OGH 13Os105/20w

OGH13Os105/20w16.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. März 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Pateisky in der Finanzstrafsache gegen Robert W***** wegen Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach §§ 11 dritter Fall, 33 Abs 1 und 13 FinStrG sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 16. Juli 2020, GZ 35 Hv 21/19d‑137, sowie die Beschwerde des Angeklagten gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Erteilung einer Weisung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0130OS00105.20W.0316.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden das angefochtene Urteil sowie der zugleich ergangene Beschluss auf Erteilung einer Weisung aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Salzburg verwiesen.

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde Robert W***** jeweils mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach §§ 11 dritter Fall, 33 Abs 1 und 13 FinStrG (I A bis D und II) sowie nach §§ 11 dritter Fall, 33 Abs 2 lit a FinStrG (I E) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in S***** dadurch, dass er als Vorgesetzter seine Mitarbeiter anwies oder es diesen gestattete, auf Wunsch von Gastwirten einen Teil der an diese als Wiederverkäufer gelieferten Getränke tatsachenwidrig als Barverkäufe an Endabnehmer zu verbuchen, vorsätzlich (US 13) zur Begehung von Abgabenhinterziehungen nach § 33 Abs 1 FinStrG und nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG durch 18 von ihm belieferte, im Urteil namentlich genannte (US 7 bis 12) Gastwirte beigetragen, die von 2009 bis 2015 vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflicht (I A bis D und II) sowie der Verpflichtung zur Abgabe von § 21 UStG entsprechenden Voranmeldungen (I E) Verkürzungen an Umsatz‑, Einkommen‑, Kapitalertrag‑ und Körperschaftsteuer bewirkten und zu bewirken versuchten, indem sie Einkünfte nicht erklärten und Selbstberechnungsabgaben nicht entrichteten, und zwar

(I) im Bereich des Finanzamtes Salzburg‑Stadt an

A) Umsatzsteuer um 321.734,79 Euro,

B) Körperschaftsteuer um 89.687,01 Euro,

C) Einkommensteuer um 126.576,16 Euro,

D) Kapitalertragsteuer um 178.173,74 Euro und

E) Umsatzsteuervorauszahlung um 36.829,59 Euro, wobei der Angeklagte insoweit das Bewirken der Verkürzung für gewiss hielt (US 13), sowie

(II) im Bereich des Finanzamtes Salzburg‑Land an

A) Umsatzsteuer um 65.895,12 Euro,

B) Einkommensteuer um 113.907,46 Euro,

C) Körperschaftsteuer um 17.526 Euro und

D) Kapitalertragsteuer um 21.012,53 Euro.

Rechtliche Beurteilung

 

[3] Dagegen wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, 5a, 9 lit a und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der – wie auch die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – Berechtigung zukommt:

[4] Strafbarkeit wegen Beitragstäterschaft (§ 11 dritter Fall FinStrG) setzt voraus, dass der geförderte unmittelbare Täter zumindest objektiv in das Versuchsstadium gelangt (RIS‑Justiz RS0089552 und RS0090016; Lässig in WK 2 FinStrG § 11 Rz 1 iVm Fabrizy in WK 2 StGB § 12 Rz 94, 97, 109 f). Ist dies nicht der Fall, liegt bloß straflose versuchte Beihilfe vor (erneut RIS‑Justiz RS0090016; Fabrizy in WK 2 StGB § 12 Rz 108).

[5] Davon ausgehend macht die Verfahrensrüge (Z 4) zutreffend geltend, dass die Abweisung (ON 136 S 35 f) des Antrags auf Vernehmung des Geschäftsführers der Wa***** GmbH (vgl US 8 f) Daniel S***** sowie der Gastronomen (und unmittelbaren Täter [US 7 ff]) Daniel L***** (US 7), Athanasios A***** (US 7), Ernst T***** (US 7), Dobrica K***** (US 7), Andreas Ti***** (US 8), Ernst E***** (US 9 f), Django J***** (US 9), Kojo I***** (US 10), Noemi St***** (US 11), Johann F***** (US 12), Fadil Su***** (US 9), Zeco M***** (US 11) und Helmuth N***** (US 10), die vor dem erkennenden Gericht nicht ausgesagt hatten (ON 136 S 34 f) und deren Angaben vor der Finanzstrafbehörde mangels Verlesung der bezughabenden Protokolle nicht Gegenstand der Hauptverhandlung wurden (ON 136 S 33), Verteidigungsrechte verletzte.

[6] Denn der Antrag war (auch) zum Beweis dafür gestellt worden, dass die Einkäufe des jeweiligen Gastronomen nicht zur Erzielung von Schwarzumsätzen dienten, sondern die Ware tatsächlich privat für Mitarbeiter und private Gäste verwendet wurde und somit „nicht Eingang in die Buchhaltung finden musste“. Weiters diente er zum Beweis dafür, dass „die von der Finanz zum Teil willkürlich zugeordneten Barverkaufsbelege nicht die jeweiligen Gastronomen betreffen“ und dass „allfällige Abgabennachforderungen, die sich aus den jeweiligen Strafakten ergeben, in keiner Weise Getränke betreffen, welche sie ohne Rechnung oder nur mit Barverkaufsbeleg bei der Firma B***** gekauft haben“.

[7] Die Feststellungen zur Begehung der Finanzvergehen durch die nicht in der Hauptverhandlung vernommenen unmittelbaren Täter (vgl ON 136 S 33) stützte der Schöffensenat darauf, dass „einerseits rechtskräftige Erkenntnisse, teilweise nach Geständnissen (zB. ON 125) sowie eine Aufstellung von der Finanzbehörde samt einzelner Erkenntnisse (ON 130)“ vorlägen und verwies weiters auf „die Ergebnisse der einzelnen Betriebsprüfungen, insbesondere die Abgabenbescheide“ (US 19).

[8] Nach ständiger Judikatur kommt einem Abgabenbescheid als dem Resultat eines fachspezifischen Ermittlungsverfahrens die Bedeutung einer qualifizierten Vorprüfung der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des im diesbezüglichen Finanzstrafverfahren aktuellen Finanzvergehens zu (RIS‑Justiz RS0087030; Lässig in WK2 FinStrG § 33 Rz 55). Dies entbindet das erkennende Gericht jedoch nicht davon, eigenständig sämtliche Beweismittel gewissenhaft auf ihre Beweiskraft zu prüfen (§ 258 Abs 2 StPO; RIS‑Justiz RS0087030 [T1]).

[9] Das Erstgericht wäre daher verpflichtet gewesen, die beantragten Vernehmungen vorzunehmen, die nicht gänzlich ungeeignet waren, den Ausspruch über eine entscheidende Tatsache, nämlich die Feststellung zur Frage zu beeinflussen (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 339 ff), ob die genannten Gastronomen als unmittelbare Täter objektiv ins Versuchsstadium gelangten.

[10] Ernst E***** ist nach der Aktenlage (überdies) faktischer Geschäftsführer der E***** GmbH und Co KG (ON 78a S 240), Johann F***** (zudem) geschäftsführender Gesellschafter der P***** KG (ON 78a S 512). Solcherart zielte der dargestellte Antrag auch in Ansehung des Beitrags zu der zumindest versuchten Abgabenhinterziehung der unmittelbaren Täter Thomas Ko***** als Kommanditist der E***** GmbH und Co KG (US 10) sowie Nina Se***** und Julia R***** als Kommanditistinnen der P***** KG (US 12) auf den Nachweis eines schulderheblichen Umstands.

[11] Zu Recht wurde der Antrag hingegen in Ansehung der zeugenschaftlichen Vernehmung des Borislav Tu***** (ON 136 S 35) abgewiesen. Denn insoweit ließ er nicht erkennen, weshalb zu erwarten sei, dass dieser bereits in der Hauptverhandlung am 14. Mai 2020 vernommene Zeuge von seinen Depositionen (ON 129 S 23 f) abweichen sollte. Solcherart zielte er auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung (RIS‑Justiz RS0117928 [T6]).

[12] In Bezug auf den Beitrag zur Abgabenhinterziehung des Borislav Tu***** (US 12 f) zeigt aber die Mängelrüge (Z 5) zutreffend auf, dass sich das Erstgericht zu Unrecht nicht mit der in der Hauptverhandlung durch einverständlichen resümierenden Vortrag gemäß § 252 Abs 2a StPO (ON 136 S 33) vorgekommenen Aussage des Genannten vor der Steuerfahndung (ON 78a S 567 ff), wonach er die „privat“ beim Unternehmen des Angeklagten gekauften Waren nicht im Betrieb Bo***** Grill, sondern im „Bus Bor*****“ verkauft habe und die „Versteuerung dieser Sache […] in Bosnien bzw. beim Finanzamt Graz Stadt abgewickelt“ werde, auseinandergesetzt hat (Z 5 zweiter Fall). Steht doch dieses Verfahrensergebnis den Feststellungen zur zumindest versuchten (vgl erneut RIS‑Justiz RS0089552) Abgabenhinterziehung durch den unmittelbaren Täter Borislav Tu***** (US 7 iVm US 12 f) erörterungsbedürftig entgegen.

[13] Schon diese von der Beschwerde zutreffend aufgezeigten Verfahrensmängel erforderten die Aufhebung des gesamten Urteils und die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung (§ 288 Abs 2 Z 1 StPO).

[14] Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde gegen den – verfehlt in die Urteilsausfertigung aufgenommenen (RIS‑Justiz RS0120887 [T2 und T3], jüngst 12 Os 71/20p) – Beschluss auf Erteilung einer Weisung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

 

[15] Mit Blick auf den zweiten Rechtsgang ist hinzuzufügen:

[16] 1) Im Bereich der Kapitalertragsteuer (§ 93 Abs 1 EStG) ist selbständige Tat das Unterlassen der auf einen bestimmten Ertragszufluss bezogenen Kapitalertragsteuerabfuhr (§ 96 Abs 1 EStG) unter Verletzung der korrespondierenden (§ 96 Abs 3 EStG) Anmeldungspflicht (RIS‑Justiz RS0124712 [T1, T3 und T4]).

[17] Für den Fall der neuerlichen Annahme von Verkürzungen an Kapitalertragsteuer durch die unmittelbaren Täter werden daher Feststellungen zu zugeflossenen Kapitalerträgen, also zu den Umständen, die Steuerpflicht nach § 93 EStG in der zum jeweiligen Tatzeitpunkt geltenden Fassung ausgelöst haben sollen, zu treffen sein. Dabei werden zudem die einzelnen Taten unter Zugrundelegung des dargelegten finanzstrafrechtlichen Tatbegriffs zur Kapitalertragsteuer durch entsprechende Feststellungen voneinander abzugrenzen sein.

[18] 2) Für den Fall neuerlicher Schuldsprüche wegen des Beitrags zu Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG wird überdies zu beachten sein, dass diese Finanzvergehen dann, wenn in der Folge mit Beziehung auf den gleichen Umsatzsteuerverkürzungsbetrag und den selben Steuerzeitraum auch das Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG zumindest versucht wird (siehe die zeitliche Deckung zu II A ii und iii [US 7]), von Letzterem konsumiert wird (scheinbare Realkonkurrenz; RIS‑Justiz RS0086719; Lässig in WK² FinStrG § 33 Rz 18 mwN).

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