OGH 1Ob99/21x

OGH1Ob99/21x22.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei DI M*****, vertreten durch die Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH, Graz, gegen die beklagte und widerklagende Partei Mag. E*****, vertreten durch Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwalt in Graz, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 8. April 2021, GZ 2 R 101/21v‑44, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 28. Jänner 2021, GZ 225 C 1/20p (225 C 12/20f)‑37, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00099.21X.0622.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Die Verschuldenszumessung bei der Scheidung erfolgt nach den Umständen des Einzelfalls und kann in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage begründen (RIS‑Justiz RS0119414), sofern keine krasse Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz vorliegt (RS0119414 [T1]; vgl auch RS0118125). Bei der Beurteilung des überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten sind alle Umstände zu berücksichtigen und in ihrer Gesamtheit gegenüberzustellen (RS0057303; vgl auch RS0056171), wobei es nicht allein auf die Schwere der jeweiligen Verfehlung an sich, sondern auch darauf ankommt, in welchem Umfang sie zu der schließlich eingetretenen Zerrüttung der Ehe beigetragen hat (RS0057858).

[2] Ein überwiegendes Verschulden ist nur dann auszusprechen, wenn der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt (RS0057821; vgl auch RS0057057), also das mindere Verschulden des einen Teils im Rahmen des maßgeblichen Gesamtverhaltens beider Ehegatten in seinem Zusammenhang fast völlig in den Hintergrund tritt (RS0057858 [T11]).

[3] 2. Die Frau kann in ihrem Rechtsmittel nicht aufzeigen, dass das Berufungsgericht bei Bestätigung des vom Erstgericht angenommenen gleichteiligen Verschuldens den ihm zukommenden Beurteilungsspielraum überschritten hätte. Sie nimmt in ihrer Revision die gebotene (und von den Vorinstanzen auch gepflogene) Gesamtabwägung aller Umstände nicht vor, wenn sie nur mit Teilen des festgestellten Sachverhalts argumentiert. Sie bagatellisiert dadurch ihr eigenes Fehlverhalten, behauptet, es sei bloß festgestellt worden, dass sie auf „vom Kläger gemachte Änderungswünsche“ „nicht ausreichend reagiert“ habe (wozu sie auf drei Vorfälle Bezug nimmt) und unterstellt unrichtig, weitere als Eheverfehlung zu wertende Verhaltensweisen ihrerseits seien nicht festgestellt worden.

[4] 4. Diese geschilderten Begebenheiten hatten aber lediglich Beispielfunktion für das vom Erstgericht festgestellte (Grund-)Verhalten der Frau, über etliche Jahre hinweg auf Versuche des Mannes, klärende Gespräche darüber zu führen, was ihn störte, grundsätzlich mit „dies in Abrede stellenden Entgegnungen“ zu reagieren und auch seine Vorhalte, dass ihn dies störe, pauschal zu negieren. Sie ging nach dem von den Vorinstanzen zugrundegelegten Sachverhalt auf solche Gespräche nicht ein und zeigte kein Interessean einem partnerschaftlichen Gespräch. Ohne Kompromissbereitschaft und ohne Bemühen um eine Änderung ihres Verhaltens setzte sie dieses unverändert fort. Daran konnten auch mehrmalige Versuche des Mannes, seiner Frau verständlich zu machen, dass ihr Verhalten von ihm als überheblich und ihn herabwürdigend empfunden wurde, nichts ändern. Der Mann resignierte schließlich (nach Jahren) und wandte sich immer mehr von seiner Frau ab; in letzter Zeit äußerte er häufiger Kritik, reagierte „genervt“ und ging etwa sieben Monate, bevor er der Frau gegenüber seinen Scheidungswunsch äußerte, eine außereheliche Beziehung ein.

[5] 5. Die Ansicht der Frau, ihr Verhalten – sofern es überhaupt „verschuldensbegründend“ sei – betreffe „nur Geringfügigkeiten“, in den letzten Jahren der Ehe sei es nicht mehr zu einer „entsprechenden Beanstandung“ gekommen und habe „nach außen hin“ eine „harmonische Lebensgemeinschaft“ bestanden, weswegen im Ausspruch des gleichteiligen Verschuldens eine auch im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlentscheidung liege, ist daher nicht zu teilen. Angesichts des Gesamtverhaltens beider Eheleute begegnet die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Frau habe durch die Verletzung ihrer Pflicht zur anständigen Begegnung die Resignation des Mannes und seinen emotionalen Rückzug verursacht, es trete ein gradueller Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile hier nicht evident hervor, keinen Bedenken. Auch ein Ehebruch muss nicht immer zum überwiegenden Verschulden führen (6 Ob 197/20v mwN).

[6] 6. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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