OGH 2Ob70/21i

OGH2Ob70/21i26.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S* R*, vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. X* GmbH, *, vertreten durch Frieders Tassul & Partner Rechtsanwälte in Wien, 2. S*gesellschaft m.b.H., *, vertreten durch BLS Rechtsanwälte Boller Langhammer Schubert GmbH in Wien, 3. D*gmbH, *, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen 92.839,65 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 10.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 15. Februar 2021, GZ 3 R 46/20m‑160, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E132058

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger stürzte am 9. 12. 2010 bei Bauarbeiten in Wien 1 von einem Gerüst zwölf Meter in die Tiefe und erlitt dabei schwere Verletzungen. Er begehrt Schadenersatz von der Erstbeklagten als Gerüstaufstellerin, der Zweitbeklagten als Gerüstbenützerin und der Drittbeklagten als Baustellenkoordinatorin.

[2] Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab.

Rechtliche Beurteilung

[3] In seiner außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine erhebliche Rechtsfrage auf:

[4] 1. Die Erstbeklagte hat nach den Feststellungen ihren Verpflichtungen nach § 61 Abs 1 Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) entsprochen und das von ihr (sachgerecht) aufgestellte Systemgerüst einer ordnungsgemäßen Überprüfung nach Fertigstellung unterzogen. Wenn der Revisionswerber argumentiert, dass es „mit Hinblick auf das Unfallgeschehen“ evident sei, dass eine weitergehende Prüfung durch die Erstbeklagte stattfinden hätte müssen, nimmt er eine unzulässige ex post‑Betrachtung vor und übergeht die Feststellung, wonach zwischen dem Aufstellen des Gerüsts und dem Unfall weder besondere Ereignisse noch Wetterlagen vorlagen, die eine neuerliche Kontrolle durch die Erstbeklagte (aus technischer Sicht) erfordert hätten. Der Revisionswerber nennt auch keine taugliche Rechtsgrundlage, aus der sich eine Verpflichtung der Gerüstaufstellerin zu einer weiteren Überprüfung des Gerüsts mehrere Monate nach dessen Aufstellung ergeben sollte. Normadressaten der in der Revision erwähnten Bestimmung des § 7 ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG) sind die Arbeitgeber (RS0084412 [T6]); wieso die Erstbeklagte als Gerüstaufstellerin eine dieser Bestimmung Normunterworfene sein sollte, legt die Revision nicht dar.

[5] 2. Die Vorinstanzen haben die Haftung der Zweitbeklagten vertretbar verneint. Mit der in diesem Punkt zentralen Argumentation des Berufungsgerichts, dass auch eine ordnungsgemäße Kontrolle des Gerüsts durch die Zweitbeklagte den Unfall nicht verhindern hätte können, weil der Subunternehmer der Drittbeklagten am 7. 12. ohnehin eine ausreichende Kontrolle vorgenommen habe und die Veränderung am Gerüst erst nach diesem Zeitpunkt erfolgt sei, setzt sich die Revision nur unter Hinweis auf dem Sachverhalt nicht zu entnehmende Umstände auseinander. Ein Vorliegen „winterlicher Verhältnisse“ zwischen 7. und 9. 12. 2010 steht nicht fest. Fest steht hingegen, dass der Unfall nicht auf (gemeint wohl: Material-)Veränderungen aufgrund von Witterungseinflüssen zurückzuführen war. Unfallursache waren nach den Feststellungen vielmehr Manipulationen an den Sicherungen, Sicherungsschrauben und der Gerüstschnur, die so knapp vor dem Unfall erfolgten, dass sie im Rahmen der regelmäßigen Kontrollen nicht bemerkt werden konnten. Ob diese Manipulationen von Personen vorgenommen wurden, die sich unbefugt auf der Baustelle aufhielten, konnte das Erstgericht nicht feststellen; es ging aber davon aus, dass es nach Mitte Oktober 2010 nicht mehr zu Zutritten durch Unbefugte kam.

[6] Die Unterbrechung der Arbeit für einen einzigen Tag aufgrund eines gesetzlichen Feiertags wurde vom Berufungsgericht jedenfalls vertretbar nicht als „längere Arbeitsunterbrechung“ iSd § 61 Abs 2 BauV qualifiziert, die jedenfalls eine Prüfung des Gerüsts durch dessen Benützer erfordert hätte. Anzumerken bleibt, dass diese Bestimmung bei Systemgerüsten wie dem hier zu beurteilenden ohne bestimmten Anlassfall – wie eine längere Arbeitsunterbrechung oder schlechtes Wetter (etwa Sturm, starker Regen oder Frost) – eine Kontrollpflicht des Gerüstbenützers nur mindestens einmal monatlich vorsieht.

[7] 3. Im Zusammenhang mit der Haftung der Drittbeklagten als Baustellenkoordinatorin zeigt der Revisionswerber kein Abweichen von den Grundsätzen der (als einzige in der Revision zitierten) Entscheidung 1 Ob 233/03a SZ 2004/119 auf. Demnach hat ein Baustellenkoordinator zur Sicherstellung des Schutzes von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer die Baustelle in solchen zeitlichen Intervallen zu besuchen, dass er auf Veränderungen auf der Baustelle oder bei den Baustelleneinrichtungen reagieren kann (RS0119448). Wenngleich im Allgemeinen die ständige Anwesenheit auf der Baustelle nicht zu fordern sein wird, müssen die Intervalle der Baustellenbesuche doch innerhalb eines Zeitmaßes liegen, das eine je nach Beschaffenheit der Baustelle und Art und Intensität der dort ausgeübten Tätigkeiten effektive Gefahrenverhütung ermöglicht. Im konkreten Anlassfall erachtete der Oberste Gerichtshof ein Besuchsintervall von 14 Tagen als zu lange, betonte jedoch, dass es eine Überspannung der Sorgfaltspflicht des Baustellenkoordinators darstellen würde, wenn man von ihm die Überprüfung der Einhaltung bereits erteilter Sicherheitsanweisungen im täglichen Arbeitsablauf verlangen wollte.

[8] Nach den Feststellungen führte der von der Drittbeklagten mit der Tätigkeit als Baustellenkoordinator Beauftragte mindestens einmal wöchentlich eine Kontrolle der Baustelle durch und beging dabei auch die Gerüste. Die letzte Kontrolle vor dem Sturz des Klägers nahm er am 7. 12. 2010 – sohin am letzten Arbeitstag vor dem Unfall – vor, wobei zu diesem Zeitpunkt die Belagsteile im Passfeld – deren Abrutschen zwei Tage später zum Sturz des Klägers führte – ordnungsgemäß verlegt waren. Dass die Vorinstanzen diese Kontrollen als im Rahmen der Tätigkeit eines Baustellenkoordinators ausreichend ansahen, stellt keine aufzugreifende Fehlbeurteilung dar. Die in der Revision aufgestellte Forderung, die Drittbeklagte hätte am 9. 12. 2010 wegen des dazwischen liegenden Feiertags das Gerüst erneut kontrollieren müssen, würde hingegen eine Überspannung der Sorgfaltspflichten bedeuten.

[9] Wenn der Revisionswerber argumentiert, die vom Kläger vorgenommenen Arbeiten im Bereich des Daches seien besonders gefährlich, entfernt er sich vom festgestellten Sachverhalt. Gleiches gilt für die Ausführungen zum Fehlen entsprechender Maßnahmen im Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan (SiGe‑Plan), weil in einem solchen Plan nach den getroffenen Feststellungen nicht konkret festzulegen ist, welches Gerüst verwendet werden und wie dieses ausgestaltet sein soll.

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