Fehlens von zuordenbaren Kosten für labordiagnostische Leistungen beruht die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, das in den vorgelegten Honorarnoten Dris. L***** keine Rechnungen (auch) für erbrachte Laborleistungen erkannte, auf einer durchaus nachvollziehbaren und vertretbaren Urkundenauslegung. Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung wird in diesem Zusammenhang daher nicht dargetan.

[16] Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, mangels Vorlage von (den Anforderungen des § 37 Krankenordnung entsprechenden) Rechnungen für labordiagnostische Untersuchungen gebühre für Laboruntersuchungen schon dem Grunde nach kein Anspruch auf Kostenerstattung, steht auch mit der Entscheidung 10 ObS 2303/96s (SSV‑NF 10/95) im Einklang.

[17] Ausgehend von dieser Beurteilung kommt es nicht darauf an, ob die von der Klägerin in Anspruch genommenen Laborleistungen auch von einer eigenen Einrichtung oder einem Vertragspartner der Beklagten erbracht werden hätten können oder ob dafür „Leistungskataloge“ bestehen.

[18] 2.3. Auch die in der außerordentlichen Revision ausgeführte Frage, ob der Klägerin unter Beachtung des Unionsrechts ein Anspruch auf „volle“ Kostenerstattung für in einem anderen Mitgliedstaat erbrachte labordiagnostische Leistungen zustehe, ist mangels Vorlage geeigneter Rechnungen nicht entscheidungsrelevant.

[19] Im Übrigen wurde vom erkennenden Senat jüngst entschieden, dass die Beschränkung der Kostenerstattung bei Inanspruchnahme von Wahlärzten auch in anderen Mitgliedstaaten der Union auf 80 % des Kassentarifs gemäß § 131 Abs 1 ASVG durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses bezogen auf die öffentliche Gesundheit gerechtfertigt ist und mit dem Unionsrecht in Einklang steht (10 ObS 142/20k; 10 ObS 26/21b). Zu 10 ObS 142/20k wurde auch klargestellt, dass sich aus den von der Revisionswerberin zitierten Entscheidungen des EuGH C‑120/95, ECLI:EU:C:1998:167, Decker und C‑158/96, ECLI:EU:C:1998:171, Kohll, kein über den Ersatz von 80 % des Kassentarifs hinausgehender Anspruch ableiten lässt.

[20] Der Oberste Gerichtshof kommt daher der Anregung auf Stellung eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH nicht nach.

[21] 2.4. Soweit in der außerordentlichen Revision im Hinblick auf die sonstigen (nicht Laboruntersuchungen betreffenden) von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche auf Kostenerstattung ein über 80 % des Kassentarifs hinausgehender Anspruch geltend gemacht wird, wird ebenfalls auf die Entscheidung 10 ObS 142/20k verwiesen. Demnach teilt der Oberste Gerichtshof die in der außerordentlichen Revision vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 131 Abs 1 ASVG nicht (10 ObS 142/20k Rz 53; 10 ObS 26/21b Rz 21; siehe VfGH G 24/98 ua).

[22] 3. Die Abweisung des Zinsenbegehrens entspricht der ständigen Rechtsprechung (RS0031982; RS0031997).

[23] 4. Die außerordentliche Revision zeigt insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage auf. Sie ist daher zurückzuweisen.

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