European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0200DS00001.21H.0518.000
Spruch:
Der Berufung wird Folge gegeben und über D***** sowie über M***** je eine Geldbuße von 6.000 Euro verhängt.
Den Beschuldigten fallen die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurden die Beschuldigten der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes (§ 1 Abs 1 1. und 2. Fall DSt) schuldig erkannt.
[2] Danach haben
a) D***** durch Erwirkung der Unterfertigung der Löschungserklärung vom 25. Oktober 2018 durch Petra W***** für Maria W***** aufgrund der Vorsorgevollmacht vom 20. Oktober 2017;
b) M***** durch Erwirkung einer Unterschrift am 20. Februar 2019 durch Maria W***** auf der von ihm erstellten Löschungserklärung, obwohl zwischenzeitig am 6. Februar 2018 der Vorsorgefall eingetreten war,
versucht, Maria W***** dadurch zu schädigen, dass das auf der Liegenschaft EZ ***** (richtig: EZ *****; Beilage ./3) KG ***** zugunsten von Maria W***** verbücherte Wohnungsgebrauchs‑ und Ausgedingsrecht gelöscht werden sollte.
[3] Zu D***** wurde eine Geldbuße von 3.500 Euro, zu M***** von 3.000 Euro ausgesprochen. Ausgehend von durchschnittlichen Einkommensverhältnissen wurden bei beiden Beschuldigten die bisherige Unbescholtenheit und der Umstand, dass es beim Versuch geblieben war, als mildernd gewertet, Erschwerungsgründe aber nicht angenommen.
Rechtliche Beurteilung
[4] Gegen die Aussprüche über die Strafe richtete sich zum Nachteil beider Beschuldigter die Berufung des Kammeranwalts.
[5] Nach den getroffenen Feststellungen war beiden Disziplinarbeschuldigten im Zeitpunkt ihrer Tathandlungen bekannt, dass der Vorsorgefall bei Maria W***** bereits eingetreten war (ES 9 zweiter Absatz, ES 10 zweiter Absatz) und ist aufgrund der solcherart besonders hohen Schutzwürdigkeit der Maria W*****, zu der infolge Eintritts des Vorsorgefalls objektive Zweifel an deren Geschäftsfähigkeit indiziert sind, ein sehr strenger Sorgfaltsmaßstab geboten.
[6] Für den Beschuldigten D***** (Faktum a) bestanden mehrfach Interessenkollisionen. Zu seiner Stellung als gemeinsamer Vertragsanwalt des Kaufvertrags vom 25. Oktober 2018/19. Dezember 2018 über die Liegenschaft EZ ***** KG ***** (in dem Lastenfreiheit vereinbart wurde) zwischen Petra W***** als Verkäuferin (die daher ein massives wirtschaftliches Interesse an der Löschung der Rechte der Maria W***** hatte) einerseits und der Gemeinde A***** als Käuferin (die naturgemäß an einem lastenfreien Eigentumserwerb der Liegenschaft interessiert war) andererseits trat seine Organstellung als Bürgermeister dieser Gemeinde hinzu. In der Unterfertigung des Kaufvertrags sah der Disziplinarrat zwar keinen Beitrag zur versuchten Schädigung der Buchberechtigten Maria W*****, weshalb diesbezüglich Freispruch erging, tatbildlich war hingegen die Erwirkung der Löschungserklärung (Schuldspruch a). Weil der Kaufvertrag lastenfreie Übertragung vorsah, unterfertigte die Verkäuferin am 25. Oktober 2018 (gleichzeitig als Vorsorgebevollmächtigte für die Buchberechtigte) eine Erklärung zur Löschung der zu deren Gunsten einverleibten Rechte (Wohnrecht und Ausgedinge). Kaufvertrag und Löschungserklärung bildeten zur lastenfreien Übertragung der Liegenschaft eine Einheit. Beide Dokumente hatte der Beschuldigte M***** vorbereitet, der auch zuvor am 20. Oktober 2017 als Rechtsanwaltsanwärter der Ma***** GmbH die Vorsorgevollmacht errichtet hatte. Die Vorsorgevollmacht diente als erste Säule des „4‑Säulen‑Modells“ nach dem zweiten Erwachsenen-schutzgesetz BGBl I Nr 59/2017 dem Schutz der Buchberechtigten Maria W*****, sie behielt auch nach Inkrafttreten der diesbezüglichen Vorschriften mit 1. Juli 2018 – und somit zur Tatzeit – ihre Gültigkeit (§ 1503 Abs 9 Z 1 und Z 15 ABGB).
[7] Nach Abweisung des Löschungsantrags, weil auf der Vorsorgevollmacht die notarielle Beglaubigung der Unterschrift der Vollmachtgeberin fehlte, verfasste der Beschuldigte M***** eine weitere Löschungserklärung, die diese als Buchberechtigte und schutzbedürftige Person trotz Eintritt des Vorsorgefalls nun selbst unterfertigen sollte. Der zur Beglaubigung der Unterschrift beigezogenen Notarsubstitutin verschwieg er den Eintritt des Vorsorgefalls (ES 10, ES 16). Außer Befragung der Vorsorgebevollmächtigten, in deren Interesse die Löschung der Rechte lag, unterließ er weitere Erkundigungen über Gesundheitszustand und Entscheidungsfähigkeit der schutzbedürftigen Person iSd § 24 Abs 2 ABGB.
[8] Eine Disziplinarstrafe nach § 16 DSt ist immer aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls zu bemessen, wobei Tatunrecht und darauf gegründet Täterschuld ausschlaggebend sind (20 Os 16/16b). Dabei gelten die maßgebenden Grundsätze der §§ 32 ff StGB (RIS‑Justiz RS0054839; Gartner in Csoklich/Scheuba 3 121; Lehner in Engelhart et al, RAO10, § 16 DSt Rz 17). Der disziplinäre Tatbestand der Treuepflichtverletzung (Doppelvertretung) stellt grundsätzlich ein schweres Disziplinardelikt dar (20 Os 9/16y). Für seine disziplinäre Ahndung sind sowohl spezialpräventive als auch generalpräventive Gründe maßgebend (Lehner in Engelhart et al, RAO10, § 1 DSt Rz 43/1). Die mehrfache Interessenkollision beim Beschuldigten D***** und das beharrliche Verfolgen des Ziels der Lastenfreistellung der Liegenschaft nach Abweisung des ersten Löschungsantrags durch den Beschuldigten M***** indizieren ein hohes Maß an Gleichgültigkeit (§ 32 Abs 2 StGB) gegenüber den Rechten der schutzbedürftigen Person und dem Standesrecht der Rechtsanwälte. Wohnungsgebrauchsrecht und Ausgedinge dienen der Deckung elementarer Lebensbedürfnisse. Nach den Konstatierungen haben beide Beschuldigte die Schädigung der schutzbedürftigen Person durch Verlust dieser Rechte in Kauf genommen (ES 15). Den Tatmodalitäten beim Schuldspruch b) liegt darüber hinaus reifliche Überlegung zugrunde (§ 32 Abs 3 StGB). Nur dank Sorgfalt und Umsicht des Grundbuchsgerichts konnte der Rechtsverlust für die schutzbedürftige Person abgewendet werden.
[9] Der Fall wurde nicht nur in Grundbuchs‑ und Außerstreitabteilung des zuständigen Bezirksgerichts bekannt, sondern führte auch zu einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Die Disziplinardelikte waren geeignet, das Vertrauen der rechtssuchenden Bevölkerung in die Tätigkeit des Anwaltsstandes und dessen Ansehen bei Gericht und Strafverfolgungsbehörden schwer zu erschüttern (vgl RS0054993). Obwohl es beim vom Disziplinarrat als Milderungsgrund herangezogenen Versuch blieb, ist somit für den Berufsstand der Rechtsanwälte beträchtlicher immaterieller Schaden eingetreten (vgl RIS‑Justiz RS0096979), der schon nach allgemeinen Strafzumessungsgründen entsprechend zu berücksichtigen ist (§ 32 Abs 3 StGB).
[10] Vor diesem Hintergrund und zur Abdeckung präventiver Erfordernisse waren daher die vom Disziplinarrat verhängten Geldbußen – ausgehend von durchschnittlichen Einkommensverhältnissen – bei beiden Beschuldigten entsprechend zu erhöhen.
[11] Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs 5 DSt.
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