OGH 13Ns128/20g

OGH13Ns128/20g16.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. März 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Pateisky in der Strafsache gegen Harald Z***** wegen Verbrechen nach § 3g VG, AZ 8 Hv 51/20v des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über Vorlage gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO durch das Oberlandesgericht Graz, AZ 10 Bs 152/20h, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0130NS00128.20G.0316.000

 

Spruch:

Die Sache wird dem Oberlandesgericht Wien zur Entscheidung über den Einspruch gegen die Anklageschrift übermittelt.

 

Gründe:

[1] Mit Anklageschrift vom 14. April 2020 (ON 87) legt die Staatsanwaltschaft Wien Harald Z***** als Verbrechen nach § 3g VG beurteilte Taten zur Last.

[2] Danach habe er sich vom Beginn des Jahres 2016 bis zum 13. Februar 2017 durch in der Anklageschrift detailliert bezeichnete Verhaltensweisen in zahlreichen Angriffen auf andere als die in den §§ 3a bis 3f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt.

[3] Die Annahme der örtlichen Zuständigkeit des Landesgerichts für Strafsachen Graz begründete die Staatsanwaltschaft Wien mit dem sich aus der zeitlich frühesten Tat ergebenden Tatort G***** (ON 87 S 10).

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen die Anklageschrift erhob der Angeklagte am 19. Mai 2020 Einspruch (ON 91).

[5] Mit Beschluss vom 19. November 2020, AZ 10 Bs 152/20h, legte das Oberlandesgericht Graz – nach Verneinen des Bestehens eines der in § 212 Z 1 bis 5, 7 und 8 StPO genannten Gründe – die Akten gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO dem Obersten Gerichtshof vor, weil es für möglich hielt, dass ein im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts liegendes Gericht zuständig sei.

 

[6] Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

[7] Primärer Anknüpfungspunkt für die örtliche Zuständigkeit im Hauptverfahren ist nach § 36 Abs 3 erster Satz StPO jener Ort, an dem die Straftat ausgeführt wurde oder ausgeführt werden sollte.

[8] Gemäß § 37 Abs 1 erster Satz StPO ist (unter anderem) im Fall der Anklage einer Person wegen mehrerer Straftaten das Hauptverfahren vom selben Gericht gemeinsam zu führen. Dabei ist unter Gerichten verschiedener Ordnung das höhere, unter Gerichten gleicher Ordnung jenes mit Sonderzuständigkeit für alle Verfahren zuständig (§ 37 Abs 2 erster Satz StPO). Im Übrigen kommt das Verfahren im Fall mehrerer Straftaten dem Gericht zu, in dessen Zuständigkeit die frühere Straftat fällt (§ 37 Abs 2 zweiter Satz StPO). Wenn jedoch für das Ermittlungsverfahren eine Staatsanwaltschaft bei einem Gericht zuständig war, in dessen Sprengel auch nur eine der angeklagten strafbaren Handlungen begangen worden sein soll, so ist dieses Gericht zuständig (§ 37 Abs 2 dritter Satz StPO).

[9] Nach der Systematik des § 37 Abs 2 StPO normiert somit der dritte Satz eine Ausnahme zum zweiten, nicht jedoch zum ersten Satz dieser Bestimmung (RIS‑Justiz RS0124935 und RS0125227; Oshidari , WK‑StPO § 37 Rz 5).

[10] Vorliegend fallen alle angeklagten Taten des (einzigen) Angeklagten in die (allgemeine) Zuständigkeit des Landesgerichts als Geschworenengericht (§ 31 Abs 2 Z 12 StPO iVm § 3j VG), sodass § 37 Abs 2 erster Satz StPO zu keinem Ergebnis führt. Daher ist in Bezug auf sämtliche vom Anklagevorwurf umfasste Taten mit der Prüfung nach § 37 Abs 2 dritter Satz StPO fortzufahren.

[11] Bezugspunkt der angesprochenen Prüfung ist der von der Anklage vorgegebene Prozessgegenstand. Dabei orientiert sich das Gericht – ohne Bindung an die Ortsangaben in der Anklageschrift – an der Aktenlage (vgl RIS‑Justiz RS0131309; Oshidari , WK‑StPO § 38 Rz 2/1).

[12] Nach dieser ist auch von in Wien gelegenen Tatorten auszugehen. Denn dort soll der Angeklagte – von der Staatsanwaltschaft als im nationalsozialistischen Sinn propagandistisch beurteilte – Schriften an Manfred S***** (ON 87 S 2) übergeben haben (ON 35 S 9 f und 15, vgl auch ON 8 S 771 und S 879 sowie ON 87 S 6).

[13] Somit soll jedenfalls eine der angeklagten Taten im Sprengel jenes Landesgerichts begangen (vgl § 67 Abs 2 StGB; 14 Ns 78/20m) worden sein, bei dem die anklagende ( Oshidari , WK‑StPO § 37 Rz 5) Staatsanwaltschaft Wien ihren Sitz hat (§ 37 Abs 2 dritter Satz StPO).

[14] Demnach hat – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – das Oberlandesgericht Wien über den Einspruch zu entscheiden (dazu RIS‑Justiz RS0124585).

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