OGH 8Ob4/21b

OGH8Ob4/21b25.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B. *****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Mag. Michael Raffaseder, Rechtsanwalt in Freistadt, und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei DI P***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Dr. Christian Janda Rechtsanwalts KG in Kremsmünster, gegen die beklagte Partei Mag. J*****, vertreten durch Mag. Dr. Herbert Schrittesser, Rechtsanwalt in Mödling, wegen 204.071,81 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 15. Oktober 2020, GZ 2 R 97/20b‑87, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom 6. Mai 2020, GZ 45 Cg 43/16m‑79, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0080OB00004.21B.0325.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei und der Nebenintervenientin die jeweils mit 2.650,68 EUR (darin 441,78 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Gestützt auf eine analoge Anwendung des § 1409 ABGB begehrte dieKlägerin von der Beklagten – der Ehefraudes Auftraggebers – die Zahlung des offenen Werklohns aus dem Aus- und Umbau des Wohnhauses der Ehegatten, das sich infolge einer Schenkung des Ehemanns nunmehr im Hälfteeigentum der Beklagten stehenden Liegenschaft befindet.

[2] Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren im zweiten Rechtsgang zur Gänze statt. Entgegen der Meinung des Erstgerichts sei nicht von einem Hauptvertrag und einer Vielzahl voneinander unabhängiger, im Laufe des Umbaus jeweils durch Annahme eines „Zusatzangebots“ zustande gekommener Werkverträge auszugehen, sondern von einem einheitlichen Vertrag. Die gesamte Werklohnverbindlichkeit sei daher zum Zeitpunkt der Übertragung des Hälfteanteils an der Liegenschaft und Einräumung des Veräußerungs- und Belastungsverbots im Keim entstanden gewesen, ohne dass es auf die Bezifferbarkeit der letztlich berechtigten Gesamtforderung ankäme.

[3] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu zur Abgrenzung „im Keim angelegter Verbindlichkeiten“ im Sinne des § 1409 ABGB bei einem Bauvertrag, bei dem es nach dem relevanten Übernahmezeitpunkt zu Änderungen, Konkretisierungen und Erweiterungen und schriftlichen „Zusatzaufträgen“ komme.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die sowohl von der Klägerin als auchvom Nebenintervenienten beantwortete Revision der Beklagten ist entgegen dem – nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[5] 1. Im zweiten Rechtsgang steht fest, dass (allein) der Grundwert zum Zeitpunkt der Übergabe, also zum 19. 6. 2015, 600.000 EUR betrug und der Wert des Hälfteanteils an der Liegenschaft daher damals jedenfalls die Höhe des Klagsbetrags erreichte. Daraus ergibt sich, dass die Forderung der Klägerin in der umfänglich auf die Höhe des Werts der übernommenen Aktiven beschränkten Haftung der Beklagten Deckung findet. Da die Haftungsobergrenze nicht ausgeschöpft wird, bedarf es keiner Haftungsbegrenzung im Urteil.

[6] 2.1 Die Beklagte meint, bei vertraglichen Ansprüchen sei „im Keim entstanden“ ein ungeeignetes Abgrenzungskriterium für sogenannte Alt- und Neuschulden. Ein Kauf- oder Werkvertrag werde nicht rechtsverbindlich, wenn er bloß im Keim angelegt sei. Maßgeblich könne nur sein, ob bei der Übergabe bereits eine rechtswirksame Verbindlichkeit des Veräußerers bestanden hat oder nicht.

[7] 2.2 Der erkennende Senat hat bereits im ersten Rechtsgang zu 8 Ob 29/18z (Punkt 3.2.3) klargestellt, dass § 1409 ABGB eine Haftung für Schulden des Veräußerers begründet, die im Zeitpunkt der Übergabe des Vermögens wenigstens bedingt oder betagt bestanden haben, mag auch die Bedingung erst nach diesem Zeitpunkt eingetreten sein. Es genügt, dass der Anspruch im maßgebenden Zeitpunkt im Keim entstanden war. Auf die Fälligkeit der Forderung des Gläubigers kommt es nicht an. Der Anspruch des Unternehmers auf Werklohn entsteht insoweit bereits mit Abschluss des Werkvertrags.

[8] 2.3 Im Einklang damithat das Berufungsgericht auf den – vor der Übergabe liegenden – Zeitpunkt des Abschlusses des Werkvertrags und nicht auf die Erbringung der geschuldeten Leistungen oder gar die Fälligkeit der Werklohnforderung abgestellt.

[9] 3.1 In diesem Zusammenhang rügt die Beklagte die Auffassung des Berufungsgerichts, es liege ein einheitlicher Werkvertrag vor. Durch die Fiktion eines einheitlichen Vertrags, der auch nachfolgende und kostenintensive „Zusatzaufträge“ einbeziehe, könnten nicht absehbare „Haftungsaufblähungen“ entstehen.

[10] 3.2 Das Berufungsgericht hat richtig erkannt, dass durch Vertragsauslegung zu ermitteln ist, ob Zusatzleistungen, die gesondert zu honorieren sind, selbständige Teilleistungen bzw eigenständige Werkverträge oder aber Teil der ursprünglichen einheitlichen Gesamtleistung sind (8 Ob 117/14k; vgl auch 4 Ob 28/18y). Nach der Rechtsprechung kommt es darauf an, ob die Zusatzleistungen auf Basis oder zumindest im Rahmen des ursprünglichen Werkvertrags erbracht werden. Die Frage nach dem Bestehen einer besonders engen Nahebeziehung im Sinn einer engen inhaltlichen Verknüpfung zwischen dem ursprünglich vereinbarten Werk und später vereinbarten (beauftragten bzw abgerufenen) Zusatzleistungen betrifft typisch den Einzelfall und begründet im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage (8 Ob 117/14k; vgl RIS‑Justiz RS0042936).

[11] 3.3 Mit ausführlicher Begründung hat das Berufungsgericht sämtliche der festgestellten Zusatzaufträge, die inhaltlich teils Konkretisierungen, teils Erweiterungen darstellten, dem Gesamtprojekt „Umbau/Sanierung“ des Wohnhauses der Ehegatten zugeordnet. Dafür spricht, dass die Werkvertragsparteien von vornherein die Abrechnung des Projekts nach Regiepreisen vereinbart hatten, die insbesondere dann in Betracht kommt, wenn Art, Güte und Umfang der Leistung oder die Umstände, unter denen sie zu erbringen ist, nicht so genau erfasst werden können, dass die Vereinbarung eines Pauschal-, Einheits- oder Festpreises oder eines in einem Kostenvoranschlag festgelegten Preises möglich ist und daher nur nach dem tatsächlichen Stunden- und Materialaufwand abgerechnet werden kann (vgl 10 Ob 15/14z mwN). Des Weiteren hat das Berufungsgericht betont, dass sich bereits die (unverbindliche) Kostenschätzung auf den Einreichplan und das Gesamtprojekt bezog und eine Einschränkung auf bestimmte Baumeisterleistungen gerade nicht erfolgte.

[12] Dem hält die Beklagte nichts Stichhältiges entgegen, sodass sie eine auffallende Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht nicht aufzuzeigen vermag.

[13] 4.1 Im Übrigen macht die Beklagte geltend, ihr seien die Forderungen der Klägerin im Übernahmezeitpunkt keinesfalls bekannt oder erkennbar gewesen. Die Kostenüberschreitung zur ursprünglichen Kostenschätzung habe 58 % Prozent betragen und sei in dieser Höhe derart atypisch, dass sie damit nicht habe rechnen müssen.

[14] 4.2 Dazu hat der erkennende Senat in seiner Entscheidung 8 Ob 29/18z (Punkt 3.2.3) unter Bezugnahme auf 3 Ob 53/09d ausgeführt, dass die Beklagte der sie treffenden Beweislastumkehr zufolge zu beweisen hat, dass ihr die Schulden, genauer der anspruchsbegründende Sachverhalt zumindest in seinen Grundzügen, bei Übergabe weder bekannt waren noch bekannt sein mussten.

[15] Die Frage, ob eine Partei von einer bestimmten Tatsache Kenntnis hatte, ist eine Tatfrage. Ob eine bestimmte Tatsache einer Partei hätte bekannt sein müssen, ist eine Rechtsfrage, deren Beantwortung stets von den Umständen des Einzelfalls abhängt (RS0031795 [insb T2]).

[16] 4.3 An der Auffassung des Berufungsgerichts, der Beklagten sei der Beweis nicht gelungen, dass ihr der anspruchsbegründende Sachverhalt in seinen Grundzügen – und zwar der Werkvertrag und der Stand der Arbeiten noch lange vor Fertigstellung – weder bekannt gewesen sei noch hätte bekannt sein müssen, weckt die Revisionswerberin keine Bedenken:

[17] Wie das Berufungsgericht festgehalten hat, beziehen sich die erstgerichtlichen Feststellungen, aus denen die Beklagte ableiten will, sie habe die künftigen Schulden ihres Ehegatten weder gekannt noch kennen müssen und in Wahrheit auch nicht erahnen können, auf die Details der erst später erteilten Zusatzaufträge, die allerdings ebenso wenig wie die exakte Höhe der Werklohnforderung zum anspruchsbegründenden Sachverhalt zumindest in seinen Grundzügen zu zählen sind. Als entscheidend hat das Berufungsgericht vielmehr hervorgehoben, dass die Beklagte unter Anwendung der objektiv gebotenen Sorgfalt jedenfalls hätte erkennen können, dass keine Pauschalpreisvereinbarung, sondern eine Regiepreisvereinbarung bestand und auch ein Höchstpreis (für das Gesamtprojekt) von der Klägerin nicht in Aussicht gestellt worden war; sie hätte auch anhand des Vergleichs zwischen bisheriger Abrechnungssumme zum 19. 6. 2015 und Baufortschritt damit rechnen müssen, dass mit der ursprünglich aus dem Anbot entnommenen Summe die Baumeisterarbeiten bei weitem nicht abgedeckt sein würden, umso weniger, wenn noch Zusätze dazukommen sollten.

[18] Aus dem Inhalt des Werkvertrags – Aus‑ und Umbau des Wohnhauses im Zusammenhalt mit einer Abrechnung nach tatsächlichem Aufwand – und dem Stand des Projekts zum Übergabszeitpunkt ließ sich aber sehr wohl eine konkrete, wenn auch noch nicht abschließend bezifferbare Forderung der Klägerin ableiten. Mit dieser Argumentation setzt sich die Revisionswerberin gar nicht auseinander.

[19] 5. Schließlich kommt die Beklagte mit dem Hinweis auf ihre vermeintlich zu Unrecht unberücksichtigt gebliebenen Gegenleistungen nur auf einen weiteren, bereits im ersten Rechtsgang abschließend erledigten Streitpunkt (Punkt 3.2.2 in 8 Ob 29/18z) zurück (RS0007010).

[20] 6. Insgesamt gelingt es der Beklagten daher nicht, eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

[21] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin und die Nebenintervenientin haben auf die Unzulässigkeit der Revision in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979 [T16]).

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