OGH 1Ob92/21t

OGH1Ob92/21t18.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** W*****, vertreten durch Dr. Peter Döller, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei C***** S*****, vertreten durch W***** S*****, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 24. Februar 2021, GZ 39 R 39/21f‑33, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 27. November 2020, GZ 49 C 87/20y‑29, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00092.21T.0518.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Vorinstanzen hoben die gerichtliche Aufkündigung des von der Klägerin mit der Beklagten geschlossenen Mietvertrags über eine Wohnung im Haus der Klägerin auf und wiesen das Räumungsbegehren ab, weil die Beklagte die Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall (unleidliches Verhalten) sowie dritter Fall (strafbare Handlung) MRG nicht verwirklicht habe.

[2] Die Klägerin vermag in ihrer außerordentlichen Revision keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

Rechtliche Beurteilung

[3] 1.1. Eine Kündigung wegen unleidlichen Verhaltens nach § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG setzt eine Störung des friedlichen Zusammenlebens voraus, die durch längere Zeit fortgesetzt wird oder sich in häufigen Wiederholungen äußert und überdies nach ihrer Art das bei den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls erfahrungsgemäß geduldete Ausmaß übersteigt. Einmalige Vorfälle bilden den Kündigungsgrund nur, wenn sie schwerwiegend sind, jedoch können mehrere, an sich geringfügige Vorfälle den Kündigungstatbestand bilden (RIS‑Justiz RS0070303).

[4] 1.2. Die Frage, ob es sich bei einem konkreten Verhalten um ein unleidliches Verhalten nach § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG handelt, das den Mitbewohnern das Zusammenleben verleidet, kommt im Regelfall keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zu (RS0042984), sofern keine auffallende, im Interesse der Rechtssicherheit zu korrigierende Fehlbeurteilung der Zumutbarkeit einer Fortsetzung des Bestandverhältnisses vorliegt (RS0042984 [T6]).

[5] 2.1. Ihr ehemaliger Mitbewohner, mit dem die Beklagte damals eine Beziehung führte, versetzte einer im Haus aufhältigen Spendensammlerin in ihrem Beisein einen Schlag ins Gesicht, wodurch diese eine Rötung und Schwellung im Bereich der linken Gesichtshälfte unterhalb des Auges erlitt. Aufgrund dieses Vorfalls und auch, weil er am selben Tag fahrlässig eine Waffe, nämlich ein Kampfmesser mit einer Klingenlänge von rund 12 cm besessen hatte, obwohl ihm dies gemäß § 12 Waffengesetz 1996 verboten war, wurde der damalige Mitbewohner der Beklagten zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Keiner der Mitbewohner des Hauses hat mit der Beklagten persönlich Probleme; kein Mitbewohner wurde jemals von ihrem damaligen Freund bedroht.

[6] 2.2. Die Klägerin vermag nicht schlüssig aufzuzeigen, dass der Kündigungsgrund der strafbaren Handlung gemäß § 30 Abs 2 Z 3 dritter Fall MRG verwirklicht wäre, erfolgten doch die vom Mitbewohner der Beklagten begangenen strafbaren Handlungen weder gegenüber der Vermieterin noch gegenüber einer im Haus wohnenden Person. Die Spendensammlerin hatte keinen Bezug zu diesem geschützten Personenkreis.

[7] 2.3. Die Vorinstanzen legten ihrer rechtlichen Beurteilung zugrunde, dass der (im Rahmen des Kündigungsgrundes des unleidlichen Verhaltens verwendete) Begriff „Mitbewohner“ von der Rechtsprechung zwar weit ausgelegt werde (RS0070251 [T3]; vgl RS0067617). Zwischen der Spendensammlerin, der gegenüber die Körperverletzung begangen wurde, und der Vermieterin bzw den übrigen Hausbewohnern bestehe aber weder eine geschäftliche noch eine verwandtschaftliche Beziehung, die es rechtfertigen würde, diese zum geschützten Personenkreis der „Mitbewohner“ zu zählen.

[8] Die Klägerin kann nicht aufzeigen, dass diese Beurteilung korrekturbedürftig wäre. Die Spendensammlerin wohnte nicht im Haus; dass sie irgendeinen Bezug zur Vermieterin oder einem sonstigen Hausbewohner gehabt hätte, behauptet die Klägerin nicht. Sie geht selbst davon aus, dass sich diese zwar zulässigerweise im Haus aufgehalten habe, aber keine Mitbewohnerin war. Dass anderen Hausparteien durch das strafgerichtlich geahndete Verhalten des damaligen Freundes der Beklagten das Zusammenleben verleidet worden wäre, wodurch die Aufkündigung gemäß § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG gerechtfertigt sein könnte, argumentiert sie nicht. Da nur die Polizeibeamten anlässlich der Körperverletzung der Spendensammlerin die verbotene Waffe beim damaligen Mitbewohner der Beklagten entdeckten, konnte schon mangels Kenntnis – entgegen der Ansicht der Klägerin – „den Mitbewohnern oder wenigstens einem von ihnen das Zusammenleben“ dadurch nicht verleidet werden.

[9] 3. Den von der Klägerin im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens vorgebrachten Umstand, dass der damalige Freund der Beklagten drei Jahre vor der Einbringung der Aufkündigung einen seit 2017 nicht mehr im Haus wohnenden Mieter unrichtig bei der Polizei und der Rettung angeschwärzt hatte, dieser wolle sich mit einer Waffe das Leben nehmen, worauf ein Polizei‑ und Rettungseinsatz samt gewaltsamer Öffnung der Wohnungstür erfolgte, wodurch dieser in Furcht versetzt wurde, was zur Verurteilung des Freundes zu einer einmonatigen Freiheitsstrafe führte, werteten die Vorinstanzen in der Gesamtbetrachtung nicht als so gravierendes Fehlverhalten, dass damit die Aufkündigung gerechtfertigt werden könnte. Dazu nimmt die Klägerin nicht konkret Stellung, sondern meint nur, dass das Berufungsgericht „bei richtiger rechtlicher Beurteilung“ und „Würdigung des Gesamtverhaltens“ des seinerzeitigen Mitbewohners der Beklagten zum gegenteiligen Ergebnis kommen hätte müssen.

[10] 4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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