European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E132148
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Zweitantragstellerin ist schuldig, der Erstantragstellerin die mit 3.214,98 EUR (darin enthalten 535,83 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Im vorliegenden Erbrechtsstreit ist die Formgültigkeit eines fremdhändigen Testaments nach § 579 ABGB idF des ErbRÄG 2015 (BGBl I 2015/87) zu beurteilen. Als Testamentszeugen fungierten der beurkundende Notar sowie zwei seiner Angestellten.
[2] Punkt IV dieses Testaments lautet:
„Urkund dessen habe ich dieses Testament errichtet, habe es in Gegenwart der ersuchten Testamentszeugen Herrn Dr. [Vor- und Familienname], öffentlicher Notar, Frau [Vor- und Familienname], Notariatsangestellte, sowie Frau [Vor- und Familienname], Notariatsangestellte, alle per Adresse [Anschrift der Kanzlei des Notars], als meinen letzten Willen enthaltend ausdrücklich bestätigt, es sohin selbst unterschrieben und von den Zeugen mitfertigen lassen […].“
[3] Die jeweilige Privatadresse sowie das jeweilige Geburtsdatum der Zeugen scheinen im Testament nicht auf.
[4] Die Vorinstanzen hielten das Testament für formgültig, weil die Identität der Zeugen aus der Urkunde (auch ohne Angabe von deren Geburtsdatum oder Privatanschrift) hervorgehe und somit den Anforderungen nach § 579 Abs 2 ABGB genügt sei.
[5] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil zu dieser Fallgestaltung keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege und das Gesetz – unter Bedachtnahme auf die einschlägigen Literaturstellen – auch keine klare, eindeutige Regelung treffe.
Rechtliche Beurteilung
[6] Der Revisionsrekurs der Zweitantragstellerin ist zulässig, weil zur Frage, welche Voraussetzungen nach § 579 Abs 2 ABGB dafür erforderlich sind, dass die Identität der Testamentszeugen aus der Urkunde hervorgeht, noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliegt; er ist jedoch nicht berechtigt.
[7] 1. Nach § 579 Abs 2 Satz 1 ABGB (idF des ErbRÄG 2015) haben bei einem fremdhändigen Testament die Zeugen, deren Identität aus der Urkunde hervorgehen muss, auf der Urkunde mit einem auf ihre Eigenschaft als Zeugen hinweisenden und eigenhändig geschriebenen Zusatz zu unterschreiben.
[8] Die Materialien (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 9 f) führen dazu – soweit hier von Relevanz – Folgendes aus:
„Um die Zeugen identifizierbar und damit ihre Eignung überprüfbar zu machen, muss aus der letztwilligen Verfügung jeweils deren Identität, insbesondere deren Vor- und Familienname sowie das Geburtsdatum oder die (Berufs-)Adresse, hervorgehen.“
[9] 2. Im Schrifttum finden sich folgende Stellungnahmen:
[10] Pesendorfer (Die Erbrechtsreform im Überblick, Allgemeiner Teil – gewillkürte Erbfolge – gesetzliches Erbrecht – Erbschaftserwerb – Verjährung, iFamZ 2015, 230 [232]) meint unter Hinweis auf die Materialien nur, es sollten Geburtsdatum oder Wohn‑ oder Berufsadresse der Zeugen angeführt werden.
[11] Wendehorst (Testamentsrecht, in Rabl/Zöchling‑Jud, Das neue Erbrecht [2015] 52) meint, da der Gesetzestext selbst (im Gegensatz zu den ErläutRV) nur von „Identität“ spreche, sei zweifelhaft, ob ein Gericht ein Testament als ungültig behandeln dürfe, wenn die Zeugen lediglich Vor‑ und Zunamen angäben.
[12] Nach A. Tschugguel (in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 579 Rz 25), sollten die Formvorschriften des § 579 Abs 2 ABGB im Sinne des favor testamenti möglichst einschränkend ausgelegt werden. Nach Wort und Zweck der Bestimmung reiche es aus, dass sich die Identität der Zeugen ausgehend von der Urkunde, und zwar gleich aufgrund welcher Angaben, und sei es auch lediglich aufgrund der Unterschriften samt eigenhändigem Zusatz, nachweisen lasse.
[13] Nach Eccher/Nemeth (in Schwimann/Kodek 5, § 579 Rz 6) und Nemeth (in Schwimann/Neumayr, ABGB‑TaKomm5 § 579 Rz 5) sollte es ausreichen, dass die Identität des Zeugen aus dem Zusatz im Zusammenhang mit der Unterschrift klar erkennbar sei.
[14] Welser (Erbrechts-Kommentar § 579 ABGB Rz 11 f) führt aus, es sei nicht klar, was das Gesetz genauer mit dem Erfordernis der Identifizierbarkeit der Zeugen meine. § 579 ABGB meine wohl nur Angaben, mit deren Hilfe man den Zeugen ausfindig machen könne. Das Fehlen der von der Regierungsvorlage verlangten detaillierten Angaben mache die letztwillige Verfügung nicht ungültig. Dies sei jedoch dann der Fall, wenn keine Identifizierbarkeit möglich sei.
[15] Apathy/Neumayr (in KBB6 § 579 Rz 3) vertreten die Ansicht, für die Gültigkeit des Testaments seien die in den Materialien genannten Zusatzangaben wie Geburtsdatum oder (Berufs-)Adresse schon im Hinblick auf den favor testamenti nur dann erforderlich, wenn sonst keine Identifizierung der Zeugen möglich sei.
[16] Mondel/Knechtel (in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON § 579 [Stand 1. 2. 2020, rdb.at] Rz 6/1) bezeichnen es ausdrücklich als ausreichend, wenn im Zuge der Errichtung einer fremdhändigen letztwilligen Verfügung bei einem Notar, wobei dieser sowie zwei seiner Angestellten als Zeugen fungieren, nicht das jeweilige Geburtsdatum beigesetzt wird; es genügten Name und Berufsadresse.
[17] Zweifelnd äußert sich Hampton (in Ferrari/Likar-Peer, Erbrecht2 [2020] Rz 5.78 [„Rechtsunsicherheit“]).
[18] 3. Der erkennende Fachsenat schließt sich der überwiegenden Meinung im Schrifttum an, wonach selbst die Nichtanführung der in den Materialien genannten Kriterien „(Geburtsdatum, [Berufs-]Adresse)“ noch nicht automatisch zur Ungültigkeit des Testaments führt. Ein Rechtssatz, der im Gesetz nicht angedeutet ist und nur in den Materialien steht, kann nicht durch Auslegung Geltung erlangen (RS0008799). Die Gesetzesmaterialien sind weder das Gesetz selbst noch interpretieren sie dieses authentisch (RS0008799 [T3]). Eine Bindung an die Gesetzesmaterialien bei Auslegung eines Gesetzes besteht generell nicht (RS0008799 [T4] = 2 Ob 41/19x).
[19] Das Gesetz aber schreibt nur vor, dass die Identität der Zeugen aus der Urkunde hervorgehen muss. Wann dies jeweils der Fall ist, sagt das Gesetz nicht und ist daher nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen.
[20] 4. Im vorliegenden Fall ist die Beurteilung der Vorinstanzen, die Zeugen seien (als Notar samt Kanzleiadresse bzw als zu einem bestimmten Zeitpunkt dort Angestellte) identifizierbar, zutreffend. Im Übrigen wäre hier sogar den (strengeren) Anforderungen der Materialien entsprochen worden, ist doch die Berufsadresse angegeben und verlangen selbst die Materialien die Angabe des Geburtsdatums dazu nur alternativ („oder“).
[21] 5. Die weiteren im Revisionsrekurs aufgezeigten Argumente können an dieser Beurteilung nichts ändern:
[22] 5.1. Die Entscheidungen 2 Ob 35/20s und 2 Ob 12/20h sind mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar: Dort ging es nicht um die Identität der Zeugen, sondern um den in § 579 Abs 2 ABGB zwingend vorgeschriebenen eigenhändig geschriebenen, auf die Zeugenschaft hinweisenden Zusatz.
[23] 5.2. Ebenso wenig sind die Entscheidungen 2 Ob 143/19x, 2 Ob 145/19s, 2 Ob 218/19a und 2 Ob 51/20v einschlägig: Dort stellte sich das Problem der „losen Blätter“ eines aus zwei oder mehreren Blättern bestehenden fremdhändigen Testaments. Dieser Fall liegt hier nicht vor.
[24] 5.3. Um einen Testiervorgang „im privaten Bereich“ handelt es sich hier bei dem vor dem Notar errichteten Testament nicht.
[25] 5.4. Wenn im Ministerialentwurf noch die Anführung des Geburtsdatums vorgesehen war, so spricht der letztliche Entfall dieses Erfordernisses in § 579 Abs 2 ABGB gerade dagegen, die Angabe des Geburtsdatums als Wirksamkeitserfordernis anzusehen.
[26] 6. Das Rekursgericht hat daher das Testament zutreffend als formgültig erachtet, weshalb der Revisionsrekurs keinen Erfolg hat.
[27] 7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 78, 185 AußStrG.
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