OGH 11Os5/21a

OGH11Os5/21a29.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. März 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen Qaeser A***** und eine andere Angeklagte wegen Verbrechen der terroristischen Straftat nach § 278c Abs 2 iVm Abs 1 Z 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Qaeser A***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 3. Dezember 2020, GZ 614 Hv 4/20z‑636, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0110OS00005.21A.0329.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden, angefochtenen Urteil wurde (der in Österreich wohnhafte) Qaeser A***** der Verbrechen der terroristischen Straftaten nach § 278c Abs 2 iVm Abs 1 Z 1 (§§ 15, 75) StGB (I 1, I 3 und I 5) und nach § 278c Abs 2 iVm Abs 1 Z 6 (§§ 125, 126 Abs 1 Z 5, Abs 2 teils iVm § 15) StGB (I 2, I 4 und I 6) sowie jeweils eines Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (II) und der kriminellen Organisation nach § 278a StGB (III) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in W***** und anderen, in der Bundesrepublik Deutschland gelegenen Orten

(I) Taten begangen, die geeignet waren, eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung des öffentlichen Lebens oder eine schwere Schädigung des Wirtschaftslebens herbeizuführen, wobei er mit dem Vorsatz handelte, die deutsche Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern und die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen Deutschlands ernsthaft zu erschüttern oder zu zerstören, und zwar

(1) am 25. Jänner 2018 in A***** (jeweils) das Verbrechen des versuchten Mordes an einer Vielzahl nicht mehr feststellbarer Personen, indem er auf der ICE‑Schnellfahrbahnstrecke ab Kilometer 27,8 zwischen den Ortschaften A***** und G***** zumindest zwei mittels Metallketten und Metallteilen verstärkte Holzkeile auf dem Gleiskörper montierte, um einen mit hoher Geschwindigkeit herannahenden Intercity-Express-Zug zum Entgleisen zu bringen, wobei er am Tatort einen Speicherstick mit einer Drohrede des Islamischen Staates (IS) hinterlegte;

(2) am 25. Jänner 2018 in A***** das Verbrechen der schweren Sachbeschädigung, wodurch eine Gefahr für das Leben eines anderen oder für fremdes Eigentum in großem Ausmaß entstehen konnte, indem er durch das zu I 1 beschriebene Verhalten fremde Sachen, und zwar einen die manipulierte Bahnstrecke passierenden Intercity-Express-Zug und das Gleis, beschädigen wollte, wobei er die Sachbeschädigung an einem wesentlichen Bestandteil der kritischen Infrastruktur (§ 74 Abs 1 Z 11 StGB) begehen und an den Sachen einen 300.000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführen wollte;

(3) am 19. August 2018 in P***** (jeweils) das Verbrechen des versuchten Mordes an einer Vielzahl nicht mehr feststellbarer Personen, indem er auf der ICE‑Schnellfahrbahnstrecke ab Kilometer 23,3 zwischen den Ortschaften Pr***** und H***** zumindest vier mittels Metallketten und Metallteilen verstärkte Holzkeile auf dem Gleiskörper montierte, um einen mit hoher Geschwindigkeit herannahenden Intercity-Express-Zug zum Entgleisen zu bringen, wobei er am Tatort ein Bekennerschreiben des Islamischen Staates (IS) hinterlegte, in dem der IS die Tat für sich reklamierte und in dem mit weiteren Anschlägen auf ICE‑Züge in Europa gedroht wurde, sowie auf einer in unmittelbarer Nähe befindlichen Betonmauer einen arabischen Schriftzug anbrachte, der übersetzt „Heldenort“ und „Islamischer Staat“ bedeutet;

(4) am 19. August 2018 in P***** das Verbrechen der schweren Sachbeschädigung, wodurch eine Gefahr für das Leben eines anderen oder für fremdes Eigentum in großem Ausmaß entstehen konnte, indem er durch das zu I 3 beschriebene Verhalten fremde Sachen, und zwar einen die manipulierte Bahnstrecke passierenden Intercity-Express-Zug und das Gleis, beschädigen wollte, wobei er die Sachbeschädigung an einem wesentlichen Bestandteil der kritischen Infrastruktur (§ 74 Abs 1 Z 11 StGB) begehen und an den Sachen einen 300.000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführen wollte;

(5) am 7. Oktober 2018 in A***** (jeweils) das Verbrechen des versuchten Mordes an zumindest 160 Personen, indem er auf der ICE-Schnellfahrbahnstrecke ab Kilometer 26,9 im Ortsbereich A***** ein zusammengeknüpftes Stahlseil zwischen die Oberleitungsmasten spannte, sodass der um 23:19 Uhr herannahende Intercity-Express-Zug ***** der D***** AG das Stahlseil zwar durchbrach, dadurch jedoch nicht entgleiste, wobei er am Tatort ein zuvor im „Druckraum W*****“ in W***** hergestelltes Bekennerschreiben des Islamischen Staates (IS) hinterließ, in dem der IS die Tat für sich reklamierte und in dem mit weiteren Anschlägen auf ICE‑Züge in Europa gedroht wurde;

(6) am 7. Oktober 2018 in A***** das Verbrechen der schweren Sachbeschädigung, wodurch eine Gefahr für das Leben eines anderen oder für fremdes Eigentum in großem Ausmaß entstehen konnte, indem er durch das zu I 5 beschriebene Verhalten fremde Sachen, und zwar den Intercity-Express-Zug ***** der D***** AG und das Gleis, beschädigen wollte, wobei er die Sachbeschädigung an einem wesentlichen Bestandteil der kritischen Infrastruktur (§ 74 Abs 1 Z 11 StGB) begehen und an den Sachen einen 300.000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführen wollte, der tatsächlich in Höhe von 6.859,66 Euro entstand;

(II) sich von Jahresanfang 2018 „bis laufend“ als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an einer terroristischen Vereinigung (§ 278b Abs 3 StGB) beteiligt, nämlich an der in der UN‑Sanktionsliste (Quelle: UN‑Sanktionslisten, www.un.org , Punkt QDe. 115, 135) aufscheinenden Terrororganisation „IS – Islamic State“, wobei der Islamische Staat (IS) aus der seit zumindest 2004 bestehenden Terrororganisation Al Qaida im Irak hervorging und darauf ausgerichtet ist, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung eine oder mehrere terroristische Straftaten (§ 278c StGB) ausgeführt werden oder Terrorismusfinanzierung (§ 278d StGB) betrieben wird, und zwar indem er im Rahmen ihrer terroristischen Ausrichtung die zu I 1 bis I 6 beschriebenen Taten beging;

(III) sich durch die zu I beschriebenen Handlungen als Mitglied an einer auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl von Personen, nämlich an der international agierenden terroristischen Vereinigung Islamischer Staat (IS) mit mehreren tausend Mitgliedern, als Mitglied beteiligt (§ 278 Abs 3 StGB), „dass er dadurch die Vereinigung in ihrem Ziel, im Irak, in Syrien, in Libanon, in Jordanien und in Palästina einen radikal-islamischen Gottesstaat (Kalifat) zu errichten und deren terroristische Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB zur Erreichung dieses Ziels förderte“,

(1) die, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, sowie schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit ua Kampfmitteln, insbesondere dem tatsächlichen kriegerischen Einsatz erlangter Waffen, ausgerichtet ist, indem sie seit Sommer 2011 insbesondere in Syrien und im Irak unter Anwendung besonderer Grausamkeit durch terroristische Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB ihrer Kräfte die Zerstörung des syrischen und irakischen Staates betreibt, in den eroberten Gebieten in Syrien und im Irak die sich nicht ihren Zielen unterordnende Zivilbevölkerung tötet und vertreibt, sich deren Vermögen aneignet, durch Geiselnahme große Geldsummen erpresst, die vorgefundenen Kunstschätze veräußert und Bodenschätze, insbesondere Erdöl und Phosphat, zu ihrer Bereicherung ausbeutet sowie weltweit terroristische Anschläge auf Andersgläubige verübt;

(2) die durch all diese Straftaten eine Bereicherung in großem Umfang durch Erzielung von Einnahmen sowie durch Ausstattung mit Waffen und Kampfmitteln anstrebt,

(3) und die andere, insbesondere politische Verantwortungsträger und jegliche sonstige ideologische Gegner korrumpiert oder durch angedrohte und ausgeführte Terroranschläge, insbesondere in Syrien und im Irak, aber auch in Europa, einschüchtert und sich auf besondere Weise, nämlich durch Geheimhaltung ihres Aufbaus, ihrer Finanzstruktur, der personellen Zusammensetzung der Organisation und der internen Kommunikation, gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abschirmt.

Rechtliche Beurteilung

 

[3] Dagegen richtet sich die auf Z 8 und 10a des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde dieses Angeklagten.

 

[4] Die Instruktionsrüge (Z 8) reklamiert – mit Bezug auf die Hauptfragen 1, 3 und 5 (Schuldspruch I 1, 3 und 5) – eine Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung zur absoluten Untauglichkeit des Versuchs (§ 15 Abs 3 StGB).

[5] Entsprechende negative Tatbestandsvoraussetzungen wurden jedoch – aus Z 6 ungerügt – in die betreffenden Fragen nicht aufgenommen (zu korrekter Fragestellung im Fall eines in diese Richtung weisenden Tatsachenvorbringens Lässig, WK‑StPO § 313 Rz 17; Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 30 und 45). Da nach absoluter Versuchsuntauglichkeit vielmehr gar nicht gefragt wurde, geht das diesbezügliche Vorbringen von vornherein ins Leere (Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 63; RIS‑Justiz RS0101085 [insbesondere T3], RS0125434).

[6] Im Übrigen entspricht der Inhalt der Rechtsbelehrung (§ 321 StPO), für die Unterscheidung absoluter von (bloß) relativer Untauglichkeit der Handlung (§ 15 Abs 3 StGB) sei die „ex-ante Sicht eines über den Tatplan informierten verständigen, das heißt mit Durchschnittswissen ausgestatteten Beobachters“ maßgebend (Beilage ./F S 6), ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS‑Justiz RS0098852). Die Argumentation der Rüge, unter einem „verständigen“ Beobachter sei ein „Angehöriger eines fachspezifischen Spezialistenkreises“ zu verstehen, ist damit – entgegen der Beschwerdeauffassung – nicht in Einklang zu bringen.

[7] Die weitere Rüge stellt die nach § 278c Abs 1 StGB erforderliche Eignung der vom Schuldspruch I (Hauptfragen 1 bis 6) umfassten Taten, eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung des öffentlichen Lebens oder eine schwere Schädigung des Wirtschaftslebens herbeizuführen (zu dieser „terroristischen Eignung“ Plöchl in WK2 StGB § 278c Rz 6 ff), mit der Überlegung infrage, dazu wären „gravierendere Voraussetzungen“ nötig „als eine lediglich vorübergehende Unterbrechung des Bahnverkehrs in einer einzigen Region eines sehr viel größeren Landes wie Deutschland es ist“. Damit macht sie keine Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung geltend, sondern bezweifelt – der Sache nach – die Richtigkeit des Wahrspruchs (zur Frage nach Tatsächlichem unter Verwendung werthaltiger Begriffe [hier des Gesetzeswortlauts zur „terroristischen Eignung“] vgl Lässig, WK‑StPO § 312 Rz 21; Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 27 f).

[8] Welcher Belehrungsinhalt (zur „terroristischen Eignung“: Beilage ./F S 9 bis 12) unrichtig sein oder unter dem Gesichtspunkt irreführender Unvollständigkeit fehlen sollte, lässt der pauschale Vorwurf, die „Anforderungen der Eignung der hier zu beurteilenden Taten“ „für solche Störungen“ seien „nicht richtig dargestellt“ worden, im Dunkeln (siehe aber RIS‑Justiz RS0119549, RS0119071).

[9] Hinzugefügt sei, dass das Zurückführen der Tatbestandsmerkmale auf die konkreten Tatumstände nicht Aufgabe der – nach rein abstrakten Gesichtspunkten abzufassenden – Rechtsbelehrung (§ 321 StPO), sondern der gemäß § 323 Abs 2 StPO abzuhaltenden Besprechung ist (Swiderski, WK‑StPO § 321 Rz 16; RIS‑Justiz RS0109476 [insbesondere T2]).

[10] Schließlich behauptet die Rüge eine Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung zu den Hauptfragen in Richtung § 278b Abs 2 StGB (9) und § 278a StGB (10) in Bezug auf das (jeweilige) Tatbestandsmerkmal der „Beteiligung“ an einer terroristischen Vereinigung (Schuldspruch II) oder kriminellen Organisation (Schuldspruch III) „als Mitglied“.

[11] Weshalb die – in der Rechtsbelehrung (§ 321 StPO) zutreffend als Voraussetzung genannte (Beil ./F S 18, 21) – Begehung einer strafbaren Handlung „im Rahmen“ der terroristischen „Ausrichtung“ (§ 278 Abs 3 StGB) der Vereinigung (bzw kriminellen Ausrichtung der Organisation) hiefür nicht genügen sollte, versäumt sie aus dem Gesetz abgeleitet darzulegen (siehe aber Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 65).

[12] Die gegen den Wahrspruch zur Hauptfrage 6 (Schuldspruch I 6) gerichtete Tatsachenrüge (Z 10a) berührt mit ihrer (alleinigen) Kritik an der Feststellung einer auf Beschädigung des Gleiskörpers gerichteten Intention des Angeklagten schon keinen entscheidenden – nämlich für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage bedeutsamen – Aspekt (siehe aber RIS‑Justiz RS0118780). Wollte doch der Angeklagte dem Wahrspruch der Geschworenen zufolge durch das festgestellte Vorgehen (Spannen eines Stahlseils zwischen Oberleitungsmasten) – auch – einen Eisenbahnzug der D***** AG (qualifiziert nach § 126 Abs 1 Z 5 und Abs 2 StGB) beschädigen (US 7 und 19).

 

[13] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits nach nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO). Über die Berufung hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§§ 344, 285i StPO).

[14] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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